Nach unseren Schätzungen ist die EZB in einigen Ländern nicht mehr so weit davon entfernt, Mehrheitsgläubiger zu werden, in Portugal wurde die 50%-Marke wohl sogar schon überschritten. Aus rechtlicher Sicht ist diese Entwicklung nicht ohne Brisanz, da sich selbst das EZB-freundliche Urteil des EuGH so interpretieren lässt, dass dann auch die Grenze zur monetären Staatsfinanzierung durchbrochen wäre.
Die EZB kauft und kauft: Im Rahmen des PSPP hat sie bisher Staatsanleihen im Umfang von 2,4 Billionen Euro erworben, im Rahmen vom PEPP für weitere 1,1 Billionen. Dazu kommen noch die zu nicht-geldpolitischen Zwecken erworbenen Anleihen (ANFA, Agreementon net financial assets1). Nach unseren Schätzungen haben die Euro-Notenbanken in Portugal wohl sogar schon mehr als die Hälfte aller notenbankfähigen Anleihen erworben, in den Niederlanden und in Deutschland dürfte die 50%-Grenze nur noch wenige Prozentpunkte entfernt, liegen (Abbildung 1).
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Damit hat die EZB allerdings nicht gegen ihre selbst gesetzten Grenzen verstoßen. Ihre Ankaufsobergrenze von 33% (gestrichelte Linie in der Grafik) bezieht sich nämlich nur auf sämtliche erworbene Anleihen ohne das PEPP (also hauptsächlich Käufe im Rahmen von PSPP und ANFA). Die PEPP-Käufe hat die EZB explizit von der Berechnung ausgenommen, um sich genügend Flexibilität in der Notsituation der Corona-Pandemie zu erhalten. Die Notenbank hält diese Vorgehensweise angesichts der Dramatik der Situation für verhältnismäßig, wie sie selbst immer wieder betont hat.
Aus rechtlicher Sicht erscheint uns ein Überschreiten der 50%-Grenze allerdings brisant. Dies liegt hauptsächlich an der bisherigen Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum PSPP.
Bisher hat dieser es vermieden, der EZB-Geldpolitik Steine in den Weg zu legen. Vielmehr erkennt er der Notenbank einen breiten Ermessungsspielraum zu. So hatte der EuGH in seinem Urteil zum PSPP auch nicht gefordert, an der bestehenden Grenze von 33% festzuhalten. Er argumentierte vielmehr, eine Obergrenze sei wichtig, damit ein Inhaber einer Staatsanleihe keine Gewissheit hat, dass die Notenbank seine Anleihe ankaufen wird. Denn gäbe es eine solche Gewissheit, sei ein solcher Ankauf über Investoren mit dem unmittelbaren Kauf von Staatsanleihen durch die Notenbank am Primärmarkt gleichzusetzen, und dieser ist der EZB verboten. Der entscheidende Punkt bei dieser Argumentation ist, dass es hier nur darauf ankommt, dass eine Obergrenze existiert, und nicht ob diese Grenze bei 33% oder zum Beispiel bei 40% liegt.
Dies bedeutet aber nicht, dass diese Grenze beliebig angehoben werden kann. Denn der EuGH hat durchaus Signale gegeben, wo eine Grenze liegen dürfte (Randnotiz 141 im Urteil):
“Moreover, as a result of the purchase limits per issue and per issuer set out in Article 5(1) and (2) of that decision, in every case only a minority of the bonds issued by a Member State can be purchased by the ESCB under the PSPP, which means that that Member State has to rely chiefly on the markets to finance its budget deficit.”
Offenbar sieht der EuGH die Käufe der EZB aus rechtlicher Sicht nicht als problematisch an, solange die Notenbank lediglich eine Minderheit aller verfügbaren Anleihen erworben hat – also weniger als 50%. Würde sie dagegen Mehrheitsgläubiger, wäre dies problematisch.
Nun hat der EuGH bisher nur zum PSPP geurteilt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist unklar, ob das Bundesverfassungsgericht eine Klage zum PEPP akzeptiert. Falls das deutsche Gericht dies tut, wird es vermutlich den EuGH erneut um eine Beurteilung bitten. Nach den bisherigen Urteilen des EuGH ist eigentlich zu erwarten, dass das europäische Gericht die Nichtberücksichtigung der PEPP-Käufe bei der Frage, ob eine Obergrenze überschritten wurde, als recht- und verhältnismäßig ansieht.
Vollkommen unklar ist allerdings, wie der EuGH in diesem Fall den Widerspruch zu seiner bisherigen Argumentation auflösen könnte. Schließlich kann der Grad der Gewissheit eines Inhaber einer Staatsanleihe, dass die Notenbank seine Anleihe ankaufen wird, nicht davon abhängen, ob die EZB Anleihen über das PSPP oder über das PEPP erworben hat. Hier zählt nur, wie hoch der Anteil der notenbankfähigen Anleihen insgesamt ist, den die Notenbank bisher gekauft hat. Und diese Gewissheit sah bisher selbst der EuGH als hoch an, wenn die 50%-Grenze überschritten ist.
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1 Es handelt sich um eine Vereinbarung zwischen den nationalen Zentralbanken (NZBen) des Euroraums und der EZB. Das ANFA enthält Regeln und Obergrenzen für Finanzanlagen, die mit den nationalen Aufgaben der NZBen zusammenhängen. Diese Finanzanlagen der NZBen können beispielsweise mit der Gegenposition zu Grundkapital und Rücklagen oder sonstigen spezifischen Passiva, ihren Währungsreserven und Pensionsfonds für Mitarbeiter zusammenhängen, oder sie können allgemeinen Anlagezwecken dienen.
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