Was die deutsche Bevölkerung über Genossenschaften weiß und denkt, wäre auch dann interessant, wenn wir nicht das Jahr 2012 schreiben würden.
Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft
Doch im internationalen Jahr der Genossenschaften sind diese Informationen besonders aufschlussreich und nützlich, sollen doch die Merkmale von Genossenschaften und deren Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft bewusster gemacht werden, so die Vereinten Nationen in ihrer Begründung für die Wahl dieses Themas. Dies setzt allerdings Kenntnisse über den einschlägigen Informationsstand der Bevölkerung voraus. Das Institut für Genossenschaftswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat in Zusammenarbeit mit der GfK in Nürnberg nun eine erste repräsentative Untersuchung vorgelegt. Eine kleine Auswahl der Ergebnisse wird hier vorgestellt.
Breit gestreutes Wissen
Die Einschätzungen der Bundesbürger werden auf der Grundlage ihrer Informationen über Genossenschaften gebildet. „Was weiß Deutschland über Genossenschaften?“ Zuerst ist hervorzuheben, dass die Menschen mehr über Genossenschaften wissen als sie glauben zu wissen. Denn die befragten Personen schätzen ihr Wissen über Genossenschaften zurückhaltend ein. Nur 9,3% beurteilen ihre Kenntnisse über Genossenschaften als gut oder sehr gut, 30% immerhin noch als mittelmäßig. 32,8% geben jedoch an, überhaupt keine Kenntnisse zu haben. Dies passt dazu, dass 88,6 % der deutschen Bevölkerung der Meinung sind, dass mehr über Genossenschaften bekannt sein sollte. Das tatsächlich vorhandene Wissen ist überraschend umfangreich und tiefgehend, es beinhaltet die wesentlichen genossenschaftlichen Merkmale. Allerdings bleibt es bei vielen Personen punktuell, es existieren Unterschiede in Abhängigkeit von demografischen Kriterien wie Alter (vgl. Abb. 1), Ausbildung, Beruf etc. Nicht überraschend sind auch fundamentale Informationsdefizite festzustellen.
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Manche Informationsdefizite
So verfügen die Befragten nur über ein rudimentäres Wissen darüber, in welchen Branchen heute Genossenschaften gegründet werden (vgl. Abb. 2). Dies mag überraschen, wird von manchen Kommentatoren doch von einem regelrechten Gründungsboom gesprochen, der in zukunftsorientierten und wachsenden Wirtschaftssektoren stattfindet. Doch dies ist bei der breiteren Bevölkerung bisher nicht angekommen. Nur 23,3% der Befragten wissen, dass im Energiesektor Genossenschaften vertreten sind und 12,9% wissen dies vom Gesundheitswesen. 10,8% geben an, dass Genossenschaften von Steuerberatern existieren und 7,8% im IT-Sektor und bei den neuen Medien. Viele Befragte kennen hingegen die traditionellen Genossenschaftsbranchen: 80,6% der deutschen Bevölkerung weiß, dass es in der Landwirtschaft Genossenschaften gibt und 72,3% in der Wohnungswirtschaft. 66,5% der Bevölkerung wissen dies vom Handel und 64,1% kennen Genossenschaftsbanken. Dass im Handwerk genossenschaftliche Kooperationen umgesetzt werden wissen lediglich 60%.
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Begriffskenntnis
83,1% der Befragten gibt an, den Begriff der Genossenschaft zu kennen, etwa drei Viertel von ihnen können zutreffende Assoziationen nennen. Dies sind überraschend hohe Anteile, wenn die Anzahl von Genossenschaften und ihre Präsenz in der Öffentlichkeit berücksichtigt werden. Viele Befragte konnten Auskunft über die besonderen genossenschaftlichen Merkmale geben, doch auch hier stark differenziert nach einzelnen Bevölkerungsgruppen. Zahlreiche Menschen kennen das Wesen und die grundlegende Zielsetzung, jedoch bringen nur 40,8% das Kürzel der Rechtsform „eG“ mit Genossenschaften in Verbindung.
Alleinstellungsmerkmale
Das bekannteste genossenschaftliche Merkmal ist gleichzeitig jenes, das im Kern der genossenschaftlichen Kooperation liegt, also ihr Alleinstellungsmerkmal. 81% der Bevölkerung weiß, dass Genossenschaften zum Wohle ihrer Mitglieder handeln müssen, dass also für diese Werte zu schaffen sind. Bekannt sind die Tatsachen, dass Genossenschaften einen eher regionalen Bezug ihrer Aktivitäten haben (57,7%) und dass sie tendenziell mittelständisch orientiert sind (55,8%). Viele der Befragten wissen, dass die Mitglieder gleichzeitig Eigentümer der Genossenschaft und Nutzer ihrer Leistungen sind (64,5%). Gut die Hälfte der Befragten ist zutreffenderweise der Meinung, dass ein Großteil der gemeinsam geschaffenen wirtschaftlichen Ergebnisse für investive Zwecke wieder in der Genossenschaft verwendet wird. Dies stimmt auch mit der Einschätzung überein, dass Genossenschaften eher langfristige Strategien verfolgen, die zwei Drittel der Befragten zum Ausdruck bringen.
Spezielle Eigentümerkontrolle
Dass sich Genossenschaften durch die Mitgliedschaft von anderen Organisationsformen abheben, wissen immerhin 57,8% der Bevölkerung (vgl. Abb. 3). Etwas geringer ist der Anteil der Menschen, der weiß, dass die strategischen Entscheidungen in Genossenschaften unter Mitwirkung der Mitglieder erfolgen (52,4%). Noch weniger bekannt ist, dass Mitglieder unabhängig von der Anzahl ihrer Geschäftsanteile jeweils eine Stimme besitzen, 46,6% gibt explizit an, dies nicht zu wissen. Dies ist überraschend, wird dieser Aspekt doch in den Medien häufig in den Vordergrund gestellt.
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Positive Einschätzung
Genossenschaften rufen bei vielen Menschen in Deutschland positive Assoziationen hervor, insgesamt geben sie ein gutes Urteil über sie ab. Auch die Frage nach den eigenen Erfahrungen mit Genossenschaften wird durchwegs positiv beantwortet: 67,4% beschreiben diese als sehr gut/gut und 27,3% immerhin noch als mittelmäßig. Die positive Beurteilung erfolgt sowohl durch Mitglieder als auch durch Nichtmitglieder. Insgesamt halten 51,5% der Befragten Genossenschaften grundsätzlich für sehr gut oder gut. Dass man sich in Genossenschaften zusammentut, um gemeinsam etwas zu erreichen, was alleine nicht möglich wäre, halten sogar 80,7% der Bevölkerung für sehr gut/gut. Die genossenschaftliche Idee der Selbsthilfe im eigenen Interesse wird also begrüßt und dass Menschen oder Unternehmen durch ihre Zusammenarbeit in einem genossenschaftlichen Netzwerk eine Kooperationsrente mit vielfältigen Wirkungen hervorbringen, wird gutgeheißen.
Wirtschaftliches Fundament
Die positive Einschätzung von Genossenschaften rührt unter anderem von ihrem wirtschaftlichen Fundament her. Die Bevölkerung weiß, dass Genossenschaften wirtschaftlichen Erfolg haben müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. 77,9% der Befragten sind der Überzeugung, dass Genossenschaften wirtschaftlich geführt werden müssen und 80,1% halten dies für sehr gut/gut. Diese klare Einschätzung ist hilfreich für die Entwicklung von Kommunikationsstrategien, wird doch manchmal kolportiert, dass Genossenschaften weder Gewinne erwirtschaften können noch dürfen. Die Menschen schätzen die wirtschaftlichen Aspekte von Genossenschaften nüchtern und korrekt ein, sind also frei von der manchmal vermittelten „Genossenschaftsromantik“.
Nachhaltigkeit und Verankerung
Einige genossenschaftliche Merkmale werden besonders positiv eingeschätzt, nämlich jene, die eine gewisse Bodenständigkeit von Genossenschaften bewirken und die mit Werten korrespondieren, die für die Menschen in den vergangenen Jahren wieder deutlich wichtiger geworden sind (vgl. Abb. 4). So wird die regionale Ausrichtung von Genossenschaften von 66,5% als sehr gut/gut eingeschätzt und die mittelständische Orientierung von 64,8%. Zwei Drittel der Befragten halten es für sehr gut/gut, dass Genossenschaften eher langfristige Strategien verfolgen und somit eine nachhaltige Orientierung aufweisen. Gar 83,6% schätzten es als sehr gut/gut ein, dass Genossenschaften zum Wohl ihrer Mitglieder handeln müssen. Generell wird die genossenschaftliche Mitgliedschaft geschätzt. Dass sich Genossenschaften durch die Mitgliedschaft von anderen Organisationsformen abheben halten 66% für sehr gut/gut.
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Demokratische Basis
77,3% bewerten es sehr gut/gut, dass die Nutzer von Leistungen der Genossenschaften auch ihre Eigentümer sind, wodurch deren realwirtschaftliche Verankerung begründet wird. Drei Viertel der Befragten schätzen es als gut oder sehr gut ein, dass die Mitglieder die strategischen Entscheidungen der Genossenschaft treffen und für 69,4% ist es sehr gut/gut, dass jedes Mitglied – unabhängig von der Anzahl der Geschäftsanteile – eine Stimme hat. Die Besonderheit der genossenschaftlichen Eigentümerkontrolle trägt insgesamt wesentlich zur positiven Einschätzung von Genossenschaften bei. Dies lässt einen Zusammenhang mit dem zunehmenden Wunsch der Menschen vermuten, (wieder) mehr Kontrolle über wichtige Lebensbereiche zu erhalten. Alle Aspekte der Einschätzung zusammengenommen kann eine eindeutige Schlussfolgerung präsentiert werden: Die deutsche Bevölkerung schätzt Genossenschaften als wertvolle Organisationen ein. Allerdings schneidet das Idealbild von Genossenschaften, das die Bundesbürger vor Augen haben, noch etwas besser ab als das Realbild.
Wertvolle Informationsbasis
Erstmals liegen nun also repräsentativ erhobene Informationen darüber vor, was die deutsche Bevölkerung über Genossenschaften weiß und wie sie diese einschätzt. Manche Ergebnisse konnten erwartet werden, mache sind überraschend. Selbstverständlich sind diese Informationen – wie Befragungsergebnisse generell – vorsichtig zu interpretieren. Dennoch ist nun eine wertvolle Informationsbasis verfügbar, die sich als Grundlage für erfolgversprechende Kommunikationsstrategien eignet, die weit über das internationale Jahr der Genossenschaften hinaus ihre Wirksamkeit entfalten können.