Unter seinem neuen Premierminister Boris Johnson steuert Großbritannien immer deutlicher auf einen harten Brexit zu. Es fällt immer noch schwer, genau zu durchschauen, welche Beweggründe tatsächlich hinter dieser Entwicklung stehen. Ist es der politische Ehrgeiz einer kleinen Gruppe von nationalistisch gesonnenen Politikern, die Verklärung der britischen Insellage und einer großen Vergangenheit, sind es eine zunehmende Ungleichheit als Folge der Globalisierung oder die Zuwanderung aus dem Rest Europas? Eines kann es jedenfalls nicht sein: der Wunsch nach einer erfolgreichen wirtschaftlichen Zukunft. Denn die ist auf absehbare Zeit für die Briten nicht zu erwarten, auch wenn Donald Trump ihnen in die Ohren säuselt, dass dank tatkräftiger amerikanischer Unterstützung goldene Zeiten bevorstünden. Dies ist nichts anderes als „cheap talk“, leeres Gerede, mit dem Trump seine wahren Interessen verschleiert.
So genannte „kleine“ Länder besitzen in der Wirtschaftstheorie gewisse Vorteile. Sie können systematisch die Steuersätze ihrer größeren Nachbarn unterbieten und damit Verbraucher und Firmen anlocken, die dann mehr Steueraufkommen ins Land bringen als bei den – ebenfalls niedriger besteuerten – heimischen Verbrauchern und Unternehmen verloren geht. Auch eine Abwertung der heimischen Währung zur Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit kann meistens vorgenommen werden, ohne dass sich die Nachbarn allzu sehr daran stören. Manche Äußerungen der Brexiteers klingen verdächtig danach, dass man ernsthaft daran glaubt, es sich als Steueroase mit einer überdimensionierten Finanzindustrie zwischen den großen Wirtschaftsblöcken dieser Welt gemütlich machen zu können. Man kennt dieses Modell ursprünglich von ferneren und näheren Gestaden wie den Bermudas, den Kaimaninseln, Gibraltar, Montserrat, den Turks-Inseln, den Caicos-Inseln, Jersey, Guernsey, der Isle of Man usw. – allesamt übrigens Klein- und Kleinstmitgliedern des britischen Commonwealth.
Diese Überlegungen für eine goldene britische Zukunft lassen sich mit etwas Phantasie beliebig weiterspinnen, was vermutlich viele Brexiteers bereits ausführlich getan haben: dank eigener Ölquellen in Schottland glaubt man sich bis zu einem gewissen Grad gegenüber Wechselkursschwankungen geschützt, mit Konjunkturspritzen – beispielsweise zu Gunsten der glorreichen Royal Navy (verbunden mit reichlich gutem Nationalgefühl) – würde die Wirtschaft wieder brummen und ohne die „Polish plumbers“, die berühmt-berüchtigten polnischen Klempner, das britische Handwerk wieder wie zu den besten Zeiten gedeihen.
Diese Argumentation hat allerdings gleich mehrere Haken. Großbritannien ist in Wirklichkeit gar kein unbeobachtetes kleines Land, das seinen Wechselkurs beliebig beeinflussen kann. Es wird auch seine Steuersätze nicht drastisch senken können, ohne deutlich an Steueraufkommen der heimischen Verbraucher und Unternehmen zu verlieren. Schließlich werden die Commonwealth-eigenen Steuerparadiese weiterhin kleiner und damit noch aggressiver im Steuerwettbewerb sein.
Was aber noch schlimmer wirken wird, ist die Tatsache, dass die großen Wirtschaftsblöcke dieser Welt Großbritannien tatsächlich als kleines Land behandeln werden, wenn es um neue Zoll- und Handelsabkommen geht. Diese werden dringend benötigt, weil das Land in die europäischen Handelsverträge mit dem Rest der Welt eingebunden war, was nach dem Brexit hinfällig wird. Aktuell hat Großbritannien nur eine sehr überschaubare Anzahl an Handelsabkommen für die Zeit nach dem Brexit abschließen können: mit den Ländern Ost- und Südafrikas, Zentralamerikas, der Karibik und der Anden, mit den pazifischen Inseln, Norwegen, Island, Liechtenstein, der Schweiz, Israel, Palästina, Chile und den Färöer Inseln.
Die „Großen“ lassen die Briten dagegen zappeln. So ist dokumentiert, dass Japan in einem neuen Handelsabkommen mit Großbritannien deutlich bessere Konditionen erwartet als man mit der Europäischen Union als Ganzes (inklusive der Briten) aushandeln konnte. Die Japaner spielt dabei in die Hände, dass sie es nicht besonders eilig haben.
Der ehemalige amerikanische Finanzminister Larry Summers bringt es in seiner bekannt direkten Art auf den Punkt: „Britain has no leverage, Britain is desperate … it needs an agreement very soon. When you have a desperate partner, that’s when you strike the hardest bargain.“ Man mag Donald Trump für einen gewieften Verhandlungsführer oder doch nur für einen billigen Taschenspieler halten, beim Thema Brexit verfolgt er eine nachvollziehbare Strategie, die zum Nutzen Amerikas und zum Schaden sowohl der Briten als auch der Europäer ist. Einerseits verführt er die Briten zum Brexit, in dem er ihnen besondere Vorteile für die Zeit danach verspricht. Auf diese Weise trägt er zur Schwächung der Europäischen Union bei, was ihm – so hofft er – in eine stärkere Position bringt, wenn es um neue Strafzölle oder Handelsabkommen geht. Vorteilhafte „Deals“ ließen sich gegen eine EU mit den Briten schwerer erzielen.
Andererseits wird sich die freundliche Einladung zu einem vorteilhaften Handelsabkommen, das das Handelsvolumen zwischen den USA und Großbritannien laut Präsident Trump „three to four, five times“ wachsen lassen werde, nach dem Brexit in einen britischen Albtraum verwandeln, denn die Verhandlungspositionen verschieben sich nachhaltig zugunsten der Amerikaner. Dass sich Trump diese Gelegenheit wird entgehen lassen, mag man nicht glauben: es ist – in Summers Worten – „Schnäppchenzeit“. Oder in der ökonomischen Fachterminologie, die an dieser Stelle ausnahmsweise einmal sehr bildlich ist: es ist „hold up“- bzw. (Raub-)Überfallzeit. Armes Großbritannien, das in den Zeiten Trumps auf die besonderen britisch-amerikanischen Beziehungen hofft!
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Brexit: Schnäppchenzeit für die USA?“