Mit der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 wurde die Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) beschlossen. Ausgangspunkt für diese Installation war – wen würde es überraschen? – die Finanzkrise 2008. Im Amtsblatt der Europäischen Union vom 15.12.2010, dem offiziellen Publikationsorgan für derartige Verordnungen, liest man in den als Einführung abgedruckten Gründen für das Gesetzgebungsverfahren u.a. (hier) in den Ziffern (8) und(9):
„(8) … Das Europäische System der Finanzaufsicht (im Folgenden „ESFS“) sollte so konzipiert sein, dass es diese Mängel überwindet und ein System schafft, das dem Ziel eines stabilen und einheitlichen Finanzmarkts der Union für Finanzdienstleistungen entspricht und die nationalen Aufsichtsbehörden innerhalb eines starken Netzwerks der Union verbindet.
(9) Beim ESFS sollte es sich um ein integriertes Netz nationaler Aufsichtsbehörden und Aufsichtsbehörden der Union handeln, in dem die laufende Beaufsichtigung auf nationaler Ebene verbleibt …“
(Hervorhebungen LK)
Vor nicht einmal ganz zwei Jahren war man sich auf europäischer Ebene also einig, dass die Lösung des Aufsichtsproblems im Finanzsektor durch ein Netzwerk nationaler Aufsichtsbehörden sowie der in dieser Verordnung gegründeten europäischen Bankaufsichtsbehörde und zweier weiterer europäischer Aufsichtsbehörden für Versicherungswesen und betriebliche Altersversorgung einerseits und Wertpapiere/Märkte andererseits gefunden sei. Die neue Behörde für Bankenaufsicht wurde danach eilends in der City of London domiziliert und ist seither anglophon als EBA (European Banking Authority) im Internet zugänglich. In der Rubrik „About us“ ihrer Homepage (http://www.eba.europa.eu/Aboutus.aspx#) liest man zu (Selbst-)Verständnis und Kompetenzen der neuen Institution:
„The EBA acts as a hub and spoke network of EU and national bodies safeguarding public values such as the stability of the financial system, the transparency of markets and financial products and the protection of depositors and investors.
The EBA has some quite broad competences, including preventing regulatory arbitrage, guaranteeing a level playing field, strengthening international supervisory coordination, promoting supervisory convergence and providing advice to the EU institutions in the areas of banking, payments and e-money regulation as well as on issues related to corporate governance, auditing and financial reporting.“
Nach dieser eindrucksvollen Aufzählung folgt ein größerer Leerraum bis die Seite mit
“Michel Barnier, Member of the European Commission, Internal Market and Services“
(Fettdruck im Original)
endet. Derselbe Michel Barnier fungiert in den letzten Monaten als Sprachrohr der EU-Kommission für den Plan einer einheitlichen Bankenaufsichtsbehörde im Euroraum. Die Idee eines Netzwerks nationaler Aufsichtsbehörden mit der EBA als Koordinationsstelle tritt damit – vorsichtig formuliert – bereits in den Hintergrund, ohne dass der Binnenmarktkommissar es für nötig hielte, seinen Namen von den stolzen Formulierungen der zitierten Webpage zu löschen.
Das Ganze ist schon institutionell bemerkenswert, denn dass ein Organ der EU mit diesem Nachdruck eine völlige Revolutionierung der Bankaufsicht in der Eurozone betreibt, welche zudem die soeben beschriebene Zielsetzung für die EBA zumindest auf eine Koordination zwischen Eurozone und den Ländern Resteuropas beschneidet (die der neuen Aufsichtsbehörde übrigens freiwillig beitreten dürfen!), spricht nicht gerade für übergroße Trennschärfe in Sachen Kompetenzabgrenzung. Betrachtet man die geplante Regelung, wird diese institutionelle Schizophrenie indessen leicht durchschaubar: Als neue Aufsichtsbehörde soll die EZB fungieren, was man EU-Mitgliedern außerhalb der Eurozone nicht ohne weiteres aufzwängen kann. Der Kommissionssitz Brüssel verleiht der EZB in Frankfurt damit eine zusätzliche Aufgabe, die aus verschiedenen Gründen sehr skeptisch gesehen wird.
Da ist zunächst die eigentliche Funktion der EZB, in deren Ausübung sie als Financier der Geschäftsbanken auftritt. Nunmehr würde sie in Personalunion Aufseher und Geldgeber spielen – eine Idee, deren Problematik man dadurch entgegen zu treten versucht, dass die strikte Trennung beider Bereiche für die Zukunft gelobt wird. Wer die Realität anderer Formen von „Chinese Walls“ im Finanzsektor und darüber hinaus kennt, wird solchen Versprechungen sicher eher mit müdem Lächeln als blindem Vertrauen begegnen. Hinzu kommt, dass die jüngste Vergangenheit bereits erhebliche Zweifel aufkommen ließ, ob sich die EZB mit den Möglichkeiten ihres Mandats zufrieden gibt. Was soll man dann erst erwarten, wenn ihr Kompetenzrahmen derart erweitert wird?
Der nächste Aspekt betrifft die faktische Umsetzung der Bankenkontrolle. Hierbei sind zwei Möglichkeiten denkbar. Alternative A wäre ein „business as usual“ unter neuem Etikett, will heißen: Die eigentliche Kontrolle betreiben die nationalen Aufsichtsbehörden, die dann ihre Informationen an die EZB und eben nicht an die EBA weitergeben, die ihrerseits nur noch die Eurozone mit Resteuropa in Einklang bringt. Ob damit gegenüber der aktuell immer noch als Leitbild fungierenden Lösung etwas an Effizienz gewonnen wäre, darf getrost bezweifelt werden. Bleibt Alternative B: Die EZB prüft selbst mit Personal, dessen Provenienz ex ante nicht genau fixiert werden kann. Angesichts ihrer Rekrutierungsvorgaben ist es nämlich durchaus möglich, dass eines Tages anglo- oder francophone Prüfer in den Räumlichkeiten einer ländlichen Raiffeisenbank auftreten; man denke etwa an Gammesfeld in der schwäbischen Provinz, wo ein Ein-Mann-Vorstand ohne Angestellte die Bankgeschäfte bis heute ohne Internet, aber zur Zufriedenheit seiner paar hundert Kreditgenossen und Kunden sowie ohne Inanspruchnahme irgendwelcher Rettungsschirme führt. Was soll denn, bitte, in Antizipation solcher Fälle geschehen? Wird die Ausbildung zum Bankkaufmann oder zumindest die Erlangung der Institutsleiterqualifikation nach § 33 Abs. 2 KWG in Zukunft auch ein Übersetzerdiplom oder gar das Anglicum/Gallicum beinhalten? Nicht nur die unmittelbar Betroffenen dürften Antworten auf derartige Fragen gespannt entgegensehen.
Bliebe dann noch der Zeitplan. Die nicht nur angesichts der beschriebenen Probleme wahnwitzige Projektion von Barnier sieht so aus, dass bereits am 1.1.2013 die Kontrollzuständigkeit auf die EZB übergeht und nach zwischenzeitlicher Einbeziehung der Großbanken schließlich ab 2014 alle rund 6.000 Kreditinstitute der Eurozone unter unmittelbarer EZB-Aufsicht stehen.
Diese Chronologie ist leicht durchschaubar: Um zu erreichen, dass sich die Brüsseler Idee einer Frankfurt-zentrierten Bankaufsicht derart schnell bis nach Gammesfeld umsetzen lässt, müssen die zuständigen EU-Gremien in einem Eildurchlauf entscheiden, dessen Vorstrukturierung an den Versuch eines Handstreichs erinnert. Kein Wunder, dass Wolfgang Schäuble im Bundestag „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“ als bessere Alternative einfordert. Es bleibt abzuwarten, mit welchem Ergebnis, auch wenn Martin Schulz mittlerweile öffentlich die Mitwirkung des von ihm präsidierten EU-Parlaments an der Entscheidung einfordert. Immerhin wäre damit die demokratische Legitimierung des Verfahrens wenigstens teilweise hergestellt.
Angesichts dieser komprimierten Beschreibung der Lage bleibt natürlich die Frage nach dem „cui bono?“. Sie beantwortet sich indessen recht schnell, wenn man auf den zweiten Teil der Aufsichtsreform blickt: Die Intention einer euroweiten Einlagensicherung, die bei Schieflagen aller von der EZB kontrollierten Banken herangezogen werden soll. Selbst wenig mit der Sache befassten Zeitgenossen wird schnell klar, dass damit eine Sozialisierung sehr unterschiedlicher Risiken erfolgt, die natürlich nicht durch die Installation einer gemeinsamen Aufsicht gerechtfertigt werden kann, weil eine einheitliche Kontrolle keine hinreichende Bedingung für einen einheitlichen Rettungsfonds ist. Allerdings ist sie de facto eine notwendige und das erschließt unmittelbar die Logik des Geschehens: Weil man dem Publikum keine sozialisierte Einlagensicherung ohne eine für alle betroffenen Banken gleiche Kontrolle verkaufen kann, wird letztere als eigentliches Hauptziel propagiert, um die tatsächlich viel stärker ersehnte erstere en passant gleich ebenfalls einzuführen.
Aus Sicht der Brüsseler Bürokratie ist das alles freilich nicht so schlimm, denn laut einem ihrer Papiere sollen die bisherigen nationalen Sicherungsfonds aufrecht erhalten bleiben. Allerdings soll es eine gegenseitige Notfallhilfe geben, wenn die Töpfe eines Landes erschöpft sind, was für die Teile der Eurozone besonders süffisant klingt, die bislang überhaupt noch keine durch den Bankensektor finanzierte Einlagensicherung etabliert haben. Der gute alte Salomo würde sicher vor Neid über „Weisheit“ dieser „Lösung“ erblassen: Selbstständigkeit, wenn man die neue Regelung ohnehin nicht braucht, und Beschlagnahme deutscher und anderer für internationale Transfers bislang unzugänglicher Reserven, wenn sich die bekannten Probleme südeuropäischer Banken nicht schnell bereinigen lassen.
Dass eine solche Bereinigung nicht erwartet wird, zeigt die offenkundige Absicht der EU, bereits anderweitig schwer belastete Nationen vor Stützungen ihrer notleidenden Kreditinstitute zu bewahren. Wenn sich Herr Barnier zitieren lässt „Der Zeitplan ist realistisch und notwendig“, so lässt dies einerseits darauf schließen, dass die Notfallhilfe schon sehr bald anstehen könnte, und bietet andererseits neben dem oben geschilderten Überrumplungsmoment hinsichtlich des Entscheidungsverfahrens eine zusätzliche Erklärung für die Eile bei der Umsetzung der intendierten Regelungen.
Eine Koordination der Aufsicht wäre nun tatsächlich sinnvoll, soweit es um systemrelevante Institute geht. Hat man Bedenken, dass auch Sparkassen und Genossenschaftsbanken auf Systemebene Risikorelevanz entfalten könnten, so wäre dabei durchaus auch an deren Spitzeninstitute zu denken, denn bei diesen sammeln sich im Falle eines Falles die Risiken sowohl aus der Größe des eigenen Geschäftsbetriebs als auch aus dem über sie betriebenen Verbund. Eine ähnliche Wirkung würde auch die Einbeziehung von Banken ab einer vorgegebenen Bilanzgröße (z.B. 10 Mrd. €) ergeben und man könnte schließlich sogar darüber nachdenken, ob der Wertpapierhandel auf eigene Rechnung als besonderer Risikofaktor nicht die einheitliche Kontrolle aller sogenannten „Handelsbuchinstitute“ rechtfertigt. Dann müssten die von allen ausgewählten Banken geleisteten Einlagen in die bisherigen Sicherungseinrichtungen in einen neuen gemeinsamen Fonds übertragen werden, in den dann auch ihre zukünftigen Beiträge fließen würden. Das Dumme ist nur: Ohne die Mitwirkung der vielen risikoarmen Banken, die bei diesem Vorgehen nicht tangiert würden, bliebe die aufzubringende finanzielle Schlagkraft eines solchen Fonds aktuell wie auch auf mittlere Sicht zu klein. Das wissen alle Beteiligten und daher werden sich die diesen Plänen bislang widersprechenden Deutschen samt ihren wenigen Verbündeten wohl auch hier nicht durchsetzen.
Nach der Draghi-Bazooka und dem ESM droht nun also noch eine Subventionierung der Süd- durch die Nordländer im Euroraum, diesmal durch ein Risikopooling, bei dem die Raiffeisenbank Gammesfeld durchgerechnet für europäische Großbanken bürgt – da wird der Vorstand wohl noch länger auf die online-Verbindung zum Rechenzentrum verzichten und Überweisungen mit der Schreibmaschine ausfüllen müssen!
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„da wird der Vorstand wohl noch länger auf die online-Verbindung zum Rechenzentrum verzichten und Überweisungen mit der Schreibmaschine ausfüllen müssen!“
Haha, selten so herzlich gelacht. Aber es ist so. Wir sind doomed.