Trotz global aufgeblasener Zentralbankbilanzen, der Konvergenz der Leitzinsen in den großen Industrieländern gegen Null und – vor allem bei den Deutschen – steigender Sorge um die Währung werden die Inflationsgefahren weithin als gering angesehen. Die Europäische Zentralbank habe ihr Mandat der Preisstabilität klar erfüllt, so der Neujahrsgruß von Zentralbankpräsident Draghi. Der Euro gilt sogar als eine stabilere Währung als die Deutsche Mark. Dies würde bedeuten, dass die der Inflation nachgesagten Verteilungswirkungen – z.B. von Schuldnern zu Gläubigern oder von Haushalten zum Staat – nicht zu befürchten sind. Dem steht ein schwer greifbares Misstrauen der Bürger hinsichtlich offiziell gemessener Inflation, Währungsstabilität und Verteilungsgerechtigkeit gegenüber.
Die Irritationen hinsichtlich der Wertaufbewahrungsfunktion der Währung und offensichtlicher Verteilungsungerechtigkeit trotz Preisstabilität sind der Tatsache geschuldet, dass die Umverteilungswirkungen der fortschreitenden globalen geldpolitischen Expansion den Umweg über die Finanzmärkte nehmen. Als Katalysatoren dienen durch niedrige Zinsen befeuerte Boom-und-Krisen-Zyklen auf internationalen Finanzmärkten. Es sind vier Dimensionen der Umverteilung zu erkennen.
Die erste Dimension ist innerhalb der Finanzinstitute zwischen Prinzipalen (Anteilseignern) und Agenten (Management) zu beobachten. In von niedrigen Zinsen angeheizten Boomphasen auf den Finanzmärkten werden immense Spekulationsgewinne durch das Management in Form von hohen selbstgenehmigten Zuwendungen (Boni) abgeschöpft. In den nach den Übertreibungen unvermeidlichen Krisen werden hohe Spekulationsverluste in Form von abgeschmolzenem Eigenkapital und fallenden Aktienkursen den Anteilseignern angelastet. Reicht das Eigenkapital nicht aus, um die Verluste zu decken, oder ist wie bei den Landesbanken der Staat der Eigentümer der Finanzinstitute, dann werden die Kosten der hohen Zuwendungen sowie der Fehlspekulationen auf den Steuerzahler überwälzt. Der obere linke Quadrant der Abbildung zeigt, dass seit Januar 2000 die Löhne im Finanzsektor um ca. 40% gestiegen sind, während die Aktienkurse der Finanzinstitute etwa im gleichem Maß gefallen sind.
Die zweite Dimension der Umverteilung bezieht sich auf die starke Divergenz der Lohntrends zwischen Finanzsektor und anderen Bereichen der Volkswirtschaft. Die nach dem Wiedervereinigungsboom einsetzende Lohnausterität in öffentlichem und privatem Sektor wurde von steigendem „Angstsparen“ der Haushalte begleitet, das die Spekulationsfreude und Lohnerhöhungen der Finanzinstitute begünstigte. In der Krise werden die (drohenden) Verluste der Banken durch Bankenrekapitalisierung, steigende Staatsverschuldung sowie expansive Geldpolitik aufgefangen. Die öffentlichen Rettungsmaßnahmen minimieren Lohneinschnitte im Finanzsektor. Die Lasten in Form von zukünftigen Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen, Lohneinschnitten und/oder Inflation werden auf deutsche Bürger, Sparer und Steuerzahler übertragen. Der rechte obere Quadrant zeigt die deutliche Lohndivergenz zwischen Finanzsektor und Industrie in Deutschland.
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
Die dritte Dimension der Umverteilung ist europäisch. Seit der Jahrtausendwende exportierte der deutsche Finanzsektor die steigenden Ersparnisse der deutschen Haushalte in EU-Peripherieländer wie Griechenland, Spanien, Portugal, Irland sowie via Österreich nach Mittel- und Osteuropa. Dort wurden nicht renditeträchtige Investitionen finanziert, sondern steigender Konsum, spekulative Übertreibungen auf Immobilien- und Aktienmärkten sowie großzügige Lohnerhöhungen. Griechische, irische oder osteuropäische Löhne stiegen auf der Grundlage von Kapitalimporten deutlich schneller als die deutschen Löhne. Der linke untere Quadrant zeigt die drastische Lohnsteigerungsdivergenz zwischen Deutschland und Griechenland seit der Jahrtausendwende.
Zwar wurden die deutschen Kapitalexporte an die europäische Peripherie zunächst als Kredite angesehen, die in Zukunft das deutsche Konsumniveau erhöhen werden. Doch im Verlauf der seit 2008 einsetzenden Krisenwelle werden vom Ausfall bedrohte internationale Forderungen des deutschen Bankensektors über EU- oder IWF-geführte Rettungsprogramme, TARGET2-Salden-Divergenzen bzw. unkonventionelle Operationen der Europäischen Zentralbank in implizite Transfers umgewandelt. Der deutsche Sparer und Steuerzahler wird sich deshalb wohl dauerhaft auf Lohnausterität bzw. steigende Steuer- und Inflationslasten einstellen müssen.
Zwischen den USA und Deutschland lief die Umverteilung vor allem während der US-Hypothekenmarktkrise, als die Anlagen deutscher Finanzinstitute und Haushalte in hoch-bewertete US-Hypothekenmarktpapiere bzw. Lehmann-Zertifikate plötzlich wertlos wurden. Eine größere und systematischere Umverteilung ist jedoch zwischen den USA und den Ländern außerhalb Europas zu beobachten, die aufgrund der Dominanz des Dollars im Weltwährungssystem den Wechselkurs an den Dollar gebunden halten (4. Dimension der Umverteilung).
Zinssenkungen der Federal Reserve erlauben den Haushalten und der Regierung der USA eine Ausweitung von Verschuldung und Konsum, was das Leistungsbilanzdefizit und die Nettokapitalimporte des Landes steigen lässt. Ebenso kommt der Dollar unter Abwertungsdruck, was die Länder an der Peripherie des Weltdollarstandards veranlasst, Dollar zu kaufen. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Wechselkursregimes sind seit 2000 die Dollarreserven der Zentralbanken in Ostasien, Lateinamerika und den ölexportierenden Staaten drastisch gestiegen. Im Gegensatz zu Europa wird nun von Arm zu Reich umverteilt. Zum einen fallen die Seignioragegewinne der Geldmengenexpansion in der Dollarperipherie den USA zu. Zum anderen werden durch weitere Geldmengenexpansion der Federal Reserve die Dollarreserven der Peripherieländer durch importierte Inflation (bei festen Wechselkursen) oder durch Aufwertung der Inlandswährung (bei flexiblen Wechselkursen) entwertet. Der Umverteilungsprozess zwischen den USA und der Dollar-Peripherie ist robust, weil kein Finanzsektor zwischen den Forderungen der ostasiatischen Zentralbanken und den Verbindlichkeiten der USA liegt.
Beispielsweise verfügt China über Devisenreserven in Höhe von 3200 Milliarden Dollar, die von der beschäftigungsintensiven und deshalb subventionierten Exportindustrie erwirtschaftet wurden. Diese Reserven müssen überwiegend im Dollar-Finanzmarkt angelegt werden. Denn jede Konvertierung von Teilen des Dollarauslandsvermögens z.B. in Euro führt über Yuan-Aufwertung gegenüber dem Dollar zu Verlust von Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Industrie und zur Entwertung der noch nicht konvertierten Vermögensanteile. Die subventionierten Exporte tragen zu einer Umverteilung von chinesischen zu US-amerikanischen Haushalten bei. Ebenso profitiert der US-Finanzsektor, der die chinesischen Käufe von US-Staatsanleihen abwickelt. Durch jede geldpolitische Expansion der Federal Reserve und durch die mit politischen Druck erzwungene Aufwertung des Yuan werden immense Vermögenswerte von der Peoples Bank of China auf die US-Regierung übertragen. Der rechte untere Quadrant der Abbildung zeigt, wie seit der Jahrtausendwende der absolute Abstand zwischen den Pro-Kopf-Einkommen in den USA und China deutlich gewachsen, statt wie vielleicht erwartet, geschrumpft ist.
Der selektive Blick auf die von den Finanzmärkten getragene globale geldpolitische Umverteilungskette zeigt, dass vor allem die Bürger in den großen Weltsparnationen wie Deutschland und China Opfer drastischer geldpolitischer Expansion und Umverteilungsprozesse sind. Es profitieren die Länder mit negativer Leistungsbilanz, wobei die Leistungsbilanzungleichgewichte durch die expansiven Geldpolitiken der Zentralbanken vergrößert werden. Die Diskussion über Währungsstabilität und Umverteilung sollte deshalb jenseits des vom Zentralbankpräsidenten Draghi vorgegebenen Rahmens statistisch gemessener Konsumentenpreisinflation geführt werden.
Hinweis
Dipl.-Vw. Raphael Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig.
- Die globale geldpolitische Umverteilungskette - 11. Januar 2012
Zitat:
Im Gegensatz zu Europa wird nun von Arm zu Reich umverteilt.
Zitatende.
Sorry, aber das glaube ich so nicht.
Könnte es sein , dass der Satz lauten müßte: “ Im Gegensatz zu Europa (außer in Deutschland) wird nun von Arm zu Reich umverteilt“ ?
Es gibt jährliche Gutachten drüber , dass in Deutschland die Schere (durch Umverteilung) zwischen arm und reich immer gösser wird.
@murksel
doch, auch in D gibt es eine umverteilungsmaschinerie. es gibt nämlich diejenigen die arbeiten und diejenigen die nicht arbeiten. den arbeitenden nimmt man das geld weg, und gibt es den nichtarbeitenden. eine weitere umverteilung ist bereits im entstehen: der mindestlohn. das alles nutzt die politik, um das wahlvolk zu schmieren, damit es dann bei der nächsten wahl das kreuz an der vermeintlich richtigen stelle macht.
auch wenn die schere auseinander geht haben diejenigen am unteren ende der schere immer noch mehr wohlstand, als eine gleichmacherei brächte.in der DDR waren damals alle gleichmäßig arm.
wer nicht zur schule geht, sich nicht um eine gescheite ausbildung kümmert, sich nicht weiterbildet und stattdessen mit aushilfsjobs über wasser hält, hat es schlicht weg selbst verbockt.bis zum abitur ist bildung kostenfrei verfügbar, wer es nicht nutzt, dem kann man einfach nicht mehr helfen….
im übrigen muss es für die wirklich armen menschen in afrika, südostasien etc. wie blanker hohn klingen, wenn man in D von armut spricht. fürs nichtstun geld überwiesen zu bekommmen, eine wohnung bezahlt zu bekommen und und und…..das hat mit armut nichts zu tun. aber die armen menschen bspw. in afrika, die täglich nur eine hand voll reis & ein glas wasser als nahrung haben, denen niemand geld überweist. die sind wirklich arm…..in D wird nur auf hohem niveau gejammert…
D ist ein Land voller Neider & Scheinheiliger.
Eine Antwort zu Murksel,
ich habe bei der Aussage zur Umverteilung von Arm zu Reich bzw. von Reich zu Arm an die Länderebene gedacht. Im informellen Dollarstandard ist mehrheitlich eine Umverteilung von Ländern mit geringen Pro-Kopf-Einkommen zugunsten der USA zu beobachten. In Europa hingegen wird es auf Länderebene eher Transfers von Deutschland in die südeuropäische Länder mit geringeren Pro-Kopf-Einkommen geben, also von einem Land mit vergleichsweise hohem Pro-Kopf-Einkommen zu Ländern mit niedrigeren Pro-Kopf-Einkommen. Sie haben aber dahin gehend ohne Zweifel recht, dass es weitere Umverteilungskanäle über die Finanzmärkte gibt, die von relativ arm zu relativ reich wirken.
@Franke,
ich glaube, Sie verkennen da etwas: der weitaus überwiegende Teil würde sehr gerne arbeiten, nur lässt man sie nicht, sprich es gibt keinen Arbeitsplatz. Und da das Wissen bei Allen da ist, dass man schnell genau in eine solche Situation kommen kann, dreht sich das Hamsterrad immer schneller, sowohl bei den Arbeitenden als auch schon bei den Schülern, die Angst haben, bei zu schlechten Noten auf der Straße bleiben zu müssen.
Dieses System ist so pervers, das inzwischen 10 Millionen diesem Druck nicht mehr Stand halten und krankt sind.
VG Martin Bartonitz