Eine sehr eingriffsorientierte Industriepolitik[1], bei der die Förderung oder der Schutz nationaler/europäischer oder sonstiger Champions sowie die Förderung der richtigen Industrie oder Technologie hinsichtlich der Digitalisierung, im Mittelpunkt stehen, scheint in der aktuellen politischen Debatte hoch im Kurs zu stehen. Überlagert wird diese Debatte nur von der Debatte um die korrekte Klimapolitik, die nicht zuletzt durch die Fridays for Future-Bewegung und Wahlerfolge der Grünen bei der EU-Parlamentswahl befeuert wird.
Beiden Diskussionen – es sei hinzugefügt, dass es sich um sehr wichtige Debatten handelt – ist gemein, dass sie von einer gewissen Hektik, man kann meinen Hysterien, geprägt sind und es manchmal so aussieht, dass das Handeln an sich und nicht das Ergebnis des Handelns zwingend im Vordergrund steht. Im Bereich der Industriepolitik legte Bundeswirtschaftsminister Altmeier Anfang des Jahres eine Industriestrategie vor, die darauf abzielt, nationale und europäische Champions zu schützen und einzelne Unternehmen dabei als systemkritisch zu bezeichnen. Zudem wird, motiviert durch die von der EU Kommission verhinderte Fusion zwischen Siemens und Alstom, darüber nachgedacht, das Fusionskontrollrecht zu lockern, um auch hier Champions zu fördern, die gegen chinesische Konkurrenz wettbewerbsfähig sein sollen. Elektrobatterieförderung soll sicherstellen, dass der Anteil der nationalen Wertschöpfung an zukünftigen Elektroautos hoch genug ist. Darüber hinaus hat man Angst, dass man im Bereich der künstlichen Intelligenz hinter China zurückfällt, da diese Milliarden in die Erforschung der Künstlichen Intelligenz stecken, wohingegen Deutschlands staatliche Förderung hier mutmaßlich zurückfällt.
Die hiesige Debatte über industriepolitische Eingriffe wird von der Sorge um die Art und Weise, wie wir in Zukunft unseren Lebensunterhalt mit einem möglichst hohen Lebensstandard bestreiten wollen, getrieben. Leider wird in dieser wichtigen Debatte oftmals der Blick auf die Effizienz und Effektivität der Maßnahmen verloren. Die angestrebten Markteingriffe im Bereich der Industrie sind dabei allerdings durchaus tiefgehend. Man möchte direkt in den Wettbewerb eingreifen, Schutzzonen um existierende Unternehmen ziehen, oder bei weniger gründlicher Fusionsprüfung auf Wettbewerb verzichten, um europäische Bürgern über höhere Preise den europäischen Airbus der Schiene zu subventionieren. Oder man möchte gleich Staatsgeld nutzen, um einzelne Betreiber dazu zu veranlassen, eine Elektroautobatteriefertigung in Europa aufzubauen.
Allen Ideen wohnt eine Idee inne, dass die Politik, oder die beratenden Gremien, wüssten, welche Technologie, welches Unternehmen, die besten Potentiale für die Zukunft hat. Dass dies nicht so einfach ist, lässt sich an verschiedenen historischen Technologie- und Strukturfördermaßnahmen wie dem Transrapid oder den Cargolifter sehen. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass gerade bei verschiedenen Technologieinvestitionen unklar ist, ob die Politik tatsächlich besser als private Unternehmen weiß, welche Technologie sich durchsetzt. Fahren wir in Zukunft Elektrobatterieautos, Brennstoffzellautos oder bewegen wir uns ganz anders fort? Wer weiß das genau? Tatsächlich hat sich bei der Technologie- und Unternehmensauswahl das vom Ökonomen von Hayek beschriebene Prinzip des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren bewährt. Der Wettbewerb sucht in einem quasi evolutorischen Prozess aus, welche Firma sich bewährt und überlebt. Vielleicht setzten sich VW, Renault, BMW, Mercedes oder Toyota im Wettbewerb durch und bauen in Zukunft Autos. Vielleicht aber auch wer anderes. Typischerweise führt dieser Marktmechanismus zur effizienten Auswahl der Anbieter und versorgt die Konsumenten mit der Technologie, die die Bedürfnisse am besten befriedigt.
Die Frage ist nun, was kann man aus den oben genannten Beispielen lernen? Was soll die Rolle des Staates sein? Die Frage, weshalb diese speziellen Eingriffe in den Markt tatsächlich so gerne durchgeführt werden, kann politökonomisch recht leicht erklärt werden. Solche Eingriffe sind sichtbar. Das Ergebnis ist ebenso sichtbar. Werden hier Eingriffe durchgeführt lassen sich diese – und auch deren möglicher Erfolg- leicht dem handelnden Akteur zuordnen. Eine klare Motivation für diesen Eingriff. Es geht nicht primär um das Ergebnis, sondern darum, dass Handeln sichtbar und präsentabel sind.
Von einer normativen Perspektive aus, sollte es jedoch nicht darum gehen, dass der Staat vorgibt, welche Unternehmen sich im Wettbewerb durchsetzen, welche gefördert, bzw. behindert werden, sondern der Staat sollte Rahmenbedingungen so setzen, dass das wirtschaftliche Handeln so ausgestaltet ist, die Märkte auf denen die wirtschaftlichen Akteure zusammenkommen effizient funktionieren und eine möglichst wohlfahrtsoptimale Lösung finden. Der Gedanke ist hierbei, dass spezielle Marktversagenssituationen angegangen werden. D.h. solche Gründe, die dazu führen, dass ein Markt nicht zu seinem gesellschaftlichen Optimum finden kann. Diese Marktversagenssituationen sind dabei tatsächlich vielseitig. Typischerweise werden in jedem Wirtschaftspolitiklehrbuch Informationsasymmetrien, öffentliche Güter, sogenannte Externalitäten, d.h. Abweichungen von privaten sowie gesellschaftlichen Kosten sowie Marktmachtsproblematiken behandelt. Diese Problembereiche begründen dabei tiefgreifende Markteingriffe, da ohne deren Korrektur mit erheblichen Wohlfahrtsreduktionen zu rechnen ist.
Um diese abstrakten Problembereiche etwas klarer darzustellen, wird im Folgenden beispielhaft das Problem der Externatlitäten angesprochen. Hierbei fallen private und gesellschaftliche Kosten und Nutzen auseinander. Im Beispiel der Klimaproblematik, d.h. der CO2 Emissionen bedeutet dies, dass die gesellschaftlichen Kosten der Erderwärmung sich nicht in der privaten Produktion/ dem privaten Konsum wiederfinden. Es werden in der Tendenz zu viel Emissionen generiert. Im Falle der Technologie ist es andersherum. Der Nutzen der Technologieerforschung hat einen positiven Nutzen auf die Allgemeinheit, die nicht in der privaten Entscheidung abgebildet ist. Hierbei kommt es somit zu einer Unterproduktion von Forschung. Als typische Maßnahme, um den Anreiz zur Forschung zu erhöhen ohne den Marktmechanismus zur Lösungsfindung auszuschalten, ist z.B. die steuerliche Forschungsförderung. Dies vergünstigt die Forschung und kompensiert die sonstige Unterproduktion von Forschung. Eine wohl weniger sichtbare aber dennoch wirksame Maßnahme zur Technologieförderung als es die direkte Förderung der Batterieherstellung ist.
Es folgt, dass der Staat solche Bereiche identifizieren soll, in denen sein Handel klare Wohlfahrtsgewinne realisiert. Problematisch kann es dabei sein, wenn ein, vielleicht auch gut gemeinter Eingriff, zu weitgehend ist. Dies ist insbesondere deshalb problematisch, da Markteingriffe, z. B. durch Regulierung, oftmals sehr persistent sind und sich bestimmte Profiteure gegen Veränderungen wehren. So gibt es eine Vielzahl gut gemeinter Regulierungen, die innovatives Verhalten hemmen.
Beispiele hierfür ist sicherlich die aktuelle strikte Taxiregulierung, die Mitfahrdiensten wie UBER de facto bis heute vom deutschen Markt ausgeschlossen hat.[2] D. h. zur Lösung bestimmter Probleme und Anforderungen wurde der Taximarkt einer strikten Regulierung unterworfen. Marktzugang, Preissetzung und bestimmte Transportkonditionen wurden festgezurrt. Diese, zum Teil sicherlich gut gemeinte Regulierung, verhinderte dann innovative Dienste so wie z. B. Uber und führen so zum Wohlfahrtsverlust.
Eine offene und gut begründete effiziente Ausgestaltung regulatorischer Rahmenbedingungen, orientiert an Martkversagenssituationen, ist dabei zwar oftmals mühselig, aber auf Dauer deutlich nachhaltiger als eine einfache publikumswirksame direkte Industriesteuerung. Bei dieser wird auf den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren zur effizienten Lösungsfindung verzichtet. Tatsächlich wird insbesondere darauf verzichtet, dass noch unbekannte Lösungen gefunden werden, die nicht in den Optionen des Politikentscheiders sind. Dieses Entdeckungsverfahren soll dabei nicht romantisiert werden. Es bedeutet, dass sich Märkte anpassen und verändern. Sie entstehen und verschwinden. Dabei wird es zu Konflikten und für den Einzelnen zu unangenehmen Veränderung kommen. Vielleicht bedeutet dies, dass es weniger nationale Champions gibt oder auch, dass Ikonen der letzten Jahre verschwinden. Es ist allerdings zu erwarten, dass es langfristiger erfolgsversprechender ist, Märkte durch das Beheben von Marktversagenssituationen zum Funktionieren zu bringen als das gewünschte Wettbewerbsergebnis vorab zu bestimmen.
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[1] Teile der hier vorgebrachten Argumentation sind analog zur Argumentation von Klein (2019), Münster Practice and Policy: Einer zahlt immer – eine Nachbetrachtung zum Wettbewerbsfall Siemens/Alstom, Ausgabe 4, Münster Policy Papers, wobei die dortige sich explizit auf den Fusionsfall Siemens/Alstom bezieht.
[2] Siehe hierzu Haucap, Pavel, Aigner, Arnold Hottenrott, Kehderer, Chancen der Digitalisierung auf Märkten für urbane Mobilität: Das Beispiel UBER, List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, 2/2017, Siehe auch, für die Probleme die durch eine einseitige Reliberalisierung entstehen kann, Sieg (2019), Personenbeförderungsgesetz nicht ohne Taxis, 3/2019, Wirtschaftdienst.
Blog-Beiträge zur Industriepolitik:
Jan Schnellenbach: Die neue Industriepolitik und die Geringschätzung des Wettbewerbs
Norbert Berthold: Peterchens (industriepolitische) Mondfahrt. Wettbewerbsfähig wird man im Wettbewerb
- Mindestpreise für Lebensmittel - 4. Februar 2020
- Über Aufgaben und Grenzen moderner Industriepolitik - 26. Juni 2019
- Der Fall Google – 2. Runde - 29. September 2018
Eine Antwort auf „Über Aufgaben und Grenzen moderner Industriepolitik“