Trotz Draghis Brechstange, der Investitionsboom bleibt aus!

Seit mehr als einem Jahr liegt der Leitzins der EZB mit 0,05 % auf einem historischen Tiefpunkt. Die Bilanz der Europäischen Zentralbank wird immer weiter aufgeblasen. Die Europäische Zentralbank will mit der extremen Niedrigzinspolitik Investitionen und Wachstum begünstigen. Dies soll die Nachfrage steigern und die Inflationsrate wieder in die Nähe ihres Zielwertes von 2% bringen (Constâncio 2015). Bisher ohne Erfolg. Mit mit der heutigen Entscheidung des Rats der Europäischen Zentralbank wird deshalb noch mehr Geld in die Finanzmärkte gepumpt. Mario Draghi versucht es mit der Brechstange!

Können Investitionen und Wachstum dann endlich wiederbelebt werden? In der Theorie ist der wichtigste Transmissionskanal von der Geldpolitik zu den Investitionen der Zins: Drückt die Zentralbank die kurzfristigen (realen) Zinsen, dann sinken entsprechend der Erwartungshypothese auch die langfristigen (realen) Zinsen.[1] Mit der unkonventionellen Geldpolitik drückt die Zentralbank durch den Ankauf von Staatsanleihen die langfristigen Zinsen direkt. Durch die niedrigeren Finanzierungskosten erscheinen auch Investitionsprojekte mit geringerer erwarteter Rendite rentabel, die bei höheren Zinslasten nicht durchgeführt worden wären. Zudem macht die Geldpolitik den Zugang zu Krediten leichter, weil durch die Geldpolitik die Gewinne wachsen[2] und der Wert von Sicherheiten steigt.

Mit der Senkung des Leitzinses gegen Null und durch den immensen Ankauf von Staatsanleihen sind die Finanzierungskosten in Deutschland deutlich gesunken. Mussten Unternehmen im September 2008 noch im Durchschnitt rund 6% Zinsen für einen Kredit zahlen, sind es sieben Jahre später nur noch knapp über 2% (EZB 2015). Auch der Kreditzugang hat sich für Unternehmen in Deutschland seit der Finanzkrise deutlich entspannt. Lediglich 14,9 % der Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft waren im Oktober 2015 der Meinung, die Kreditvergabe sei restriktiv. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise Mitte 2009 waren es noch 45% (Ifo 2015).

Historisch gute Kreditkonditionen, von denen Unternehmen in anderen Euro-Ländern nur träumen können, sollten eigentlich die beste Voraussetzung für mehr Investitionen sein. Glaubt man. Doch hier endet die Erfolgsgeschichte von Mario Draghi. Auch sieben Jahre nach Beginn der Niedrigzinspolitik halten sich die Unternehmen in Deutschland mit Investitionen zurück. Der Anteil der Bruttoinvestitionen der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften am Bruttoinlandsprodukt lag 2008 noch bei 12,7%. 2014 waren es nur noch 10,5% (vgl. Abbildung). Woran liegt das?

Die Gründe sind vielfältig. Zum einen wird die Bedeutung der Finanzierungskosten für Investitionsentscheidungen überschätzt. Schon Keynes hatte die Rolle von subjektiven Faktoren für unternehmerische Entscheidungen betont. Unsicherheit und trübe Ertragserwartungen lassen die Zinselastizität der Investitionen sinken (Keynes 1936). Bei gleich großer Zinssenkung, wird nun weniger investiert. Bei Unsicherheit hinsichtlich der Absatzperspektiven warten die Unternehmen lieber ab (z.B. Bloom et al. 2007).

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Für Keynes lag die Lösung auf der Hand: Wenn die privaten Investitionen schwächeln, muss der Staat einspringen. Der Juncker Plan – ein 315 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm – ist Krisenpolitik á la Keynes. Ob dies die Investitionen in Deutschland ankurbeln wird, ist mehr als unsicher. Dazu braucht man viel Vertrauen in einen positiven Multiplikatoreffekt der öffentlichen Nachfrage. In Japan, das seit den frühen 1990er Jahren in einer Dauerkrise steckt, versuchte man durch umfangreiche staatliche Investitionsprojekte die Konjunktur wiederzubeleben. Man hat das Land mit einem Netz aus Autobahnen, Hochgeschwindigkeitszugstrecken, Tunnels und neuen Universitätsgebäuden überzogen. Die Staatsverschuldung ist auf 245% des Bruttoinlandsprodukts gestiegen; eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung ist aber ausgeblieben. Dafür ist der Druck auf die Zentralbank gestiegen, die Zinsen niedrig zu halten, um den Zinsdienst des Staates einigermaßen erträglich zu halten.

Hayek (1931) hat mit Blick auf die sehr expansive Geldpolitik in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise bereits in den 1930er Jahren argumentiert, dass eine Strategie des billigen Geldes nicht aussichtsreich ist. Denn sie lähmt Investitionen und Wachstum. Strukturelle Verzerrungen, z.B. im Bausektor, die im Boom vor der Krise durch billiges Geld erzeugt wurden, werden nicht mehr bereinigt. Außerdem wird die Lenkungsfunktion der Zinsen außer Kraft gesetzt, die Investitionen mit hoher erwarteter Rendite von Investitionen mit schwacher Rendite trennt. Die Krise, so Hayek (1931:6), könne nicht mit den Mitteln bekämpft werden, die die Krise ausgelöst hätten:

„To combat the depression by a forced credit expansion is to attempt to cure the evil by the very means which brought it about; because we are suffering from a misdirection of production, we want to create further misdirection.“

Hayeks (1931) Gedanken zur Weltwirtschaftskrise können wie folgt auf die heutige Krise übertragen werden: Vor der Krise hat das billige Geld der EZB maßgeblich zu den Übertreibungen in den heutigen Krisenländern beigetragen. (Damals bescherte das billige Geld der Welt die Goldenen Zwanziger.) Seit Ausbruch der europäischen Finanz- und Schuldenkrise verleiten die geringen Zinsen die Banken dazu, Kredite für Investitionsprojekte weiterzuführen, die nicht mehr gewinnbringend sind. Schumpeters schöpferische Zerstörung – Altes muss zerstört werden, damit Neues entstehen kann – bliebt aus. Da die Produktionsfaktoren in unrentablen Sektoren gebunden bleiben, können viele neue, möglicherweise renditeträchtige Investitionsprojekte nicht realisiert werden. Zudem haben die geldpolitischen Rettungsaktionen negative Anreizeffekte: Anlagen im Finanzsektor wirken lukrativer als Sachinvestitionen, weil das billige Geld der Zentralbanken als Krisentherapie die Vermögenspreise unvermeidlich nach oben treibt. Es ist aus Sicht der Unternehmen rational, Sachinvestitionen durch Finanzinvestitionen zu ersetzen.

Japan ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass billiges Geld die Wachstumsdynamik lähmt. Zombie-Banken, die am Tropf der Zentralbank hängen, finanzieren Zombie-Unternehmen (Schnabl 2015). Die Zombie-Unternehmen stellen ihr tägliches Bemühen um Innovation und Produktivitätsgewinne Stück für Stück ein. In Korea wird die Anzahl der Zombieunternehmen inzwischen gezählt. Nach Angaben der Zentralbank können 3295 Unternehmen ihre Zinszahlungen nicht mehr aus den Gewinnen bestreiten. Doch Produktivitätsgewinne sind die Grundlage für reale Lohnerhöhungen breiter Bevölkerungsschichten und damit deren Kaufkraft. Da die Produktivitätsgewinne zurückgehen, sinkt auch der Spielraum bei den Lohnverhandlungen. Sinkende Reallöhne für breite Bevölkerungsschichten sind in vielen Ländern bereits die harte Realität. Erwarten die Unternehmen aber eine immer weiter sinkende Kaufkraft der Haushalte, machen auch Kapazitätsausweitungen keinen Sinn. Es wird weniger investiert.

Das ist ein Teufelskreis! Es ist deshalb Zeit, die unkonventionelle Geldpolitik der EZB (und anderer Zentralbanken) zu überdenken. Weniger Käufe von Staatsanleihen und höhere Zinsen sind gefragt. Erst dann wird der Anreiz zu Finanzmarktspekulationen gesenkt und produktive Sachinvestitionen lohnen wieder!

Referenzen:

  1. Bloom, Nicholas; Bond, Stephen; van Reenen, John 2007: Uncertainty and Investment Dynamics. Review of Economic Studies 74 (2), pp. 391–415.
  2. Constâncio, Vítor 2015: Monetary policy challenges in the euro area, Speech at the Annual Conference of the Marshall Society. Cambridge, 31 January 2015.
  3. EZB 2015: Cost of Borrowing Non-Financial Corporations.
  4. Hayek, Friedrich August von 1931: Prices and Production. Routledge and Kegan Paul, London.
  5. Keynes, John Maynard 1936: The General Theory of Employment, Interest and Money. Macmillan Cambridge University Press, London.
  6. Schnabl, Gunther 2015: Wege zu einer stabilitäts- und wachstumsorientierten Geldpolitik aus österreichischer Perspektive. Universität Leipzig Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Working Paper 139.

Fußnoten:

[1] Der langfristige Zins entspricht dem geometrischen Mittel der erwarteten kurzfristigen Zinsen.

[2] Vor allem sinken die Kosten für Fremd- und bei steigenden Aktienpreisen auch von Eigenkapital.

12 Antworten auf „Trotz Draghis Brechstange, der Investitionsboom bleibt aus!“

  1. Wenn man sich einmal daran errinnert, dass geldpolitische Maßnahmen an sich ( jedenfalls in den entwickelten Ländern) nur zur kurzfristigen Konjunkturglättung vorgesehen waren, sind sie doch jetzt Intensivstation unlimited verkommen. Ein Unternehmer will seinen eigenen Organismus erweitern und nicht den Staat( hier die Staatsverschuldung ) wachsen sehen. Sobald er das aber sieht wird er misstrauisch, da er weiss, dass die privaten Rechte, die ihm durch den Souverän irgendwann einmal gegeben wurden, dann auch wieder beschnitten werden können, falls der Staat es nicht auf die Reihe bekommt. Denn durch die Stabilisierungsmaßnahmen profitieren nur die größten Spieler am Markt, die die größte Marktmacht haben ( und die mit der Regierung im Bett sind ). Dann kommt es zu den bekannten Crowding-Out Effekten. Das ganze ist ein Rezept zum Untergang.

  2. Noch ein Nachtrag zum Thema Geldpolitik: schaut man sich die amerikanische Zentralbank an, die ja letztlich den Takt vorgibt, muss man sich doch folgendes fragen: es wird immer wieder gesagt, dass sich die Ökonomie in den USA auf einem positivem Wachstumpfad befindet. Ist es dann nicht so, dass der Zins schon VOR der konjunkturellern Erholung angehoben werden müsste um dann am Ende des Zyklus eine RESERVE, so wie der Name es ja sagt, Reserve Bank, zu haben, um wiederum gegen zu steuern ?? Und was macht man dann nächstes oder in 2Jahren wenn der Zyklus wieder kippt ? Da bleibt nur eine Alternative: endlose geldpolitische Orgien.

  3. The hole in Juliane Gerstenberger und Gunther Schnabl argument is the lack of Euros to repay anything in meaningful amounts.
    Deleveraging is currently ongoing in Eurozone and the outcome is general deflation.
    The ECB and the discount window operations cannot create new credit only recycle or reallocate what already exists. Its balance sheet expands because private sector balance sheets shrink by equal amounts in Eurozone. Keep in mind that the ECB are collateral constrained.
    What would end the madness of the rationing scheme and the credit crisis in Eurozone it would be the addition of more Euros or other form of liquidity. Oh wait, there is no EU federal government or European Treasury to provide Euros.
    The Japanese can borrow at low rates with debt/GDP ratio of 245% because there is a bid. In contrary, because there is no European bid the likes of Reinhart and Rogoff can pronounce a death sentence on Italy’s debt/GDP ratio of 100+% even though such a thing is irrelevant to a sovereign.
    The only one who can provide Euros are the national govts. and the private sector. The nat. govts and the private sector are in the middle of a deleveraging process.
    As for real consequences youth unemployment in Italy,Spain,Portugal and Greece is in the 40-60 % range. That is Great Depression level conditions destroying tens of millions of lives.

  4. Yes, the problem is also that they simply dont give a shit any longer. They have given up. To explain to the public that the programs that the ECB has innitiated are working and therefor to imply even more measures is out of mind. They are just trying to save their asses.

  5. „Da die Produktionsfaktoren in unrentablen Sektoren gebunden bleiben, können viele neue, möglicherweise renditeträchtige Investitionsprojekte nicht realisiert werden.“
    (…)
    „Sinkende Reallöhne für breite Bevölkerungsschichten sind in vielen Ländern bereits die harte Realität. “

    Zinsen im Sinkflug, Löhne angeblich auch – ja wo sind denn dann die Produktionsfaktoren knapp? Rettungsanker Immobilienmarkt? Selberbauen ist aufgrund niedriger Zinsen & Löhne immer noch sehr günstig.

    Wie es scheint, hakt die Argumentation der Autoren ein wenig. Vielleicht würde es helfen, die Zusammenhänge einmal in einem Modell zu untersuchen.

    Übrigens, die Daten von Friedman & Schwartz (1963) zeigen etwas ganz anderes als „die sehr expansive Geldpolitik in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise…“(Hayek (1931))

  6. Ja, das Problem ist, dass das gesamte originäre Modell ( also alle Komponenten – vom optimalen Kapitalstock, über die Budgetrestriktionen der einzelnen nationalen Bilanzkomponenten von privaten und staatlichen Instanzen, über die Zinssätze, über das nunmehr ineffektive Währungssystem ), welches an den Universitäten gelehrt wird ( also das neoklassische vs. keynesianisches ) über Jahrzehnte hinweg mehr oder weniger durch makroprudentielle Aktionen zerstört worden ist. Es bestreitet doch niemand, dass durch total perverse Anreizstrukturen im System ( hiermit meine ich hauptsächlich die Risikoübernahme durch den Staat ), die meisten Wirkungsketten schlicht nicht mehr funktionieren.

    Man darf nicht vergessen, dass die meisten Finanzintermediäre, die ja eigentlich die Funktion der Risikoverteilung im privaten System übernehmen sollen, durch restriktive Auflagen in den westlichen Ländern ( Eigenkapitalvorschriften und Auflagen zur Übernahme von staatlichen Risiken ) überhaupt keine Möglichkeiten mehr haben am Markt aktiv zu sein. Weshalb haben wir denn Bankensterben ? Ja, natürlich ist man „over-banked“, aber durch die Niedrigzinspolitik haben sie letztlich ihre Bedeutung verloren.

    Zum Thema Eigenheim als Rettungsanker kann man eigentlich nur folgendes sagen: hast Du 2007 nicht Zeitung gelesen ? Was glaubst Du, warum wir eine Hypothekenkrise gehabt haben ?

    Die Bilanzen müssen bereinigt werden und das ist eigentlich niemandem normal zu erklären, weil es zu Dingen führen würde, die ich hier nicht ansprechen will und kann. Aber eigentlich ist es klar worauf es hinausläuft … .

  7. Dann erkläre uns doch bitte weshalb es keinen positiven realen Zins mehr gibt, trotz positiver Entwicklung.

  8. Sehr geehrte Sybille,

    die Arbeiten von Friedman und Schwarz sowie die Schlussfolgerungen von Bernanke zur Weltwirtschaftskrise waren sicherlich aus Sicht der USA interessant und hilfreich. Ich denke dennoch, dass sie nicht ausreichend sind, dass man das Nachdenken über die Sinnhaftigkeit maßloser geldpolitischer Rettungsaktionen vollkommen aussetzt. Ebenso ist die Idee, dass ökonomische Zusammenhänge erst durch die Modellbildung an Wahrheit gewinnen, im der derzeitigen Lage nicht zielführend. Der Output einer Volkswirtschaft (pro Kopf) wird nicht nur durch die Menge der eingesetzten Produktionsfaktoren bestimmt, sondern auch durch die Art und Weise, wie diese eingesetzt werden. Dieser Zusammenhang wird in den meisten Modellen leider nur bedingt berücksichtigt.

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