So könnte die EU eine großartige Zukunft haben

Die Zukunft der Europäischen Union ist ungewisser denn je. Politikdivergenzen zeigten sich nicht nur bei den Parlamentswahlen und den Verhandlungen über die Kommissionspräsidentschaft. Flüchtlings­krise, Brexit, Sezessionstendenzen innerhalb der EU, Globalisierung, Nachbarschaftskonflikte mit der Türkei und Russland, etc. sind nur einige der vielen Problemfelder, die die EU und ihre Mitglieder seit langem beschäftigen. Ganz Europa steht vor gewaltigen Herausforderungen, die umso deutlicher werden, je mehr sich die Konjunktur abschwächt. Um die Herausforderungen zu meistern braucht es aber nicht die Wahl neuer Politiker bei gegebenen Institutionen. Vielmehr gilt es die Institutionen anzupassen und damit die Anreize der relevanten Entscheider zu verbessern.

Ziele und Hauptstoßrichtungen

Über die großen Ziele der EU herrscht Einigkeit: Sie soll ein freiheitlicher, friedlicher Wohlstandsraum sein und bestehenden sowie zukünftigen Generationen hervorragende Lebensbedingungen bieten.

Viele Politiker argumentieren für einen „Superstaat“-Europa mittels massiver Stärkung zentraler Institutionen. Andere vertreten das Gegenteil und fordern „weniger Brüssel“. Beide dieser Vorstellungen greifen zu kurz. Einerseits müssen die bestehenden zentralen Entscheidungsträger gestärkt und vor allem direkt gegenüber den Bürgern verantwortlich gemacht werden. Andererseits müssen die tieferen staatlichen Ebenen aller Länder dank weitgehender Dezentralisierung echte Autonomie erhalten.

Wo steht die EU heute?

Die EU hat Stärken. Dazu gehört insbesondere der offene Binnenmarkt mit freiem Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Er ist ein Erfolg und Treiber des Wohlstands in Europa. Auch ist die EU ist durch kulturelle, sprachliche, politische und ökonomische Vielfalt geprägt. Vielfalt ist Voraussetzung für fruchtbaren Wettbewerb, denn sie erlaubt es den europäischen Ländern voneinander zu lernen. Die EU-Ländern sind verglichen mit anderen Ländern und Regionen der Welt in vielerlei Beziehung noch ein Hort der Freiheit. Nur die USA kann sich in Bezug auf Freiheit mit der EU messen. Allerdings drohen hier wie dort gesellschaftlichen Zwänge infolge Übermoralisierens und politischer Überkorrektheit.

Gleichzeitig ist die EU mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Trotz der guten Konjunktur der vergangenen Jahre sind viele EU-Länder wirtschaftlich und gesellschaftlich weit weniger erfolgreich als sie es mit einfachen wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen sein könnten. Auch hinkt die EU insgesamt den USA klar hinterher. So ist die Arbeitslosigkeit trotz des vergangenen Booms immer noch hoch. Eine Rezession würde die Schwächen der EU deutlich zeigen und zu noch höherer Arbeitslosigkeit führen. Verantwortlich dafür sind verkrustete Arbeitsmarktstrukturen infolge von Überregulierung und mangelnden Reformanreizen nationaler Politiker. Schon eine moderate Deregulierung der Arbeitsmärkte innerhalb der Länder könnte nach wenigen Jahren riesige Wohlstandsgewinne in Form tiefer Arbeitslosigkeit bringen, wie das Beispiel Deutschland gezeigt hat. Zudem betrieben viele EU Länder eine riesige und eher ineffiziente Umverteilungsmaschinerie. Zahlreiche EU-Länder leiden an tiefer Steuermoral ihrer Bürger, hoher Korruption sowie schlechter regionaler und lokaler Standortpolitik. Ein Hauptgrund dafür ist die Überzentralisierung dieser Länder. Oft fließt fast das gesamte Steueraufkommen zuerst in die Hauptstadt, von wo es dann nach einem undurchschaubaren Verteilkampf über undurchsichtige Transfers und nahezu gänzlich unabhängig vom lokalen Steueraufkommen zurück in die Regionen und Gemeinden fließt. Die Überzentralisierung vieler Länder zerstört die Anreize ihrer Regional- und Lokalpolitiker, gute Standortpolitik zu betreiben.

Die EU hat auch keine Regierung im Sinne von demokratisch gewählten Entscheidungsträgern, die Anreize haben, eine gute Politik für die EU als Ganzes zu entwickeln. National gewählte Entscheidungsträger verhalten sich entweder wie „Beutejäger zu Brüssel“ oder vertreten eher nur ihre ideologischen Positionen. Stattdessen sollten sie als Anwälte einer guten gesamteuropäischen Politik auftreten. Leider fehlen ihnen dazu die Anreize. Gleichzeitig können nationale Politiker bei den derzeitigen Strukturen ihre nationalen Fehler allzu leicht den „Bürokraten in Brüssel“ anlasten.

Bessere zentrale Institutionen schaffen

Grundlegend für die Lösung der derzeitigen Probleme in der EU ist die Schaffung von Institutionen, die die Vorteile von Zentralisierung und Dezentralisierung vereinen. Eine Stärkung der Union ist nur zu erreichen, wenn die wichtigsten Entscheidungen auf EU-Ebene von direkt volksgewählten Entscheidungsträgern vorbereitet, getroffen und umgesetzt werden. Das Spitzenkandidatensystem ist dazu untauglich. Es sollte aber auch kein System wie in den USA mit einem einzelnen starken nationalen Entscheidungsträger, dem Präsidenten, eingeführt werden. Denn er drohte den gleichen Kontrollillusionen und Machtverführungen wie manche US-Präsidenten zu erliegen. Stattdessen müssen wichtige Entscheidungen durch mehrere Personen getroffen werden. Ideal für ihre Wahl ist ein weltweit nur ganz selten benütztes Wahlverfahren: Die persönliche Volkswahl mehrerer wichtiger Entscheidungsträger zeitgleich, jeweils im Mehrheitsverfahren in einem einzigen Wahlkreis. Dieses Verfahren ist in der Schweiz zur Wahl der Kantons- und Kommunalregierungen gebräuchlich. Es ist eine der Hauptursachen für die hohe politische Stabilität der Schweiz und die sogenannte Konkordanz, d.h. dass Politiker aus allen größeren Parteien zugleich in der Regierung sind und trotzdem gut zusammen arbeiten können. Das Mehrheitswahlverfahren in einem mehrsitzigen Wahlkreis gibt allen Politikern stärkere Anreize, mehrheitsfähige Positionen in der Mitte des politischen Spektrums und im Interesse aller Länder bzw. der ganzen EU zu vertreten.

Die Stärkung der zentralen Institutionen muss allerdings durch Mechanismen begleitet werden, die die mit ihnen einhergehenden Gefahren bannen. Zum einen sind strikte Schuldenbremsen zu etablieren um dem Ausgabendruck auf zentraler Ebene zu begegnen. Entscheide, die eine Zentralisierung von neuen Entscheidungskompetenzen bewirken, müssten dem Volk in bindenden Abstimmungen ohne Beteiligungsquoren vorgelegt werden. Daneben muss das Volk auf EU-Ebene die Möglichkeit erhalten, die Politik und insbesondere die Institutionen aktiv durch Initiativen mitzugestalten. Die derzeitigen direkt-demokratischen Instrumente auf EU-Ebene sind unzureichend.

Dezentralisierung und Wettbewerb fördern

Wie Gebietskörperschaften auf ökonomische Schocks reagieren, hängt stark von der Leistungsfähigkeit ihrer politischen Institutionen ab. Entsprechend führen selbst symmetrische ökonomische Schocks zu asymmetrischen Auswirkungen auf die verschiedenen Länder und Regionen der EU, wie die letzte Finanzkrise klar zeigte.

Die Gemeinden und Regionen bedürfen für die effiziente Bereitstellung von lokalen und regionalen öffentlichen Leistungen einer echten Besteuerungs- und Ausgabekompetenzen. Dabei bringt schon eine eingeschränkte Steuerautonomie grundlegende Verhaltensänderungen. Illustrativ dafür ist das erfolgreiche Südtirol: Als autonome Region Italiens hat es die gleichen problematischen Steuergesetze wie Italien, aber die eingenommenen Steuermittel bleiben im Südtirol. Entsprechend ist die Steuermoral viel höher und die Anreize der Entscheidungsträger zu guter Standortpolitik stärker.

Der Einfluss der Bürger auf die Politik muss durch den Ausbau der direkt-demokratischen Instrumente erhöht werden. Illustrativ für die Chancen und Möglichkeiten der Stärkung der direkten Demokratie sind nicht nur die Schweiz sondern auch die deutschen Bundesländer Bayern sowie Hamburg, wo seit 1995 die direkte Demokratie auf lokaler Ebene mit großem Erfolg massiv gestärkt wurde.

Für die EU positiv ist schließlich der Wettbewerb mit Nicht-EU-Ländern, denn dadurch eröffnen sich dadurch neue Lernmöglichkeiten. Die USA ist immer ein interessantes Modell, von dem man lernen kann. Interessanter ist aber vielleicht sogar die Schweiz, denn schon viele Politikideen aus der Schweiz, beispielsweise Schuldenbremsen, haben ihren Weg in EU-Länder gefunden. Daneben ist wichtig, dass der strukturierte Austritt aus der EU möglich sein muss. Der Brexit bietet also auch eine Chance für die EU. Allein eine Austrittsdrohung ist ein wichtiges Instrument zur Verhinderung von Entscheidungen, die einzelnen Ländern große Kosten auferlegen. Damit ein Austritt aus der EU ohne große Kosten möglich ist, ist es nötig, potentiellen Aussteigern konkrete Alternativen anzubieten. So könnte jedem bestehenden EU-Mitglied garantiert werden, dass es auf Antrag in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) übertreten kann oder bei einem Austritt automatisch gewisse neue vertragliche Bindungen mit der EU wie etwa Freihandelsabkommen eingehen kann.

Gute Politik dank guter Institutionen

Die EU und ihre Mitglieder dürfen nicht auf einzelne Politiker setzen und sich nur auf die Reform der zentralen europäischen Ebene konzentrieren. Vielmehr braucht die EU eine raffinierte Mischung aus einer Stärkung der zentralen Entscheidungsträger bei gleichzeitiger massiver Dezentralisierung mit echter lokaler Autonomie. Insbesondere die derzeit schlecht dastehenden Länder könnten durch Dezentralisierung viel gewinnen und von erfolgreichen Beispielen lernen. Dies würde über längere Sicht zu einheitlicheren Ergebnissen und mehr Wohlstand führen.

Natürlich werden die derzeitigen nationalen Politiker dagegen einwenden, die EU könne doch nicht in die Institutionen der Mitgliedsländer eingreifen. Doch über solche Eingriffe sollten eben genau nicht die Politiker entscheiden, die oft Profiteure der alten ineffektiven Strukturen sind, sondern die Bürger in Volksentscheiden.

Blog-Beiträge zum Thema:

Norbert Berthold: Europäisches Licht oder nationale Finsternis? Der Kern der europäischen Integration ist lokal und national

Eine Antwort auf „So könnte die EU eine großartige Zukunft haben“

  1. Reiner Eichenberger, David Stadelmann: Wie die EU eine gro?e Zukunft haben konnte : Dezentralisierung und Integration im „Gemeinsamen Europaischen Politischen Raum“ .

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