Drei statistische Anmerkungen zur Ebola-Epidemie

Die Ebola-Epidemie in Westafrika verschlimmert sich in diesen Wochen in einem rasanten Maße, sodass uns immer neue Schreckensmeldungen erreichen. Auch die mediale Aufmerksamkeit ist enorm. Sowohl aktuelle Meldungen als auch Hintergrundinformationen findet man täglich an den unterschiedlichsten Stellen. Klar ist dabei, dass die zur Prognose der Krankheitsausbreitung verwendeten statistischen Modelle nicht ausführlich erläutert werden können. Dies scheint auch für die breite Öffentlichkeit nicht nötig zu sein. Es ist allerdings erstaunlich, dass einige ganz elementare, aber zentrale mathematische und statistische Aspekte kaum genannt werden, die zum Verständnis der Situation beitragen können. Drei davon werden im Folgenden aufgegriffen.

Schätzung der Todesrate

Zu den Auswirkungen der Krankheit auf die Infizierten ließ sich zuletzt Unterschiedliches vernehmen. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die Datengrundlage wegen der unübersichtlichen Situation schlecht ist. Die Weltgesundheitsorganisation WHO etwa schätzt, dass ca. 70% der Infizierten die Krankheit nicht überleben. Es tauchen andererseits auch immer wieder weit niedrigere Zahlen von deutlich unter 50% auf, die aber nicht einfach dadurch zustande kommen, dass eine unterschiedliche Datengrundlage betrachtet wird. Stattdessen liegt der Ursprung in einer fehlerhaften Berechnung: Es wird nämlich einfach zur Schätzung der Todesrate zu einem Zeitpunkt die Anzahl der Toten ins Verhältnis zur Anzahl der Neuinfizierten gesetzt. In Zeiten, in denen sich die Krankheit nicht ausbreitet, ist dies auch eine sinnvolle Kennzahl, nicht jedoch, wenn die Zahl der Neuinfizierten jede Woche zunimmt. Da der Tod nicht sofort nach der Infektion eintritt, vergleicht man in diesem Fall die Toten, die sich meist schon lange vorher infiziert hatten, mit allen Infizierten, von denen viele sich erst unmittelbar zuvor mit der Krankheit ansteckten. Dadurch erhält man bei fortgesetzter Ausbreitung der Epidemie automatisch eine deutlich zu niedrige Schätzung der Todesrate, die aber immer wieder ihren Weg in die Medien findet.

Angst vor Ebola-Helfern

„Die meisten Menschen sterben im Bett. Für ein langes Leben sollten Sie also Betten meiden!“ Scherzhaft werden Vorschläge wie dieser immer wieder in Zusammenhang mit Statistik genannt, um zu verdeutlichen, dass aus einem beobachteten statistischen Zusammenhang noch lange keine sinnvolle Aussage über Ursache und Wirkung abgeleitet werden kann. Trotzdem lassen sich in der Wissenschaft und den Medien fast wöchentlich Beispiele finden, bei denen solche Fehlschlüsse vorschnell begangen werden. Auch aufgeklärte Menschen halten Korrelationen oft für Kausalzusammenhänge, vor allem wenn weitergehende Informationen fehlen. Vor diesem Hintergrund sind auch einige Meldungen der letzten Wochen aus den Ebolagebieten in Westafrika besser zu verstehen. Es wurde etwa gemeldet, dass in Teilen der lokalen Bevölkerung eine große Angst vor den Helfern herrsche. Teilweise wurden sogar Verwandte und Bekannte gewaltsam aus Isolierstationen befreit. In den meisten westlichen Medien wurden diese Meldungen mit größtem Unverständnis aufgenommen. Der Hintergrund für dieses Unverständnis erklärt sich aber auch in unseren Erfahrungen mit einem modernen Gesundheitssystem und unser Vertrauen in dieses. Fehlen aber solche Erfahrungen, so erscheint das Verhalten gar nicht mehr so irrational. Die Beobachtungen vor Ort sind nämlich oft folgende: Gehen Menschen mit Symptomen wie Fieber zu den Isolierstationen, so stirbt der größte Teil von denen, die dort aufgenommen werden. Von denjenigen hingegen, die nicht aufgenommen, sondern nach Hause geschickt werden, geht es vielen nach einigen Tagen schon wieder besser. Natürlich liegt dies daran, dass Ebolainfizierte in die Isolierstationen aufgenommen werden, und Patienten, die z.B. nur eine Grippe haben, nicht. Was liegt aber für die mit einem modernen Gesundheitssystem nicht vertraute Bevölkerung vor Ort näher, als an häufig todbringende Auswirkungen der Behandlung in den Isolierstationen zu denken.

Ein ganz ähnliches Phänomen zeigt sich bei den Helfern in ihren Schutzanzügen: Diese tauchen in aller Regel gerade dort auf, wo Ebola besonders drastisch wütet. Die Vorstellung, dass die Krankheit von den Helfern mitgebracht wird, erscheint damit keineswegs absurd. Diese Beispiele zeigen, wie wichtig neben der konkreten medizinischen Hilfe gerade die Aufklärung über das Vorgehen zur Seuchenbekämpfung ist.

Exponentielles Wachstum heißt nicht immer schnelles Wachstum

Natürlich sind die Modelle zur Prognose der zukünftigen Ausbreitung von Ebola sehr komplex und schlecht in wenigen Worten zu erklären. Bei vielen dieser Modelle geht man aber – zumindest für einen gewissen Zeitraum – von einem exponentiellen Wachstum aus. Dies wird so auch in den Medien dargestellt. Bei vielen Menschen ist das Wort „exponentielles Wachstum“ dabei einfach mit „schnellem Wachstum“ assoziiert. Das ist natürlich auf lange Sicht auch nicht falsch, führte aber bei der Betrachtung von Ebola in der Anfangsphase vielleicht gerade in die Irre. Der absolute Anstieg der Zahl der Ebolainfizierten in den ersten Monaten der Epidemie ist nämlich nicht so rasant verlaufen, wie es der Name exponentielles Wachstum vielleicht vermuten lässt. Konkret lässt sich dieses verdeutlichen, wenn im Rahmen eines Modells angenommen wird, dass ein Ebolainfizierter binnen drei Wochen knapp 2 weitere Menschen mit der Krankheit anstecken wird, sofern er nicht rechtzeitig isoliert wird. Abbildung 1 stellt die Entwicklung unter einem derartigen – natürlich stark vereinfachten – Modell dar, wobei für den Startzeitpunkt Anfang Mai 2014 von 50 Ebolainfizierten ausgegangen wird.

Ebola 1
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Es zeigt sich, dass die Zahlen, basierend auf der Modellrechnung, sehr gut mit den Angaben der WHO zu der Anzahl der Infizierten, abhängig von der Zeit, übereinstimmen. Die Zahl der Infizierten zu Anfang der Epidemie verharrt dabei viele Monate auf einem äußerst niedrigen Niveau. So überschritt diese Zahl erst Anfang August 2014 die 1.000er Grenze. Lange war Ebola also schon in allen Medien, ohne dass das Problem wirklich bedrohliche Ausmaße annahm. Ein solch moderater Anstieg der absoluten Zahlen zu Beginn ist für viele Zeitungsleser vielleicht schwer mit dem bedrohlich wirkenden Begriff des exponentiellen Wachstums in Einklang zu bringen. Zwischen Anfang September und Ende Oktober 2014 stieg die Zahl der Infizierten dann von etwa 2.000 auf 14.000 – die Weltgemeinschaft war zunehmend alarmiert.

Das weitere exponentielle Wachstum führt dann allerdings tatsächlich dazu, dass sich die absolute Zahl der Infizierten sehr schnell weiter steigert, wie die zweite Abbildung verdeutlicht. Etwa zum Jahreswechsel würde die 100.000er Grenze überschritten und bereits Mitte März 2015 wären etwa 1 Mio. Menschen mit dem Virus infiziert. Eine einfache deterministische Fortschreibung als Exponentialfunktion ist natürlich mit großer Vorsicht zu betrachten. Es ist aber schon an diesem einfachen Modell deutlich ersichtlich, dass eine Eindämmung der Epidemie zu einem späten Zeitpunkt enorm aufwendige Maßnahmen erfordern würde.

Ebola 2
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Ein exponentielles Wachstum im Falle der Ebola-Epidemie hat also zwei Seiten: Zu Anfang verharrte die absolute Zahl der Infizierten sehr lange auf einem niedrigen Niveau. Über viele Monate schien die Epidemie doch eher beherrschbar, da es nur wenige Infizierte gab. Dann allerdings führt das exponentielle Wachstum dazu, dass binnen relativ kurzer Zeit auch die absolute Entwicklung der Zahl der Infizierten bedrohliche Ausmaße annimmt. In dieser Phase befinden wir uns derzeit. Wenn es nun nicht gelingen sollte, die Epidemie einzudämmen, könnte Ebola tatsächlich schon in kurzer Zeit viele hunderttausend Erkrankte zur Folge haben.

Björn Christensen und Sören Christensen
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