„Italy has piled up huge public debt because the successive governments were too close to the life of ordinary citizens, too willing to please the requests of everybody, thereby acting against the interests of future generations.” (Mario Monti)
Die Welt scheint verrückt geworden, ökonomisch und politisch. Von den großen Volksparteien ist nicht mehr viel übrig. Ehemals dominante Parteien in der linken und rechten Mitte des politischen Spektrums werden pulverisiert. Das Parteiensystem zersplittert. Populistische Parteien erstarken in Europa und anderswo. Überall gewinnen Populisten an Boden, rechte mehr als linke, linke mehr im europäischen Süden, rechte stärker im Norden. Aber auch die Ökonomie steht immer öfter Kopf. Alte Weisheiten scheinen nicht mehr zu gelten. Verrückte wirtschaftspolitische Vorstellungen werden ernsthaft diskutiert, manche sogar umgesetzt. Die traditionelle Geldpolitik zerschellt an der Nullzins-Grenze. Unkonventionelle Instrumente werden erprobt, Negativzinsen verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Die Fiskalpolitik kommt wieder in Mode. Staatliche Verschuldung ist das neue Wundermittel, Schuldenbremsen sind out. Die Notenbanken werden zu fiskalischen Grenzgängern. Monetäre Staatsfinanzierung wird wieder salonfähig. Die „neue“ Schuldenpolitik hat (alte) ökonomische Risiken und Nebenwirkungen. Sie bleibt politisch nicht folgenlos. Die Ermächtigung zum Unfug führt zu Unfug (Olaf Sievert). Wirtschaftspolitischer Unfug setzt sich fest, der Populismus stabilisiert sich.
Ökonomie des Populismus
Der wachsende Einfluss populistischer Parteien führt zu tektonischen Verschiebungen, politisch und ökonomisch. Politisch haben die Volksparteien abgewirtschaftet. Sie verlieren massiv an Zustimmung, bisweilen verschwinden sie, wie etwa in Frankreich und Italien, fast von heute auf morgen von der politischen Landkarte. Ihre bisherigen Wähler der (linken und rechten) Mitte wandern scharenweise ab. Diese werden in einer Zeit des forcierten strukturellen Wandels immer öfter von ökonomischen Abstiegssorgen geplagt. Die traditionellen Volksparteien haben auf diese Ängste keine überzeugenden Antworten mehr. Damit geht aber auch der vermittelnde, gesellschaftlich befriedende Einfluss der dominanten großen politischen Parteien verloren, der die Nachkriegszeit lange prägte. Die Fähigkeit zum politischen Kompromiss in der Gesellschaft schwindet. Radikalere und extremere populistische Parteien gewinnen an politischem Einfluss, linke und rechte. Dabei haben die rechten Populisten gegenwärtig die Nase vorne, im europäischen Norden stärker als im Süden. Die Parlamente werden fragmentierter, Regierungsbildungen schwieriger. Oft geht ohne die Populisten nichts mehr. Im schlechtesten Falle bilden linke und rechte Populisten, wie in Griechenland und Italien, die Regierungen.
Der immer stärkere Populismus ist ökonomisch verheerend. Dabei ist es fast egal, ob die Populisten von „links“ oder „rechts“ agieren. Ihnen ist gemeinsam, dass sie anti-marktwirtschaftlich, fremdenfeindlich und national-sozial handeln (hier). Sie sabotieren den marktlichen Preismechanismus. Knappe Ressourcen werden immer weniger über den Markt verteilt. Der Ordnungsrahmen wird beschädigt. Private Eigentumsrechte, individuelle Vertragsfreiheit und freier Marktzugang werden ausgehebelt. Immer öfter übernimmt der Staat das Kommando. Knappe Ressourcen werden nach Gutsherrenart zugeteilt. Vetternwirtschaft gewinnt die Oberhand (hier). Profiteure sind gut organisierte Interessengruppen. Das unternehmerische Verhalten ändert sich: „Rent seeking“ verdrängt „profit seeking“. Darunter leidet der wirtschaftliche Wohlstand. Die Günstlingswirtschaft macht auch vor dem Sozialstaat nicht Halt. Bevorzugt werden wählerstimmenstarke Gruppen, vor allem Alte. Das alles verschlingt knappe Ressourcen en masse. Die Privilegien müssen finanziert werden. Das geschieht über höhere Steuern und Abgaben, immer stärker aber über staatliche Verschuldung. Der Populismus bürdet künftigen Generationen neue Lasten auf.
Schuldenbremse bremst Populismus
Unter populistischen Regierungen ist der wirtschaftliche Niedergang so sicher wie das Amen in der Kirche. Das wirtschaftliche Wachstum geht zurück, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Inflation steigt an. Rationale Wähler reagieren darauf über kurz oder lang mit dem Entzug von Stimmen für die Populisten. Das kann allerdings dauern, wie die Erfahrung zeigt. Politische Märkte sind unvollkommen. Es mangelt an ausreichender Transparenz auf den Märkten, die Wähler sind oft rational ignorant, eine ausgeprägte Pfadabhängigkeit spielt eine Rolle. Und die Populisten an der politischen Macht tun alles, schlechte wirtschaftliche Nachrichten als „fake news“ von gekauften Experten, des oppositionellen Establishments und der medialen „Lügenpresse“ zu verkaufen. Der Erkenntnisprozess der Wähler kann allerdings durch steigende Steuern und Abgaben beschleunigt werden. Nicht nur die Vetternwirtschaft kostet Geld. Auch die Privilegien für viele Interessengruppen sind teuer. Werden die großen Versprechen der Populisten über Steuern und Abgaben finanziert, wirkt sich das negativ auf das verfügbare Einkommen der breiten Masse der Bevölkerung aus. Wenn es aber ans Geld geht, treten politische Präferenzen in den Hintergrund. Die Desillusionierung der Wähler über die populistische Politik schreitet voran.
Die Populisten haben allerdings eine Möglichkeit, diesen Prozess in die Länge zu ziehen. Das ist dann der Fall, wenn es ihnen gelingt, ihre Versprechen nicht über Steuern und Abgaben „heute“, sondern über staatliche Verschuldung zu finanzieren. Die Steuern und Abgaben fallen erst „morgen“ an. Ein häufig beschrittener Weg ist die explizite Staatsverschuldung durch Kreditnahme auf den Kapitalmärkten. Immer öfter wird aber auch die implizite Variante gewählt, die Verschuldung in umlagefinanzierten Systemen der Sozialen Sicherung. In beiden Fällen produzieren die Populisten, wie andere Politiker aller Couleur auch, negative externe Effekte auf den Wählerstimmenmärkten. Die Leidtragenden sind spätere Generationen. Dieser Weg der inter-generativen Lastverschiebung ist allerdings versperrt, wenn es eine konstitutionell abgesicherte Schuldenbremse gibt, das „Seriositätsgebot der Fiskalpolitik“ (Gabor Steingart). Wo sie existiert, soll sie allerdings nur die explizite Staatsverschuldung im Zaum halten. Die implizite Verschuldung ist nirgendwo begrenzt. Das Ziel aller Schuldenbremsen ist, die Auswirkungen polit-ökonomischer Exzesse zu begrenzen. Die Schuldenbremse ist somit auch eine Populismusbremse.
Notenbanken lockern Populismusbremse
Die Angst vor dem Populismus wächst, hier und anderswo. Sie ist nicht unbegründet. Auch in Deutschland haben vor allem die „rechten“ Populisten auf den Wählerstimmenmärkten bedeutende Marktanteile gewonnen. Die Europawahlen im Mai gaben einen Vorgeschmack. Populisten haben gegenwärtig einen Lauf, vor allem im Osten der Republik. Dieser Trend wird sich, wenn nicht alles täuscht, in den drei Landtagswahlen im Herbst fortsetzen. Was gestern undenkbar war, ist heute möglich. Wenn es dumm läuft, kann in einigen ostdeutschen Länderparlamenten gegen „rechte“ und „linke“ Populisten nicht mehr regiert werden. In dieser politisch prekären Lage kommt die Schuldenbremse unter Beschuss. Einige Verbände, linke Politiker und opportunistische Ökonomen wollen die grundgesetzlich garantierte Schuldenbremse „flexibilisieren“. Es ist mehr als zweifelhaft, dass es damit gelingen könnte, den Trend zugunsten der Populisten zu brechen. Die Gründe für den Aufschwung des Populismus liegen tiefer (hier). Gelingt allerdings den Populisten schon heute oder spätestens morgen der Sprung an die politische Macht, ist eine lockere Schuldenbremse ein politisches Eigentor. Selbst wenn die Populisten erst später an die Fleischtöpfe kommen, ist einer Wirtschaftspolitik nach Gutsherrenart künftig Tür und Tor geöffnet. Der Schaden ist absehbar.
Auch ohne Schuldenbremse dürften eigentlich die Bäume der Populisten nicht in den Himmel wachsen. Dafür müssten schon die Kapitalmärkte sorgen. Zumindest die explizite staatliche Verschuldung sollte gebremst werden. Die Politik kann allerdings immer noch auf die implizite Verschuldung ausweichen. Und sie tut es, exzessiv in der umlagefinanzierten Rentenversicherung. Mit steigender direkter staatlicher Kreditnahme werden finanzielle Mittel, die nicht effizient eingesetzt werden, die Kosten der Verschuldung treiben. Entweder die Politik erhöht die Steuern und Abgaben oder verringert (investive) Ausgaben an anderer Stelle. Beides goutieren die Wähler nicht. Eine Korrektur der Politik ist unvermeidlich. Der Sanktionsmechanismus des Kapitalmarktes wird allerdings außer Kraft gesetzt, wenn die Notenbanken staatliche Wertpapiere in großem Stil aufkaufen. Auf diesem Weg der (verbotenen) monetären Staatsfinanzierung ist in Europa die EZB. Schon heute befinden sich bis zu einem Drittel der nationalen Staatspapiere in ihren Büchern. Und sie will mit dieser halsbrecherischen Politik noch lange nicht aufhören. Die wieder aufgewärmte „Modern Money Theory“ gibt ihr scheinbar wissenschaftlichen Flankenschutz. Die EZB wird zur staatlichen „bad bank“, die als Endlager für staatliche Schulden dienen soll (hier). Mit dieser fiskalischen Geldpolitik ist sie den („linken“ und „rechten“) Populisten eine große Hilfe. Wer staatliche Schuldenbremsen abbaut und Staatsausgaben über die Notenpresse finanziert, läuft Gefahr, Steigbügelhalter der Populisten zu werden.
Fazit
Die Politik ist im Umbruch, überall. Populistische Trends sind ungebrochen. Der Populismus verbreitet sich wie ein Lauffeuer, in Europa und anderswo. Das ist politisch problematisch und ökonomisch schädlich. Aber auch die Bäume populistischen Unfugs wachsen nicht in den Himmel. Harte Budgetrestriktionen, nationale und europäische, können den wirtschaftlichen Schaden eindämmen. Der ökonomische Unfug der Populisten kostet Geld, viel Geld der Steuerzahler. Aber auch Wutbürger kommen schneller politisch zur Vernunft, wenn es an ihren Geldbeutel geht. Ihre Begeisterung für populistische Politik lässt dann schnell nach. Institutionelle Vorkehrungen können helfen, die Budgetrestriktion zu härten. Nationale Schuldenbremsen, internationale Haftungsausschlüsse und das Verbot monetärer Staatsfinanzierung zählen dazu. Sie stärken die Korrekturmechanismen, die populistischen Unsinn eindämmen. Schuldenbremsen bremsen den Populismus ein. Diese Korrektur wird unterminiert, wenn Schuldenbremsen „flexibilisiert“, „No bail out-Klauseln“ suspendiert und monetäre Staatsfinanzierungen wieder hoffähig werden. Die gegenwärtigen Forderungen, nationale Schuldenbremsen („Seriositätsgebote der Fiskalpolitik“) abzubauen oder zu beseitigen, die europäische Haftungsgemeinschaft weiter auszubauen und noch mehr monetäre Staatsfinanzierung zu betreiben sind Wasser auf die Mühlen der Populisten, „linken“ und „rechten“.
Blog-Beiträge zum Populismus:
Norbert Berthold: Vetternwirtschaft und Populismus. Ein Übel kommt selten allein
Norbert Berthold: Populistische Teufelskreise. Ist wettbewerblicher Föderalismus ein Gegenmittel?
Norbert Berthold: Die Integration und der Populismus. Wohin treibt die Europäische Union?
Norbert Berthold: Antikapitalistisch, fremdenfeindlich und nationalsozial. Was hilft gegen Populisten?
- Pakt für Industrie
Korporatismus oder Angebotspolitik? - 27. Oktober 2024 - De-Industrialisierung nimmt Fahrt auf
Geschäftsmodelle, De-Globalisierung und ruinöse Politik - 12. September 2024 - Ordnungspolitischer Unfug (13)
So was kommt von sowas
Unternehmer, Lobbyisten und Subventionen - 17. August 2024
Eine Antwort auf „Schuldenbremsen sind Populismusbremsen
„Neue“ Schuldenpolitik ist Wasser auf die Mühlen der Populisten“