Der 3. März 2013 bot ausländischen Beobachtern ein kaum für möglich gehaltenes Schauspiel: Mit überwältigender Mehrheit von fast 68 % stimmten die Schweizer Wähler für die Volksinitiative „gegen die Abzockerei“. Ausgerechnet die angeblich geldverliebten Eidgenossen wandten sich mittels der andernorts so skeptisch beäugten direkten Demokratie gegen die Entlohnungsorgien eigentlich unbezahlbarer Top-Manager.
Entsprechend groß war der resultierende Aufruhr weit über die beschaulichen 26 Kantone hinaus. Politiker, Gewerkschafter und andere Protagonisten mehr oder minder zeitgeistkonformer Sprechblasen überboten sich in ihren spontanen Reaktionen und Interpretationen hinsichtlich dessen, was da geschehen war und was daraus angeblich geradezu folgen musste – zu Recht?
Ein Erstlingsrecht in Sachen legislativen Drucks kann die Volksinitiative zunächst nicht beanspruchen. Bereits vor zwanzig Jahren hatte der Volkszorn in den USA als Vaterland pseudokapitalisitischer Vergütungsexzesse ein Ausmaß erreicht, das letztlich zu einer Steuergesetzänderung führte: Vergütungen, die nicht über eine geeignete Bemesungsgrundlage an die Unternehmensentwicklung gekoppelt waren, wurden nur noch bis zu einer Obergrenze von 1 Mio US $ als Betriebsausgaben anerkannt. In Deutschland wurde im Rahmen von Sammelnovellen wie dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KontraG) und dem Vorstandsvergütungsgesetz (VorstAG) sogar das Aktienrecht geändert. Auch der nunmehr erneut geforderte Einfluss der die Manager tatsächlich bezahlenden Aktionäre wurde in einer Reihe von Ländern unter der globalen Überschrift „say-on-pay“ adressiert. Jenseits wie diesseits des Atlantik wurde der Aufwärtstrend in der Vergütung der „Top-Manager“ aber nur von Wirtschafts- und Börsenkrisen zwischenzeitlich unterbrochen, während die gesetzlichen Eingriffe bestenfalls keine zusätzlichen Steigerungsimpulse zur Folge hatten.
Die beschriebene Steueränderung in den USA führte beispielsweise dazu, dass eine Umschichtung der Vorstandsvergütung in aktienkursorientierte Komponenten, insbesondere Stock Options, vorgenommen wurde, bei deren Dotierung man die finanzmathematische Unbedarftheit der Aktionäre und völlig unzureichende Veröffentlichungspflichten gandenlos dazu ausnutzte, reduziertes Festgehalt dramatisch zu überkompensieren. Die neunziger Jahre wurden zu einer einzigartigen Bonanza für CEO & Co., die der US-Legislative im Nachhinein so manches stille Danktelegramm gesendet haben dürften. In Deutschland blieben zwar vergleichbare Hebelwirkungen aus, doch vermieden die beschriebenen Änderungen zielsicher wirklich einschneidende Vorschriften für das Vorstandssalär börsennotierter Aktiengesellschaften.
Allerdings wurde im Zeitverlauf das Grundproblem dieser viel beklagten Entwicklung immer deutlicher. Wenn das Gremium, das in Vertretung der zahlenden Eigentümer/Aktionäre mit den Managern deren Vergütung aushandelt, selbst zu einem Gutteil aus aktiven oder ehemaligen Managern besteht, ist die Gefahr einer Selbstreferenz unverkennbar. Mag dies beim deutschen Aufsichtsrat bereits unter dem Motto „eine Krähe hakt der anderen kein Auge aus“ auf der Hand liegen, ist es bei US-Gesellschaften, in denen der CEO zusammen mit den anderen Top-Executives selbst dem Board angehört und wesentlich für dessen Zusammensetzung verantwortlich ist, praktisch unvermeidlich und wird von Kennern der Szene auch schon lange unverblümt formuliert:
“In a system in which CEOs appoint their companies´ directors, most of whom are CEOs, pay is precisely the expression of what CEOs think of themselves.“ [1] Â
Letztlich muss es also darum gehen, dass die zahlenden Eigentümer/Aktionäre ohne selbstreferentielle Störfaktoren einen Interessenausgleich mit ihren höchstbezahlten Angestellten suchen, und damit kommen wir zurück zur eidgenössischen Volksinitiative, deren Hauptanliegen genau dies ist: Die Vergütung des Top-Managements soll über die Versammlung der Aktionäre festgelegt und nicht mehr der Solidarität wohlmeinender Artgenossen überlassen werden. So weit, so gut, aber – war da nicht noch was? Am Tag nach dem Schweizer Volksentscheid las der interessierte Bürger vermutlich mit einigem Erstaunen die Stellungnahme des Vorsitzenden der Regierungskommission „Deutscher Corporate Governance Kodex“, Klaus-Peter Müller. Seit Einführung des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung 2009 sei es bei großen Aktiengesellschaften Normalität, dass die Hauptversammlung das jeweilige Vorstandsvergütungssystem billige (dpa-Medung vom 4.3.2013). Die Regelung, auf die sich Müller bezieht, ist der durch das VorstAG in § 120 eingefügte vierte Absatz:
„ Die Hauptversammlung der börsennotierten Gesellschaft kann über die Billigung des Systems zur Vergütung der Vorstandsmitglieder beschließen. Der Beschluss begründet weder Rechte noch Pflichten; insbesondere lässt er die Verpflichtungen des Aufsichtsrats nach § 87 unberührt. Der Beschluss ist nicht nach § 243 anfechtbar.“
Nun ja, Beschließen ist gut – Beschließen ohne Konsequenzen ist scheinbar besser. Irgendwie hat sich dieses Detail der herrschenden Regelung aber anschließend doch herumgesprochen und Müller sah sich in den Zeitungen der WAZ-Gruppe vom 19.3.2013 dann zu bemerkenswerten Schritten genötigt:
„Ich bin bereit, der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kommission (sic!) vorzuschlagen, eine Ergänzung in den Kodex aufzunehmen, die ab 2014 eine Abstimmung der Hauptversammlung über die Vorstandsvergütung vorsieht und immer dann wiederholt werden muss, wenn es zu wesentlichen Veränderungen bei den Bezügen kommt … Obwohl dies keine rechtliche Verpflichtung bedeutet, wird sich meiner Meinung nach kein Aufsichtsrat erlauben können, ein Mehrheitsvotum, nicht mal ein starkes Minderheitsvotum zu ignorieren.“
Selbst mit dieser Nachbesserung bliebe man in Deutschland indessen hinter dem neuen Schweizer Standard zurück, denn nach ihm soll in Art. 95 Abs. 3 lit. a der Bundesverfassung zukünftig unter anderem stehen:
„Die Generalversammlung stimmt jährlich über die Gesamtsumme aller Vergütungen (Geld und Wert der Sachleistungen) des Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung und des Beirates ab. Sie wählt jährlich die Verwaltungsratspräsidentin oder den Verwaltungsratspräsidenten und einzeln die Mitglieder des Verwaltungsrates und des Vergütungsausschusses sowie die unabhängige Stimmrechtsvertreterin oder den unabhängigen Stimmrechtsvertreter.“
Die Bedeutung von Gremienwohlwollen wird damit dramatisch reduziert – wohlgemerkt durch eine Verfassungsänderung und nicht über ein rechtlich so heterogenes Konstrukt wie einen Corporate Governance Kodex!
Allerdings bleiben angesichts der heute in vielen Gesellschaften vorzufindenden Aktionärsstruktur immer noch Zweifel, ob damit der finale Durchbruch erreicht ist. Wenn eine Aktiengesellschaft A mehrheitlich anderen Kapitalgesellschaften gehört, deren Leitungsgremien dann über die Angemessenheit der Vorstandsvergütung bei A zu befinden haben, findet sich die alles entscheidende Selbstreferenz nur auf neuer Ebene wieder und die Chancen auf eine wesentliche Reduktion der Entlohungsexzesse schwinden unversehens.
Immerhin gibt es einen wichtigen Aktionärskreis, der oft über erhebliches Stimmenpotenzial verfügt und keinen unmittelbaren Gleichlauf der Interessen mit dem zu vergütenden Management aufweist: institutionelle Investoren. Diese erwiesen sich in der Vergangenheit nicht unbedingt als ambitionierte Protagonisten der Eigentümerrechte ihrer Kunden, sollten aber insbesondere dann besser zu disziplinieren sein, wenn ihr Abstimmungsverhalten öffentlicher Kritik und gegebenenfalls Reaktionen ihres Kundenkreises ausgesetzt ist. Insofern könnte sich der unscheinbare Folgesatz der zitierten Änderung des Art. 95 Abs. 3 lit. a der eidgenössischen Bundesverfassung als die eigentliche Bazooka für Änderungen erweisen:
„Die Pensionskassen stimmen im Interesse ihrer Versicherten ab und legen offen, wie sie gestimmt haben.“
Zwar wird mit dieser Formulierung nur ein Teil institutioneller Investoren unmittelbar adressiert, doch sollte der mediale Druck hier tatsächlich ein nicht zu vernachlässigendes Gegengewicht zu einem Mangementdenken bringen, das marktgerechte Entlohnung in eigener Sache zwangsläufig nicht unbefangen dimensionieren kann.
Immerhin hat das Bundeskabinett am 8.5.2013 einen Gesetzentwurf gebilligt, der in weiten Teilen den Forderungen der Volksinitiative gegen die Abzockerei nachempfunden ist. Es bleibt abzuwarten, ob Bundestag und Bundesrat der Initiative zustimmen bzw. welche Veränderungen hier gegebenenfalls zu beobachten sein werden – vor allem, nachdem prominente Top-Manager bereits heftige Kritik an den geplanten Änderungen geübt haben (selbstverständlich nicht aus eigener Betroffenheit, sondern allein aus grundsätzlichen Erwägungen!).
Auch in der Schweiz selbst dreht sich die Aktionsspirale weiter: Eine neue Volksinitiative will die Vergütung von Unternehmensleitern auf das Zwölffache des am niedrigsten entlohnten Mitarbeiters deckeln. Indessen zeigt gerade diese Entwicklung die Gefahr, eine grundsätzlich vernünftige und zunächst erfolgreiche Bewegung durch maßlose Übertreibungen letztlich ihrer Früchte zu berauben. Zwar ist auch der Erfolg dieses neuen Anlaufs nicht auszuschließen, doch wären seine Konsequenzen so absurd, dass das historisch betrachtet zumeist umsichtige Schweizer Wahlvolk seiner Wirtschaft wohl kaum derartige Restriktionen aufbürden wird. Irgendwie hat man dabei fast den Eindruck, dass die seriösen Kräfte von verkappten Agenten der Gegenseite unterwandert werden, damit nach längerem hin und her anstatt nennenswerter Änderungen nur Shakespeares berühmtes „Viel Lärm um nichts“ bleiben wird.
Momentan ist in dieser Debatte freilich nur eines sicher: Fortsetzung folgt!
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