Woher wir kommen
Was macht den Erfolg der deutschen Wirtschaft aus? Vieles hängt an guten Standortbedingungen. Dazu gehören eine trotz mancher Schlaglöcher und verspäteter Züge immer noch gute Infrastruktur, im europäischen Vergleich immer noch gut ausgebildete Bürgerinnen und Bürger, ein funktionierender Rechtstaat und eine Steuer- und Abgabenlast, die zwar im internationalen Vergleich alles andere als niedrig, aber doch noch tragbar ist.
Zu den positiven Faktoren des deutschen Erfolgsmodells gehört zweifellos auch eine Wirtschaftsstruktur, die stark mittelstandsorientiert ist. Es sind die nach außen oft unauffälligen Unternehmen mit teils langer Tradition und hoch spezialisiertem Wissen, die immer wieder Innovationsvorsprünge und Produktivitätsgewinne erarbeiten. Sie profitieren dabei von den Bedingungen des Standorts Deutschland, aber sie helfen gleichzeitig, diese positiven Bedingungen zu stabilisieren. Sie schaffen das, indem sie zeigen, daß auch bei hohen Löhnen und manchmal überbordenden Regulierungsniveaus die Wettbewerbsfähigkeit immer noch erhalten werden kann.
Die Schattenseite des Standorts Deutschland ist nämlich ein Staat, der den hier tätigen Unternehmen immer höhere Regulierungs- und Bürokratielasten aufbürdet. Von der immer enger werdenden Regulierung der Arbeitsmärkte bis zur Steuerbürokratie finden sich immer wieder neue Gründe, den Unternehmen noch etwas genauer vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Die Lasten dieser Politik bleiben für die breitere Öffentlichkeit oft unsichtbar. Denn die rein regulierende Form der Staatstätigkeit taucht in keiner Staatsquote der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf, sie ist im Einzelfall oft wenig spektakulär, aber verursacht in der Summe eben doch erhebliche Kosten für die Unternehmen, die von ihr betroffen sind.
Das ist, kurz gesagt, der Stand der Dinge. Es werden stets neue Ansprüche an die Unternehmen herangetragen, diesen oder jenen politischen oder gesellschaftlichen Wunsch auch noch zu erfüllen. Und die meisten Unternehmen schaffen es, auch mit einem solchen regulatorischen Bleigewicht am Bein ihre Wettbewerbsfähigkeit immer noch zu erhalten oder gar auszubauen. Ob es immer in dieser Form weitergehen kann, bleibt einstweilen offen. Möglicherweise erreichen wir auch einmal ein Regulierungsniveau, das auch die effizientesten Unternehmen nicht mehr durch weitere Produktivitätsfortschritte kompensieren können.
Wettbewerb als Triebfeder
Schaut man genauer hin, so ist es gerade auch der Wettbewerb selbst, dem wir unser Wohlstandsniveau zu verdanken haben. Auch Unternehmer müssen oft zur schöpferischen Innovationstätigkeit bewegt, ja diszipliniert werden. Es ist für sie riskant, Ressourcen Forschung- und Entwicklungsprojekte zu investieren, von denen man zunächst nicht weiß, ob sie Erfolg haben werden. Manche tun so etwas, weil es zu ihrem Selbstverständnis gehört, manche tun es aber auch nur deshalb, weil der Wettbewerb sie dazu zwingt. Bei den meisten ist es vermutlich eine Mischung aus beiden Motiven.
So wird jeder neue Innovations- und Produktivitätsvorsprung der Unternehmen durch das Eingehen unternehmerischer Risiken erarbeitet. Gerade unter den mittelständischen, oft familiengeführten Unternehmen, die meist nicht damit rechnen können, daß ein Minister mit einem Förderbescheid bei ihnen erscheint, oder daß ihre Existenz im Ernstfall durch die Politik gerettet wird, haben es viele in Deutschland zur weltweiten Technologieführerschaft gebracht.
Sie brauchten dazu keine planerischen Eingriffe. Es bedurfte keines Anrufs von Experten aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die den Unternehmen sagen, welches Entwicklungsvorhaben vielversprechend ist. Das Wissen ist in einer Marktwirtschaft dezentralisiert, die Unternehmen wissen im Zweifelsfall sehr gut, welche Chancen und Risiken in ihrer Branche bestehen. Und solange sie für ihre Entscheidungen haften kann man auch erwarten, daß sie mit diesen Chancen und Risiken verantwortlich umgehen.
Aus dieser Perspektive war es sehr vorausschauend, daß die ordnungspolitische Tradition der Wirtschaftspolitik in Deutschland schon immer einem funktionierenden Wettbewerb Priorität eingeräumt hat. Eine aktive Wettbewerbspolitik, die Kartelle und Kollusionen verhindert, gehört seit jeher dazu. Ein wesentliches Element war aber immer auch die tiefsitzende Skepsis gegenüber Interventionen des Staates, die den Wettbewerb verzerren oder seine positiven Anreizwirkungen abschwächen.
Schöpferische Zerstörung oder Planwirtschaft?
Die Vorstellung eines Staates, der sich auf dem marktwirtschaftlichen Spielfeld als neutraler Schiedsrichter verhält, ist nicht einfach eine romantische Idee, sondern letztlich eine reine Notwendigkeit. Schon die alten Ordnungsökonomen sahen hierin die Voraussetzung für einen starken Staat, der in der Lage ist, einen am Allgemeinwohl und nicht an einzelnen Interessen orientierten Regelrahmen vorzugeben und diesen auch verlässlich durchzusetzen. Ein Staat, der selbst mitspielt, wird dies nicht tun.
Kann man sich ernsthaft vorstellen, daß ein Bundeswirtschaftsministerium, das sich mit Verve der Förderung von Elektromobilität verschreibt, leicht umschwenkt, falls sich herausstellen sollte, daß Wasserstoffantriebe doch sinnvoller, effizienter und nachgefragter sind? Wer dies glaubt, sollte ich einmal mit der Geschichte der Concorde beschäftigen. Auch einzelne Unternehmen landen zwar gelegentlich mit ihren Innovationen in Sackgassen. Aber selten sieht man Sackgassen, die so lange und so störrisch beschritten werden wie unter dem Einfluß staatlicher Förderung.
Der ordnungspolitische Fokus auf funktionierenden Wettbewerb folgte aus verschiedenen Überlegungen heraus. Dazu gehörte das Ziel, Konsumentensouveränität zu sichern, indem Wettbewerb das Handeln der Unternehmen in Richtung der Konsumentenpräferenzen lenkte. Hierzu gehörte auch die Sorge, daß wirtschaftliche Macht letztlich zu politischer Macht führen und demokratische Kontrolle aushebeln würde. Das bekannte Bonmot, daß der Wettbewerb ein Instrument der Entmachtung sei, spiegelt dies wieder.
Es spielte aber nicht zuletzt auch das Schumpetersche Bild von der schöpferischen Zerstörung eine Rolle. Wettbewerb ist ein dynamischer Antrieb des langfristigen Fortschritts und Wachstums. Er ist nicht schmerzfrei und nicht immer angenehm. Er treibt Unternehmen, wie oben gesehen, in riskante Investitionsentscheidungen, die auch nicht immer erfolgreich sein müssen. Wettbewerb sorgt dafür, daß in manchen Unternehmen Ressourcen freigesetzt werden, um anderswo eine andere, effizientere Verwendung zu finden. Das alles ist natürlich mit Druck, Anpassungskosten und auch Stress verbunden. Wir würden uns dem Wettbewerb freiwillig nicht aussetzen, wenn wir nicht wüssten, daß er unseren Wohlstand sichert und erhöht. Weil wir dies aber wissen, optieren wir für eine Wettbewerbsordnung – oder haben dies zumindest bisher in Deutschland weitgehend getan.
Zweifellos gab es dabei auch immer ordnungspolitische Ausrutscher. Insolvente Unternehmen wurden mit öffentlichen Subventionen oder Übergangsfinanzierungen gerettet. Versuche, staatlicherseits Zukunftsbranchen zu identifizieren und zu unterstützen endeten mal mit Pech, mal auch in der Wirtschaftskriminalität. Der CargoLifter in der ländlichen Lausitz, der spektakuläre Fall des Trickfilmzentrums High Defniniton Oberhausen, oder das Verbrennen öffentlicher Mittel für einen Space Park in Bremen waren dafür beredte Beispiele.
Wenn in der deutschen Wirtschaftsgeschichte die Haftung für wirtschaftliches Handeln durch öffentliche Unterstützung verwässert wurde, so führte dies oft zu wenig erbaulichen Ergebnissen. Aber dies war bisher nicht systematisch in der Wirtschaftspolitik angelegt. Immer wieder einmal waren politische Entscheidungsträger nicht diszipliniert genug, die Wettbewerbsordnung zu sichern, aber meist wurde dies von der informierten Öffentlichkeit dann doch als systemwidriger Verstoß gegen die guten Sitten wahrgenommen.
Die aktuell von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vollzogene Wende zu einer aktiven, geradezu planerischen Industriepolitik tut dagegen nichts weniger, als das deutsche Erfolgsmodell über Bord zu werfen. Sie erhebt das willkürliche, von Fall zu Fall durchgeführte Aufheben der Wettbewerbsordnung zur Tugend.
Industriestrategie als Generalermächtigung
Es bleibt unklar, welches die Vorbilder des Bundeswirtschaftsministers sind. Sie erscheinen wie aus der Mottenkiste der französischen Planification gegriffen. Mit Unterstützung aus dem allgemeinen Steueraufkommen sollen Unternehmen gedrängt werden, Investitionsprojekte durchzuführen, die sie in alleiniger Haftung nicht angehen würden. Das Vorhaben, Konsortien für den Bau von Batteriefabriken zu gründen und öffentlich zu unterstützen, zeigt, wie dies geht.
Dabei gibt es auch in diesem Beispiel wichtige Fragen, die zu beantworten wären. Ist die aktuell geförderte Batterietechnologie wirklich zukunftsträchtig? Werden sich vielleicht auch ganz andere Ansätze als die Elektromobilität durchsetzen? Ist eine Fertigung zu deutschen Arbeits- und Energiekosten dauerhaft wettbewerbsfähig möglich? Wenn Unternehmen diese Fragen so beantworten, daß sie nicht investieren wollen, so haben sie hierfür in der Regel gute Gründe.
Konzerne durch öffentliche Unterstützung in ein Abenteuer zu locken, das sie bei vollständiger eigener Haftung nicht wagen würden, könnte allenfalls durch ein klares Marktversagen gerechtfertigt werden. Ein solches ist aber hier nicht erkennbar. Deutlich erkennbar ist hingegen, wie Altmaier vorgeht. Es wird ein schlagzeilenträchtiges Thema mit zunächst einmal positiver Konnotation besetzt. Es wird der tagespolitischen Mode gefolgt, hier der Elektromobilität.
Diese Form von politischer Binnenrationalität hat aber nichts mit ökonomischer Vernunft zu tun. Im Gegenteil wäre es wünschenswert, die ökonomische Sphäre vor den ad hoc auftretenden Launen des politischen Betriebs zu schützen. Altmaiers Industriepolitik öffnet die Tore weit für diese Art von letztlich ineffizienter Investitionslenkung.
Das Altmeiersche Modell identifiziert außerdem Unternehmen – Großkonzerne wie ThyssenKrupp oder die Deutsche Bank – die aus seiner Sicht unbedingt zu erhalten seien. Sie werden gleichsam dem Wettbewerb entzogen, indem ihnen politische Unterstützung und Existenzsicherung zugesagt wird. Der Wettbewerb als Disziplinierungs- und Entmachtungsmechanismus wird für sie außer Kraft gesetzt.
Der Irrweg, deutsche oder europäische „Champions“ mithilfe der Politik zu schaffen und zu bewahren, bedroht das deutsche Modell, Unternehmen sich selbständig im intensiv geführten Wettbewerb an die Spitze der technischen Entwicklung kämpfen zu lassen. Stattdessen sollen Fusionen erleichtert und der Wettbewerbsdruck reduziert werden. Nicht der innovative Mittelstand ist das Leitbild Altmaiers, sondern der große und scheinbar unsinkbare Konzerntanker.
Unsinkbar wird dieser Konzerntanker aber erst, wenn die Politik seine Budgetrestriktion lockert. Das hat seinen Preis. Einen unmittelbaren Preis für die öffentlichen Haushalte, die im Zweifel einspringen müssen. Aber, auch – und vor allem – einen gesellschaftlichen Preis. Wo nationale „Champions” nicht mehr scheitern dürften, treten an die Stelle eines offenen Prozesses der schöpferischen Zerstörung und wachsender Produktivität schon bald vom Staat geschützte Zombiekonzerne.
Aus den von Altmaier ersehnten industriepolitisch konstruierten Konzerntankern werden dann schnell Geisterschiffe, deren Produkte eigentlich niemand mehr will, die aber von Planern im Wirtschaftsministerium im unternehmerischen Dämmerschlaf am Leben erhalten werden und die noch lange knappe Ressourcen binden, welche anderswo viel sinnvoller eingesetzt werden könnten.
Deutschland, der zukünftige kranke Mann Europas
Der Bundeswirtschaftsminister definiert in seinem Elfjahresplan auch Ziele für die Größen der Sektoren relativ zum Bruttoinlandprodukt und fordert, im Jahre 2030 müssten noch 25% des Outputs aus der Industrieproduktion stammen. Hier atmet das Altmaier-Papier einen planwirtschaftlichen Strukturkonservatismus, der sich in seiner Einfallslosigkeit gar nicht vorstellen kann, daß das innovative Handeln einzelner Unternehmen zu neuen, heute gar nicht absehbaren Verteilungen der Wertschöpfung auf die verschiedenen Sektoren führen kann – und daß dies effizient wäre.
Seine Ziele möchte der Bundeswirtschaftsminister mit der gezielten Förderung einzelner Großprojekte erreichen. Eine Milliarde für Batteriefabriken hier, ein paar Milliarden für andere Branchen dort. Nicht zuletzt der 3D-Druck scheint den Planern ans Herz gewachsen zu sein. Wo hier aber ein Marktversagen sein soll, das einen staatlichen Eingriff rechtfertigen könnte, bleibt völlig offen. Es dürfte auch keines geben. Die Aussicht auf zukünftige Gewinne stellt einen hinreichenden Anreiz für private Investitionen in tatsächliche oder vermeintliche Wachstumsbranchen dar. Einer Anmaßung von Wachstumswissen durch ein Ministerium bedarf es nicht.
Werden Altmaiers Pläne umgesetzt, kann sich die Bundesrepublik auf eine bleierne Zeit einstellen, in der die deutsche Innovationsdynamik gelähmt wird. An ihre Stelle werden eine irrige staatliche Investitionslenkung und eine enge Kollusion von Politik und Großindustrie treten, sowie eine Verschwendung von Ressourcen für politisch ertragreiche, aber ökonomisch dubiose Projekte.
Eingangs wurde im Hinblick auf die Standortbedingungen in Deutschland erwähnt, daß diese noch recht gut sind. Ob sie es bleiben, ist nicht sicher. Wieso also nicht in Infrastruktur, und Bildung investieren, in eine umfassende Deregulierung und auch in Steuersenkungen? All dies würde dem deutschen Erfolgsmodell weit besser entsprechen als alles, was wir in den letzten Monaten aus dem Bundeswirtschaftsministerium hören mussten.
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…schön die bekannten und wichtigen Argumente noch einmal aufzulisten.
Was so ein bisschen fehlt ist die Auseinandersetzung mit den „neuen“ Argumenten für Industriepolitik, insbesondere mit dem in den Medien vielzitierten Buch „The Entrepreneurial State“ von Mariana Mazzucato.
Hier käme ein wenig Argumentationhilfe gelegen…
Vieles ist richtig, vor allem im Grundsätzlichen. Im Konkreten irrt aber der Auor Schnellenbach, denn Cargolifter ist ein Beispiel für Staatsversagen. Es war eine politische Entscheidung, durch die Insolvenz die Aktionäre zu enteignen, um den Luftschiffbau zu stoppen und stattdessen ein Spaßbad zu subventionieren.
Jürgen F. Matthes M.A.