Die griechischen Wähler haben sich entschieden. Sie sagen mit großer Mehrheit Nein zu einem von ihnen als ungerecht empfundenen Vorschlag ihrer Gläubiger aus dem Rest der Eurozone, der weitere Unterstützungsgelder im Austausch gegen die Durchführung von Reformen anbot. Was viele Wähler als Sieg der Demokratie gegen ausländische Unterdrückung empfinden, wird sich jedoch als Pyrrhussieg herausstellen. Hierfür gibt es vor allem drei Gründe.
Erstens sind Griechenlands Probleme durch das Referendum nicht gelöst. Das Land ist weiterhin fast vollständig von den internationalen Kapitalmärkten abgeschnitten und hängt am Tropf der Europäischen Zentralbank, deren Unterstützung hart an der Grenze einer eigentlich verbotenen Staatsfinanzierung liegt. Dies kann ein Referendum nicht ändern, auch wenn es die Verhandlungsposition der Regierung demokratisch zu legitimieren hilft. Auch wenn es sich mancher anders erhoffen mag, ist es ist es doch ebenso eine demokratisch legitimierte Entscheidung, wenn ein Investor sich entschließt, einem bankrotten Staat kein weiteres Geld zu leihen.
Dies gilt, zweitens, umso mehr, wenn der Investor vermuten muss, dass die Verwendung seiner Mittel – trotz einer bereits bestehenden enormen Schuldenlast – vor allem in den (Staats-)Konsum und nicht in Investitionen fließen wird. Die Geschichte lehrt, dass dies die Rückzahlung erheblich ungewisser werden lässt. Da das Referendum durch diejenigen entschieden wurde, die sich erhoffen, dass der Status quo bewahrt werden könne, und die Regierung dies offenbar umzusetzen versucht, kann niemand ernsthaft erwarten, dass Griechenland allzu bereitwilligen Beistand auf den Kapitalmärkten finden wird. Dies wird die Lage weiter verschlimmern, denn schon zuletzt fehlte das Geld für soziale Sicherung an allen Ecken und Enden. Bei den heimischen Reichen kann es jedenfalls nicht geholt werden, da diese ihr Geld längst aus dem Land gebracht haben und auch immer noch über reichlichen politischen Einfluss verfügen.
Umso schlimmer ist das Signal, das das Referendum damit an diejenigen im Land schickt, die in erster Linie dagegen waren. Dies war vor allem die junge, oftmals sehr engagierte Generation, die die Hoffnung auf substanzielle Reformen im eigenen Land nun endgültig aufgeben muss. Weil sie nichts mehr zu gewinnen hat, wird sie weiter und sogar verstärkt in die dynamischere Regionen im Rest der Eurozone abwandern und ein Land von Rentiers hinterlassen, das sich selber immer weniger finanzieren kann – auch und gerade durch das Vergraulen seiner jungen und innovativen Nachkommen.
All dies wäre aus Sicht der Referendumsbefürworter und der griechischen Regierung nicht weiter schlimm, wenn – drittens – die Hauptgläubiger Griechenlands, also der Rest der Eurozone, bereit wären, an der Stelle privater Investoren Griechenland weiterhin mit den nötigen Mitteln zur Aufrechterhaltung des Status quo zu versorgen, etwa über die europäischen „Rettungsschirme“.
Mancher hat die griechische Regierung für ihre Chuzpe und ein gewisses taktisches Geschick in den Verhandlungen bewundert, mit der das Land die Eurozonenpartner vor sich hergetrieben und immer neue Zugeständnisse erreicht hat. Mit dem Referendum jedoch hat die Regierung einen entscheidenden Fehler begangen. Anstatt die reicheren Länder Europas zu weiteren Zugeständnissen zu verleiten und irgendwann ein einigermaßen erträgliches Reform- und Rettungspaket abzuschließen, das die nationalen Interessen von (und Kosten für) Jung und Alt in etwa ausgleicht, hat sie die bisher überall in der EU sorgsam vermiedene große Umverteilungsfrage in Europa gestellt. Wenn unter Bezug auf die nationale politische Legitimität die berechtigten Interessen der Partner und Gläubiger ebenso wie das Kräftespiel des Marktes bewusst ignoriert werden, dann setzt dies voraus, dass man sich de facto bereits in einer Umverteilungsunion wähnt, in der Staatsschulden gemeinsam getragen werden.
Tatsächlich sind die reicheren Länder Europas aus politischem Selbsterhalt jedoch nur bereit, Solidarität zu üben (durchaus auch dann, wenn sie kostspielig ist), sie werden sich jedoch aus gutem Grund jedem Versuch verweigern, Umverteilung europaweit zu institutionalisieren. Ein einfaches Nein zum Einklang von Haftung und Kontrolle, wie es viele Griechen in der Hoffnung auf ein Weiter-so erteilt haben, akzeptieren sie nicht, weil es dem moralischen Risiko Vorschub leistet und sehr wahrscheinlich daheim auch Wählerstimmen kostet. Die geschlossene Front der Ablehnung des griechischen Vorgehens bei den politisch Verantwortlichen im Rest der Eurozone macht dies sehr deutlich und zeigt das ultimative Scheitern der bisherigen Strategie der griechischen Regierung. Statt eine umfassende europäische Umverteilung zu institutionalisieren, von der vor allem Griechenland profitieren würde, steht diese nun – wenn auch demokratisch legitimiert – mit leeren Händen da.
Wie genau vor diesem Hintergrund die Zukunft Griechenlands aussehen wird, ist offen, jedoch ist das Schlimmste zu befürchten. Momentan deutet vieles darauf hin, dass Griechenland sich durch das Referendum zum zwar stolzen, aber verarmten Paria in der Europäischen Union gemacht hat.
- Bundesfinanzkriminalamt ante portas
Geht es den Geldwäschern nun an den Kragen? - 30. August 2023 - UkraineBraucht das Land einen „neuen Marshallplan“? - 23. Juni 2023
- Kurz kommentiert
Lob des Unverpackten - 8. Januar 2023
Lieber Tim,
Sehr erhellender Beitrag – ich bin allerdings etwas unsicher, ob wir es wirklich mit einem „Fehler“ der griechischen Regierung im Sinne irrationalen Verhaltens zu tun haben.
Tsipras hat einen grundlegenden – nicht zuletzt auf WiF immer wieder beschriebenen – institutionellen Konstruktionsfehler der Eurozone erkannt und nutzt ihn gnadenlos aus. Mit dem manipulativen Referendum – in dem er die griechischen Wähler in eine klassische expressive policy trap hat laufen lassen (vgl. Schnellenbach/Schubert EJPE 2015) – versucht er, jenen zweiten Schuldenschnitt zu erzwingen, der aus ökonomischer Sicht auch sinnvoll wäre, WENN zugleich dringend notwendige institutionelle Reformen in Griechenland angegangen würden. Diesseits einer politischen Union in Europa verfügen seine Verhandlungspartner aber kaum über hinreichende Hebel, derlei Reformen durchzusetzen. Wenn Alexis Tsipras‘ Präferenz darin besteht, seine Wiederwahlwahrscheinlichkeit unter myopischen Wählern zu maximieren (d.h.: anstrengende Reformen vermeiden, Schuldenschnitt herbeiführen), ist sein bisheriges Verhalten zynisch, erpresserisch, kurz: moralisch fragwürdig, aber politökonomisch gesehen kaum irrational.
Mit anderen Worten: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“ wird mit Fug und Recht der gemeine griechische Bürger urteilen, aber kaum sein derzeitiger Premier. Der faule Kompromiss, der am kommenden Sonntag vermutlich herauskommt, wird sich in Athen erneut als „Sieg“ verkaufen lassen. Zumal Tsipras klug genug ist, den Bogen nicht so weit zu überspannen, dass am Ende tatsächlich der Grexit kommt. Denn das bedeutete auch den sofortigen Tsiprexit.
Beste Grüße,
Christian
Herr Krieger, Sie schreiben, dass vor allem die junge Generation in Griechenland gegen das Referendum gewesen sei.
„Umso schlimmer ist das Signal, das das Referendum damit an diejenigen im Land schickt, die in erster Linie dagegen waren. Dies war vor allem die junge, oftmals sehr engagierte Generation, die die Hoffnung auf substanzielle Reformen im eigenen Land nun endgültig aufgeben muss. Weil sie nichts mehr zu gewinnen hat,…“
Haben Sie für diese Aussage auch Belege? Die bisherige „Rettungspolitik“ hat bekanntlich zu einer Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 50% geführt. Die Mehrheit der jungen Generation hatte also faktisch bereits nichts mehr zu verlieren. Woher Sie die Info haben, dass die mehrheit der jungen Griechen für die Pläne der Troika waren, interessiert mich wirklich sehr.
@kontrabass: Es ist richtig, dass zahlreiche junge Menschen in Griechenland entweder aus schierer Verzweifelung oder weil man als junger Mensch zu linken Positionen neigt, Syriza unterstützt haben. Jedoch sollte man sich darüber klar sein, dass ein nicht unerheblicher Teil der jungen griechischen Bevölkerung längst nicht mehr in Griechenland lebt, so dass diese Wahrnehmung der jungen Generation von Griechen verzerrt sein dürfte. Seit Jahrzehnten wandern die hochqualifizierten jungen Griechen aus dem Land ab (man schaue sich z.B. einmal die Economics Departments englischer Universitäten an), weil ihnen daheim jegliche Perspektive fehlt. Nicht wenige dieser Menschen sind sogar über das Wochenende nach Griechenland geflogen, um im Referendum mit „Ja“ zu stimmen. Mit der letztendlichen Ablehnung der Reformpläne der Gläubiger wird es nun für die verbliebenen jungen Griechen im Land immer enger und ihr persönlicher Grexit immer wahrscheinlicher. Einen interessanten Artikel hierzu bietet übrigens der Economist: http://www.economist.com/blogs/freeexchange/2015/07/personal-grexits?fsrc=scn/tw/te/bl/st/shouldistayorshouldigonow.
Herr Krieger, vielen Dank für Ihre Antwort. Ihr Hinweis auf die „Auslandsgriechen“ und den Economist-Artikel sieht für mich leider nach einem Ablenkungsmanöver aus. Ein Beleg für Ihre These ist leider weit und breit nicht zu entdecken, es scheint mir vielmehr so, dass nun auch Sie eher vom Gegenteil ausgehen, nämlich dass „die Jungen Griechen“ gegen die Politik der Troika und für das Referendum waren. Wie dem auch sei, meiner Meinung nach sollte man eine derartige Behauptung nicht aufstellen, wenn man keine Belege hat nur weil Sie vielleicht gut in das eigene Narrativ passt.