Der deutschen Wirtschaft wird zum Vorwurf gemacht, ihr Wachstum beruhe vorwiegend auf dem Exportgeschäft. Das ist falsch, denn vor allem die inländische Investitionstätigkeit und der Inlandskonsum haben zuletzt das Wachstum bestimmt.
Die anhaltende Diskussion über die Staatsschuldenkrise in Europa kommt immer wieder auch auf die wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb Europas zu sprechen. Der Vorwurf in Kurzversion lautet: Deutschland habe eine einseitige Wachstumsstrategie, die vorwiegend auf Exportüberschüssen beruht. Das führt zwangsweise in anderen Ländern zu Leistungsbilanzdefiziten, die wiederum in diesen Defizitländern durch Kapitalimporte ausgeglichen werden müssen. Den hohen deutschen Exportüberschüssen steht also notwendigerweise eine hohe Auslandsverschuldung anderer Länder gegenüber.
Diese Argumentation ist mit allerlei Fallstricken versehen. Zum einen kann die These hinterfragt werden, dass deutsche Warenexporte ursächlich für die hohe Verschuldung des Staates in anderen Ländern sei. Gerade einige der prominenten Länder mit Leistungsbilanzdefiziten weisen auch erhebliche staatliche Haushaltsdefizite auf. Für ausufernde Staatsausgaben gibt es aber in der Regel hausgemachte Ursachen. Zum anderen stimmt schon die Ausgangsthese nicht, dass sich das Wirtschaftswachstum in Deutschland vorwiegend aus der Exportquelle speist (Abbildung).
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Im Gegenteil: In den Jahren 2010 und 2011 sowie in den Jahren 2006 bis 2008 haben die inländischen Nachfragekomponenten sogar den Großteil des deutschen Wirtschaftswachstums gestemmt. Vom jahresdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum im Zeitraum 2006 bis 2008 in Höhe von 2,7 Prozent entfielen nur 0,8 Prozentpunkte auf den Außenbeitrag, also den Exportüberschuss. Der größte und mehr als doppelt so hohe Anteil, nämlich 1,9 Prozentpunkte, stammte aus der Inlandsnachfrage. In den Jahren 2010 und 2011 belief sich das Wachstum des realen BIP in Deutschland auf durchschnittlich 3,4 Prozent. Auch in dieser Phase hatte die Inlandsnachfrage mit einem Wachstumsbeitrag von 2,2 Prozentpunkten deutlich die Nase vorn.
In der Diskussion über die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte wird auch immer wieder angeführt, die privaten Haushalte in Deutschland sparen zu viel und konsumieren im Umkehrschluss zu wenig. Die Fakten weisen dagegen darauf hin, dass allein die Konsumausgaben in den letzten Jahren durchschnittlich 0,8 Prozentpunkte zum deutschen Wachstum beigesteuert haben. Der schwache Wachstumsbeitrag des Konsums im Jahr 2007 resultierte vor allem aus der kräftigen Mehrwertsteuererhöhung. Insgesamt trugen die privaten und öffentlichen Konsumausgaben in den vergangenen sechs Jahren stetig zum Wachstum bei.
Die Inlandsnachfrage besteht zudem nicht nur aus dem Konsum, sondern auch aus der Investitionstätigkeit der Unternehmen. Lässt man das Krisenjahr 2009 außen vor, dann steuerten die Inlandsinvestitionen im Durchschnitt 1,2 Prozentpunkte zum Wachstum bei. Der Wachstumsbeitrag der Investitionen fiel damit sogar für sich betrachtet höher aus, als der des Außenbeitrags.
Das Jahr 2012 erinnert nicht nur beim Blick auf die erwartete Höhe, sondern auch anhand der Struktur des Wirtschaftswachstums an das Jahr 2008: Der Außenbeitrag wird wegen der schwächelnden Exporttätigkeit das Wachstum nicht mehr antreiben. Sein Wachstumsbeitrag ist im besten Fall neutral, sehr wahrscheinlich wird er leicht negativ sein. Dies schlägt sich zwar auch bremsend auf die Investitionstätigkeit nieder, sodass hiervon nur noch ein vergleichsweise schwacher Wachstumsbeitrag folgt. Dagegen wird der Konsum – vor dem Hintergrund der guten Arbeitsmarktentwicklung – eine tragende Säule des deutschen Wachstums bleiben.
Natürlich könnte der Wachstumsbeitrag des Konsums höher ausfallen. Dazu wird immer wieder auch auf die über lange Zeit im internationalen Vergleich schwache Wachstumsperformance in Deutschland verwiesen, die letztlich auch eine Folge der Inlands- und vor allem der Konsumschwäche gewesen sein soll. Richtig ist, dass die Wachstumsbeiträge der öffentlichen und privaten Konsumausgaben in einer Reihe von Ländern – vor allem in den derzeitigen Krisenländern – in der Vergangenheit höher waren. Allerdings ist jetzt auch viel deutlicher zu sehen, auf welch tönernen Füssen der Konsum in diesen Ländern stand: übermäßige, das heißt die Produktivitätsentwicklung missachtende Lohnerhöhungen, eine hohe Verschuldung der privaten Haushalte und nicht zuletzt ein auf Pump finanzierter Staatskonsum. Als Richtschnur für den deutschen Konsum dienen die derzeitigen Krisenländer mit ihren Konsumerfahrungen nun nicht mehr.
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Sehr geehrter Herr Grömling,
ich danke Ihnen für diesen kurzen, aber prägnanten Beitrag. Ich möchte zwei Anmerkungen machen.
Angesichts der Kritik am deutschen „Exportmodell“ wäre noch hinzuzufügen, dass zu Exportüberschüssen auch immer Käufer im Ausland gehören, deren Kaufentscheidungen letztlich freiwillig sind. Auch zu Kapitalimporten wird letztlich niemand gezwungen. Dass evtl. geldpolitisch Anreize gesetzt wurden, die Handelsbilanzüberschüsse begünstigten, steht auf einem anderen Blatt, ist aber wohl auch nicht in Deutschland verschuldet.
Außerdem, auch wenn das Ökonomien klar sein mag, bedeutet der sinkende Wachstumsbeitrag des Außenhandels nicht, dass die deutsche Wirtschaft weniger vom Außenhandel abhängig ist. Nach wie vor steigen die Exporte, die Verflechtung der deutschen Industrie mit dem Ausland steigt. Lediglich steigen nun die Importe etwa im gleichen Tempo, und das senkt den Wachstumsbeitrag.
Beste Grüße Christoph Sprich
Hallo Herr Grömling,
es zählt aber nicht nur das Wachstum. Auch die absolute Höhe ist von Bedeutung:
http://www.bundesbank.de/statistik/statistik_aussenwirtschaft_zahlungsbilanz.php
Und da die Überschüsse des einen, immer die Defizite der Anderen sind, wären alle aufgerufen, ausgeglichen zu bilanzieren. Vor allem wenn sie in ein gemeinsames Korsett des Euros gezwängt wurden. Was nützen der deutschen Exportwirtschaft Finanzforderungen deren Werthaltigkeit angezweifelt werden muss?
Steile These, dass die Nachfrage kausal für das Wirtschaftswachstum ist. So wird das aber nix mit der Supply-Side Revolution 😉