Mindestlöhne auch für Flüchtlinge
So wird das nichts mit der Integration

„Die deutsche Regierung will Arbeitsplätze mit geringer Produktivität möglichst aus Deutschland weghaben.“ (Beat Gygi)

Auf den europäischen Arbeitsmärkten sieht es eher düster aus. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und wird es auch weiter bleiben. Über das Schicksal der europäischen Integration wird auf den Arbeitsmärkten entschieden. Die Zukunft ist nicht rosig. Allein in Deutschland ist alles anders. Die Löhne steigen, die Beschäftigung nimmt zu, die Arbeitslosigkeit sinkt. Aber nicht alle profitieren von dieser Entwicklung gleich. Die größten Gewinne bei den Einkommen fährt qualifizierte Arbeit ein. Dahinter bleiben die Zuwächse an Einkommen einfacher Arbeit spürbar zurück. Diese Entwicklung ist allerdings nicht neu. Sie hält schon seit Mitte der 80er Jahre in Deutschland und Europa an. Weniger qualifizierte Arbeitnehmer verlieren seit langem gegenüber besser qualifizierten Arbeitnehmern. Soziale und gesetzliche Mindestlöhne verschärfen diese Entwicklung weiter.

Flüchtlinge

Eine noch günstige Konjunktur, niedrige Ölpreise und ein weicher Euro übertünchen in Deutschland die beschäftigungsschädliche und ungleichheitsverschärfende Wirkung gesetzlicher Mindestlöhne. Die Aussage von Joachim Möller, dem Direktor des IAB, dass das „Experiment glücklich ausgegangen ist“, ist verfrüht. Der Lakmustest kommt erst noch. Mit dem massenhaften Zustrom von Flüchtlingen seit Mitte des letzten Jahres droht sich das Blatt schneller als befürchtet zu wenden. Noch sind die meisten Migranten auf den deutschen Arbeitsmärkten nicht statistikrelevant. Auch im Jahr 2016 wird das noch nicht voll durchschlagen. Das wird sich ändern, wenn Asylverfahren massenhaft positiv abgeschlossen werden. Dann werden die Migranten auf den Arbeitsmarkt drängen. Ob sie beschäftigt werden oder arbeitslos bleiben, hängt davon ab, ob sich ihr Einsatz für die Unternehmen rechnet. Da die meisten Flüchtlinge über sehr wenig marktverwertbares Humankapital verfügen, müssen die Lohnkosten für die Unternehmen entsprechend niedrig ausfallen.

Das kleine ökonomische Einmaleins der Beschäftigung ist unerbittlich. Entweder die (realen) Löhne entsprechen der niedrigen Arbeitsproduktivität der Flüchtlinge oder die geringe Produktivität passt sich an die höheren (realen) sozialen und gesetzlichen Mindestlöhne an. Nur wenn die Arbeit der Flüchtlinge „besser“ oder „billiger“ wird, haben sie eine Chance, im privaten Sektor beschäftigt zu werden. Ansonsten bleiben sie arbeitslos. Es ist völlig richtig, die Strategie verstärkter Investitionen in marktverwertbares Humankapital zu stärken. Sprach- und Schriftkenntnisse, berufliche Fähigkeiten müssen staatlich gefördert werden. Die Erfahrungen in den Ländern, die in der Vergangenheit viele Flüchtlinge aufgenommen haben, sind allerdings nicht sehr ermutigend. Auf die Schnelle lässt sich die geringe Arbeitsproduktivität kaum nennenswert steigern.

Die Defizite der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind international empirisch vielfach belegt. Sie schafft es meist kaum und schon gar nicht schnell, marktverwertbares Humankapital zu vermitteln. Oft dient die aktive Arbeitsmarktpolitik eher den Interessen einer wuchernden „Arbeitslosigkeitsindustrie“ als den seit langem Arbeitslosen. Das ist nicht nur das Feld der Bundesagentur für Arbeit. Auch die Bildungswerke von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften tummeln sich dort. Sehr effizient agieren sie alle nicht, obwohl das Geschäft für sie finanziell sehr lukrativ ist. Am ehesten lässt sich die Arbeitsproduktivität erhöhen, wenn die oft wenig qualifizierten Flüchtlinge möglichst schnell erwerbstätig werden. Das zeigen die Erfahrungen in den USA, Kanada und Schweden mit Flüchtlingen. Der Mechanismus, der Investitionen in Humankapital und eine höhere Produktivität auslöst, läuft über „learning on the job“.

Mindestlöhne

Und noch etwas bleibt wichtig. Der Großteil der Flüchtlinge hat keine akademische Ausbildung. Nicht akademisch ausgebildete Flüchtlinge haben aber meist keine formale Berufsausbildung, die deutschen Ansprüchen auch nur einigermaßen entspricht. Bis dahin ist es deshalb ein weiter Weg. Nicht nur mangelnde Sprachkenntnisse erschweren ihn. Eine schnelle Beschäftigung könnte das Problem entschärfen. Marktverwertbare Fähigkeiten erlangen Arbeitnehmer meist am Arbeitsplatz selbst. Dazu müssen die Flüchtlinge aber erst einmal einen haben. Das wird ohne Zugeständnisse bei den Lohnkosten nicht möglich sein. Es ist deshalb ökonomisch sehr vernünftig, wenn gefordert wird, die gesetzlichen Mindestlöhne für diese Gruppe von neuen Arbeitnehmern temporär auszusetzen. Auch der Sachverständigenrat hat sich jüngst dafür ausgesprochen.

Dieser Vorschlag steht in der Kritik. Das Hauptargument ist: Gering qualifizierte deutsche Arbeitnehmer würden diskriminiert. Die billigere Arbeit der Flüchtlinge würde deutsche Arbeitnehmer mit geringer Qualifikation arbeitslos machen. Der Widerstand gegen Flüchtlinge würde weiter zunehmen. Politische Verwerfungen wären unvermeidlich. Fremdenfeindliche Parteien würden diese Welle reiten. Das ist nicht ganz falsch, aber nicht zu Ende gedacht. Gelten die hohen gesetzlichen Mindestlöhne für alle und werden sie weiter erhöht, steigt die Arbeitslosigkeit unter (deutschen und ausländischen) Geringqualifizierten mit der Zahl der Flüchtlinge stark an. Die Ansprüche auch der Flüchtlinge an den Sozialstaat über das ALG II („Hartz IV“) werden sprunghaft steigen. Das gilt nicht nur zahlenmäßig, es trifft – wegen der größeren Familien – auch materiell zu. Wieder stehen die Flüchtlinge in der Kritik, weil sie in den deutschen Sozialstaat einwandern.

Es ist richtig: Der lohndiskriminierende Schritt, der Flüchtlinge vom Mindestlohn ausnimmt, erodiert den gesetzlichen Mindestlohn. Und das ist gut so, auch wenn uns Andrea Nahles und die Kartellbrüder auf den Arbeitsmärkten etwas anderes weismachen wollen. Geht die Politik diesen Schritt allerdings nicht, wofür vieles spricht, wird nach dem Angebotsschock der Flüchtlinge noch mehr einfache Arbeit arbeitslos. Mit der explodierenden Arbeitslosigkeit wird auch der soziale Mindestlohn, das ALG II, auf den Prüfstand kommen. Dessen anreizschädliche Wirkungen auf das Arbeitsangebot werden bei größeren Familien voll zu Buche schlagen. Mit einer Reform wird sich die Politik schwer tun. Niedrigere Regelsätze, eine geringere Transferentzugsrate und mehr kommunale Zuständigkeiten sind die wichtigsten Elemente. Sie sorgen für die notwendigen Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Das alles tritt aber nur ein, wenn der gesetzliche Mindestlohn nicht als beschäftigungspolitisches Hemmnis wirkt.

Interventionsspirale

Das ökonomisch und sozial eindeutig Beste wäre, den gesetzlichen Mindestlohn für alle abzuschaffen, zumindest aber, ihn temporär auszusetzen. So ließe sich der massive Flüchtlingsstrom (arbeitsmarkt-)politisch besser verkraften, ohne zwischen EU-Bürgern und Flüchtlingen zu diskriminieren. Flüchtlinge würden in den Arbeitsmarkt und nicht in den Sozialstaat einwandern. Die positiven Wirkungen ließen sich steigern, wenn auch das ALG II anreizverträglicher reformiert würde. Mit diesem politischen Doppelschlag bei (sozialen und gesetzlichen) Mindestlöhnen hätten auch gering qualifizierte deutsche und ausländische Arbeitnehmer wieder bessere Chancen, in Arbeit und Brot zu kommen. Gleichzeitig würde die anreizverträglichere Ausgestaltung der prohibitiven Transferentzugsrate beim ALG II helfen, das Erwerbseinkommen gering qualifizierter Arbeitnehmer zumindest auf das Niveau der Grundsicherung zu hieven.

Die Chancen auf eine Beschäftigung lassen sich für Flüchtlinge auch steigern, wenn das gegenwärtige Verbot der Zeitarbeit in den ersten 15 Monaten fällt. Bis Oktober 2015 waren es noch vier Jahre. Mit dem Instrument der Zeitarbeit ist es möglich, den wichtigen Prozess des „learning on the job“ in Gang zu setzen. Das ist vor allem für die meisten Flüchtlinge ohne formale berufliche Ausbildung und ausreichend marktverwertbares Humankapital von großer Bedeutung. Auf diesem informellen Weg ist es leichter, zumindest eine mittlere Qualifikation zu erwerben. Der Fall des gegenwärtigen Zeitarbeitsverbotes für Asylbewerber ist ein Baustein für eine Brücke in den regulären Arbeitsmarkt. Die Brücke trägt allerdings nur, wenn die von Andrea Nahles geplante regulierungswütige Reform der Zeitarbeit nicht stattfindet und der gesetzliche Mindestlohn fällt.

Geht die Politik diese marktkonformen Schritte nicht, wird es kostspielig. Bleibt bei den (gesetzlichen und sozialen) Mindestlöhnen alles beim Alten, wird einfache Arbeit noch weniger angeboten und nachgefragt. Die Erfahrung zeigt, aktive Arbeitsmarktpolitik ist wenig effizient. Berufsqualifizierende Maßnahmen greifen erst mit großer zeitlicher Verzögerung, wenn überhaupt. Mit wachsender Arbeitslosigkeit unter Flüchtlingen wird die Kritik an der Zuwanderung in den deutschen Sozialstaat (ALG II) wachsen. Fremdenfeindliche Parteien werden weiter Zulauf erhalten. Mit Lohnsubventionen für einfache Arbeit wird die Politik versuchen, die Beschäftigungschancen gering qualifizierter Arbeitnehmer zu verbessern. Frankreich hat es vorgemacht. Mehr staatliche Beschäftigung von Flüchtlingen wird der nächste Schritt sein. Schon schwadronieren die Gewerkschaften mit „sozialen“ (staatlich finanzierten) Arbeitsmärkten. Die Interventionsspirale dreht sich weiter.

Fazit

Das „A und O“ einer erfolgreichen Integration von Flüchtlingen ist eine schnelle und nachhaltige Beschäftigung der Migranten. Ob diese gelingt, hängt davon ab, wie es um Qualität und Preis der Arbeit bestellt ist. Natürlich ist es allemal besser, Flüchtlinge mit mehr marktverwertbarem Humankapital auszustatten. Nur gelingen wird dies auf die Schnelle nicht. Weshalb sich dann Experten, wie Frank-Jürgen Weise, der Chef der Bundesagentur für Arbeit, oder Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln dagegen aussprechen, die Mindestlöhne für Flüchtlinge temporär auszusetzen, so wie es schon bei Langzeitarbeitslosen praktiziert wird, bleibt ein Rätsel. Die Arbeitslosigkeit unter Flüchtlingen wird explodieren. Das wird für uns kostspielig: Ökonomisch, weil der Sozialstaat zur Kasse gebeten wird; integrativ, weil eine Parallelgesellschaft entsteht; politisch, weil fremdenfeindliche Parteien an Einfluss gewinnen.

Blog-Beiträge zur Flüchtlingskrise:

Wolf Schäfer: Migration: Grenzen ziehen oder abbauen?

Thomas Apolte: Soziale Marktwirtschaft 2.0. Ein Zweiter Bildungsweg für Flüchtlinge

Norbert Berthold: Flüchtlingskrise: Europa hat keinen Plan
Vertragsbrüche, Solidarität und Mindestlöhne

Juergen B. Donges: Für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik in der EU

Klaus F. Zimmermann: Die Flüchtlingsfrage neu denken

Norbert Berthold: Wolfgang Schäuble tritt eine Lawine los
„Moderne“ Völkerwanderung als Angebotsschock

Norbert Berthold: Flüchtlingspolitik à la Große Koalition. Eine Chronologie des „organisierten“ Chaos. 3. Update: „Europäische Solidarität auf türkisch“

Jörn Quitzau: Der Flüchtlingsstrom wird das deutsche Demografie-Problem kaum lösen

Dieter Bräuninger, Heiko Peters und Stefan Schneider: Flüchtlingszustrom: Eine Chance für Deutschland

Norbert Berthold: Die „moderne“ Völkerwanderung. Europa vor der Zerreißprobe

Tim Krieger: Grenze zu, Schengen tot (reloaded)

Wolf Schäfer: Migration: Von der Euphorie des Unbegrenzten zur Moral des Machbaren

Thomas Apolte: Chance oder Last? Wie wir die Flüchtlinge integrieren müssen

Razi Farukh und Steffen J. Roth: Wir brauchen eine Bildungsoffensive. Ohne gezielte Unterstützung bleiben nicht nur die Flüchtlinge unter ihren Möglichkeiten

 

2 Antworten auf „Mindestlöhne auch für Flüchtlinge
So wird das nichts mit der Integration

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