Der Inflationsdruck in Deutschland und Europa ist auch 2022 sehr hoch. Zum Jahreswechsel gab es kein Abflauen, obwohl das manche aufgrund von Einmaleffekten prognostiziert hatten. So lag die Inflationsrate in Deutschland im Februar wieder bei über 5%. Europaweit betrug sie sogar knapp 6%. Gründe sind vor allem explodierende Energiepreise und steigende Ausgaben für Lebensmittel. Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft der Menschen und nagt an den Ersparnissen.
Der Ukraine-Krieg dürfte den Preisdruck im Sommer weiter nicht so schnell abebben lassen – nicht nur wegen steigender Energiepreise, sondern auch aufgrund von Materialmangel und Lieferengpässen. Doch was passiert danach? Die Ökonomen Gunther Schnabl und Sebastian Dullien sind unterschiedlicher Meinung, ob die Inflation dauerhaft erhöht bleibt und inwieweit ein Eingreifen der Politik, allen voran der EZB, geboten ist.
Pro: Gunther Schnabl
Prof. Dr. Gunther Schnabl ist Professor für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig. Er leitet dort das Institut für Wirtschaftspolitik. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geld- und Währungspolitik sowie die japanische Volkswirtschaft. Er war unter anderem Gastwissenschaftler an der Stanford University, der Tokyo University und der Europäischen Zentralbank. Sein jüngstes Buch zu „Japans Banken in der Krise“ zeigt die negativen Folgen von 30 Jahren Niedrig- und Nullzinspolitik in Japan für den Wohlstand auf.
Hauptargumente
Die Geldpolitik der EZB ist spätestens seit der europäischen Finanz- und Schuldenkrise 2009 zu locker. Die anhaltend niedrigen Zinsen lähmen das Wachstum im Euroraum. Die Geldschwemme der EZB hat zunächst zu Vermögenspreisinflation und seit 2021 auch zu Konsumentenpreisinflation geführt, was negative Verteilungseffekte hat.
Empirie
Das Volumen der Bilanz des Eurosystems – der EZB und der nationalen Zentralbanken der Euroländer – ist von circa 700 Mrd. Euro 1999 auf über 8.500 Mrd. Euro angewachsen. Der Leitzins liegt seit März 2016 bei 0%. Die Staatsverschuldung als Anteil am Bruttoinlandsprodukt im Euroraum ist seit 1999 von rund 70% auf circa 100% gestiegen. Trotzdem ist das Wachstum im Trend zurückgegangen.
Probleme
Eine klare geldpolitische Straffung ist nicht in Sicht – wohl auch deshalb, da ein Ende der Staatsanleihekäufe der EZB einige hochverschuldete Eurostaaten in finanzielle Bedrängnis bringen dürfte. Zudem gibt es trotz steigender Inflation immer wieder neue Rechtfertigungen für eine anhaltend lockere Geldpolitik. Doch ohne eine Konsolidierung der Staatsausgaben und der Geldpolitik wird der Inflationsdruck weiter steigen. Besonders die junge Generation leidet, da deren Lohnniveau sinkt und die Immobilienpreise stark steigen.
Politikvorschläge
Um den Euroraum mittelfristig wirtschaftlich und politisch zu stabilisieren, muss die Geldpolitik der EZB vorsichtig, aber entschlossen gestrafft werden. Ich empfehle zunächst ein zeitnahes Ende der EZB-Anleihekäufe. Ab der zweiten Jahreshälfte 2022 könnten kleine Zinsschritte nach oben folgen, schließlich ab 2023 ein bedächtiger Abbau der Anleihen im Bestand. Das würde mittelfristig die Mittelschicht in Europa wieder stärken.
Contra: Sebastian Dullien
Prof. Dr. Sebastian Dullien leitet als Wissenschaftlicher Direktor das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung und ist Professor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Zuvor war Dullien Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations und Redakteur für Wirtschaftspolitik bei der Financial Times Deutschland.
Hauptargumente
Dauerhafte Inflation ergibt sich, wenn die Löhne gesamtwirtschaftlich deutlich stärker steigen, als das mit stabilen Preisen vereinbar wäre. Für Deutschland und die EZB sind im Trend nominale Lohnerhöhungen von 3% stabilitätskonform. Dieser Anstieg setzt sich zusammen aus 2% Inflationsziel der EZB plus 1% trendmäßiges Produktivitätswachstum. Bisher gibt es kein Anzeichen, dass die Löhne stärker als dieser Wert steigen. Wenn dies passieren würde, würde außerdem die EZB die Zinsen erhöhen und die Inflation drücken.
Empirie
Im Euroraum wie auch in Deutschland ist die Inflation derzeit vor allem von Energiepreisen und Problemen in den Lieferketten getrieben. Die russische Invasion in die Ukraine hat jetzt zwar noch einmal zu einem noch größeren Teuerungsschub bei Energie geführt, gleichzeitig dürfte sie aber auch die Wirtschaftsaktivität bremsen, weil wegen der Unsicherheit Firmen weniger investieren oder Haushalte nicht konsumieren. Die längerfristigen Inflationserwartungen sind stabil.
Probleme
Der Energiepreisanstieg nach dem russischen Einmarsch ist so groß, dass soziale Verwerfungen drohen. Beim Haushaltsgas in Deutschland etwa droht eine Verdopplung der Preise zum Vor-Pandemie-Niveau, was für durchschnittliche Familien leicht eine Mehrbelastung von 100 Euro pro Monat ausmacht.
Politikvorschläge
Bei den Gaspreisen sollte der Staat gezielt eingreifen. Ein sinnvoller Vorschlag wäre an dieser Stelle die Einführung eines Gaspreisdeckels für einen gewissen Sockel der Grundversorgung an Gas. So könnte etwa jeder Haushalt vorübergehend bis zu 8.000 Kilowattstunden (KWh) Gas für 7,5 Cent pro KWh bekommen, der Staat würde die Versorger entschädigen.
Hinweis: Pro & Contra wurde zusammengestellt von Jörg Rieger, Würzburg. Es erschien in Heft 4 (2022) der Fachzeitschrift WiSt.
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