„Die WTO ist zu groß, zu komplex und zu müde.“ (Gabriel Felbermayr)
Die Weltmärkte sind in Unordnung. Das liegt weniger an Marktversagen. Es ist die Politik, die ihnen zusetzt. Die Zeiten haben sich geändert, die Handelspolitik agiert protektionistischer, die liberale Welthandelsordnung wird zerstört. Regelbasierte Institutionen, wie die WTO, zerfallen. Handelspolitisch am schlimmsten wütet Donald Trump. Er betreibt seit seinem 2. Amtsantritt eine chaotische Zollpolitik. Von einer regel-basierten Handelspolitik hält er wenig. Er setzt lieber auf macht-basierte handelspolitische „Deals“. Dabei glaubt er, die wirtschaftliche und politische Macht der USA besser ausspielen zu können. Die Weltordnungspolitik verwahrlost, die wirtschaftliche Unsicherheit nimmt zu. Doch ist Trump tatsächlich derjenige, der die globale Welthandelsordnung tötet? Oder ist er der Totengräber, der beerdigt, was ohnehin nicht mehr lebendig ist? Sind Institutionen, wie die liberale WTO, inhärent instabil?
Markt und Aufstieg der WTO
Märkte öffnen sich nicht von allein. Politische Entscheidungen sind notwendig, Hemmnisse und Schranken abzubauen. Die Zeiten waren in den 90er Jahren günstig. Der Systemwettbewerb schien entschieden: Die Marktwirtschaft hatte gewonnen, die Staatswirtschaft verloren. Der Zeitgeist stand auf Markt. Alle glaubten zu gewinnen. Für Verteilungskämpfe blieb (international) wenig Zeit. Manche läuteten schon das Ende der Geschichte ein (Francis Fukuyama). Die Politik bremste nicht länger, sie schien gewillt, die Märkte zu öffnen. Sie verringerte die politischen Transaktionskosten. Ein Prozess sinkender Zölle kam in Gang. Der technische Fortschritt kam der Politik zu Hilfe. Die technischen Transaktionskosten – Informations-, Kommunikations- und Transportkosten – sanken. Die Welthandelsordnung wurde liberaler. Das handelspolitische Arrangement, die WTO, passte sich dem veränderten Zeitgeist an.
Staat und Niedergang der WTO
Der Zeitgeist hat sich gedreht. Er steht wieder auf mehr Staat. Dazu hat auch die Schattenseiten der Globalisierung beigetragen. Weltweit offenere Märkte beschleunigen den sektoralen, regionalen und qualifikatorischen Strukturwandel. Nicht alle gewinnen, manche verlieren auch. Der industrielle Sektor schrumpft, Regionen geraten in Not, einfache Arbeit wird weniger nachgefragt, auch Teile der Mittelschicht verlieren. Das verstärkt den Widerstand gegen weltweit offenere Märkte. Ein Pfund, mit dem Donald Trump in den USA politisch wuchert. Mit der Globalisierung steigt auch die Nachfrage nach nationaler Sicherheit. Offenere Märkte verstärken internationale Verflechtungen, internationale Lieferketten entstehen. Die Abhängigkeiten vom Ausland werden größer. Offene Märkte stoßen vor allem bei „kritischen“ Gütern, wie etwa Infrastruktur, Rohstoffe, Energie, Militärgüter, Medikamente, auf stärkeren Widerstand.
Systemwettbewerb und WTO
Der Optimismus, marktwirtschaftliche Ordnungen würden sich überall durchsetzen, wurde enttäuscht. Der Staatskapitalismus erlebt in großen Ländern, wie China und Russland, eine Renaissance. Der weltweite Systemwettbewerb ist nicht passé. Damit geht es nicht mehr nur darum, handelspolitisch an einem Strick zu ziehen, damit alle Länder wohlhabender werden. Die relative Machtposition spielt wieder eine Rolle. Länder behindern den wirtschaftlichen Aufstieg von Konkurrenten. Der verbissene Kampf der USA gegen China ist das beste Beispiel. Damit wird es aber sehr schwierig, dass Länder handelspolitisch kooperieren. Der WTO fehlen die Instrumente, um Länder mit unterschiedlichen Systemen zur Kooperation zu zwingen. Die ehemalige Chefökonomin der Weltbank, Pinelopi Goldberg, weist allerdings darauf hin, dass für die Länder weiter Anreize zur handelspolitischen Kooperation bestehen. Ob sie mit dieser Meinung mal nicht zu optimistisch ist.
Hegemon und WTO
Globale Ordnungen scheinen ohne einen Hegemonen, der sie initiiert, pflegt und stabilisiert, schwer denkbar. Die Pax Romana, die Pax Britanica und die Pax Americana deuten darauf hin. Eine starke Macht stellte das öffentliche Gut „Welt(handels)ordnung“ her. Es akzeptierte die Trittbrettfahrer, die die Ordnung nutzten, ohne adäquat dafür zu bezahlen. Die Erträge aus der globalen Ordnung waren für den Hegemonen groß genug, dass es sich für ihn lohnte, einen Großteil der Kosten zu tragen. Dieses Kalkül galt auch für die Welthandelsordnung der Nachkriegszeit. Die USA waren der Hegemon, der Rest fuhr Trittbrett. Mit der schrumpfenden weltwirtschaftlichen Bedeutung der USA – sinkende Handelsanteile, geringere Industrieanteile – rechnete sich das Kalkül der USA nicht mehr. Die USA wurden zum „schrumpfenden Giganten“ (Jagdish Bhagwati), die Welthandelsordnung zerfiel, die WTO wurde zum handelspolitischen Zombie.
Inhärent instabile WTO?
Einiges spricht dafür, dass liberale Welthandelsordnungen ein Opfer ihres eigenen Erfolges werden. Weltweit offene Märkte erodieren die Stellung des Hegemonen, der die Ordnung anbietet. Länder, die Trittbrett fahren, holen wirtschaftlich auf. Die Weltmarktanteile des Hegemonen sinken. Newcomer machen ihm die wirtschaftliche und politische Führungsrolle streitig. Die Anreize des Hegemonen sinken, das öffentliche Gut „Welthandelsordnung“ anzubieten. Die alte Ordnung zerfällt. Sie ist inhärent instabil. Eine neue Ordnung existiert aber (noch) nicht. Es ist schwer, das Vakuum auszufüllen, das die alte Ordnung hinterlässt. Eine neue Ordnung wäre möglich, wenn ein neuer Hegemon den alten ablöst. Diese Konstellation ist gegenwärtig allerdings nicht in Sicht. Eine neue Ordnung entsteht nur, wenn Länder weltweit kooperieren. Der Wettbewerb um relative Machtpositionen erschwert allerdings kooperative Lösungen.
Welthandelspolitisches Interregnum
Die Chancen für eine neue, liberale Welthandelsordnung stehen schlecht. Der Zeitgeist steht nicht mehr auf Markt, ein neuer Hegemon ist nicht in Sicht. Eine Pax Sinica wird es nicht geben. China wird trotz aller wirtschaftlichen Erfolge kein Hegemon. Der Einfluss auf den Weltmärkten ist zu gering. Das wird sich auch nicht ändern. Der technische Fortschritt ist rasant, er diffundiert schnell. Alle Marktmacht ist künftig noch kurzlebiger. Märkte werden bestreitbarer. Das ist anders als in Zeiten sektoraler industrieller Dominanz. Wie geht es weiter? Unternehmen werden sich stärker diversifizieren, um Risiken zu verringern. Das kostet (Versicherungsprämie). Länder werden sich in Freihandelsabkommen flüchten. Der Konflikt zwischen Handelsschaffung und Handelsablenkung bricht verstärkt auf. Viel spricht für plurilaterale Übereinkünfte. Eine „Koalition der Willigen“ wird sich auf eine regel-basierte Handelspolitik einigen. Wer mitmachen will, ist willkommen, andere bleiben außen vor. Sicher ist: Ein Zurück in die Handelspolitik der Neunziger ist illusorisch.
Fazit
Die liberale Welthandelsordnung war eine glückliche Fügung. Der Zeitgeist war eine kurze Zeit marktwirtschaftlich. Märkte wurden geöffnet, national und international. Die WTO ist die institutionelle Antwort der Globalisierung. Diese Zeit ist vorbei. Der Zeitgeist ist wieder staatswirtschaftlich. Die alte Ordnung zerfällt. Handelskonflikte nehmen zu. Ein Kampf aller gegen alle entbrennt. Die Frontlinien sind unübersichtlich. Donald Trump hat den handelspolitischen Schwelbrand nicht gelegt. Er ist aber ein Brandbeschleuniger (Simon Evenett). Es ist unklar, wie das Vakuum, das die alte Ordnung hinterlässt, gefüllt wird. Ein neuer Hegemon ist nicht in Sicht. In einer solchen Welt sind die Anreize für kooperative Lösungen gering, multilaterale Verträge wenig realistisch. Am ehesten kommt es zu plurilaterale Vereinbarungen von handelspolitisch Gleichgesinnten. Die Welt zerfällt in Blöcke. Das sind keine schönen Aussichten.
Podcasts zum Thema:
Niedergang der Welthandelsorganisation. Ist Donald Trump ein Brandbeschleuniger?Prof. Dr. Norbert Berthold (JMU) im Gespräch mit Prof. Dr. Rolf Langhammer (IfW)
Donald Trump läuft handelspolitisch Amok. Wann hat der Spuk ein Ende? Prof. Dr. Norbert Berthold (JMU) im Gespräch mit Prof. Dr. Michael Frenkel (WHI)
Blog-Beiträge zum Thema:
Henning Klodt (IfW, 2025): Donald Trump. Töter oder Totengräber der globalen Weltordnung?
Norbert Berthold (JMU, 2025): Der amerikanische Don Quijote. Zölle, Ölflecken, Interventionsspiralen
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