Ordnungspolitischer Unfug (15)
Staatseingriffe und Interventionsspiralen
Märkte sind unvollkommen. Nutzen wir sie!

„A Roman Emperor is asked to judge a contest between two singers. After hearing the first contestand sing, the Emperor awards the prize to the second singe runder the assumption that surely the second cannot be worse than the first.“ (Peter J. Boettke und Douglas B. Rogers)

In der Welt der (meisten) Ökonomen dominiert Marktversagen. Wo es Märkte gibt, sind allokative und distributive Mängel nicht weit. Nicht nur Ökonomen, auch Politiker, Interessenverbände und (immer mehr) Wähler fordern, marktliche Unvollkommenheiten staatlich zu korrigieren. Tatsächlich sind die Effizienzverluste realer Märkte eher gering. Dagegen ist die (reale) Welt voll von effizienzverschlingenden politischen Eingriffen in den Markt. Manche sind ineffizient organisiert, viele lösen kostspielige Interventionsspiralen aus. Staatsversagen dominiert Marktversagen. Das geschieht öfter als (marktkritische) Ökonomen annehmen. Nicht selten verschlimmbessern staatliche Eingriffe die Ergebnisse unvollkommener Märkte.

Interventionsspiralen

Was begünstigt unvollkommene Märkte? Externe Effekte, Marktmacht, unvollkommene Informationen sind mögliche Kandidaten. Sie mindern die allokative Effizienz. Distributive „Mängel“ kommen hinzu. Marktergebnisse werden oft als „ungerecht“ empfunden. Einkommen und Vermögen sind ungleich verteilt. Staatliche Eingriffe sollen nicht nur allokative, sie sollen auch distributive Mängel korrigieren. Das Problem ist: Die Politik operiert oft am offenen Herzen der Marktwirtschaft, dem Preismechanismus. Ihn versucht sie zu korrigieren. Dabei läuft sie allerdings Gefahr, Interventionsspiralen in Gang zu setzen. Der Ölfleck einer Intervention breitet sich aus (Ludwig von Mises), eigentlich ein alter Hut.

Mindestlöhne und Lohnsubventionen

Gesetzliche Mindestlöhne sind ein Klassiker bei den Anschlägen auf den marktlichen Preismechanismus. Mit Mindestlöhnen will der Staat helfen, die Einkommen geringqualifizierter Arbeitnehmer zu erhöhen. Das Problem ist, Mindestlöhne setzen Geringqualifizierte einem höheren Risiko der Arbeitslosigkeit aus. Dem versucht die Politik entgegenzuwirken, indem sie oft Lohnsubventionen an Unternehmen gewährt, damit sie Geringqualifizierte einstellen. Eine Intervention löst eine andere aus. Allokative Ineffizienzen werden verstärkt. Die distributiven Ziele werden meist trotzdem nicht erreicht. Marktlöhne und eine Aufstockung durch die Grundsicherung wären effizienter und gerechter.

Bürgergeld und „Arsch-Hoch-Prämie“

Alle reichen Länder haben eine Grundsicherung. Die Systeme der Grundsicherung sollen helfen, Armut zu vermeiden. Der Zielkonflikt zwischen Allokation und Verteilung ist unvermeidlich. Ein hohes Leistungsniveau und hohe Transferentzugsraten verringern die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Das gilt vor allem für Arbeitnehmer mit großen Familien. Immer wieder wird vorgeschlagen, die negativen Arbeitsanreize der Grundsicherung mit einer staatlichen Prämie für eine Arbeitsaufnahme zu korrigieren. Der sinnvollere Weg ist allerdings, die negativen Arbeitsanreize des Bürgergeldes zu korrigieren. Eine Rückkehr zu Hartz-IV und eine bessere Integration der Transfersysteme wäre effizienter.

Mietpreisbremse und sozialer Wohnungsbau

Die Mietpreisbremse ist ein beliebtes Instrument der Wohnungspolitik. Vor allem in (größeren) Städten ist es auf dem Vormarsch. Einkommensschwachen Mietern soll geholfen werden. Eine Mietpreisbremse ist aber wenig treffsicher. Sie wirkt eher wie eine verteilungspolitische Schrottflinte. Vor allem aber verschärft sie den Mangel an Wohnung, da weniger gebaut wird. Der Staat versucht, diesen Mangel mit dem Bau von Sozialwohnungen zu verringern. Das ist ein kostspieliger, wenig treffsicherer Weg. Sinnvoller wäre es, auf die Mietpreisbremse zu verzichten, die Mieten freizugeben und das Wohngeld effizienter zu gestalten, um einkommensschwachen Haushalten wirksamer zu helfen.

Mietpreisbremse und Regionalförderung

Mietpreisbremsen setzen eine weitere, wenig beachtete Interventionsspirale in Gang. Sie spielen auf dem flachen Land keine große Rolle, wohl aber in urbanen Zentren. Eine Obergrenze für Mieten bremst in Städten den Anstieg der Mieten. Mieten in größeren Städten werden erschwinglicher. Das verstärkt die Abwanderung vom Land in die Stadt. Dort fehlen Unternehmen die Arbeitskräfte. Kommunen fordern finanzielle Hilfen, um abgehängt Landstriche wieder zu besiedeln. Die Politik hilft mit Regionalförderung. Auch in diesem Fall wäre es sinnvoller, die Mietpreise nicht durch Höchstpreis einzubremsen, sondern sie freizugeben und sozial mit einem adäquaten Wohngeld abzufedern.

Rente mit 63 und Aktivrente

Die umlagefinanzierte Gesetzliche Rentenversicherung ist in Schwierigkeiten. Ihr gehen die beitragszahlenden Erwerbstätigen aus. Diese Entwicklung ist altbekannt. Sie gilt es (endlich) zu korrigieren. Die (deutsche) Politik hat in dieser Situation allerdings nichts Besseres zu tun, als mit der Rente mit 63 die Anreize zur Frühverrentung zu stärken. Das Gegenteil ist notwendig. Nun versucht die Regierung, mit der Aktivrente gegenzusteuern. Wer über die reguläre Altersgrenze hinaus arbeitet, kann Teile des Arbeitseinkommens steuerfrei beziehen. Sinnvoller wäre es, die Rente mit 63 abzuschaffen und die reguläre Altersgrenze an die Entwicklung der Lebenserwartung zu koppeln.

Preisgarantien und Stützungskäufe

Den Urtyp aller Interventionsspiralen kultiviert die Agrarpolitik. Auf den europäischen Agrarmärkten ist der Marktmechanismus weitgehend ausgeschaltet. Gesetzliche Mindestpreise sollen Landwirten ein höheres Einkommen verschaffen. Garantiert höhere Preise sorgen aber für Überschüsse auf den Agrarmärkten. Nur wenn sie aus dem Markt genommen werden, sichern Mindestpreise den Landwirten höhere Einkommen. Der Staat kauft die Überschüsse auf. Wird es zu teuer, greift er auch regulierend ein (Produktionsquoten, Flächenstilllegungen, Abschlachtprämien). Das alles ist wohlstandsvernichtend. Den Bauern wird es erst nachhaltig besser gehen, wenn wieder mehr Markt auf den Agrarmärkten herrscht.

Steuern und Subventionen

Das Wagner’sche Gesetz ist eine Konstante in Demokratien. Die Politik hat aus verteilungspolitischen Gründen eine Vorliebe, höhere Einkommen verstärkt zur Kasse zu bitten, um eine wachsende Staatsquote zu finanzieren. Das trifft Unternehmen und Hochqualifizierte. Beide Gruppen sind aber international relativ mobil. Sie wandern ab und/oder erst gar nicht zu. Die Politik versucht, mit Subventionen für Unternehmen entgegenzuwirken. Immer wieder wird auch eine (Steuer)Prämie für gefragte ausländische Fachkräfte diskutiert. Sinnvoller wäre es allerdings, die Staatsaufgaben immer wieder zu durchforsten, stärker auf weniger effizienzverzerrende Steuern auf immobile Faktoren zu setzen und generell Arbeit und Kapital geringer zu besteuern.

Energiewende und Regulierungen

Die „grüne“ Energiewende produziert Interventionsspiralen en masse. Deutschland setzt stark auf das Ordnungsrecht. Das ist oft Planwirtschaft pur. Preissignale werden unterdrückt, Regulierungen wuchern, Verbote werden erlassen (Heizungsgesetz), Energiepreise explodieren. Klimaziele werden trotzdem nicht erreicht. Die Nebenwirkungen (De-Industrialisierung) sind erheblich. Individuen erhalten staatliche, kreditfinanzierte Hilfen, oft mit der Gießkanne. Künftige Generationen sind die Dummen. Es ginge auch einfacher und effizienter: Ein europaweites, alle Sektoren umfassendes Emissionshandels-System und ein sozial gerechtes Klimageld. Effizienzverschlingende energiepolitische Interventionsspiralen könnten vermieden werden.

Energiekrise und Industriestrompreis

Die Energiepreise steigen. In Zeiten des Klimawandels wird erneuerbare Energie wichtiger. Der Ukraine-Krieg hat eine Energiekrise ausgelöst. Beides treibt die Energiepreise nach oben. Es war ein schwerer Fehler der Politik, eine Energiewende einzuläuten, ohne die notwendige Systeminfrastruktur zu haben. Noch dümmer war es, laufende AKWs abzuschalten. Steigende Energiepreise setzen der energieintensiven Industrie stark zu. Die Politik versucht, die Krise mit Geld zuzuschütten. Ein Mittel ist der Industriestrompreis. Der weitere Niedergang der Industrie ist dennoch nicht aufzuhalten, die Frage ist nur wie schnell er abläuft. Sinnvoller wäre es, die Klimaziele zeitlich zu strecken, die Energiepolitik kostengünstiger zu gestalten und die Atomkraft als klimaneutrale Energie wieder zu nutzen.

Zölle und Devisenmarktinterventionen

Interventionsspiralen treten auch anderswo auf. Donald Trump steht auf Zölle. Mit höheren Zöllen will er die anhaltenden Handelsbilanzdefizite der USA verringern. Damit soll der Niedergang der Industrie gestoppt werden. Manche träumen von Re­-Industrialisierung. Höhere Zölle werten aber den Dollar über kurz oder lang auf. Die höhere Wettbewerbsfähigkeit durch höhere Zölle ist dahin. Diese Entwicklung lässt sich nur aufhalten, wenn es Donald Trump gelingt, die FED zu einer expansiven Geldpolitik zu bewegen. Hat er Erfolg, stünde am Ende der Interventionsspirale eine höhere Inflation. Der Niedergang der Industrie ginge weiter. Wettbewerbsfähig wird man nur im Wettbewerb, nicht gegen ihn.

Eherne Regel

Das Risiko von Staatsversagen und Interventionsspiralen steigt, wenn die Politik versucht, die Marktergebnisse über direkte Eingriffe bei den Marktpreisen zu korrigieren. Das ist weder effizient noch ist es gerecht. Effizienzverschlingende Interventionsspiralen entstehen oft, weil die Politik eine eherne Regel der Wirtschaftspolitik nicht beachtet: Trenne allokative Aktivitäten so gut es geht von distributiven. Umverteilung sollte nicht mit der Gießkanne über die Preise, sie sollte über gezielte individuelle Transfers erfolgen. Das ist verteilungspolitisch zielgenauer und kostet allokativ weniger. Mindest- und Höchstpreise sind ineffiziente Instrumente, um Einkommensziele zu erreichen.

Kalkül der Politik

Die Realität sieht anders aus. Direkte Preisinterventionen sind bei der Politik sehr beliebt. Vielleicht liegt es daran, dass sie auf diesem Weg schnell sichtbare „Erfolge“ erzielen kann. Die Wirkungslosigkeit und die Kosten von Preiskontrollen zeigen sich erst später. Es kann aber auch daran liegen, dass die „Erfolge“ für die breite Masse der Wähler scheinbar „kostenlos“ ist. Bei Höchstpreisen (z.B. Mietpreisbremse) seien es nur „gierige“ Unternehmer, die belastet werden. Bei Mindestpreisen (z.B. Agrarpreise) werden die Kosten der Intervention des Aufkaufs überschüssiger Agrarprodukte über (kreditfinanzierte) Staatshaushalte verschleiert. Das dicke Ende für die Steuerzahler kommt erst später.

Fazit

Märkte sind nicht vollkommen, staatliche Eingriffe aber auch nicht. Operiert die Politik am offenen Herzen der Marktwirtschaft, dem Preismechanismus, besteht die Gefahr, dass der Patient kollabiert. Staatsversagen dominiert Marktversagen. Interventionsspiralen sind Indikatoren. Die sinnvolle Alternative, schnell aus dem Schlamassel allokativer Ineffizienz zu kommen, sind private Märkte: „Markets fail. Use markets“ (Arnold Kling). Diese Strategie geht aber nur auf, wenn es gelingt, Interventionsspiralen zu entschärfen, die, wie die Schnüre und Stricke bei Gulliver, die Wirtschaft fesseln. Individuelle finanzielle Transfers an Bedürftige müssen die (unvollkommenen) Marktergebnisse sozial abfedern. Das ist der Leitgedanke der Sozialen Marktwirtschaft. Er ist weiter richtig.

Blog-Beiträge der Serie “Ordnungspolitischer Unfug”

Norbert Berthold: Handelskriege sind leicht zu gewinnen?

Norbert Berthold: So was kommt von sowas. Unternehmer, Lobbyisten und Subventionen

Andreas Freytag: Retten Verbote das Klima?

Norbert Berthold: Energiepreis-Krise, Übergewinne und Hilfspakete. „Neue“ (schuldenfinanzierte) Verteilungspolitik mit der Gießkanne?

Norbert Berthold: „Ramschpreise“, Inflation und Marktwirtschaft. Mindestpreise und Preiskontrollen lösen nicht, sie verschleiern nur

Norbert Berthold: Demographie, Haltelinien und Bundeszuschüsse. Es ist an der Zeit, die Camouflage zu beenden

Norbert Berthold: Der lange Schatten der Alten. Demographie, inter-generative Verteilungskonflikte und Nachholfaktor

Norbert Berthold: Besser oder billiger. Mindestlöhne in Zeiten von Corona

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Norbert Berthold: Deutschland wird leiden. Leistungsbilanzsalden und Strukturwandel

Norbert Berthold: Mietpreisbremse und “Sozialer Wohnungsbau”. Irrwege in der Wohnungspolitik

Norbert Berthold: Noch mehr Steuergelder für die Rente. Hat sich die SPD endgültig aufgegeben?

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