Kein Grund für ein mea culpa
Die Finanzkrise ist keine Krise der Ökonomen

Es gibt angenehmere Zeiten für Ökonomen als Krisenzeiten. Soweit ich mich zurückerinnere, gingen konjunkturelle Abschwungsphasen meistens mit einem gleichzeitigen, temporären Ansehensverlust der Ökonomen einher. Auf zwei Vorwürfe kann man sich in jeder Rezession gefasst machen: Ihr habt diese Krise nicht rechtzeitig vorhergesehen! ist der eine, Ihr habt uns mit Euren Politikempfehlungen erst in diesen Schlamassel gebracht! ist der andere. Der erste Vorwurf wird aktuell gerne soweit zugespitzt, daß die schärfsten Kritiker der Ökonomik gleich völlige Nutzlosigkeit unterstellen. Ich glaube, daß dieser Vorwurf auf einem Mißverständnis über die Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft beruht, das sich leicht aufklären läßt. Der zweite Vorwurf hingegen hat etwas mit Politik zu tun, und wird daher vielleicht nicht ganz so leicht aus der Welt zu schaffen sein.

Das alte Problem der Komplexität

Es ist eine Binsenweisheit, daß Volkswirtschaften komplexe Systeme sind. Aber es scheint, als wären die Implikationen dieses Gemeinplatzes vielen ökonomischen Laien nicht mehr wirklich präsent. Die eine Implikation ist die fehlende zentrale Steuerbarkeit einer komplexen Volkswirtschaft, welche aus der Unmöglichkeit folgt, die hierfür nötigen Informationen über individuelle Pläne zu zentralisieren — und dies ist, wie wir wissen, ein Problem des Prinzips, nicht der Rechenleistung. Damit ist aber auch klar, daß wissenschaftliche Prognosen über dieses System auf vereinfachten Modellen und unvollständigen Informationen beruhen müssen. Daran kann auch kein wissenschaftlicher Fortschritt jemals etwas ändern. Wenn ein Zentralplaner nicht in der Lage ist, alles notwendige Wissen zur effizienten Steuerung einer Volkswirtschaft zu zentralisieren, dann kann der Wissenschaftler dies zu Prognosezwecken auch nicht.

Es gibt aber noch eine weitere Implikation von Komplexität für den Prognostiker: Er muß mit der Existenz von Bifurkationen umgehen. Zu jedem Zeitpunkt sind für die Zukunft verschiedene Entwicklungspfade möglich, abhängig von der Konstellation zahlreicher Parameter. Damit sind aber alle ökonomischen Prognosen grundsätzlich bedingte Aussagen: Wenn sich die Randbedingungen in einer bestimmten Weise entwickeln, dann können wir mit einer Wachstumsrate des BIP von x Prozent rechnen. Seriöserweise können wir aber für das Eintreten verschiedener Szenarien nicht einmal Wahrscheinlichkeiten angeben. Welcher Sachverständigenrat von Ökonomen hätte vor zwei Wochen die Möglichkeit des Ausbruchs einer Schweinegrippen-Pandemie vorhergesehen und die damit verbundenen negativen Angebots- und Nachfrageschocks als mögliches Szenario in seinem Gutachten berücksichtigt?

Komplexität bedeutet aber natürlich nicht die Unmöglichkeit von Ökonomik als Wissenschaft. In seinem längst zum Klassiker avancierten Essay zur Theorie komplexer Phänomene hat Friedrich von Hayek bereits umrissen, was möglich ist. Er nannte das Mustervorhersagen und er meinte damit letztlich die oben schon erwähnten bedingten Aussagen. Wir können prognostizieren, daß unter bestimmten Bedingungen ein bestimmtes Szenario eintreten wird. Aber viele relevante Randbedingungen liegen weit jenseits der Expertise von Ökonomen — ihre Entwicklung ist für uns exogen, wir können sie nicht vorhersagen.

Die Immobilienblase

Man kann das alles auch anhand der aktuellen Finanzkrise illustrieren. Ökonomen wußten schon lange vor dieser Krise, daß allzu expansive Geldpolitik zu Spekulationsblasen auf den Märkten für Vermögenswerte führt — vor allem dann, wenn der Wettbewerbsdruck auf den Gütermärkten globalisierungsbedingt so stark ist, daß sich Inflationstendenzen dort nicht recht durchsetzen können. Lange Phasen der Greenspan-Ära wurden von akademischen Warnungen in dieser Hinsicht begleitet, zumal die ungewollten Nebenwirkungen expansiver Geldpolitik noch duch den enormen Zufluß von europäischen und asiatischen Ersparnissen in die USA verstärkt wurden. Da haben wir also eine allgemeine Mustervorhersage, die sich im Nachhinein als zutreffend erwiesen hat. Schwieriger wird es dann schon, wenn es darum geht, eine einzelne Spekulationsblase zu identifizieren und das mit ihr verbundene Risiko abzuschätzen.

Wahrscheinlich gibt es niemanden, der besser über die Daten und Details des amerikanischen Immobilienmarktes informiert ist, als Karl Case und Robert Shiller. Im Jahr 2003 haben beide eine Studie in den Brookings Papers on Economic Activity veröffentlicht, in der sie untersucht haben, ob es eine Blase auf dem Immobilienmarkt gibt. Die Vermutung, daß es so ist, geisterte damals schon länger durch den akademischen Diskurs und auch durch die öffentliche Diskussion. Ihre Schlußfolgerung war aber etwas differenzierter: Es gebe zwar eine Immobilienpreisblase in den USA, schrieben sie 2003, aber nur auf wenigen lokalen Märkten. In der überwiegenden Mehrzahl der Staaten ließ sich der Anstieg der Häuserpreise fast vollständig mit einem Anstieg der Einkommen erklären, und nur in wenigen Boomregionen wie Kalifornien, New York und New Jersey war dies anders. Case und Shiller versuchten außerdem, etwas über die Motive von Hauskäufern in Erfahrung zu bringen. Sie führten eine Umfrage durch, deren zentrales Ergebnis war, daß ein großer Teil der Immobilienkäufer vor allem in diesen Boomregionen von steigenden Preisen in der Zukunft ausging, so daß weniger der Konsumnutzen des eigenen Hauses, als das Investitionsmotiv im Vordergrund stand. Die weite Verbreitung dieses Spekulationsmotivs beim Häuserkauf deuteten sie als Indiz für eine entstehende Immobilienblase.

Die Blase war damit identifiziert, zumindest in lokalen Märkten, aber die wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen aus diesem Ergebnis waren noch zu klären. Case und Shiller sahen keinen großen Anlaß zur Beunruhigung. In den Gegenden, in denen sich der vergangene Häuserpreisanstieg durch Einkommenszuwächse erklären ließ, müsse man auch bei einem Platzen der Blase kein Sinken der nominalen Häuserpreise befürchten. Die lokalen Blasen würden außerdem wahrscheinlich nicht gleichzeitig platzen, so daß aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kein Grund zu großer Sorge bestünde. Es kam bekanntlich anders: Die Immobilienblase schwoll nach Veröffentlichung des Papiers noch sehr viel weiter an, nachdem das sub-prime-Marktsegment zu florieren begann. Als die Blase dann platzte, sanken die Immobilienpreise nicht asynchron, sondern gleichzeitig und sie sanken auch auf Märkten, die Case und Shiller noch für sicher hielten. Von den unterschätzten gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ganz zu schweigen. Haben hier also zwei prominente Volkswirte versagt?

Schweine im Weltall

An anderer Stelle habe ich das grundsätzliche Problem der Ökonomik schonmal mit den Schwierigkeiten von Astronomen verglichen, die sich mit der Gefährdung der Erde durch Asteroiden beschäftigen. Die grundsätzliche Warnung, daß immer mal wieder, alle paar zehntausend Jahre, ein größerer Asteroid auf Kollisionskurs vorbeikommt, steht im Raum. Trotzdem kommt es immer wieder vor, daß Asteroiden, die uns nur ziemlich knapp verfehlen, erst in letzter Minute entdeckt werden. Würden wir uns nicht sicherer fühlen, wenn Astronomen zuverlässig alle potentiell gefährlichen Himmelskörper wenigstens ein, zwei Jahre vor dem möglicherweise katastrophalen Ergeignis entdecken würden? Und es kommt noch schlimmer: Manchmal werden Entdeckungen von Amateuren gemacht, die mit einem Refraktor auf ihrem Garagendach sitzen! Wofür leisten wir uns eigentlich die teuren Profis?!

Ein anderes, aktuelles Beispiel ist die Schweinegrippe. Nach allem, was man als medizinischer Laie darüber hört, war es den meisten Experten klar, daß früher oder später wieder eine neue Virusvariante den Weg vom Tier zum Menschen finden würde. Die Experten warnten auch, daß irgendwann eine solche Virusvariante ansteckend genug sein werde, um eine neue Pandemie auszulösen. Es war allerdings kein Experte in der Lage, zu prognostizieren, daß im April 2009 in Mexiko ein möglicherweise gefährliches Grippevirus vom Schwein auf den Menschen überspringen würde. Wenn wir Mitte April eine Umfrage unter Virologen durchgeführt hätten, wäre niemand von ihnen in der Lage gewesen, begründet zu sagen: Mexiko, in zwei Wochen! Besorgt Euch rechtzeitig eine Wagenladung Tamiflu!. Wieder war nur die allgemeine Mustervorhersage möglich: Wenn irgendwann und irgendwo eine Reihe von Bedingungen eintreten, dann wird es zu einer Pandemie kommen.

Die Probleme ähneln sich: Mediziner können nicht alle dort draußen vor sich gehenden Virusmutationen erfassen und beobachten, also werden sie niemals den Ausbruch einer Pandemie örtlich und zeitlich exakt voraussagen können. Astronomen sind kaum in der Lage, alle kleinen Himmelskörper zu erfassen und zu beobachten, also können sie nicht sagen, wann genau in der Zukunft mal wieder ein größerer Asteroid mit der Erde kollidieren wird. Und Ökonomen können weder die individuellen Motive aller Konsumenten und Hauskäufer beobachten, noch können oder sollten sie die Bilanzen aller Unternehmen nach unsicheren Positionen durchforsten. Auch wir Ökonomen können nur allgemein warnen, daß es unter bestimmten Bedingungen zu einer Spekulationsblase und einem anschließenden Crash kommen wird, aber Zeit, Ort und Schadensumfang werden wir ex ante niemals genau benennen können. Dazu ist der Untersuchungsgegenstand einfach zu komplex.

Erstaunlich ist nur, daß die meisten der naiveren Kritiker, die der Ökonomik heutzutage nachstellen, dies nicht wahrhaben wollen. Wirtschaft wird von Menschen gemacht, also sollte sie auch von Menschen überschaubar und kontrollierbar sein — das ist wohl der dahinter stehende Gedanke. Die Komplexität des alltäglichen Koordinationswunders der modernen Marktwirtschaft wird einfach nicht wahrgenommen. Dann ist es aber natürlich auch leicht, von Ökonomen zu fordern, daß sie Marktergebnisse genauso exakt prognostizieren sollen, wie ein Physiklehrer das Ergebnis eines Schulexperiments in klassischer Mechanik. Diese Forderung basiert aber, das muß man nochmal ausdrücklich sagen, auf einer fundamentalen Fehlwahrnehmung des Untersuchungsgegenstandes.

Case und Shiller haben ihre Prognose über die Gefahren eines Platzens der Immobilienblase auf der Grundlage beschränkter Informationen abgegeben. Die den gesamten Finanzsektor betreffende Ansteckungsgefahr durch Kreditversicherungen und Verbriefungen von Hypothekenkrediten war damals noch nicht, wie heute, allgemein bekannt. In den folgenden Jahren, als zusätzliche Informationen bekannt wurden, sind allerdings auch die Warnungen vor der Spekulationsblase und ihrem Platzen deutlicher geworden. Die Risiken wurden von vielen amerikanischen Ökonomen nun viel realistischer eingeschätzt. Daß solche Warnungen von den politischen Entscheidungsträgern nicht gehört wurden, daß ein sanftes Luftablassen aus der Immobilienblase nicht einmal versucht wurde, daß im Gegenteil eine immer großzügigere Hypothekenvergabe das politische Ziel war — das alles steht auf einem ganz anderen Blatt.

Der Ökonom ist immer der Täter

Beim Lesen alter Krimis konnte man sich angeblich immer darauf verlassen, daß der Gärtner der Mörder war. Im modernen Wirtschaftskrimi dagegen ist der Ökonom, im Zweifelsfall: der neoliberale Ökonom, stets der Täter. Und war es in diesem Fall nicht wirklich so? David X. Li ist ein sino-amerikanischer Ökonom und Statistiker. Im Jahr 2000 veröffentlichte er ein Papier, in dem er einen Ansatz vorschlägt, mit dem auf der Grundlage der Marktpreise von credit default swaps die Korrelation zwischen den Eintrittswahrscheinlichkeiten von Zahlungsunfähigkeiten berechnet werden können. Eine typische Frage wäre etwa: Wie hoch ist die Korrelation zwischen den Risiken, daß sowohl A in Alabama als auch W in Wyoming ihre Hypothekenraten nicht mehr zahlen können? Wenn man die Korrelation kennt, kann man verschiedene Hypotheken zu einem verbrieften Papier zusammenfassen, es bewerten und damit handeln. Der Wirtschaftsjournalist und Blogger Felix Salmon beschreibt in einem unbedingt lesenswerten Artikel eindrucksvoll, welche Auswirkungen Lis Vorschlag auf Wall Street hatte: Der Handel mit verbrieften, also gebündelten Krediten kam in gigantischem Umfang in Gang.

Haben wir mit David X. Li also einen Ökonomen auf frischer Tat ertappt? Nicht wirklich. Sein Papier erschien in einem akademischen Journal. Dort veröffentlicht man aber keine Handlungsanweisungen für die Finanzindustrie und keine Anleitungen für erfolgreiches Investmentbanking. Li schlägt in seinem Papier schlicht und einfach eine neue Herangehensweise zur Analyse eines Problems vor, und sein Vorschlag beruht natürlich auf vereinfachenden Modellannahmen. Wie Salmon berichtet, warnte Li schon früh die Anwender seines Ansatzes, daß sie die Zahlen, die seine Formel ausspuckt, keinesfalls für bare Münze nehmen dürfen, sondern daß es sich hier um äußerst interpretationsbedürftige Resultate handelt. Die Praktiker hat das offenbar leider nicht gestört.

Damit ist Li wohl mehr oder weniger exkulpiert, aber die populäre Ökonomenkritik hat sich ja ohnehin auf ein ganz anderes Feindbild fokussiert: Sie sieht Ökonomen vor allem als Befürworter möglichst unregulierter Märkte und glaubt, daß fehlendes Eingreifen staatlicher Stellen in die Finanzmärkte für die aktuelle Krise verantwortlich sei. In der ersten Behauptung steckt sicherlich mehr als ein Körnchen Wahrheit; die meisten Ökonomen gehen wohl zunächst einmal davon aus, daß der Preismechanismus individuelle Pläne in der Regel effizient koordiniert. Es gibt sicherlich so etwas wie eine implizite Effizienzvermutung für den freien Markt und eine ebenso implizite Forderung, daß man vom Sinn staatlicher Regulierung erst mühsam überzeugt werden will. Dies bedeutet aber im Umkehrschluß, daß Ökonomen entgegen dem populären Vorurteil für einen gut begründeten, sinnvollen Regulierungsrahmen stets zu gewinnen sind.

Wahrscheinlich ist es so, daß die Behauptung einer angeblichen Deregulierungswut von Ökonomen und deren Verantwortung für Krisen eine entlastende Wirkung für viele Kritiker hat. Roger Congleton hat ein demnächst in Public Choice erscheinendes Papier geschrieben, in dem er eine penible Chronologie und Analyse der Finanzkrise vorlegt. Der Leser erfährt einiges über Fehlentwicklungen im privaten Sektor. Wirklich atemberaubend ist aber auch die lange Kette von fatalen Entscheidungen im öffentlichen Sektor. Unabhängig davon, ob Demokraten oder Republikaner die Mehrheit im Kongreß oder den Präsidenten stellten, dominierten stets populistische Motive und die kurzfristige Perspektive. Bereits 2004 wies beispielsweise Alan Greenspan in einer Anhörung im Kongreß deutlich auf Risiken im System der Hypothekenfinanzierung hin. Das hinderte die zuständige Regulierungsbehörde allerdings nicht, den eingeschlagenen Pfad weiter zu verfolgen. Das Wachstum des sub-prime-Marktsegmentes wurde nicht beschränkt. Die von Congleton geschilderte Vorgeschichte der Finanzkrise ist ein einziges, langes Desaster für jeden, der ernsthaft glaubt, daß der Staat zu effizientem Interventionismus in der Lage ist. Ist es da ein Wunder, daß die Anhänger eines solchen Interventionismus einen Sündenbock suchen und lieber den angeblich blinden und deregulierungswütigen Ökonomen die Schuld zuschieben?

Dabei ist die Realität deutlich komplizierter. Im Laufe des letzten Jahrzehnts, als auch private Investmentbanken aus aller Welt in den zuvor fast ausschließlich von Fannie Mae und Freddie Mac beherrschten Markt für mortgage backed securities einstiegen, wuchs mit der Größe des Marktes auch das Risiko für das gesamte Finanzsystem. Die problematischen Anreize, die vom Weiterreichen von Kreditrisiken ausgingen, waren alle schon vorher vorhanden, als nur die halbstaatlichen den Markt beherrschten. Aber deren Bankrott hätte das Finanzsystem wohl ohen große Schwierigkeiten vertragen. Als private Investmentbanken das problematische Geschäftsmodell von Fannie Mae und Freddie Mac imitierten und der Markt wuchs, da wurde es kritisch. Das wissen wir heute — im Nachhinein. Der Preis von Freiheit und Offenheit besteht wohl darin, daß man gelegentlich, wenn man Neues ausprobiert, aus Fehlern lernt. Versuch und Irrtum sind Triebfedern des Fortschritts offener Gesellschaften, das sah schon Karl Popper so. Ex post zu behaupten, ein idealer staatlicher Regulierer hätte alles bereits ex ante effizient und schmerzlos geregelt, wenn nur neoliberale Ökonomen es ihm nicht ausgeredet hätten — diese Behauptung ist schlicht unredlich.

Eine Schlußbemerkung

Nach dieser etwas längeren Verteidigung der Ökonomik ist wohl noch ein Nachwort angebracht: Natürlich gibt es noch viel zu lernen und besser zu verstehen. Natürlich arbeiten wir nicht mit den besten vorstellbaren Modellen. Natürlich gibt es noch viele Wirkungskanäle, die empirisch zu entdecken sind. Wenn die Ökonomen ihren Untersuchungsgegenstand bestmöglich verstehen würden, dann könnte man die meisten Fakultäten schließen, weil es ja nichts mehr zu erforschen gäbe. Aber die am wissenschaftlichen Fortschritt interessierte Kritik der Ökonomik ist eine andere, eine sachliche, eine mit ernsthaften Zielen. Diese Kritik ist wichtig. Hier ging es aber stattdessen um die manchmal aggressive, populäre Kritik an der Ökonomik. Diese Kritik scheint auf Irrtümern zu beruhen, etwa wenn sie Ökonomen für Ingenieure im Maschinenraum der Gesamtwirtschaft hält, und damit auch impliziert, Ökonomen seien die Verantwortlichen für den traurigen Zustand der Volkswirtschaft in Zeiten der Finanzkrise. Eigentlich alle argumentativen Voraussetzungen, auf denen die populäre Ökonomenkritik beruht, scheinen aber falsch zu sein.

15 Antworten auf „Kein Grund für ein mea culpa
Die Finanzkrise ist keine Krise der Ökonomen

  1. Man könnte aber auch sagen, daß es für die marktoptimistischen Ökonomen wenig schmeichelhaft ist, auch in Zeiten einer großen Wirtschaftskrise nicht im mindesten an der Richtigkeit des eigenen Paradigmas – wenigstens etwas – zu zweifeln und nur „eigennützigen Politikern“ und der „dummen Öffentlichkeit“ die Verantwortung für das entstandene Desaster zuzuschieben. „Alternative Ökonomen“ werden in dem eingefahrenen Mainstreamdenken der Neoklassik resp. des Neoliberalismus zudem nicht wahrgenommen.

    Ich sehe was, was du nicht siehst, und das sind notwendige Selbstkritik und Wettbewerb in der heutigen Ökonomik.

  2. Da könnte man jetzt viel zu schreiben, aber soviel Zeit habe ich im Moment nicht. Also einfach mal einige kurze Hinweise:

    1. Diese auch in den Wirtschaftsteilen einiger Tageszeitungen inzwischen geläufige Gleichsetzung „Neoklassik=Neoliberalismus“ ist ganz großer Quatsch. Gucken Sie sich mal die neoklassische Wohlfahrtstheorie an, die sich jahrzehntelang vor allem mit der Suche nach Marktversagenstatbeständen und Gründen für heilende Staatsintervention beschäftigt hat.

    2. Der Mainstream in der makroökonomischen Politikberatung arbeitet derzeit offensichtlich wieder eher mit keynesianischen Annahmen.

    3. Lesen Sie sich doch einfach mal die oben zitierten Papiere von Congleton und Hellwig durch. Staatliches Versagen und Naivität privater Banken und Versicherer arbeiteten auf dem Weg zu dieser Krise Hand in Hand. Das ist für beide nicht schmeichelhaft. Aber es führt eben auch zu begründeten Zweifeln an der Position derjenigen, die glauben, ein regulierender Staat verfügte über eine überlegene Rationalität, und öffentliche Entscheidungsträger seien von sinnvollen Anreizen effizient diszipliniert.

  3. Oha, hier geht’s ja drunter und drüber. Vielleicht sollte man nun also doch einmal die Krise zum Anlaß nehmen, zumindest auf Blog-Ebene die vorherrschenden Paradigmen in der neoklassischen Mikroökonomik einerseits und der Makroökonomik andererseits zu hinterfragen. Nicht wegen ihrer schlimmen „Politikimplikationen“, sondern ganz ernsthaft wegen ihrer verhaltenstheoretischen Basis und ihrem Verständnis der Funktionswirkungen alternativer Regeln.
    Dann wäre evtl. erkennbar, daß die vermeintliche Binsenweisheit, „daß Volkswirtschaften komplexe Systeme sind“ mitsamt ihren keineswegs trivialen Implikationen nicht nur vielen ach so einfältigen Laien unklar, sondern leider auch den meisten Ökonomen nicht mehr „wirklich präsent“ ist. Vielleicht ist *dies* ja auch für *jenes* mitverantwortlich. Kann es nicht sein, daß die Frage nach adäquaten Spielregeln für z.B. die Finanzaufsicht zwischen steuerungsoptimistischen Neoklassikern einerseits und Marktpositivisten à la Potts (dessen unsäglichen 2004er Aufsatz in „Policy“ Du, Jan, ja zur Lektüre empfiehlst) nicht mehr hinreichend Aufmerksamkeit erhielt? Man hätte andernfalls die Krise zwar nicht exakt vorhersagen, aber immerhin deutlicher auf Fehlentwicklungen gerade auch politökonomischer Natur hinweisen können.
    Selbstkritik würde hier in der Tat nicht schaden.

  4. Christian,

    machen wir mal ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, die unternehmerische Freiheit auf den Finanzmärkten wäre so etwa 1985 weitestgehend abgeschafft worden, und Banken hätten jedes neue Finanzinstrument, jedes neue Geschäftsmodell erst von einer staatlichen Regulierungsbehörde genehmigen lassen müssen. Hätte das die Krise verhindert? Wahrscheinlich doch nicht, denn die politischen Bedingungen sahen so aus, daß Exekutive und Legislative selbst ganz begeistert von mortgage backed securities und all den anderen Ideen waren, die den Erwerb von Hauseigentum erleichterten. Ob die das anders gesehen hätten, wenn mehr Ökonomen deutlicher auf die Probleme hingewiesen hätten? Hören die denn sonst immer auf uns? 😉

    Aber was genau findest Du denn an Potts (2004) so unsäglich?

  5. Lieber Herr Schnellenbach,

    nun weiß ich nicht, in welchen Kreisen die Meinung vorherrscht, Ökonomen seien die Übeltäter, die die derzeitige Finanz- bzw. Realwirtschaftskrise mitverursacht hätten. In der öffentlichen Diskussion, so wie zumindest ich sie in Printmedien und Fernsehen verfolgen konnte, habe ich genau diese Behauptung noch nicht vernehmen können.
    Ich selbst habe ebenfalls keinen Grund Ökonomen als potentielle Krisenverursacher zu sehen.

    Was mir aber große Zweifel bereit ist folgende Tatsache:
    Sie kritisieren die beiden großen US-amerikanischen Parteien der Demokraten und Republikaner und werfen ihnen Populismus vor. Darin ist wir völlig einer Meinung allerdings ist das keineswegs eine neue Erkenntnis.
    Den amerikanischen finanzpolitischen Aufsichtsbehörden missachten von einfachen Regeln und Krisenanheizung vorzuwerfen ist ebenfalls legitim in meinen Augen.
    Aber wundern Sie sich ernsthaft, dass in jenen Institutionen krude Fehlentscheidungen getroffen wurden ?
    Robert Rubin, Henry Paulson waren wie sie wissen Finanzminister der USA, ersterer unter Clinton, zweiterer unter Bush. Beide arbeiteten vor ihrem Staatsdienst als co-COO bzw. CEO bei GS.
    John Snow, ebenfalls Finanzminister unter Bush war Vorsitzender bei der Business Roundtable, einer der stärksten Lobbyorganisationen in den USA bestehend aus CEO’s der 250 größten US-Unternehmen.
    Ich sage nicht, dass sich solche Herren rechtswidrig verhalten, aber glauben Sie ernsthaft daran, dass jene nicht in einem Zwiespalt zwischen Wirtschaftsinteressen und politischen Interessen stehen ?

    Es ist in diesem Form anscheinend sehr kommod zu sagen, ja, die Politik trägt maßgebliche Verantwortung für die Krise. Das lenkt aber mE schwer davon ab, dass es gerade in den USA (aber auch in D) eine Interessensverquickung an sehr entscheidenden Stellen und Ämtern gibt. Das sollte man der um der historischen Wahrheit Willen schon erwähnen.

  6. Jan,

    Es geht ja nicht darum, den Anteil von „Staatsversagen“ am Zustandekommen der Krise zu leugnen. Es geht auch nicht darum, darüber zu lamentieren, daß die Politik nicht auf ihre ökonomischen Berater hört. Es geht vielmehr darum zu fragen, auf welcher (z.B. verhaltens-)theoretischen Basis diese Berater selbst arbeiten.
    Ich darf mal aus Akerlof/Shiller (Animal Spirits, 2009) zitieren bzgl. der heute gebräuchlichen Makromodelle:
    „Picture a square divided into four boxes, denoting motives that are economic or noneconomic and responses that are rational or irrational. The current model fills only the upper-left hand box (…) We believe that the answers to the most important questions regarding how the macroeconomy behaves and what we ought to do when it misbehaves lie largely (though not exclusively) within those three blank boxes.“
    Übrigens ein Aspekt, der auch in der aktuellen Auseinandersetzung einiger Ordnungspolitiker mit Leuten wie Uhlig und Bachmann eine größere Rolle spielen sollte.

    Deine Frage: „Ob die (Politiker) das anders gesehen hätten, wenn mehr Ökonomen deutlicher auf die Probleme hingewiesen hätten?“ verstehe ich nicht ganz: Derlei entbindet die Ökonomen jetzt von der notwendigen Selbstkritik? Das schreibt jemand, der seinen eigenen Blog (publiceconomist.blogger.de, als Tipp für die übrigen Leser hier) mit einem POPPER-Zitat einleitet?? 😉

  7. Oh, ich würde Ihnen da durchaus zustimmen. Es ist nie sinnvoll, die Trennlinien zwischen Kontrollierten und Kontrolleuren aufzuweichen. Egal, wieviel guten Willen Leute wie Paulson mitbringen, kann man wohl nie damit rechnen, daß alte persönliche Loyalitäten mit dem Rollenwechsel vollständig verschwinden.

    Nur ist sowas in der Politik ja ubiquitär. Auch in Deutschland ist es wohl vorgekommen, daß aus dem Finanzsektor ausgeliehenes Personal in Ministerien an Gesetzesentwürfen zur Bankenregulierung mitarbeitete. Oder denken Sie an die entgegengesetzte Richtung: Da setzt ein Minister gegen den Willen des Bundeskartellamtes eine Ministererlaubnis für eine Fusion durch und wechselt nach dem Ende seiner politischen Karriere just zum betroffenen Energiekonzern.

    Das ist alles hochproblematisch. Aber meinen Sie nicht auch, daß das vor allem etwas mit nicht funktionierenden Spielregeln im _politischen_ Sektor zu tun hat?

  8. Christian,

    Du hast Recht, aber ich auch. Ich hab das in dem Beitrag deutlich zu machen versucht, indem ich zum Schluß nochmal auf die verschiedenen Ebenen der Kritik hingewiesen habe. Der Auslöser für meine kleine Verteidigungsschrift war die populäre Kritik, mit der wir heute konfrontiert sind. Da hält man uns Ökonomen entweder für völlig weltfremd (wenn man uns wohlwollend gesinnt ist), oder für korrupte Lohnschreiber der Großbanken (wenn man uns weniger wohlwollend gesinnt ist). Ein Blick in linke Tages- und Wochenzeitungen ist da manchmal ganz erhellend.

    Okay, und dann ist da die Akerlof-Shiller-Ebene. Und ja: Natürlich müssen wir uns mehr Gedanken darüber machen, wie wir unsere Modelle verbessern und wie wir aus manchen modelltheoretischen Sackgassen wieder herauskommen. Solche Kritik ist natürlich wichtig, und ich wäre der Letzte, der das bezweifeln würde. Aber diese interne Kritik unter Ökonomen arbeitet mit dem Skalpell. Das, was wir von draußen an größtenteils unbegründeten Einwänden zu hören kriegen, ist dagegen Kritik mit der Kettensäge. Als Antwort darauf war mein Beitrag gedacht, nicht als Leugnung der Notwendigkeit von konsequentem kritischen Hinterfragen unserer Arbeit auf einer sachlichen Grundlage.

  9. Ich denke nicht, dass von einer generellen Krise der Ökonomen die Rede sein kann. Derartige „Kollektivschuldthesen“ taugen gewöhnlich nichts.

    Nach meiner Überzeugung zeigt diese Krise allerdings, dass stark normativ geprägte Ökonomen (man könnte auch unfreundlicher von ideologischen Scheuklappen reden) sich in der Gefahr befinden, Realitäten entweder zu spät oder gar nicht mitzubekommen. Während der Zug längst abgefahren ist, stehen sie noch am Bahnsteig und verpassen damit die Chance, Ratgeber zu werden.

    Beispiele sind leicht zur Hand:

    1. Richard Posner schreibt in seinem Krisenbuch („A Failure of Capitalism“ – ein beziehungsreicher Titel übrigens für jemanden aus Chicago), dass ein Mann wie Robert Lucas, der doch einer der einflussreichsten Makroökonomen ist oder war, noch zehn Monate nach dem Ausbruch der Rezession in den USA sich weigerte, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen. Allan Meltzer, der heute mit Parolen wie „If a bank is too big to fail it is too big“ durch die Lande zieht, wollte die Krise auch lange nicht zur Kenntnis nehmen. Da durfte einfach nicht sein, was nicht ins Weltbild passte.

    2. Nach Ausbruch der Krise hört oder las man von deutschen Liberalen, es könne sich ausschließlich um Staatsversagen handeln, obwohl die empirische Evidenz schon kurz nach der Krise gegen diese Behauptung sprach. Da wurde unter anderem die fatale Rolle von Fannie Mae und Freddie Mac in der Subprime-Krise angeprangert. Martin Hellwig sagt in einem aktuellen Interview auf http://www.handesblatt.com, dass ihm geradezu schlecht werde, wenn er so etwas noch heute höre: Fannie und Freddie hatten mit dem Subprime-Segment nämlich nichts zu tun. Das hätte man aber schon lange wissen können. Die nächste These vor allem der Österreicher lautet, Greenspan sei an fast allem schuld. Die amerikanische Geldpolitik war sicher nicht optimal, aber ist es wirklich unbekannt geblieben, dass die massiven Kapitalimporte in die USA den Kapitalmarktzins auf einem sehr niedrigen Niveau gehalten hatten? Vielleicht hat ja auch der niedrige Kapitalmarktzins, auf den die Fed jeden Einfluss verloren hatte, den Boom begünstigt? In der kommenden Woche erscheint das Krisenbuch von Hans-Werner Sinn. (Ich habe die Fahnen gelesen, darf mich aber vorab nicht darüber detailliert verbreiten.) Leser dieses Buches können ja einmal darauf achten, ob Sinn (Der Buchtitel „Kasino-Kapitalismus“ ist auch bezeichnend für einen Ökonomen, der ja wohl kein Linker ist) die Fed in seinen Krisenursachen überhaupt vorkommen lässt.

    3. Die Neigung zum digitalen Denken führt auch jetzt noch zu merkwürdigen Verrenkungen, wenn man mühselig einräumt, es könne ja vielleicht auch an den Märkten zu – vorsichtig ausgedrückt – Ineffizienzen gekommen sein, aber gleichzeitig betont, dass mache den Staat doch nicht zum besseren wirtschaftlichen Steuermann. Leute, die nicht digital denken, behaupten Letzteres doch gar nicht:

    -Wenn der Staat aus reiner Not eine systemrelevante private Bank übernimmt,folgt daraus doch in keiner Weise, dass der Staat der bessere Banker sei. Da muss man sich doch nur Landesbanken anschauen. Es handelt sich um eine vorübergehende Stabilisierungsmaßnahme, an deren Ende der Staat sich wieder zurückzieht.

    – Wenn Leute, die normalerweise keine Anhänger eines deficit-spending sind, in einem historisch ziemlichen einmaligen Konjunktureinbruch keynesianische Politik empfehlen, heißt das doch nicht, dass diese Leute ein permanentes fine-tuning befürworten oder ideologische Positionen von Rudolf Hickel oder Karl-Georg Zinn teilen. Diese Leute argumentieren im Geiste von Keynes: Der hat in den frühen dreißiger Jahren in einer wirklich tiefen Depression ein schuldenfinanziertes Programm im Volumen von gerade einmal 1,5 Prozent des BIP empfohlen. Als sich die Konjunktur danach leicht erholte, sprach er sich 1937 oder 1938 öffentlich für eine Rücknahme der Staatsausgaben aus, indem nur noch die wirklich unabdingbaren Investitionen vorgenommen werden sollten. Man muss diese Position nicht teilen, aber man sollte Keynes nicht mit Abba Lerner verwechseln. Ich habe es hier schon einmal an anderer Stelle geschrieben, wiederhole es aber noch einmal: Anfang der dreißiger Jahre waren auch Röpke und Eucken in der damaligen Situation für expansive Makropolitik und selbst Hayek hat später eingeräumt, dass seine damalige Befürwortung einer Deflationspolitik falsch gewesen sei.

    – Wenn heute über eine neue Regulierung der Finanzmärkte gesprochen wird, heißt das nicht, dass daraus mehr Regulierung entstehen sollte, sondern eine effizientere. Es behauptet auch niemand, dass dies eine leichte Sache sei und der Königsweg gerade vor einem liege und jede neue Regulierung garantiert effizient sein wird. Tatsache ist aber, dass gerade junge Ökonomen, darunter auch deutsche wie Markus Brunnermeier, sich konkret mit diesen Fragen beschäftigen und hier aktiv Forschung betreiben. Das sind dann jene Ökonomen, denen aus Deutschland vorgeworfen wird, sie würden mit modernen quantitativen Methoden politisch total irrelevante Themen behandeln.

  10. Herr Braunberger,

    ich versuche mal, Punkt für Punkt zu antworten.

    ad 1)
    Da antworte ich mal mit Lord Keynes: „When the facts change, I change my mind. What do you do, Sir?“ Nichts anderes machen Meltzer und Posner. Wobei ich im Fall von Posner durchaus einige Dinge anders sehen würde als er in seinem neuen Buch, aber das wäre nochmal ein Fall für einen anderen, langen Blogbeitrag. Vielleicht in den Semesterferien.

    ad 2)
    Ja, es mag schon sein, daß Hans-Werner Sinn bei der Geldpolitik keine Schuld sieht. Dagegen sehen z.B. Diamond und Rajan (NBER-Working Paper 14739) in der Geldpolitik der Fed und anderer Zentralbanken den Grund für den Nachfrageanstieg nach Wohneigentum. Dazu kamen dann noch zwei andere Dinge: Erstens, die weltweite Überschußnachfrage nach sicheren Geldanlagen (also Bernankes savings glut, siehe auch Caballero et al in den Brookings Papers: http://econ-www.mit.edu/files/3558) und zweitens der oben im Blogeintrag beschriebene honest mistake der Banken, die glaubten, die mit Lis Formel einen funktionierenden Mechanismus zur Risikoabschätzung verbriefter Kredite gefunden zu haben.

    Das ist eine Konstellation, in der eine ungewöhnliche makroökonomische Situation zusammenkam mit einer Innovation auf den Finanzmärkten, die sich im Nachhinein als untauglich erwiesen hat. Ob man sowas dann populistisch „Kasino-Kapitalismus“ nennen muß, weiß ich wirklich nicht.

    Zum Handelsblatt-Interview: Wenn Sie sich mal das oben verlinkte Papier von Congleton anschauen, finden Sie auf S.17 ein Zitat aus dem Geschäftsbericht 2006 von Fannie Mae, in dem über deren sub-prime-Aktivitäten berichtet wird. Vermutlich legt Martin Hellwig eine andere Definition des sub-prime-Marktsegmentes zugrunde, aber in dem kurzen Interviewschnipsel wird natürlich nicht klar, welche das sein könnte. Insofern kann ich dazu auch nichts weiter sagen.

    ad 3)
    Wie wär’s denn, wenn Sie selbst mal Ihr eigenes „digitales Denken“ zwischen Quantitativen und Ordnungspolitikern, tollen jungen Exildeutschen und langweiligen, ordnungsökonomischen Daheimgebliebenen nicht-digital überdenken würden? Ich jedenfalls gehöre zu denen, die quantitative Methoden nutzen und befürworten, aber daraus ordnungspolitische Implikationen ableiten wollen.

    Mit der Suche nach effizienten Regulierungen ist das so eine Sache. Natürlich sollte man sich darüber gedanken machen, schon um einen Maßstab zu haben. Aber wir Finanzwissenschaftler beschäftigen uns ja beispielsweise seit Jahrzehnten mit der Optimalsteuertheorie, haben da auch ein paar schöne Ergebnisse, aber noch nie gesehen, daß die irgendwo so umgesetzt würden. Wenn es an die Praxis geht, sollte man heutzutage auch ein politisch-ökonomisches Modell im Hinterkopf haben, und die Schwierigkeiten des politischen Prozesses mit bedenken. Spielregeln, die nur funktionieren, falls sie von einem idealen Schiedsrichter durchgesetzt werden, helfen uns auch nicht.

  11. Nur als Fußnote: Die Diskussion dreht sich im Kreis, wenn es nun wieder um Vorzüge (Praxisbezug) und Nachteile (Ideologienafälligkeit) der Ordnungspolitik geht. Warum nehmen Sie nicht einfach einen konkreten Vorschlag zur Neuregulierung der Finanzmärkte und diskutieren ihn hinsichtlich seiner zu erwartenden Wirksamkeit? Daß der politische Prozeß seinen eigenen Regeln folgt heißt ja nicht, daß jeder ökonomisch rationale Reformversuch a priori vergeblich wäre. Junge Evolutoriker (Schnellenbach, Potts,…) neigen hier manchmal zu voreiligen Schlüssen. Leute wie Brunnermeier legen vor, jetzt müßten die Ordnungspolitiker eigentlich konstruktive alternative Vorschläge machen…

    Übrigens funktioniert der handelsblatt-Link zum Hellwig-Interview nicht…

  12. Lieber Herr Schnellenbach,

    ich schreibe seit 20 Jahren Rezensionen für die F.A.Z. und bin seit zwei Jahren (sozusagen im Nebenberuf) für die Rezensionsspalte zuständig. Meine Vorgänger und ich sorgen seit vielen Jahren dafür, dass dort auch eine Literatur besprochen wird, die sich mit der „deutschen“ Ökonomie befasst. Das betrifft sowohl ordnungspolitische Werke wie auch moderne Arbeiten zur Historischen Schule aus dem Umfeld von Backhaus, Peukert etc. Der Metropolis-Verlag betreibt seit vielen Jahren eine eigene Buchreihe, aus derwir immer wieder Werke vorstellen. Ich habe im „Sonntagsökonom“ den von Herrn Goldschmidt herausgegebenen Blümle-Sammelband vorgestellt; kürzlich hatten wir in der F.A.Z. eine Besprechung eines Bandes mit Aufsätzen von Herrn Streit, die ein junger Kollege verfasst hat. Vor einiger Zeit hatten wir eine Rezension einer Neuauflage des Hauptwerks von Friedrich List. Wir bringen Besprechungen von Dissertationen junger deutscher Wissenschaftler, wie sie zum Beispiel im Mohr-Verlag erscheinen. Welche andere weit verbreitete Tageszeitung bietet das, zumal es sich um Werke handelt, die aus der Sicht des Buchhandels nur Nischenprodukte sind?

    Wir wären mit Salven von Management- und Beratungsbüchern, die sich gut verkaufen, publikumswirksamer. Tatsache ist, dass ich wie meine Vorgänger eine Verpflichtung verspüre, die Vorstellung von Büchern deutscher Ökonomen zu pflegen – allerdings müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, was sich anderswo tut. Wir besprechen Werke von „Österreichern“, obwohl das kaum einer macht. Herr Polleit ist im von mir verantworteten Finanzmarkt seit vielen Jahren ein geschätzter Teilnehmer der „Europlatz“-Ökonomenrunde. Kollegen von mir haben sich in Leitartikeln ausdrücklich für Methodenpluralismus ausgesprochen und ich kann das nur unterstützen.

    Den Vorwurf der Digitalität müssen Sie anderswo unterbringen.

    Es ist ja auch nicht so, dass aus Deutschland keine Beratung kommt. Man denke nur an die Issing-Kommission. Es geht schon, wenn man nur will.

    Abgesehen davon geht es in dem Ökonomenkonflikt nicht nur um hehre wissenschaftliche Grundsätze, sondern nicht zuletzt um Hochschulpolitik (mit Köln fing es bekanntlich an). Klar ist offensichtlich, dass jeder Lehrstuhl, der mit einem Ökonomen der „modernen“ Schule aus Amerika besetzt wird, nicht mit einem in Deutschland verbliebenen Ökonomen der „traditionellen“ Schule besetzt werden kann.

    Was mich an der Debatte über Köln erstaunt, ist, dass man offenbar vergisst, dass Frankfurt hier Pionier gewesen ist. Der Frankfurter Fachbereich, der eine Tradition in Sozialpolitik, Wirtschaftsstrukturlehre (zu meiner Studentenzeit gab es da noch einen Schwerpunkt „Markt und Plan“) und Statistik besaß, hat nicht zuletzt wegen der Bedeutung des Finanzplatzes und der Tatsache, dass hier gleich zwei Zentralbanken sitzen, einen Schwerpunkt „Monetäre Makroökonomik“ geschaffen, an dem unter anderem jüngere, aber sehr angesehene Ökonomen wie Volker Wieland, Stefan Gerlach und Roman Inderst arbeiten. Das war auch intern nicht unumstritten, ging dann aber nicht zuletzt mit der Unterstützung der Bundesbank durch. Das Center for Financial Studies spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

    Wer sich für monetäre Makroökonomik und Finanzmarktfragen interessiert, findet hier ein faszinierendes Umfeld vor. Hier werden andauernd in kleinen wie in größeren Kreisen wissenschaftliche Arbeiten vorgestellt und untereinander wie mit Praktikern und Journalisten diskutiert und die Zahl auswärtiger Wissenschaftler, die sich hier blicken lassen, ist Legion. Kürzlich hat der von mir zitierte Markus Brunnermeier ein Paper über „macroprudential regulation“ präsentiert, dann war Willem Buiter da und nun haben sich kurzfristig zwei französische Ökonomen mit einer eigenen Arbeit zur Finanzkrise angekündigt. Davon abgesehen gibt es die größeren Veranstaltungen der EZB und der Bundesbank. Wer hier etwas lernen will, kann sehr viel lernen und es wäre vielleicht etwas voreilig zu sagen: „Das sind doch alles quantitaiv arbeitende Leute, deren Arbeit nichts taugt.“

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