„Dick sein ist keine physiologische Eigenschaft – das ist eine Weltanschauung.“ (Tucholsky, 1920)

Betrachtet man die Entwicklung der Gesundheit der deutschen Bevölkerung, scheint eine solche Art der Weltanschauung, wie sie der große deutsche Spötter Tucholsky äußert, weit verbreitet zu sein: Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der DKV, die von der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) durchgeführt wurde und zum Ziel hatte, die gesundheitsbezogene Lebensweise der Deutschen abzubilden, ergab, dass lediglich 11% der 3.032 Befragten allen gestellten Anforderungen[1] an eine gesunde Lebensweise gerecht werden (Mensik et al. 2012). Als besondere Problemfelder, die einer gesunden Lebensweise im Wege stehen, werden dabei vor allem unangemessene Ernährung und zu wenig Bewegung identifiziert. So bewegen sich nur 54% der Deutschen ausreichend, das heißt mindestens 150 Minuten bei moderater Aktivität pro Woche, obwohl hierzu schon die tägliche Wegstrecke bis zur Arbeitsstätte, wird sie mit dem Fahrrad zurückgelegt, zählt. Im Vergleich zur letzten DKV-Studie mit diesem Hintergrund verschlechterte sich das gesundheitsfördernde Verhalten der Deutschen: 2010 konnten noch 14% der Befragten die Benchmarks erfüllen, dabei erreichten 60% (54% in 2012) der Deutschen die Mindestempfehlung bezüglich sportlicher Aktivität.

Erste Ergebnisse aus der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS) zeigen, dass etwa 67% der Männer und 53% der Frauen zwischen 18-79 übergewichtig sind. In Bezug auf die Kosten haben Studien gezeigt, dass adipöse Menschen etwa 41% höhere Krankheitskosten verursachen als Menschen mit einem gesunden Körpergewicht und Untersuchungen in den USA belegen, dass rund 21% der Gesundheitsausgaben im Zusammenhang mit Fettleibigkeit stehen. Angesichts der immer weiter steigendenden Kosten auch im deutschen Gesundheitssystem, die die Allgemeinheit zu tragen hat, kann ein Recht auf die Weltanschauung, wie Tucholsky Fettleibigkeit (und damit gesundheitsgefährdendes Verhalten) umschreibt, disktutiert werden.

Gesundheitsausgaben
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Entgegen dieser Weltanschauung hat nun New York (im September 2012) als erste Stadt in Amerika im Kampf gegen das Übergewichtsproblem (zwei Drittel aller Amerikaner gelten als übergewichtig) Getränkebecher, die mehr als 16 Unzen (0,474ml) fassen, für süße Getränke, wie z.B. Limonade, verboten (o. V. 2012). Dabei stellt sich die Frage, ob ein Eingreifen des Staates bezüglich der Übergewichtsproblematik wirklich gerechtfertigt werden kann, oder ob sich diese Problematik (besser) von privatwirtschaftlicher Seite lösen lässt.

Ein staatlicher Eingriff bezüglich der Prävention lässt sich aus drei weiteren Gründen kaum rechtfertigen:

  1. Die Prävention kommt in erster Linie den Individuen zugute, die dieselbe durchführen, d. h., der Charakter des privaten Gutes dominiert eindeutig vermeintlich auftretende externe Effekte.
  2. Der Argumentationsstrang, Primärprävention würde über eine Verbesserung der Gesundheit die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen eindämmen, ist insofern komplett zu hinterfragen, da zum einen – falls sich tatsächlich Spareffekte durch Prävention ergeben – dieses Phänomen direkt bei der Beitragsgestaltung korrigiert werden sollte (Personen, die Prävention betreiben, erhalten einen günstigeren Beitragssatz). Zum anderen scheint der vermeintliche Einspareffekt offenbar zu sein, was jedoch nicht der Fall ist: So treten bei präventiven Maßnahmen erhebliche Streueffekte auf; Personen nehmen diese vor, ohne dass sie auch ohne die Prävention später von der betreffenden Krankheit heimgesucht worden wären. Daneben führt die Prävention bei bestimmten Erkrankungen dazu, dass andere Krankheitsbilder häufiger auftreten, die erheblich mehr Kosten verursachen können (die Sterbewahrscheinlichkeit bleibt stets bei 100%).
  3. Gesundheitsprävention kann positive spillover-Effekte bei Unternehmen zeitigen: Die Studie „Working Towards Wellness: Accelearting the Prevention of Chronic Diseases“, die von der PricewaterhouseCoopers AG (2007) durchgeführt wurde, zeigt, dass Maßnahmen in der Gesundheitsprävention innerhalb von Unternehmen sich im Verhältnis 1:3 durchaus rechnen und daher Unternehmen an einem präventiven Verhalten ihrer Mitarbeiter interessiert sein sollten.

Entsprechend kann es somit allenfalls die Aufgabe des Staates sein abzusichern, dass Gesundheitsleistungen (z.b. Vorsorgeuntersuchungen im Bereich der Primärprävention) bestimmte Qualitätskriterien erfüllten. Eine darüber hinausgehende Intervention lässt sich somit nicht rechtfertigen.

Damit eine Stimulation der Primärprävention auf privater Ebene gelingen kann, ist es nicht allein ausreichend, die Verfügbarkeit von Wissen und Informationen bei Individuen zu erhöhen, also Gesundheitserziehung zu fördern. In erster Linie müssen Anreize zur Verhaltensänderung gesetzt werden. Marteau et al. (2012) unterteilen Handeln in bewusstes Handeln, das nach rationalen Gründen geschieht und Handeln, das von Gewohnheit geleitet wird, also nach eingefahrenen Mustern oder unbewussten Präferenzen vollzogen wird. Dabei gehört gesundheitsrelevantes Verhalten zum letzten Muster und muss der Ansatzpunkt für Verhaltensänderungen sein. Als Anreize könnten zum Beispiel monetäre Zuwendungen genutzt werden. Darüber hinaus kann aber auch die Einbindung in soziale Netzwerke im Rahmen der Anreizsetzung genutzt werden, so konnte in Bezug auf die Ausübung körperlicher Aktivitäten gezeigt werden, dass sowohl monetäre Anreize als auch der Effekt sozialer Netzwerke die Häufigkeit der Anwesenheit in Fitnessstudios positiv beeinflusst (Cawley & Meyerhoefer 2011; Cawley & Ruhm 2011; Charness & Gneezy 2009).

Literatur

Cawley, J. & Meyerhoefer, C. (2011). The medical care costs of obesity: An instrumental variables approach. In Journal of Health Economic, 31(1), 219-230.

Cawley, J. & Ruhm C. J. (2011). The Economics of Risky Health Behaviors. In J. Cawley & D.S. Kenkel (Ed.) Handbook of Health Economics (95-199), Vol. 2, Cambrige: Mass.

Charness, G. & Gneezy U. (2009). Incentives to Exercise. In Econometrica, 77(3), S. 909-931.

Marteau, T. M., Hollands, G. J., Fletcher P. C. (2012): Changing Human Behavior to Prevent Disease: The Importance of Targeting Automatic Processes, Science 337, 1492

Mensink, G. B. M., Schienkiewitz, A. & Scheidt-Nave, C. (2012): Übergewicht und Adipositas in Deutschland: Werden wir immer dicker? In Kurth, B.-M. (Hrsg.): Erste Ergebnisse aus der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS), Bundesgesundheitsblatt, Springer-Verlag.

o.V. (2012): New York verbietet Riesen-Getränkebecher. Online abrufbar unter http://www.manager-magazin.de/lifestyle/genuss/0,2828,855801,00.html (24.10.2012).

Price WaterhouseCoopers (PWC) (2007): Working Towards Wellness. Accelerating the prevention of chronic disease. (Online unter: https://members.weforum.org/pdf/Wellness/report.pdf; letzter Zugriff am 25.10.2012).

 

Fußnote


[1] Die genannten Anforderungen unterteilen sich in sechs Teilbereiche. Dazu gehören u. a. Aktivität (erreicht bei 30min moderater Bewegung täglich), Ernährung (erreicht, wenn zwei Drittel der abgefragten Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) umgesetzt werden), Rauchverhalten (erreicht, wenn Nichtraucher), Alkohol (erreicht, wenn nur in Maßen genossen) und Stress (erfüllt, wenn durch wirksame Strategien ein Ausgleich stattfindet und das subjektive Stressempfinden gering ist).

Frank Daumann

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