„A Roman Emperor is asked to judge a contest between two singers. After hearing the first contestand sing, the Emperor awards the prize to the second singe runder the assumption that surely the second cannot be worse than the first.“ (Peter J. Boettke und Douglas B. Rogers)
In der (Modell)Welt (vieler) Ökonomen dominiert Marktversagen. Überall auf Märkten sehen sie allokative und distributive Mängel. Nicht nur Ökonomen, auch Politiker, Interessenverbände und (immer mehr) Wähler fordern, marktliche Unvollkommenheiten staatlich zu korrigieren. Tatsächlich sind die Effizienzverluste realer Märkte eher gering. Dagegen ist die (reale) Welt voll von effizienzverschlingenden politischen Eingriffen in ökonomische Märkte. Auch politische Märkte sind unvollkommen (hier). Die Ergebnisse sind oft ineffizient, Interventionen breiten sich wie Ölflecke aus. Vielfältige kostspielige Interventionsspiralen zersetzen die Märkte. Staatsversagen dominiert Marktversagen. Das geschieht öfter als (marktkritische) Ökonomen annehmen. Nicht selten verschlimmbessern staatliche Eingriffe die Ergebnisse unvollkommener ökonomischer Märkte.
Interventionsspiralen
Was begünstigt unvollkommene ökonomische Märkte? Externe Effekte, Marktmacht, unvollkommene Informationen sind mögliche Kandidaten. Sie mindern die allokative Effizienz. Distributive „Mängel“ kommen hinzu. Marktergebnisse werden oft als „ungerecht“ empfunden. Einkommen und Vermögen sind ungleich verteilt. Staatliche Eingriffe sollen nicht nur allokative, sie sollen auch distributive Mängel korrigieren. Das Problem ist: Die Politik operiert oft am offenen Herzen der Marktwirtschaft, dem Preismechanismus. Ihn versucht sie zu korrigieren. Dabei läuft sie allerdings Gefahr, kostspielige Interventionsspiralen in Gang zu setzen. Der Ölfleck einer Intervention breitet sich aus (Ludwig von Mises). Die Politik „löst“ oft Probleme, die sie selbst verursacht hat.
1. Beispiel: Mindestlöhne und Lohnsubventionen
Gesetzliche Mindestlöhne sind ein Klassiker wenn des darum geht, den Preismechanismus auf den Arbeitsmärkten zu korrigieren. Mit Mindestlöhnen will der Staat helfen, die Einkommen geringqualifizierter Arbeitnehmer zu erhöhen. Das Problem ist, Mindestlöhne setzen Geringqualifizierte einem höheren Risiko der Arbeitslosigkeit aus. Dem versucht die Politik entgegenzuwirken, indem sie, wie etwa in Frankreich, Lohnsubventionen an Unternehmen gewährt, damit sie Geringqualifizierte einstellen. Eine Intervention löst eine andere aus. Allokative Ineffizienzen werden verstärkt. Die distributiven Ziele werden meist trotzdem nicht erreicht. Marktlöhne und eine Aufstockung durch die Grundsicherung wären effizienter und gerechter.
2. Beispiel: Bürgergeld und „Arsch-Hoch-Prämie“
Alle reichen Länder haben eine Grundsicherung. Die Systeme der Grundsicherung sollen helfen, Armut zu vermeiden. Wo umverteilt wird, leidet die wirtschaftliche Effizienz, das ist eine Binsenweisheit. Ein hohes Leistungsniveau und hohe Transferentzugsraten verringern die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Das gilt vor allem für Arbeitnehmer mit großen Familien. Immer wieder wird vorgeschlagen, die staatlich verursachten negativen Arbeitsanreize der Grundsicherung mit einer staatlichen Prämie für eine Arbeitsaufnahme zu korrigieren. Der sinnvollere Weg ist allerdings, die negativen Arbeitsanreize des Bürgergeldes zu korrigieren. Eine Rückkehr zu Hartz-IV und eine bessere Integration der (über 500) Transfersysteme wäre effizienter.
3. Beispiel: Mietpreisbremse und sozialer Wohnungsbau
Die Mietpreisbremse ist ein beliebtes Instrument der Wohnungspolitik. Vor allem in (größeren) Städten ist es auf dem Vormarsch. Einkommensschwachen Mietern soll geholfen werden. Eine Mietpreisbremse ist aber wenig treffsicher. Sie wirkt eher wie eine verteilungspolitische Schrottflinte. Vor allem aber verschärft sie den Mangel an Wohnungen, da weniger gebaut wird. Der Staat versucht, diesen Mangel auf die Schnelle mit einem höheren Wohngeld, längerfristig mit dem Bau von Sozialwohnungen zu verringern. Das ist ein kostspieliger, wenig treffsicherer Weg. Sinnvoller wäre es, auf Mietpreisbremsen zu verzichten, die Mieten freizugeben und das Wohngeld effizienter zu gestalten, um einkommensschwachen Haushalten wirksamer zu helfen.
4. Beispiel: Mietpreisbremse und Regionalförderung
Mietpreisbremsen setzen eine weitere, oft wenig beachtete Interventionsspirale in Gang. Sie spielen auf dem flachen Land keine große Rolle, wohl aber in wachsenden urbanen Zentren. Eine gesetzliche Obergrenze für Mieten bremst in Städten den Anstieg der Mieten. Mieten in größeren Städten werden erschwinglicher. Das verstärkt die Abwanderung vom Land in die Stadt. Dort fehlen Unternehmen die Arbeitskräfte. Kommunen fordern finanzielle Hilfen, um wirtschaftlich abgehängte Landstriche wieder zu besiedeln. Die Politik hilft mit Regionalförderung. Auch in diesem Fall wäre es sinnvoller, die Mietpreise nicht durch Höchstpreis einzubremsen, sondern sie freizugeben und sozial mit einem möglichst anreizkompatiblen Wohngeld abzufedern.
5. Beispiel: Rente mit 63 und Aktivrente
Die umlagefinanzierte Gesetzliche Rentenversicherung ist in Schwierigkeiten. Ihr gehen die beitragszahlenden Erwerbstätigen aus. Diese Entwicklung ist altbekannt. Sie gilt es (endlich) zu korrigieren. Die (deutsche) Politik hat in dieser Situation allerdings nichts Besseres zu tun, als mit der Rente mit 63 die Anreize zur Frühverrentung zu stärken. Das Gegenteil ist notwendig. Nun versucht die Bundesregierung, mit der Aktivrente gegen ihr eigenes Verhalten in der Vergangenheit zu steuern. Wer über die reguläre Altersgrenze hinaus arbeitet, kann Teile des Arbeitseinkommens steuerfrei beziehen. Sinnvoller wäre es, die Rente mit 63 abzuschaffen und die reguläre Altersgrenze an die Entwicklung der Lebenserwartung zu koppeln.
6. Beispiel: Preisgarantien und Stützungskäufe
Den Urtyp aller Interventionsspiralen kultiviert die Agrarpolitik. Auf den europäischen Agrarmärkten ist der Marktmechanismus weitgehend ausgeschaltet. Gesetzliche Mindestpreise sollen Landwirten zu einem höheren Einkommen verhelfen. Staatlich garantierte höhere Preise sorgen aber für Überschüsse auf den Agrarmärkten. Nur wenn sie aus dem Markt genommen werden, sicheren gesetzliche Mindestpreise den Landwirten höhere Einkommen. Der Staat kauft die Überschüsse auf. Wird es zu teuer, greift er auch schon mal regulierend ein (Produktionsquoten, Flächenstilllegungen, Abschlachtprämien etc.). Das alles ist wohlstandsvernichtend. Den Bauern wird es erst nachhaltig besser gehen, wenn wieder mehr Markt auf den Agrarmärkten herrscht.
7. Beispiel: Steuern und Subventionen
Das Wagner’sche Gesetz ist eine Konstante in Demokratien. Die Politik hat aus verteilungspolitischen Gründen eine Vorliebe, höhere Einkommen verstärkt zur Kasse zu bitten, um die wachsende Staatsquote zu finanzieren. Das trifft vor allem Unternehmen und Hochqualifizierte. Beide Gruppen sind aber international relativ mobil. Sie wandern ab und/oder erst gar nicht zu. Die Politik versucht, mit Subventionen für Unternehmen entgegenzuwirken. Immer wieder wird auch eine (Steuer)Prämie für gefragte ausländische Fachkräfte diskutiert. Sinnvoller wäre es allerdings, die Staatsaufgaben ständig zu durchforsten, stärker auf weniger effizienzverzerrende Steuern auf immobile Faktoren zu setzen und generell Arbeit und Kapital geringer zu besteuern.
8. Beispiel: Energiewende und Regulierungen
Die „grüne“ Energiewende produziert Interventionsspiralen en masse. Deutschland setzt stark auf das Ordnungsrecht. Das ist oft Planwirtschaft pur. Preissignale werden unterdrückt, Regulierungen wuchern, Verbote werden erlassen (Heizungsgesetz), Energiepreise explodieren. Klimaziele werden trotzdem nicht erreicht. Die Nebenwirkungen (De-Industrialisierung) sind erheblich. Individuen und Unternehmen erhalten staatliche (kreditfinanzierte) Hilfen, oft mit der Gießkanne. Künftige Generationen sind die Dummen. Es ginge auch einfacher und effizienter: Ein europaweites, alle Sektoren umfassendes Emissionshandels-System und ein sozial gerechtes Klimageld. Effizienzverschlingende energiepolitische Interventionsspiralen könnten vermieden werden.
9. Beispiel: Energiekrise und Industriestrompreis
Die Energiepreise steigen. In Zeiten des Klimawandels wird erneuerbare Energie wichtiger. Der Ukraine-Krieg hat zu starken Verwerfungen auf den Energiemärkten geführt. Beides treibt die Energiepreise. Es war ein schwerer Fehler der Politik, eine „grüne“ Energiewende ohne adäquate Systeminfrastruktur einzuläuten. Noch dümmer war es, laufende AKWs abzuschalten und nun auch zu zerstören. Steigende Energiepreise setzen der energieintensiven Industrie stark zu. Die Politik versucht, die Krise, die sie selbst mit verursacht hat, mit (geliehenem) Geld zuzuschütten. Ein Mittel ist der Industriestrompreis. Der Niedergang der Industrie ist dennoch nicht aufzuhalten, die Frage ist nur wie schnell er abläuft. Sinnvoller wäre es, die Klimaziele zeitlich zu strecken, die Energiepolitik kostengünstiger zu organisieren und die Atomkraft als klimaneutrale Energie wieder zu nutzen.
10. Beispiel: Zölle und Devisenmarktinterventionen
Interventionsspiralen treten auch anderswo auf. Donald Trump steht auf Zölle. Mit höheren Zöllen will er die anhaltenden Handelsbilanzdefizite der USA verringern. Damit soll (auch) der Niedergang der Industrie gestoppt werden. Manche träumen sogar von Re-Industrialisierung. Höhere Zölle werten aber den Dollar über kurz oder lang auf. Die künstlich verbesserte Wettbewerbsfähigkeit höherer Zölle erodiert. Diese Entwicklung lässt sich nur aufhalten, wenn es Donald Trump gelingt, die FED zu einer expansiven Geldpolitik zu bewegen. Hat er Erfolg, stünde am Ende der Interventionsspirale eine höhere Inflation. Der Niedergang der Industrie ginge weiter. Wettbewerbsfähig wird man nur im Wettbewerb, nicht gegen ihn. Tarifäre (und nicht-tarifäre) Handelshemmnisse behindern ihn.
Eherne Regel
Das Risiko von Staatsversagen und Interventionsspiralen steigt, wenn die Politik versucht, die Marktergebnisse über direkte Eingriffe in Marktpreise zu korrigieren. Das ist weder effizient noch gerecht. Effizienzverschlingende Interventionsspiralen entstehen oft, weil die Politik eine eherne Regel der Wirtschaftspolitik nicht beachtet: Trenne Allokation und Verteilung. Umverteilung sollte nicht mit der Gießkanne über die Preise, sondern über gezielte, anreizkompatible individuelle Transfers erfolgen. Das ist nicht nur distributiv zielgenauer, es kostet allokativ auch weniger. Mindest- und Höchstpreise sind ineffiziente Instrumente, individuelle Einkommensziele zu erreichen.
Kalkül der Politik
Die Realität sieht anders aus. Direkte Preisinterventionen sind bei der Politik sehr beliebt. Eine Ende ist nicht in Sicht. Vielleicht liegt es daran, dass die Politik auf diesem Weg schnell sichtbare „Erfolge“ erzielen kann. Die Wirkungslosigkeit und die Kosten von Preiskontrollen zeigen sich erst später. Es liegt aber vielleicht auch daran, dass die „Erfolge“ für die breite Masse der Wähler scheinbar „kostenlos“ zu erzielen sind. Bei Höchstpreisen (z.B. Mietpreisbremse), so die irrige Meinung, seien es nur „gierige“ Unternehmer, die belastet werden. Bei Mindestpreisen (z.B. Agrarpreise) werden die Kosten der Intervention des Aufkaufs überschüssiger Agrarprodukte über (kreditfinanzierte) Staatshaushalte verschleiert. Das dicke Ende für die Steuerzahler kommt erst später.
Fazit
Ökonomische Märkte sind nicht vollkommen, staatliche Eingriffe aber auch nicht. Operiert die Politik am offenen Herzen der Marktwirtschaft, dem Preismechanismus, besteht die Gefahr, dass sich der Zustand des Patienten verschlechtert. Staatsversagen dominiert Marktversagen. Die Politik „löst“ oft Probleme, die sie selbst verursacht hat. Vielfältige Interventionsspiralen sind gute Indikatoren. Die sinnvolle Alternative, aus dem Schlamassel allokativer Ineffizienz zu kommen, sind private Märkte: „Markets fail. Use markets“ (Arnold Kling). Diese marktliche Strategie geht aber nur auf, wenn es gelingt, Interventionsspiralen zu entschärfen, die, wie die vielen Schnüre und Stricke bei Gulliver, die Wirtschaft fesseln. Und: Individuelle finanzielle Transfers an Bedürftige müssen die (unvollkommenen) Marktergebnisse sozial abfedern. Das ist der Leitgedanke der Sozialen Marktwirtschaft. Er war schon immer richtig und wird es auch weiter sein.
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