Die Niedrigzinspolitik rettet Banken und lähmt Geld- und Kreditmärkte

Die geldpolitischen Rettungsaktionen der Europäischen Zentralbank sind in eine neue Runde gegangen. Die Europäische Zentralbank hat am 8.5.2013 den Hauptrefinanzierungssatz auf ein neues historisches Tief von 0,5% gesenkt. Die wirtschaftliche Lage in einer wachsenden Anzahl von (möglichen) Krisenländern in der Europäischen Währungsunion soll stabilisiert werden. Ein zeitnaher Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik ist weiter in die Ferne gerückt. Vielmehr zeigen die Abenomics im Fernen Osten ein Verstärkung des expansiven Trends in der globalen Geldpolitik auf. Dort soll die Bank of Japan die Geldbasis nochmals um 100% wachsen lassen.

Die Risiken einer sehr expansiven Geldpolitik in Form von Lohnpreisspiralen, willkürlichen Umverteilungseffekten und einer Destabilisierung von Erwartungen sind weithin bekannt. Darüber hinaus kann eine Niedrig- bzw. Nullzinspolitik fragile Banken zwar retten, aber sie lähmt Geld- und bankbasierte Kreditmärkte. Denn Transaktionen zwischen privaten Akteuren werden durch Transaktionen privater Akteure mit dem Staat substituiert. Die Geld- und Kreditmärkte, die eine wichtige Allokationsfunktion in Marktwirtschaften erfüllen, werden schrittweise verstaatlicht.

Auf dem Geldmarkt wird unter normalen Bedingungen unter Geschäftsbanken kurzfristig Liquidität gehandelt, was die Fristentransformation durch die Geschäftsbanken erleichtert. Diese räumen Unternehmen und Haushalten längerfristige Kreditlinien ein, die jederzeit beansprucht werden können. Reichen zu gewissen Zeitpunkten die liquiden Mittel einer Geschäftsbank nicht aus, um die Kreditvergabeverpflichtungen zu erfüllen, dann kann sie sich kurzfristig auf dem Geldmarkt refinanzieren. Dies ermöglicht ein reibungsloses Kreditgeschäft. Bei funktionierenden Geldmärkten werden die Geldmarkttransaktionen nahe dem Hauptrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank verzinst.

In der Krise sind die Geldmärkte aus zwei Gründen ausgetrocknet (McKinnon 2013, Schnabl 2013). Erstens misstrauen Banken sich, da die Risiken der Geschäftspartnerbanken unbekannt sind. Zweitens sind Geschäftsbanken mit Überschussreserven bei lächerlich kleinen Renditen nicht mehr bereit, auf dem Geldmarkt als Anbieter aufzutreten. Sie legen ihre Reserven lieber sicher bei der Europäischen Zentralbank in der Einlagenfazilität an (wo sie derzeit nicht mehr verzinst werden). Auf der Nachfrageseite könnten zwar Geschäftsbanken mit Liquiditätsbedarf einen höheren Zins bieten, um ein größeres Liquiditätsangebot zu generieren. Doch das würde ein höheres Risiko signalisieren und damit ihre Kreditwürdigkeit unterminieren. Der Geldmarkt ist de facto zusammengebrochen und wurde durch die unbegrenzte Liquiditätszufuhr der Europäischen Zentralbank ersetzt.

Leitzins und Transaktionsvolumen
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Das Zusammenbrechen der Geldmärkte strahlt auf die Kreditmärkte aus. Die Geschäftsbanken müssen aufgrund der verschlechterten Refinanzierungsmöglichkeiten auf den Geldmärkten das Kreditvolumen einschränken. Diese sogenannte Kreditklemme trifft von der Angebotsseite vor allem Klein- und Mittelunternehmen, da deren Kreditausfallrisiko höher ist als das von Großunternehmen oder Staat. Die Zinsen, die von Klein- und Mittelunternehmen für Kredite zu entrichten sind, sind deshalb trotz sehr expansiver Geldpolitik vergleichweise hoch. Hingegen können Großunternehmen den Kapitalmarkt als Finanzierungskanal nutzen und sich direkt über die Ausgabe von Wertpapieren finanzieren. Durch die Niedrigzinspolitik sinken zudem die Finanzierungskosten der Großunternehmen, was diese „in Liquidität schwimmen lässt“ und damit deren Nachfrage nach Bankkrediten von der Nachfrageseite reduziert.

Die zurückgehende Kreditvergabe der Banken an Groß-, Mittel- und Kleinunternehmen wird durch eine steigende Kreditnachfrage des Staates kompensiert, dessen Finanzierungslücken in der Krise steigen. Die Niedrig- bzw. Nullzinspolitik wirkt als Transmissionskanal für steigende Staatsverschuldung, da trotz steigender Schuldenstände die Zinslasten der Regierungen aufgrund sinkender Verzinsung nicht ansteigen. Risikoprämien auf Staatsanleihen werden durch die sehr expansive Geldpolitik komprimiert. Die Substitution der Kreditvergabe an Unternehmen durch die Kreditvergabe an den Staat wird durch die Baselbestimmungen verstärkt, da für Kredite an den Staat weniger oder gar kein Eigenkapital vorbehalten werden muss. Gibt es in der derzeitigen Krise einen Staat, der (wie z.B. Deutschland) die öffentliche Neuverschuldung unter Kontrolle hält, gibt es ausreichend zusätzliche öffentliche Kreditnachfrage von anderen Staaten.

Die Lähmung der Kreditmärkte ist in unterschiedlichen Ländern, unterschiedlich weit fortgeschritten. In Japan, hängt die Kreditvergabe der Geschäftsbanken an Klein- und Mittelunternehmen inzwischen weitgehend von staatlichen Garantien ab (Schnabl 2013). Auch in den USA ist eine Kreditklemme für Klein- und Mittelunternehmen zu beobachten (McKinnon 2013). In Europa ist die Kreditklemme für Klein- und Mittelunternehmen in den Krisenländern deutlich stärker ausgeprägt als in Deutschland, wo viele Banken (insbesondere Sparkassen und Genossenschaftsbanken) über große Einlagenüberhänge verfügen.

Grundsätzlich stören jedoch die Niedrig- bzw. Nullzinspolitiken der großen Zentralbanken (Bank of Japan, Federal Reserve Bank, Europäische Zentralbank, Bank of England) nicht nur die Intermediationsfunktion des Bankensektors. Es wird auch die Allokationsfunktion des Bankensektors ausgesetzt, die bei der Kreditvergabe zwischen Projekten mit hohen erwarteten Renditen und Projekten mit niedrigen erwarteten Renditen unterscheidet. Tendenziell werden private Investitionen durch staatliche Nachfrage ersetzt. Die Grenzleistungsfähigkeit der Investitionen sinkt, das Wachstum wird gelähmt. In Japan hält dieser Trend schon mehr als 20 Jahre an, und Europa scheint zu folgen (Schnabl 2013). Der einzige Weg aus der drohenden Stagnation wäre es, durch das Anheben der Leitzinsen die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte wiederherzustellen. Doch davon ist man derzeit weit entfernt.

Literatur:

McKinnon, Ronald 2013: Fed’s Stimulus Chokes Indirect Finance to SME’s. Central Banking.com 28.3.2013 (Erhältlich hier).

Schnabl, Gunther 2013: The Macroeconomic Policy Challenges of Balance Sheet Recession: Lessons from Japan for the European Crisis. CESifo Working Paper 4249 (Erhältlich hier).

12 Antworten auf „Die Niedrigzinspolitik rettet Banken und lähmt Geld- und Kreditmärkte“

  1. Will Herr Schnabl wirklich behaupten, dass der Interbankenmarkt wieder in Gang käme, wenn die EZB in der jetzigen Situation die Liquiditätszufuhr kappen würde? Sorry, aber hier scheint jemand die Kausalitäten durcheinander zu bringen.

  2. Hallo Jens Scheidner,

    ja, ich denke das meint er. Die Frage ist nur ob es zu einer Re-allokation von staatlicher Nachfrage zu privater Investition dann gibt. Das kann man auch in keinem Modell beschreiben, weil man die individuellen Präferenzen der Marktteilnehmer nicht kennt. Das Problem ist, dass die Marktteilnehmer dem Braten „Währung“ nicht mehr trauen und wenn das Vertrauen verloren gegangen ist, ist auch kein wirtschaftlicher Prozess mehr möglich. Kurz um, wir sind doomed. Das System wird wohl mehr oder minder so weiterlaufen, aber wir begeben uns in eine Zombiegesellschaft.

  3. Ich stimme Herrn Krüger zu, dass ein Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik politisch sehr schwierig ist. Aus dieser Sicht ist die „Zombiegesellschaft“, wie es Herr Krüger nennt, das derzeit wahrscheinlichste Zukunftsszenario. Am Ende die Entwicklung, die bei stagnierendem Wachstum mit wachsenden Verteilungskonflikten verbunden sein dürfte, muss aber die Wiederherstellung der Allokations- und Signalfunktion der Zinsen stehen. Anders kann nachhaltiges Wachstum nicht gesichert werden.

  4. Warum sollte die Allokations- und Signalfunktion von der Hoehe STAATLICH gesetzter Zinsen abhaengen? Das ist das erste Mal dass jemand Zinserhoehungen fuer mehr Wachstum fordert.

  5. Hallo Werner,

    zu erst einmal ist ein höherer Zinssatz eine Restriktion zur Aufnahme von Schulden. Je höher der Zinssatz, desto mehr ökonomische Aktivität muss vorhanden sein um die Verschuldungsgleichung, zumindest, auszugleichen ( was in den meisten Fällen schon schwer genug ist ). Der höhere Zinssatz in unserem Falle bewirkt, dass unsinnige, politische Projekte beendet werden. Somit kommt es zu einer Reallokation von Mitteln, die für den normalen, gesunden ( ja was ist das eigentlich ?! ) Wirtschaftskreislauf notwendig sind. Die niedrigen Zinsen verzerren somit den Allokationseffekt. Sie bewirken eine Zentralisierung von politisch motivierten ( zu meist kurzfristigen ), ökonomischen Aktivitäten. Das ist meiner Meinung nach nichts Neues.

  6. Hallo Herr Krüger,

    genau: „Je höher der Zinssatz, desto mehr ökonomische Aktivität muss vorhanden sein“, bedeutet: wenig ökonomische Aktivität, geringer Zinssatz. Wie auch schon Herr Scheidner festgestellt hat. Es ist eine Frage der Kausalität.

  7. Hallo Werner,

    genau, allerdings müssen wir hier eines beachten. Und das ist etwas das leider die Diskrepanz zwischen realwirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Welt wiederspiegelt. Die niedrigen Zinsen kommen dadurch zu Stande, dass die Bilanzen einiger Sektoren übermäßig verschuldet sind ( natürlich ist das eine Interpretationsfrage, was Solvenz und Insolvenz angeht ). In einem stringenteren „System“ sollte es zu Abschreibungen dieser überschuldeteten Bilanzen kommen. Jedoch hat die POLITIK ein großes Interesse daran, dies zu verhindern. Warum ? Das jetzt alles zu erklären sprengt hier den Rahmen; ist jedoch auf dieser internetseite schon oft genug angemahnt worden ( einfach mal lesen ). Hauptsächlich aber weil ihr dadurch Steuereinnahmen entgehen.

    Was Herr Schnabl meint ist denke ich, dass im positiven Fall ein monetärer Reset erfolgt, in der Bilanzen „bereinigt“ werden. Das bedeutet aber, dass der politische Apparat ( und alles was an ihm und mit ihm verbunden ist ) ins Wanken gerät. Und genau deshalb wird es verhindert, dass der eigentliche ( und bitte entschuldigen Sie wenn ich es so schwammig formuliere ) Bankenprozess nicht in die Gänge kommt. Wir sehen in den USA zum Beispiel, dass nur auf Grund von Verbalakkrobatik der Zentralbank Vermögenspreise bewegt werden. Hat das noch etwas mit Marktwirtschaft zu tun ? Also laut meiner Definition nicht.

    Vielleicht ist es in Zukunft möglich auf dieser Internetseite auch Bilddateien in die Kommentare einzufügen, dann könnte ich das graphisch manipulieren.

  8. Übrigens ist genau diese Art von Politik, die auf eine Festsetzung von Bilanzen bzw. deren Ausweitung setzt, ein wesentlicher Treiber der Vergrößerung von Ungleichheiten. Denn als die Vermögenspreise im Zuge der Bilanzmanipulation steigen, steigt auch die Gesamtverschuldung im System und somit die indirekten Kosten ( die die Zentralbanken übrigens immer als große „Ungewissheit“ in Bezug auf den Faktor Inflation sehen ) für ALLE Marktteilnehmer – monetär gesehen ( no asset without liability ! )

  9. Ich denke, dieser Beitrag hier enthält alles wissenswerte:

    http://www.bis.org/publ/arpdf/ar2013e1.pdf

    Wie ich bereits schrieb ist eines der Probleme der enorme debt-overhang. Wie in diesem einleitenden Beitrag der BIS be- und geschrieben, muss es zu einer Reduktion kommen. Leider sind dies nur Handlungshinweise und ich bin mir nicht sicher, ob die Politik bei einem einbrechen der „Märkte“ nicht doch wieder einschreiten wird; die Geschichte der Zentralbanken jedenfalls lässt daran keinen Zweifel aufkommen.

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