Rot-Schwarz und der Markt

Noch immer geht ein Gespenst um in Europa, das Gespenst der Arbeitslosigkeit. Vor allem in den vier größten kontinentaleuropäischen Ländern Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien treibt es sein Unwesen. Diese Länder bleiben unter ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten, die ihnen europa- und weltweit offenere Güter- und Kapitalmärkte bieten. Verkrustete Arbeitsmärkte sind ihre Achillesferse. Kein Wunder, dass der strukturelle Wandel viel zu viel Arbeitslosigkeit produziert. In diesem Teil Europas wächst der Wohlstand seit längerem nur noch im Schneckentempo.

Kleinere europäische Länder aber auch Großbritannien zeigen, es geht auch anders. Sie sind auf dem besten Weg, dem Spuk ein Ende zu bereiten. Flexible Arbeitsmärkte tragen zum Erfolg bei: Der schnellere strukturelle Wandel wird in mehr Wohlstand umgesetzt. Schmerzfrei ist er dennoch nicht. Der industrielle Sektor gerät ins Abseits, Unternehmen gehen Pleite, Berufe verschwinden. Aber: Der Dienstleistungssektor blüht auf, junge Unternehmen erobern Märkte, neue Berufe entstehen. Funktionierende Arbeitsmärkte vermitteln Arbeitslose auf neue Arbeitsplätze.

Die Früchte des Prozesses der schöpferischen Zerstörung lassen sich nur ernten, wenn Länder bereit sind, die Lasten wirtschaftlicher Veränderungen auch zu schultern. Wirtschaftlicher Wandel als wichtige Quelle des Wohlstandes lehrte Europa, die Fähigkeiten zu erhöhen, kurzfristige Lasten in langfristigen Wohlstand zu verwandeln, nicht den Wandel zu unterbinden. Das ,Binnenmarkprojekt 92’ atmete noch den Geist dieser Philosophie, die Anpassungskapazitäten der Volkswirtschaften durch europaweit offenere Güter- und Faktormärkte zu stärken.

Gegen den Markt

Diese Philosophie gerät in die Defensive, zumindest im ,alten Europa’. Vor allem die großen Länder verfolgen immer öfter eine Strategie „gegen den Markt“. Strukturelle Reformen werden aus Angst vor dem Wähler und der Macht besitzstandswahrender Interessengruppen unterlassen. Die Anpassungskapazitäten stärkt das nicht. Maßnahmen aus der protektionistischen Mottenkiste, die den wirtschaftlichen Wandel behindern, um kurzfristig Anpassungslasten zu verringern, gewinnen immer öfter die Oberhand. Die Erfahrung weltweit zeigt allerdings, Protektionismus ist so nützlich, wie eine Heizung im Iglu, er zerstört die Quelle wirtschaftlichen Wohlstandes.

So wollen etwa die alten Mitgliedsländer der EU mit Ausnahme von Irland, Großbritannien und Schweden auch in den nächsten drei Jahren ihre Arbeitsmärkte gegenüber acht neuen Mitgliedsländer abschotten. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit wird auch künftig eingeschränkt, in drei Bereichen bleibt auch die Dienstleistungsfreiheit weiter auf der Strecke. Mit der neuen Dienstleistungs-Richtlinie hat das Europäische Parlament das Herkunftslandprinzip, das geniale Herzstück eines wirksamen institutionellen Wettbewerbs ausgehebelt. Damit wird dem protektionistischen Treiben in Europa wieder Tür und Tor geöffnet. Das ist ein schwerer Rückschlag für die wirtschaftliche und politische Integration in Europa.

Aber auch mit der Entsende-Richtlinie hat die EU den protektionistischen Weg geebnet. Deutschland nutzt mit dem Entsendegesetz vor allem für das Baugewerbe diese Möglichkeit seit dem Jahr 1996. Mit Tarifverträgen, die für allgemeinverbindlich erklärt werden, wird der Preismechanismus auf den Arbeitsmärkten außer Kraft gesetzt. Das Land eines Ludwig Erhard kommt ordnungspolitisch noch mehr auf den Hund, wenn die große Koalition tatsächlich eine Politik durchsetzt, die das Entsendegesetz auf weitere Branchen, wie etwa die Gebäudereiniger, ausdehnt und auch unabhängig von Tarifverträgen gesetzliche Mindestlöhne einführt.

Für den Markt

Wer den strukturellen Wandel behindert, schädigt sich selbst, er überlässt es anderen, die Goldmine weltweit offenerer Märkte auszubeuten. Abschottung und Intervention lindern kurzfristig die Leiden der Verlierer, ohne sie zu beseitigen, aber schon mittelfristig verlieren alle. Alle Wege gegen den Markt sind Holzwege. An den Erträgen der internationalen Arbeitsteilung hat nur teil, wer die Kräfte des Marktes nicht bekämpft, sondern sie nutzt. Das macht es notwendig, die Anpassungskapazitäten der Länder zu stärken. Erfolg hat nur, wer eine Strategie „für den Markt“ fährt. Globalisierung beginnt zuhause.

Dabei fängt man am besten dort an, wo der Handlungsbedarf am größten ist, am Arbeitsmarkt. Eine kartellierte Tarifautonomie, vielfältige arbeitsmarkt- und sozialpolitisch motivierte Regulierungen und ein Sozialstaat, der von den Tarifpartnern als Lastesel missbraucht wird, mindern die Anpassungskapazität. Mehr Wettbewerb bewirkt hier Wunder. Eine wettbewerblichere Tarifautonomie wäre ein erster wichtiger Schritt. Der ist für die große Koalition aber Tabu. Gesetzliche Öffnungsklauseln für betriebliche Bündnisse für Arbeit stehen auf dem gewerkschaftlichen Index, die Bundesregierung hält sich daran.

Auch das Dickicht der Regulierungen auf den Arbeitsmärkten müsste gelichtet werden. Beim Kündigungsschutz ist mehr individuelle Vertragsfreiheit, zumindest aber die Freiheit notwendig, ihn auf betrieblicher Ebene zu vereinbaren. Diese heilige Kuh der Gewerkschaften wird die Regierung aber nicht schlachten. Viel wäre auch gewonnen, wenn die Kanäle verstopft würden, über die beschäftigungspolitische Lasten auf den Sozialstaat abgewälzt werden. Der Schritt, die Rente mit 67 einzuführen, ist richtig. Bleiben allerdings ältere Arbeitnehmer weiter arbeitslos, werden die Lasten der Arbeitslosigkeit bloß auf die Arbeitslosenversicherung umgebucht.

Mit dem Markt

Wer allerdings eine effiziente marktwirtschaftliche Ordnung erhalten will, muss den Verlierern des beschleunigten strukturellen Wandels helfen, ohne ihn zu verhindern. Leidtragende sind vor allem gering qualifizierte Arbeitnehmer. Die Nachfrage nach ihnen geht hierzulande zurück. Halten sie an Löhnen fest, die über ihrer Produktivität liegen, werden sie arbeitslos. Begnügen sie sich mit geringeren Löhnen, sinkt ihr Erwerbseinkommen, teilweise erheblich. Vor allem diese Gruppe von Arbeitnehmer braucht Hilfe. Aber auch in diesem Falle darf die notwendige soziale Abfederung nicht gegen den Markt erfolgen, sie muss „mit dem Markt“ organisiert werden.

Der oft beschworene Königsweg einer besseren schulischen und beruflichen Bildung ist für schon Arbeitslose zumeist keiner. Er löst das Problem weder sofort noch für alle gering qualifizierten Arbeitnehmer. Arbeitnehmern wird nur geholfen, wenn sie beschäftigt werden. Das ist nur der Fall, wenn sie produktivitätsorientiert entlohnt werden. Geringe Erwerbseinkommen müssen mit staatlicher Hilfe aufgestockt werden. Erfolg hat allerdings nur, wer einen Niedriglohn-Sektor installiert, ein Arbeitslosengeld II einführt, das den Anspruchslohn nicht über die individuelle Arbeitsproduktivität treibt und dafür Sorge trägt, dass den Empfängern finanzieller Transfers auch mehr vom erzielten Arbeitseinkommen bleibt.

Mit der aktivierenden Sozialhilfe liegt ein vernünftiger Vorschlag auf dem Tisch. Die Höhe der Leistungen im Falle der Arbeitslosigkeit wird verringert, von den staatlichen Transfers bleiben den Arbeitnehmern allerdings mehr, wenn sie Erwerbseinkommen erzielen. Der Vorschlag funktioniert aber nur, wenn er nicht durch einen Mindestlohn konterkariert wird. Wer einen solchen Lohn in Höhe von 7,50 Euro und mehr einführt, verhindert gerade, dass Arbeitsplätze für einfache Arbeit entstehen. Nur die dümmsten Bauern erhöhen die Preise, wenn die Nachfrage nach Kartoffeln sinkt. Damit wäre auch eine aktivierende Sozialhilfe zum Scheitern verurteilt.

Fazit

Im Kampf gegen die massenhafte Arbeitslosigkeit hat nur Erfolg, wer auf den Markt setzt und nicht gegen ihn agiert. Die schwarz-rote Bundesregierung scheint, sich entschieden zu haben: im Zweifel gegen den Markt. Bei der Reform des Arbeitsmarktes wandelt sie auf den Spuren von Rot-Grün. Auch die haben sich nur auf Nebenkriegsschauplätzen getummelt. Wo es politisch wirklich weh tat, wie etwa bei der Reform der Tarifautonomie, sind sie erst gar nicht hingegangen. Kein Wunder, dass Hartz ein Flop ist. Wenn sich der Teil der Regierung weiter durchsetzt, der auf Teufelszeug wie Entsendegesetz und Mindestlöhne baut, bleibt die Lage auf den Arbeitsmärkten auch weiter gespenstisch.

7 Antworten auf „Rot-Schwarz und der Markt“

  1. Uff! In Zeiten, in denen ich gelegentlich dem Gefühl erliege, nur noch von sozialistisch orientierten Dumpfbacken umgeben zu sein, ist dieser Blog ein wahrer Trost. Ganz sicher: Ich werde regelmäßig schauen, was es hier Neues gibt.
    Und dieser eröffnende Eintrag ist Balsam, auch wenn ich die Meinung nicht teile, niedrige Erwerbseinkommen generell durch staatliche Transfers aufzustocken. Auch niedrige Einkommen werden mit etwas mehr als 40 Prozent „Sozialabgaben“ belastet. Risiko- und Altersvorsorge müssen konsequent privatisiert und damit effizienter gemacht werden. Die Folge wäre, was wir uns alle wünschen: Mehr Netto!
    Herzlichen Dank! Weiter so!

  2. Bin auf diese Seite durch Statler-and-Waldorf gestoßen und habe nach dem Lesen dieses Beitrages direkt mal meine Favoriten erweitert…

    Auch wenn diese starke Vereinfachung weder wissenschaftlich noch perfekt ist, brauchen wir m.e. nicht noch mehr Regeln und Eingriffe in den Markt.

    Einkommenssteuer auf 0, Finanzierung durch Streichung knapper 160 Mrd. versteckte/offene Subventionen.
    Sozialabgaben streichen (Leistungen durch Lebensmittelgutscheine, Sperrmüll & Altkleidersammlung ersetzen)
    KV rein Privat (wegen mir zunächst mit Pflichtbasis, wenn so der Übergang leichter fällt & steuerfinanzierter Zuschüsse für Härtefälle).

    MwSt. könnte zur Finanzierung der noch nötigen Ausgaben dienen.

  3. Wie üblich ein Blog von Ihnen, dessen ökonomische Relevanz gegen Null geht:
    1. Sie schreiben von der hohen Arbeitslosigkeit in den vier größten kontinentaleuropäischen Ländern. Warum zählen Sie hierzu Italien? Die Arbeitslosenrate im 3. Quartal 2006 betrug in Italien 6,1%, was nicht so weit von ihrem positiven Beispiel Großbritannien mit 5,6% entfernt ist. Jedenfalls näher als zu Spanien (8,1%), Deutschland (8,5%) und Frankreich (8,8%).
    2. Sie nehmen Großbritannien als ein Beispiel für flexiblen Arbeitsmarkt. Wie definieren Sie Flexibilität? In Großbritannien kann es keinen legalen Arbeitsvertrag unter 7,50 Euro, in Deutschland durchaus. Spielt dies bei der Flexibilitätsbeurteilung keine Rolle? Warum nicht?
    Im übrigen hier Spanien: der Anteil der Langzeitarbeitslosen an der aktiven Bevölkerung im 2. Quartal 2006 betrug 1,9% (im EU14-Durschnitt 2,6%). Dies ist also durchaus ein Zeichen für einen sehr flexiblen Arbeitsmarkt (die Leute werden relativ häufig arbeitslos – hohe Arbeitslosenrate -, aber bleiben es nicht lange – geringe Langzeitarbeitslosenrate).
    3. Sie sprechen sich für einen geringeren Kündigungsschutz aus, unterlassen es aber zu erklären, wo dieser in Deutschland den Arbeitsmarkt noch behindert, wenn mittels Zeitarbeitsfirmen und mehrmaligen Zeitverträgen oder Praktika problemlos kurz- und mittlerweile schon mittelfristig Nachfrageschwankungen überbrückt werden können.
    4. Mittlerweile gibt es in allen EU-Ländern – außer Deutschland und Zypern – einen Mindestlohn (gesetzlich oder tarifgebunden). Dennoch gibt es in vielen europäischen Ländern eine sehr geringe Arbeitslosigkeit. Gibt es in diesen Ländern keine Arbeitnehmer mit geringer Qualifikation oder wie funktioniert das? Das müssten Sie zumindest erklären (z.B. Niederlande 3,8% Arbeitslosenquote bei Mindestlohn von 8,13 €).
    5. Sie schreiben: „Im Kampf gegen die massenhafte Arbeitslosigkeit hat nur Erfolg, wer auf den Markt setzt und nicht gegen ihn agiert.“ Auch fehlt die Erklärung, warum die skandinavischen Ländern zu den wirtschaftlich erfolgreichsten zählen, obwohl sie verglichen zu anderen Staaten und trotz der Reformen immer noch zu den reguliertesten Staaten gehören.

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