In den reichen Ländern geht die Angst um, die Angst vor der Globalisierung. Die Meinung verbreitet sich, weltweit offenere Märkte würden die Lage auf den Arbeitsmärkten verschärfen. Diese Ängste sind nicht neu. Bisher fielen sie aber nicht auf fruchtbaren Boden. Arbeitslosigkeit ist vor allem das Problem einer zu wenig qualifizierten Minderheit. Das könnte sich allerdings ändern, wenn auch die Mittelschichten in den Strudel anhaltender Arbeitslosigkeit geraten. In der Bevölkerung wachsen die Ängste. Die Forderungen an die Politik werden lauter, die Märkte noch stärker an die Kandare zu nehmen.
Die „alte“ Welt
Ökonomen streiten über Vieles, nicht aber über die wohlfahrtssteigernden Wirkungen weltweit offener Märkte. Über alle Schulen hinweg besteht Einigkeit, internationale Arbeitsteilung erhöht den Wohlstand aller beteiligten Länder. Das gilt in der Hauptsache trotz gelegentlicher Einwände auf Nebenkriegsschauplätzen bis heute. Die tagtägliche Realität weltweit widerspricht dem nicht. Klar ist aber auch, der heimische Lebensstandard ist zuallererst hausgemacht. Über die Höhe bestimmt wesentlich die eigene Produktivität. Internationaler Handel mit Gütern und Diensten und weltweit mobile Arbeit und Kapital erhöhen aber den Wohlstand.
Es mag viele überraschen, internationale Arbeitsteilung und Arbeitslosigkeit sind kaum korreliert. Dennoch beeinflussen internationaler Handel und international mobile Faktoren die Arbeitsmärkte. Integriert sich ein Land stärker in die internationale Arbeitsteilung, wird der Prozess der schöpferischen Zerstörung zuhause beschleunigt. Der schnellere strukturelle Wandel ist Chance und Risiko zugleich. Er ist Chance, weil er die Quellen des Wohlstandes zuhause stärker sprudeln lässt. Er ist Risiko, weil mehr freigesetzte Faktoren in neue, produktivere Verwendungen transferiert werden müssen.
In der „alten“ Welt überwiegen die Chancen die Risiken. Deutschland ist ein Hauptgewinner. Diese Art der internationalen Arbeitsteilung ist geprägt von der Versorgung der Märkte mit Produkten, die in „Kisten transportiert werden können“ (Alan Blinder). Inter- und intra-industrieller Handel mit Gütern dominieren, Kapital ist sehr mobil. Das alles beschleunigt den strukturellen Wandel. Schmerzfrei ist das allerdings nicht. Vor allem die Akteure im industriellen Sektor können davon ein Lied singen. Sie haben sich an das Unvermeidliche angepasst, oft nur widerwillig.
Auch wenn alle Länder gewinnen, in den Ländern gibt es auch Verlierer. In reichen Ländern wird qualifizierte Arbeit mehr, einfache weniger nachgefragt. Zuwanderung setzt einfache Arbeit weiter unter Druck. Wie sich die Beschäftigung entwickelt, hängt davon ab, wie gut die Arbeitsmärkte funktionieren. Es ist ein Irrtum zu glauben, Arbeitslosigkeit ist dort niedrig, wo die Länder weniger stark in die internationale Arbeitsteilung eingebunden sind. Sie ist unterschiedlich hoch, weil heterogene heimische institutionelle Arrangements besser oder schlechter funktionierende Arbeitsmärkte produzieren.
Die „neue“ Welt
Trotz allen Geredes, die „alte“ Welt der internationalen Arbeitsteilung lebt. Noch immer werden „Wein gegen Tuch“ und „Autos gegen Autos“ getauscht, Direktinvestitionen erschließen neue Märkte. Fortschritte beim Transport, in der Information und Kommunikation machen aber auch anderes möglich. Unternehmen spalten die Wertschöpfungskette immer öfter auf und entkoppeln sie. Kostengetriebene Direktinvestitionen sind der Transmissionsriemen. Einzelne Aufgaben der Produktionsprozesse werden an den Ort verlagert, wo sie weltweit am kostengünstigsten erledigt werden können. Später werden die einzelnen fertigen Vorprodukte wieder zum Endprodukt zusammengefügt.
Wie sich die neue internationale „Aufgabenteilung“ auf unsere Arbeitsmärkte auswirkt, ist noch unklar. Drei gegenläufige Effekte sind denkbar. Ein erster beeinflusst die Arbeitsnachfrage positiv. Er verringert die Kosten der Produktion und bewirkt eine höhere Produktivität. Ein zweiter senkt die Preise der produzierten Güter und verschlechtert die „terms of trade“. Er verringert die Arbeitsnachfrage. Auch der dritte wirkt negativ. Aufgaben werden verlagert, Arbeitnehmer verlieren ihren Arbeitsplatz. Es ist eine empirische Frage, welche Effekte dominieren. In Deutschland überwiegt bisher der positive Effekt. Die Bundesbank weist darauf hin, dass die verstärkte Auslandspräsenz die deutsche Wirtschaft offenbar wettbewerbsfähiger gemacht hat. Von einer Basarökonomie kann keine Rede sein.
In der „neuen“ Welt gelten alte Weisheiten nicht mehr. Eine wettbewerbsfähige Branche garantiert noch keinen sicheren Arbeitsplatz. Sicher ist er nur, wenn die Aufgabe im Produktionsprozess wettbewerbsfähig ist. Bei international handelbaren Aufgaben stellt sich dieses Problem immer wieder neu. Arbeitsplätze hochqualifizierter Arbeitnehmer können unsicher werden, wenn die ausländische Konkurrenz gleich gut, aber billiger ist. Nichts trifft das Problem besser als die Diskussion, was noch drin ist in „Made in Germany“. Geringqualifizierte können sichere Arbeitsplätze haben, wenn ihre Aufgaben nicht handelbar sind. Auch in der „neuen“ Welt ist der Wettbewerbsdruck in Nischen geringer. Das ist nicht anders als in der „alten“.
Und noch etwas ändert sich in der „neuen“ Welt: Die ökonomische Basis des Flächentarifs erodiert weiter. Bei handelbaren Aufgaben des Produktionsprozesses sind Arbeitsplätze nur wettbewerbsfähig, wenn streng nach der Produktivität der jeweiligen Aufgabe entlohnt wird. Einheitliche Lösungen auf der Ebene der Branchen sind ineffizient, selbst betriebliche Lösungen oft zu zentral. Das ist ein weiterer Sargnagel für den Flächentarif, die Zeit der Kollektive ist vorbei. Wer Arbeitsplätze erhalten will, kommt in der Lohn- und Tarifpolitik nicht darum herum, sich an der individuellen Produktivität bei der Erledigung von Aufgaben zu orientieren.
Die „künftige“ Welt
Die Zukunft der Arbeit in der „neuen“ Welt handelbarer Aufgaben ist ungewiss. Mangels belastbarer Daten sind die Diskussionen oft spekulativ. Das gilt für das „offshoring“ von Dienstleistungen in noch stärkerem Maße. Nach dem Schock handelbarer Aufgaben bei Gütern waren Dienstleistungen für viele der sichere Hafen für stabile Arbeitsplätze. Der Princeton-Ökonom Alan Blinder kratzt am Mythos „nicht handelbarer“ Dienstleistungen. Damit schürt er Ängste vor der Globalisierung auch in der Mittelschicht. Teile der Politik greifen diese Ängste auf. Die öffentliche Diskussion ist von „offshoring obsession“ geprägt.
Eines ist gewiss, die Zukunft der Dienstleistungen ist globaler. Immer mehr dieser Tätigkeiten werden international handelbar. Das gilt vor allem für Dienste, die sich kodifizieren und leicht wieder entschlüsseln lassen. Es trifft oft auch für standardisierbare Routine-Tätigkeiten zu. Über allen hängt das Damokles-Schwert der Verlagerung. Dienstleistungen hingegen, die zu komplex sind, müssen oft von Angesicht zu Angesicht ausgetauscht werden. Sie sind stärker auf räumliche Nähe angewiesen. Das bietet einen gewissen Schutz vor „offshoring“. Davon können Hoch- wie Niedrigqualifizierte profitieren.
Immer mehr handelbare Dienstleistungen forcieren den Prozess der schöpferischen Zerstörung. Alan Blinder vermutet, der strukturelle Wandel, der dadurch ausgelöst wird, ist nicht nur groß, er dauert auch lange an und ist für viele sehr schmerzhaft. Er schätzt, dass in den USA in den nächsten drei Jahrzehnten zwischen 30 und 40 Millionen Arbeitsplätze potentiell verlagerbar werden. Weil die USA nur über ein löchriges Netz der sozialen Sicherheit verfügten, würde dieser Prozess für viele schmerzhaft, die ihren Arbeitsplatz im Zuge des „offshoring“ verlieren. Schnelle Abhilfe sei deshalb notwendig.
Diese Ängste sind überzogen. Gegenwärtig beeinflusst „offshoring“ die Geschwindigkeit des Wandels auf den Arbeitsmärkten in den USA und Europa kaum. Das muss nicht so bleiben. Wir haben es aber selbst in der Hand, was wir daraus machen. Die Wettbewerbsfähigkeit bei handelbaren Diensten entscheidet darüber, wo diese Arbeitsplätze angesiedelt werden, hier oder anderswo. Auch ein lange anhaltender struktureller Wandel ist kein Nachteil, im Gegenteil. Die Anpassung ist umso weniger schmerzhaft, je länger sie dauert. Dann kann sie leichter über den Wechsel der Generationen abgewickelt werden.
Distributive Spekulationen
Die „künftige“ Welt wird von der Informations- und Kommunikationstechnologie getrieben. Der Einfluss auf die Entwicklung des Wohlstandes ist nicht anders als in der „alten“ Welt: groß und positiv. Dieser technische Fortschritt ist eine Wohlstandsmaschine, da er wie kein anderer zuvor, zugleich die Märkte weltweit öffnet. Trotzdem ist die Stimmung eher skeptisch, oft pessimistisch. Was den Menschen die Stimmung vermiest, sind die unklaren Verteilungswirkungen. Wer zu den Gewinnern, wer zu den Verlierern zählt, ist ungewisser denn je. Kein Wunder, dass die Menschen die Globalisierung nicht mit offnen Armen empfangen.
In der „künftigen“ Welt scheint es die neue Technologie nicht immer gut mit den besser Qualifizierten zu meinen. Der hoch qualifizierte Röntgenarzt in Deutschland konkurriert nun mit dem gleich qualifizierten, aber billigeren in Indien. Das gilt für viele hochqualifizierte, digitalisierbare Tätigkeiten. Allerdings: Die neue Technologie öffnet den deutschen Stars unter den Radiologen erst den größeren, weltweiten Markt. Diese Märkte können zu „winner-take-all“-Märkten werden, wie wir sie aus dem Sport oder Film kennen. Dort schöpfen die Stars den Rahm ab, der große Rest verdient viel weniger, allerdings immer noch mehr als zuvor. Die Verteilung der Einkommen wird ungleicher.
Sicher ist das allerdings nicht. Die neue Technologie kann es auch gut mit den weniger Qualifizierten meinen. Die Bediensteten bei McDonald’s müssen nicht länger lesen oder mit dem Computer umgehen können. Sie müssen nur die Bilder eines Hamburgers auf der Registrierkasse kennen. Damit verbessert die neue Technologie die Beschäftigungsmöglichkeiten gering qualifizierter Arbeitnehmer. Die Verteilung der Einkommen wird gleichmäßiger. Wir wissen noch viel zu wenig, um prognostizieren zu können, wie die neuen Technologien wirken. Sie können die Chancen der Arbeitnehmer gleichmäßiger oder ungleichmäßiger verteilen.
Ein Blick auf die Entwicklung in den USA zeigt ein interessantes Ergebnis. Bis Ende der 80er Jahre wurde die Verteilung der Einkommen ungleichmäßiger. Die höher Qualifizierten stellten sich erheblich besser als die Mitte, die gering Qualifizierten verloren, auch absolut. Das alles gilt seit Beginn der 90er Jahre so nicht mehr. Nun gewinnen sowohl die Hoch- als auch die Geringqualifizierten. Die breite Mittelklasse ist der eigentliche Verlierer dieser Polarisierung. Sie verliert zwar die meiste Zeit nicht absolut, allerdings relativ. Vielleicht ist dies ein erster Hinweis darauf, wie sich die Verteilung der Einkommen in der „künftigen“ Welt entwickeln wird.
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„Ökonomen streiten über Vieles, nicht aber über die wohlfahrtssteigernden Wirkungen weltweit offener Märkte. Über alle Schulen hinweg besteht Einigkeit, internationale Arbeitsteilung erhöht den Wohlstand aller beteiligten Länder. Das gilt in der Hauptsache trotz gelegentlicher Einwände auf Nebenkriegsschauplätzen bis heute.“
Nebenkriegsschauplätze? Samuelson schreibt: „Acts I and II have demonstrated that sometimes free trade globalization can convert a technical change abroad into a benefit for both regions; but sometimes
a productivity gain in one country can benefit that country alone, while permanently hurting the other country by reducing the gains from trade that are possible between the two countries.“
Interessant ist, was der Sachverständigenrat hierzu schreibt (Kasten auf S. 4):
http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/download/ziffer/z454_459j04.pdf
„Die These der wechselseitigen Vorteilhaftigkeit des Außenhandels ist unter Ökonomen im Grundsatz unbestritten“ Wichtig ist hier die Einschränkung „im Grundsatz“.
Weiter: „Zunächst behaupten auch die glühendsten Verfechter
des Freihandels nicht, dass durch diesen keine Anpassungen induziert werden, die innerhalb eines Landes zu Verlusten in einzelnen Sektoren oder bei bestimmten Bevölkerungsgruppen führen können und werden. Insgesamt aber sind die Gewinne in der Regel größer als die entstehenden Verluste, und es kommt somit entscheidend darauf an, die etwaigen Verlierer hinreichend kompensieren zu können.“
Die Gewinne sind also in der Regel(!) größer als die Verluste. Es gibt also doch Ausnahmen. Wann und wo und unter welchen Bedingungen ist dies der Fall? Auch kommt es entscheidend(!) darauf aun, dass die Verlierer hinreichend kompensiert werden. So mag Deutschland ja ein Globalisierungsgewinner sein, aber auch hier gibt es Verlierer. Wurden diese bislang hinreichend kompensiert? Wie kann so eine Kompensation überhaupt entstehen, wenn staatliche Umverteilung ja negiert wird, obwohl diese ja notwendig wäre (von deutschen Globalisierungsgewinnern zu deutschen Globalisierungsverlierern).
Noch ein Wort zu Ricardo selbst. Ricardo geht in seinem berühmten Theorem der „komparativen Kostenvorteile“ u.a. davon aus, dass Kapital NICHT mobil sei: „It would undoubtedly be advantageous to the capitalists of England, and to the consumers in both countries, that under such circumstances, the wine and the cloth should both be made in Portugal, and therefore that the capital and labour of England employed in making cloth, should be removed to Portugal for that purpose.“ Ricardo ging tatsächlich von einer weitgehenden Inmobilität, zumindest geringen Mobilität des Kapitals aus. Heute ist dies selbstverständlich nicht mehr der Fall. Insofern ist Ricardos Theorem im Zeitalter der Globalisierung schlicht irrelevant, von allenfalls historischem Wert.
Auch existiert eine Schule (von Friedrich List begründet), die mit den Stichworten Erziehungs- und Schutzzoll gegen Ricardo antraten (und denen die Wirklichkeit später sehr oft Recht gegeben hat).
Ein hochlesenswerter Artikel von Prof.Berthold der sich vor allem durch seine wohltuende Ausgewogenheit auszeichnet, schließlich beschreibt Prof.Berthold nicht nur die wohlstandskatalysierende Wirkung freier Marktzugänge sondern auch die Schattenseiten, er erklärt sowohl die benefits globalisierter Arbeitsteiligkeit als auch die backdrafts und differenziert nachvollziehbar welche Bevölkerungsschichten auf welche Art und Weise im jeweiligen Kontext mit Wandel und Veränderung zu rechnen haben.
Die <a href=“http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?page_id=18″>Hinweise für Kommentatoren</a> brav gelesen hat UNTERNEUNTUPFING Aktuell sich trotzdem keck die <b>Frei</b>heit herausgenommen eine <a href=“http://u9tupfing.blogspot.com/2007/06/von-steinzeit-zu-steinzeit-die-zukunft.html“>Replik</a> darauf zu verfassen. Da das Metier von U9TA Satire für den guten Zweck ist hoffen wir dabei nicht gegen ein Humorlosigkeitsgebot dieser geschätzten Plattform verstoßen zu haben 😉
Mit freundlichen und freisinnigen Grüßen
Unterneuntupfing Aktuell