COVID-Zertifikate als Druckmittel
Besser wären Immunitätsprämien

Der Weg aus der Pandemie und aus dem Dauer-Lockdown führte schon immer über die ultimative Ressource: Die Immunität. Sie ist mittels Genesung auf natürliche Weise erreichbar und kann glücklicherweise seit Jahresbeginn auch eingeimpft werden. Die Dokumentation und Nutzung der Immunität mittels Immunitätszertifikaten (COVID-Zertifikaten) wäre in der Krise zentral gewesen. Bereits früh hätten die Genesenen gesucht und zertifiziert werden können.

Leider hatten Immunitätszertifikate verschiedenste Gegner, die es im Endeffekt verunmöglichten, die Immunität der Genesenen zu nutzen: Immunitätsleugner wollten nicht glauben, dass Genesene eine gewisse Immunität entwickeln. Ängstliche wollten absolute Sicherheit. Doch wer für Immunität, gleich ob genesungs- oder impfbedingt, absolute Sicherheit verlangt, verlangt Unmögliches. Sicherheitsanforderungen müssen situativ angemessen sein und Güterabwägungen, wie die psychischen, sozialen und wirtschaftlichen Kosten von Pandemiebekämpfungsmaßnahmen mitberücksichtigen. Gleichmacher wollten lieber eine gleich schlechte Situation für alle als eine gewisse Rückkehr in die Normalität für Genesene, womit sie diese effektiv diskriminierten. Ein sinnvolles Verständnis des Gleichheitsgebotes inkludiert, gewisse Rechte an körperliche Eigenschaften zu knüpfen – es dürften nur keine irrelevanten Eigenschaften sein. Die weitgehende Immunität der Genesenen in einer Pandemie ist keine irrelevante Eigenschaft.

Die Verzögerung der Zertifizierung der natürlichen Immunität war problematisch: Erstens waren die Einschränkungen für die Genesenen vielfach unverhältnismäßig. Zweites hätte schneller geimpft werden können, wenn systematisch nach möglichst allen Genesenen gesucht und diese dann nachrangig geimpft worden wären. Drittens ist der bevölkerungsweite Immunitätsstatus eine wichtige Kennzahl zur Bewertung der Gefahren der Pandemie. Mit Koautoren habe ich mehrfach die Bedeutung von Immunitätszertifikaten bereits zu Beginn der Pandemie betont (u.a. im März 2020 auf Wirtschaftliche Freiheit).

Mittlerweile ist allen klar, dass die Immunität durch Genesung und Impfung die zentrale Ressource und der Ausweg aus der Krise ist. Klar ist auch, dass Unterdrückungsstrategien für das Virus wie ZeroCovid massive Kosten und einen immer geringeren Nutzen je zusätzlichem Immunen mit sich bringen. Unterdrückungsstrategien setzten sogar gewisse Anreize für die Entscheidungsträger trotz vorhandener Impfung, die Immunisierung nicht schnell voranzutreiben.

Nun sind Immunitätszertifikate für Genesene und Geimpfte in der EU allgegenwärtig, in Deutschland mitunter durch die CovPass-App. Auf den ersten Blick erscheint das vernünftig. Doch hat sich die Situation dank den Impfungen verändert: Immunitätszertifikate kamen nahezu zeitgleich mit einer Impfmöglichkeit für alle. Jene mit einem schweren Erkrankungsrisiko waren bis dahin weitgehend geimpft. Mit der allgemeinen Impfmöglichkeit verlieren Immunitätszertifikate – bis auf wenige Ausnahmen bei internationalen Reisen oder im medizinischen Bereich – ihre Notwendigkeit. Sie dienen nun primär der Dokumentation der persönlichen Immunität. Da genug Impfstoff in Europa zur Verfügung steht, sind die Probleme der negativen externen Effekte von Corona hierzulande nun weitgehend gelöst. Wer sich ungeimpft in der Öffentlichkeit bewegt, gefährdet „nur“ sich selbst und andere freiwillig Ungeimpfte. Verbleibende Externalitäten der Infektionskrankheit sind klein und insbesondere klein im Vergleich zu den durch Einschränkungsmaßnahmen induzierten negativen Effekte auf Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Argument, die Impfung nütze der Allgemeinheit, zieht ebenfalls nicht mehr. Die Impfung schützt alle Geimpften einigermaßen zuverlässig.

Mit dem Überangebot an Impfungen hat sich jedoch das Ziel mancher Regierung geändert. Es geht nicht mehr um die Vermeidung von externen Effekten wie einer Überlastung des Gesundheitssystems. Stattdessen soll nun eine Impfquote erreicht werden. Dazu sollen auch Immunitätszertifikate eingesetzt werden, indem mit ihnen indirekt Druck auf noch Ungeimpfte ausgeübt wird. Gewisse Freiheiten drohen an COVID-Zertifikate geknüpft zu werden. So könnte aus dem früheren Krisenlösungs- und Freiheitsinstrument indirekt ein Zwangsinstrument werden. Die Zielverschiebung bringt wenigstens drei negative Auswirkungen mit sich. Erstens dürften manche Bevölkerungsgruppen weiter Vertrauen in die Politik verlieren. Zweitens dürften die registrierten medizinischen und psychischen Nebenwirkungen der Impfung mit dem Ausmaß des Impfdrucks zunehmen. Wer eigentlich nicht geimpft werden will, wird leichte Kopfschmerzen nach einer aufgedrängten Impfung schnell als bleibende schwere Migräne verstehen (wollen). Drittens dürften bei Zwang die registrierten Impfungen von den tatsächlich verabreichten abzuweichen beginnen, denn immerhin geht es den Bürgern dann um das COVID-Zertifikat und nicht um den Impfschutz.

Wer unbedingt eine bestimme Impfquote erreichen will, sollte anders vorgehen. Statt Immunitätszertifikate als Druckmittel zu missbrauchen, gilt es auf Überzeugung und auf positive Anreize zu setzen. Viele Impfskeptiker werden sich mit der Zeit umstimmen lassen, insbesondere wenn sie sehen, dass sie keine Versuchskaninchen sind. Eine Immunitätsprämie von beispielsweise 500 Euro setzt positive Anreize. Sie kann als Steuersenkung für alle geimpften oder genesenen Steuerpflichtigen und als Pauschale für alle anderen umgesetzt werden. Belohnungen lenken das Verhalten und säen weniger Misstrauen im Vergleich zu Zwang. Dabei darf die Immunitätsprämie aber nur so lange bezahlt werden, bis die anvisierte Impfquote erreicht ist. Jene die bereits immun sind, haben also die Prämie bereits sicher und alle anderen dürften sich in einer Art sportlichen Anmeldewettbewerb schnell für die Impfung registrieren.

Hinweis: Eine kürzere Variante des Kommentars erscheint als Leitartikel in der Fachzeitschrift WiSt.

David Stadelmann
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Eine Antwort auf „COVID-Zertifikate als Druckmittel
Besser wären Immunitätsprämien

  1. Mir ist nicht ganz klar, warum man eine Steuersenkung für Geimpfte braucht, wenn man eine Steuererhöhung für Impfverweigerer dadurch erreichen kann, dass diese ihre Freitestungen selbst bezahlen. Warum muss die Gemeinschaft dem Einzelnen zumutbare Beiträge (wir reden hier über wenige Euro pro Test, die jeweils wegfallen, wenn sich der betreffende Person impfen lässt) abnehmen?

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