Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) prüft gegenwärtig eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit Deutschlands. S&P plant, das Rating für die Bundesrepublik und verschiedene andere EU-Staaten wegen der Eurokrise auf „Watch Negative“ zu setzen. Dies könnte aus aufsichtsrechtlichen Gründen unmittelbar Auswirkungen auf das Verhalten der Kapitalanleger haben und im Rahmen der Bankenregulierung zu höheren Eigenkapitalanforderungen führen. Und nach den Ergebnissen des aktuellen Euro-Gipfels, von denen einige spätestens beim nächsten Gipfel auch wegen rechtlicher Probleme wieder auf der Agenda stehen dürften, wird die Wahrscheinlichkeit hierfür nicht abnehmen.
Die Ankündigung der Rating-Agentur sollte noch vor dem EU-Krisengipfel Entscheidungen in ihrem Sinne erzwingen, denn kurz nach dem Gipfel will S&P ihren Bericht zu Papier bringen. Sie reiht sich zudem nahtlos in das bisherige Vorgehen der Rating-Agenturen ein, das den Interessen Europas kaum dient. Zum einen fordert sie unkaschiert und unbesehen rechtlicher Beschränkungen kurzfristig unbegrenzte Staatsanleihekäufe der EZB, also eine Geldpolitik US-amerikanischen Zuschnitts. Sie stützt hierdurch zum anderen das ganz offensichtliche Kalkül vor allem der US-Portfoliomanager und anderer Vertreter der Wall Street, die Bunds als sicherere Alternative für die EFSF zu eliminieren. Denn wenn die Kreditwürdigkeit Deutschlands fallen würde, könnte sich die EFSF günstiger refinanzieren. Sie würde nämlich mangels Investitionsalternativen relativ attraktiver. Bisher gilt, dass neben den Bunds auch Anteile am EFSM für diese Akteure attraktiver sind, weil er auch durch EU-Länder gedeckt wird, die nicht Mitglied der Eurozone sind.
Das Argument der Rating-Agenturen ist dabei inhaltlich sogar nachzuvollziehen: die Kaskadenstruktur der gehebelten EFSF führt durch den schrittweisen Ausstieg der überforderten Garantenländer und den Anreiz der überschuldeten Länder, ihre Pleite oder angeblich zu hohe Anleihezinsen zu signalisieren, solange noch hinreichend solvente Kreditgeber da sind. Kritisch dabei ist, dass es sich dabei genau um die zuvor genannten Akteure handelt, die genau dieses Schema erzwungen haben und nach noch stärkerer Hebelung durch fragwürdige Versicherungsmechanismen und nach Anleihekäufen der EZB ab einer bestimmten, numerisch fragwürdigen Zinsobergrenze rufen.
Wir erinnern uns: die Rating-Agenturen versahen Eurozonen-Länder per se mit einem Rating-Malus, weil sie keinen direkten Zugang zur EZB hatten und deshalb ihre Staatsschulden bisher nicht mit der Notenpresse durch Inflation finanzieren konnten. Gleichzeitig wird dieser Tango zwischen der Notenbank, die wegen der Möglichkeit zur Inflationierung angeblich nicht illiquide werde könne, und dem Staat, der angesichts der Option zur Steuererhöhung kaum jemals insolvent werde, im Falle der USA und Großbritanniens von ihnen noch belohnt. Schließlich wurden die Eurozonen-Länder lange wiederum zu gut bewertet, da sie ein „Stand-Alone“-Rating der Länder rein nach makroökonomischen Fundamentaldaten verweigerten und nach ihren Bewertungskriterien das potenzielle Bailout immer systematisch einpreisten. Hierdurch wurden risikolose Spekulationsgewinne erst ermöglicht. Ganz abgesehen von den handwerklichen Fehlern, die den Rating-Agenturen im Zusammenhang mit der US-Subprimekrise und dem irrtümlichen Downgrading Frankreichs unterliefen.
Angela Merkel sollte die Drohung der Rating-Agenturen deshalb möglichst gelassen zur Kenntnis zu nehmen, mehr aber auch nicht. Europa braucht endlich eine eigene von Lobby-Einflüssen, aber auch von Staatseinfluss unabhängige Rating-Agentur auf Stiftungs-Basis oder eine unabhängige Institution, die den Bondanbietern die Bewerter zuteilt, am besten auf der Grundlage von „Investor pays“-Modellen. Ratings durch die EZB, die EU-Kommission oder gar den IWF wären hingegen keine so gute Idee, denn ihre Politikentscheidungen beeinflussen die Kreditwürdigkeit von Staaten direkt und es käme zu Interessenkonflikten und Einbußen der Glaubwürdigkeit.
Denn der US-Ökonom Kenneth Rogoff und andere prominente Beobachter bekommen mit ihrer Einschätzung immer mehr Recht: den USA und den mit ihnen interessenmäßig verflochtenen Akteuren scheint nur an der kurzfristigen Bekämpfung der Krise, aber weniger am langfristigen Gelingen der Eurozone gelegen zu sein. Ein Indiz hierfür ist, dass laut S&P den Begehrlichkeiten der US-Finanzbranche sofort entsprochen werden soll, aber die in Deutschland durchaus erfolgreichen angebotsseitigen Reformen heruntergespielt werden. Frau Merkel und Jens Weidmann tun deshalb gut daran, sich trotz der immer dichter werdenden „Umzingelung“ so lange wie möglich im Interesse Europas gegen das Aufpfropfen des oben beschriebenen Tangos US-amerikanischen Zuschnitts zu wehren.
Die US-amerikanische Sicht, durch eine Politik des billigen Geldes könne systematisch Wachstum erzeugt werden, passt nicht zu Europa und hilft allenfalls kurzfristig. Die Gefahr ist, dass die ausländischen Investoren die Eurozone nach dem Einkassieren erheblicher Renditen mittel- bis langfristig wieder verlassen, wenn klar wird, was diese Politik mittel- bis langfristig in der Eurozone anrichten wird: ansteigende Inflationsraten, da sich die EZB gegen Bewertungsverluste bei gehaltenen toxischen Staatsanleihen und das hierdurch negativ zu werden drohende Eigenkapital wehren wird und sich gleichzeitig das Niveau des Wachstumspfades seit Lehman verringert hat. Zudem wird bald klar werden, dass alle Versuche der Regierungen, die Notenbanken durch das Einschießen von Bonds zu stabilisieren, nicht nachhaltig sein können und lediglich die finanzielle und politische Abhängigkeit der EZB verstärken. Denn die Märkte dürften die mangelnde Werthaltigkeit dieser Papiere allmählich erkennen. Schließlich wird die Spekulation befeuert und die bereits in Trichets Amtszeit zu beobachtende Hebelung der Finanzinstitutionen und der staatlichen und privaten Haushalte weiter befördert. Doch ehe es soweit kommt, werden die Investoren schon weitergezogen sein. Denn sie lassen sich ihre Renditen nicht weginflationieren. Die Folgen werden die Europäer in wenigen Jahren spüren.
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es stellt sich die frage, was so eine europäische ratingagentur bringen soll..?? die politische klasse erhofft sich davon schliesslich mildere urteile und ein wegschauen bei fiskalischen schuldenauswüchsen….m.e. wäre deshalb eine europäische ratingagentur unnötig. zumal ihre forderung, sehr geehrter herr prof. belke, nach „unabhängigkeit“ kaum zu bewerkstelligen ist..die ezb ist ja auf dem papier auch unabhängig…aber wieso werden die ratsmitglieder aus politischen kreisen rekrutiert? gleiches bei der bundesbank…..
die „versehentliche“ herabstufung frankreichs im nov letzten jahres war m.e. ein warnschuss vor den bug….frankreich hat ihn bis heute nicht verstanden.
es erscheint trivial, dass die USA kein interesse an einer starken eurozone haben, denn der dollar als weltreservewährung ist in einem solchen fall in gefahr. dies lassen die amerikaner niemals zu. also führen sie krieg in den ölstaaten und erzwingen eine weltweite konvertierung des ölhandels in usd….das ausland darf dieses unterfangen – wie schon den vietnamkrieg -bezahlen….
Danke für diesen Beitrag! Ich wundere mich, wie positiv Ratingagenturen unter liberalen Ökonomen und Kommentatoren bislang wegkommen. Dabei setzen die Ratingagenturen die inkriminierten Eurostaaten ja nicht unter Druck, ihre Sparpolitik voranzutreiben – damit haben sie inzwischen begonnen. Vielmehr soll der Druck auf Deutschland erhöht werden, einer Inflationspolitik durch die EZB zuzustimmen. Vom Standpunkt des amerikanischen Interesses sind die Anreizfolgen und auch die langfristigen Kosten einer Inflationspolitik nämlich gleichgültig. Auch gegen eine Haftungsgemeinschaft in Europa haben Amerikaner nichts einzuwenden – die sie im eigenen Lande nie akzeptieren würde (Eichengreen hatte das erst kürzlich in der FAZ gefordert, ohne dass der Interviewer hier kritisch nachgefragt hätte). S&P setzt die Eurozone nicht unter Druck, eine Sparpolitik durchzusetzen, sondern eine Wirtschaftspolitik nach amerikanischen Regeln zu akzeptieren (die im übrigen auch für die USA selbst fragwürdig sind). Und wenn amerikanische Ökonomen – wie etwa Paul Krugman – ganz offen eine Wiederwahl Barack Obamas wünschen, sind europäische Wirtschaftsinteressen drittrangig, daran lässt er keinen Zweifel. Aus einem falschen Abgrenzungsbedürfnis gegenüber linken Keynesianern lassen es liberale Ökonomen bislang allzuoft an einem kritischen Urteil gegenüber den amerikanischen Ratingagenturen fehlen.
Ziemlich reißerisch, der Beitrag. Ich habe z.B. noch keinen Beitrag von S&P gelesen, in denen etwas „gefordert“ wird, wohl aber Analysen in denen das Handeln der Regierungen bewertet wird. Und ein „ganz offensichtliches Kalkül“ von US-Investoren an einer Herabstufung der BRD will mir auch nicht einleuchten (nach Belegen frage ich sicherheitshalber gar nicht erst). Was ich allerdings seit einigen Jahren wahrnehme ist eine Veränderung in der Ausdrucksweise von (vor allem jüngeren) VWL-Professoren, den Jargon der Bank-Volkswirte („hauptsache eine gute Story“) imitierend, als ob man auf diese Weise wieder größere Aufmerksamkeit gewinnen könnte. Dieser Wettbewerb lässt sich m.E. aber nur durch Qualität gewinnen.