Andrea Nahles im Regulierungswahn
Schlechte Zeiten für Zeitarbeit und Werkverträge

„Only an intellectual would believe such nonsense, no ordinary person would be such a fool.“ (George Orwell)

Die Arbeitsministerin hat einen klaren Plan. Im Visier hat sie die ungeliebte Agenda 2010. Die will sie schleifen. Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Reformen der Schröder-Ära sollen abgewickelt werden. Das hat sie sich im Koalitionsvertrag von roten und schwarzen Sozialdemokraten schriftlich geben lassen. Die Rente mit 63, die „reiche“ Facharbeiter begünstigt, war ihr Gesellenstück. Der gesetzliche Mindestlohn, der arme Arbeitnehmer benachteiligt, war ihr Meisterstück. Zur Arrondierung sollen nun Zeitarbeit und Werkverträge reguliert werden. Damit erfüllt sie einen Herzenswunsch ihres ehemaligen Arbeitgebers. Für den neuen Vorsitzenden der IG Metall, Jörg Hofmann, steht die Eindämmung des Missbrauchs von Zeitarbeit und Werkverträgen weit vorne auf seiner Agenda.

Der Referentenentwurf

Seit Mitte November liegt ein Referentenentwurf des Ministeriums für Arbeit und Soziales vor. Allerdings hat ihn das Bundeskanzleramt gestoppt und zur Überarbeitung an das Arbeitsministerium zurückgeben. Geplant war (und ist), Zeitarbeit und Werkverträge neu zu regulieren. Mit der Agenda 2010 wurde die Zeitarbeit dereguliert. Der Streit darüber ist nicht neu. Die Tarifvertragsparteien schätzen beide Instrumente unterschiedlich ein. Bei den Gewerkschaften ist die Angst groß, dass sie einen Druck auf die Löhne ausüben und reguläre Arbeit verdrängen. Das sehen die Arbeitgeber anders. Zeitarbeit ist ein Instrument, flexibler auf eine volatilere wirtschaftliche Umwelt zu reagieren. Werkverträge sind eine Möglichkeit, die zunehmende Arbeitsteilung besser zu nutzen.

Der Referentenentwurf zur Zeitarbeit sieht vor, die Höchstdauer der Überlassung auf 18 Monate zu begrenzen. Damit ist eine längere Beschäftigung eines Zeitarbeitnehmers in ein- und demselben Einsatzbetrieb nicht mehr möglich. Die Tarifvertragsparteien in der Einsatzbranche können diese Regelung allerdings mit einer Öffnungsklausel aushebeln. Solche Öffnungsklauseln sollen für nicht-tarifgebundene Einsatzbetriebe (OT-Mitglieder) nicht möglich sein. Daneben soll der Lohn der Zeitarbeiter spätestens nach 9 Monaten dem der Stammbelegschaft entsprechen. Die Phase kann sich auf 12 Monate verlängern. Das ist allerdings nur in Einsatzbetrieben möglich, für die die Arbeitgeber der Zeitarbeitsbranche tarifliche Branchenzuschläge für Zeitarbeiter vereinbart haben.

Der Koalitionsvertrag hat den Spielraum für eine regulierende Reform der Werkverträge erheblich eingeschränkt. Damit kann der Wunsch der Gewerkschaften, bei Werkverträgen ein Mitspracherecht zu bekommen, nicht in Erfüllung gehen. Der Referentenentwurf sieht aber vor, die Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat zu erweitern. Bisher fordert das Betriebsverfassungsgesetz, dass der Betriebsrat über Dauer und Ort der Werkvertragsbeschäftigten informiert wird. Künftig soll sich die Informationspflicht auch auf die Arbeitsaufgabe erstrecken. Vorgesehen ist daneben, trennscharf zwischen Stammbelegschaft und Werkvertragsbeschäftigten zu unterscheiden. Das soll anhand von 8 Kriterien geschehen. Der bürokratische Aufwand ist erheblich.

Reform der Zeitarbeit?

Die Meinungen zur Zeitarbeit gehen auseinander. Unbestritten ist, die wirtschaftliche Volatilität ist in Zeiten der Globalisierung größer geworden. Unternehmen müssen möglichst flexibel auf das unsicherere wirtschaftliche Umfeld reagieren. Das ist notwendig, wenn sie nicht wirtschaftlich Schiffbruch erleiden wollen. Unternehmen können mit Preisen (Löhnen) oder Mengen reagieren. Gesetzliche und soziale Mindestlöhne schränken allerdings die Flexibilität bei den Löhnen ein. Das gilt vor allem für einfache Arbeit. Ein strenger Kündigungsschutz verhindert flexible mengenmäßige Anpassungen an exogene Schocks. Verstärkte Zeitarbeit und vermehrte Werkverträge sind eine Antwort der Unternehmen auf einen quasi-fixen Faktor Arbeit in Zeiten größerer wirtschaftlicher Unsicherheit.

Die Gewerkschaften fürchten, dass Zeitarbeit reguläre Arbeit verdrängt. Empirische Ergebnisse stützen die Angst nicht. Der Median-Zeitarbeitnehmer befindet sich gerade einmal 3,4 Monate in der Zeitarbeitsbranche. Arbeitnehmer nutzen die Zeitarbeit offensichtlich als Überbrückung und nicht als langfristiges Arbeitsverhältnis. Ein weiterer Befund ist: Die Hälfte der Zeitarbeit erfolgt zusätzlich zur regulären Beschäftigung. Von einer konsequenten Verdrängung kann nicht die Rede sein. Auch die Sorge der „Lohndrückerei“ durch Zeitarbeit ist unbegründet. Zeitarbeit findet vor allem in Betrieben mit flachem Lohnprofil statt. Dort spielt die Dauer der Betriebszugehörigkeit keine Rolle. Einfache Arbeit dominiert. Zeitarbeitnehmer werden in diesen Betrieben beim Lohn nicht systematisch diskriminiert.

Es ist nicht weiter erstaunlich, dass Zeitarbeitnehmer eine viel unstetigere Erwerbsbiographie haben als Arbeitnehmer der Stammarbelegschaft. Die vorgeschlagene Reform einer kürzeren Überlassungsdauer der Zeitarbeitnehmer und der „Equal Pay“-Regelung verstärkt allerdings dieses Problem noch. Mit der schnelleren Lohnangleichung verteuert sich Zeitarbeit. Das Angebot an solchen Arbeitsplätzen geht zurück. Daneben verringert die kürzere Überlassungsdauer die Möglichkeit für den Zeitarbeitnehmer, mehr Humankapital zu akkumulieren. Beides verringert die Chancen, den Sprung in eine reguläre Beschäftigung zu schaffen. Die Empirie zeigt, die gegenwärtige Regelung der Zeitarbeit erhöht die Chance auf eine reguläre Beschäftigung. Sie steigt mit der Dauer der Zeitarbeit. Noch wirkt die Zeitarbeit als Brücke in eine reguläre Beschäftigung.

Reform der Werkverträge?

Auch Werkverträge sind umstritten. Ihre Bedeutung wird allerdings in einer Welt verstärkter internationaler Arbeitsteilung weiter zunehmen. Immer öfter sind Unter-nehmen auf externe Expertise angewiesen. Schon die Globalisierung hat dazu beigetragen, dass der Produktionsprozess arbeitsteiliger geworden ist. Die Digitalisierung wird dieser Entwicklung einen weiteren kräftigen Schub verleihen. Erfolgreiche Unternehmen sind noch mehr als bisher schon gezwungen, ihre Teams der eigenen Beschäftigten um externe Mitarbeiter zu ergänzen. Nur so können sie international wettbewerbsfähig werden oder bleiben. Die Politik sollte deshalb die Regulierung auf den Arbeitsmärkten so gestalten, dass auch die Werkverträge die internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht behindern.

Die Gefahr, dass reguläre Arbeit verdrängt wird, ist bei Werkverträgen in der Regel noch geringer als bei Zeitarbeit. Die Klientel der Zeitarbeit sind eher geringqualifizierte Arbeitnehmer. Das ist bei Werkverträgen grundsätzlich anders. Es handelt sich zumeist keineswegs um prekäre Arbeitsverhältnisse. Die Arbeitnehmer in Werkverträgen sind im Schnitt überdurchschnittlich gut qualifiziert. Entsprechend hoch ist auch ihr Einkommen. Da sie oft als externe Spezialisten von den Unternehmen eingekauft werden, um temporär mit der Stammbelegschaft zusammenzuarbeiten, gefährden sie deren Arbeitsplätze nicht. Sie tragen ganz im Gegenteil dazu bei, dass heimische Unternehmen international wettbewerbsfähiger werden. Damit helfen sie, die Arbeitsplätze der Stammbelegschaft sicherer zu machen.

Es ist grundverkehrt, Werkverträge unter den Generalverdacht des Missbrauchs zu stellen. Sie werden als wichtiges Instrument in einer verstärkt arbeitsteiligen Welt mehr denn je gebraucht. Der völlig untaugliche und unsinnige Versuch, Werkvertragsarbeitnehmer trennscharf von der Stammbelegschaft abzugrenzen, wird ein kostspieliges bürokratisches Monster schaffen. Als abschreckendes Beispiel sollte der krachend gescheiterte Versuch dienen, bürokratisch festzustellen, wer scheinselbständig ist. Im Jahre 2003 hat man den Fehler eingesehen und den Versuch abgebrochen. Die Kosten von Werkverträgen werden steigen, das Angebot wird sinken, Unternehmen können weniger flexibel auf Veränderungen reagieren, die Arbeitsplätze der Stammbelegschaft werden unsicherer.

Fazit

Der Regulierungswahn des BMAS muss ein Ende haben. Mit der Rente mit 63 und dem gesetzlichen Mindestlohn hat es genug Unheil angerichtet. Es braucht keine neue Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen. Der vorgelegte Referentenentwurf ist so unnötig wie ein Kropf. Andrea Nahles kämpft unbeirrt weiter gegen die beschäftigungspolitisch erfolgreiche Agenda 2010. Leidtragende der „neuen“ Zeitarbeit sind Geringqualifizierte, die Schwächsten am Arbeitsmarkt. Auch international tätige Unternehmen, die Jobmotoren gut bezahlter Arbeitsplätze, verlieren. Sie leiden unter den „neuen“ Werkverträgen. Das alles ist weder effizient noch gerecht. Es ist allerhöchste Zeit, die arbeitsmarktpolitischen Geisterfahrer im Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu stoppen.

 

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