… lautet der Titel der Juli-Ausgabe 2015 von „DIHK-Schlaglicht Wirtschaftspolitik“ (nachfolgend „SW“). Die Studie präsentiert die Ergebnisse einer Umfrage unter mehr als 12.000 Unternehmen zu den Auswirkungen der Niedrigzinspolitik auf ihr Geschäft. Rund drei Viertel der befragten bzw. gut 9.000 Unternehmen gaben eine Einschätzung ab, welche die Basis für die Analysen des DIHK zu den Konsequenzen für die betriebliche Altersvorsorge bildet bzw. anders formuliert: Sämtliche nachfolgend genannten Prozentwerte sind auf diese antwortenden Unternehmen bezogen.
Letztlich wird hier ein Thema adressiert, das Experten schon lange als eines der zentralen Probleme langfristiger Minimalzinsen proklamiert hatten. Neben Banken, Lebensversicherungen und „normalen“ Ansparprozessen gilt hier die betriebliche Altersversorgung als potenzieller Brandherd von erheblichem Ausmaß.
Dies liegt daran, dass die Unternehmen ihren Mitarbeitern Zusagen über im Ruhestand fließende Zahlungen machen, deren aktueller Wert entsprechend vom bis dahin geltenden Zinsniveau abhängt. Je niedriger das Zinsniveau, um so höher der Wert der Verpflichtungen, welche die Unternehmen schultern müssen. Obwohl bereits vor der Jahrtausendwende oft Neuzusagen nur noch „beitragsorientiert“ erfolgten und damit das Risiko bis zur Auszahlung erzielbarer Renditen auf die Arbeitnehmer verlagert wurde, machen die „leistungsorientierten“ Zusagen, bei denen feste bzw. nach festgelegtem Muster wachsende Betriebsrenten vereinbart sind, mittlerweile in vielen Bilanzen einen erheblichen Anteil der Passiva aus und summieren sich über die gesamte deutsche Volkswirtschaft auf deutlich über 300 Milliarden Euro (Quelle: Pensions-Sicherungs-Verein). In der DIHK-Umfrage sehen sich insgesamt 31 Prozent der antwortenden Unternehmen von steigenden Pensionsrückstellungen betroffen, vgl. SW, S. 3 f.
Blendet man biometrische Risiken aus, welche in früheren Jahren die Ursache für die Umstellung von leistungs- in beitragsorientierte Zusagen waren, sind die eingegangenen Verpflichtungen finanziell mit einem Bündel sehr lange laufender Kredite zu vergleichen, bei denen nicht Banken, sondern die Arbeitnehmer als Gläubiger „ihres“ Unternehmens fungieren. Im Prinzip hat man es daher mit einem Zinsänderungsrisiko zu tun, wenn die Duration der finanzierten Aktiva von derjenigen solcher Versorgungszusagen abweicht. Wird das Risiko wegen sinkender Zinsen schlagend, kommt es zu entsprechenden Nachteilen für die betroffenen Unternehmen, die wiederum Konsequenzen daraus ziehen. Die vom DIHK besonders herausgestellte Konsequenz rückläufiger Investitionen ist dabei nur dann zu befürchten, wenn es zu Finanzierungsengpässen kommt. Entsprechend geben im Durchschnitt aller Größenklassen nur 10 Prozent der Unternehmen eine steigenden Pensionsrückstellungen folgende Reduktion ihrer Investitionen an, vgl. SW, S. 5, wobei über alle Branchen immerhin 37 Prozent als einen Grund dafür den steigenden Fremdkapitalanteil durch (ökonomisch und handelsrechtlich höher zu bewertende) Pensionsrückstellungen nennen, vgl. SW, S. 6.
Diesen „Mismatch“ hat man über Jahrzehnte aus verschiedenen Gründen akzeptiert. Einer war die fiskalische Begünstigung durch den Ansatz eines festen Diskontierungszinses von 6% in der Steuerbilanz gemäß Â§ 6a EStG. Die Zeiten gemessen daran höherer Zinsen sind indessen schon länger vorbei und der vormalige Vorteil hat sich entsprechend in einen Nachteil verkehrt, weil die ökonomische und die im letzten Jahrzehnt geänderte handelsrechtliche Aufwandsantizipation nicht mehr voll steuerlich angesetzt werden kann. Dies wird über alle Branchen von 82 Prozent der Unternehmen, die ihre Investitionen reduzieren, als ein Grund hierfür genannt, vgl. SW, S. 7 f. Damit schätzt man die steuerliche Belastung als wichtiger als das unmittelbare Wachsen der finanziellen Verpflichtungen ein und die DIHK-Studie geizt in der Folge nicht mit Forderungen nach einer Änderung des fiskalischen Status quo, den man in Zeiten höherer Zinsen freilich nicht adressiert hatte!
Jenseits dieses Wandels der Vorteilhaftigkeit erweist sich der angebliche systematische Fehler der starren Zinsregelung des § 6a EStG indessen nur bei einer einseitigen Betrachtung der Unternehmensseite als relevant. Auf Systemebene ist nämlich immer die Besteuerung auf der anderen Seite der jeweiligen wirtschaftlichen Transaktion zu berücksichtigen, was steuerlich als Korrespondenz oder Korrespondenzprinzip bezeichnet wird, vgl. Posch/Knoll (2002). Vorliegend ist die andere Seite der von einer Pensionszusage begünstigte Arbeitnehmer und das bedeutet eine klare Korrespondenzlücke, weil dieser nach der Überschussrechnung besteuert wird und deshalb keine Aktivierung seiner Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung vornimmt. Auf Systemebene führt diese Konstruktion gegenüber einer Sofortauszahlung von Arbeitsentgelt und anschließender „normaler“ i.S.v. nicht anderweitig steuerlich begünstigter Anlage durch den Arbeitnehmer immer zu einem Barwertvorteil, vgl. ebd. Dieser Vorteil sinkt naturgemäß mit fallendem Zinsniveau, weil der Diskontierungseffekt immer kleiner wird.
Nun wird durch die „Zinsfestschreibung“ des § 6a EStG wie von der DIHK beklagt eine für den Vermögensvergleich als Einkünfteermittlung normale Aufwandsantizipation partiell verhindert und dies kann grundsätzlich sogar auf Systemebene wegen unterschiedlicher Steuersätze der betroffenen Parteien zu einer „Überbesteuerung“ gegenüber der Alternative „Direktentgelt und anschließende Anlage“ führen. Damit es in der Zusammenschau von Unternehmen und Arbeitnehmer dazu kommt, muss der Steuersatz bei den Unternehmen (durchgerechnet bis auf die Anteilseignerebene) indessen deutlich höher als bei den Arbeitnehmern sein, denn die Minderverzinsung ist jeweils als geeignet bestimmter Durchschnitt über die gesamte Arrangementlaufzeit der betriebliche Altersversorgung zu bestimmen und es gab ja auch höhere Zinsen und wird sie eines Tages vermutlich auch wieder geben.
Wenn dieser Tag länger auf sich warten lässt, werden die originären Belastungen aus Pensionszusagen über fiskalische Effekte hinaus allerdings für viele Unternehmen eine existenzielle Größenordnung annehmen. Die Niedrigzinspolitik der EZB würde dann zu besonderen Ursache-Wirkungs-Schleifen im institutionellen Rahmen der betrieblichen Alterversorgung Deutschlands führen: Wurde in den siebziger Jahren des letzten Jahrhundert der Pensions-Sicherungs-Verein gegründet, um für die Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung eine besondere Insolvenzsicherung zu schaffen, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Pensions-Sicherungs-Verein, würden sich diese Ansprüche zukünftig in ihrer Bedeutung für die Entstehung von Insolvenzen geradezu potenzieren und damit die Wurzel für weiteren Besicherungsbedarf schaffen. Steuerliche Aspekte sind hier zwar nicht irrelevant, sollten aber allgemein angegangen werden, denn der Dualismus der Einkünfteermittlung führt nicht nur im Bereich der betrieblichen Altersversorgung zu gefährlichen Irritationen, vgl. neben Posch/Knoll (2002) auch http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=10900 und http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=15308.
Literatur:
DIHK: Pensionsrückstellungen im Niedrigzinszeitalter, DIHK-Schlaglicht Wirtschaftspolitik, Juli 2015.
Posch, I./Knoll, L.: Steuerliche Korrespondenz, in: WiSt WirtschaftswissenÂschaftliches Studium, 31. Jg. (2002), S. 596-598.
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