Der Euro hat Risse bekommen. Sie ziehen sich tief durch die anfangs so harte Währung und hinterlassen eine Furche der Furcht. Ist der Zusammenbruch des Euroraums noch zu verhindern? Ja, meinen die Ökonomen Prof. Dr. Norbert Berthold, Prof. Dr. Lars Feld, Prof. Dr. Otmar Issing und Prof. Dr. Hans-Werner Sinn. Über die richtige Strategie haben die streitbaren Wissenschaftler hingegen zum Teil deutlich voneinander abweichende Meinungen. Das wurde auf einem Symposium in Würzburg deutlich, das der leitende Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Dr. Rainer Hank moderierte.
Die Welt der Märkte und Modelle ist nicht leicht zu verstehen. Deswegen greifen Ökonomen, die von einer breiten Öffentlichkeit verstanden werden wollen, gerne zu Bildern aus dem täglichen Leben. „Wenn ein Auto defekte Bremsen hat, lässt man es auch nicht gleich verschrotten, sondern reparieren“, sagte Sinn und fügte an: „Ich halte den Euro für reparaturfähig und auch reparaturwürdig.“ Gleichzeitig bezeichnete der Chef des Münchner Ifo-Instituts die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung als einen Fehler, wohlwissend, dass sich das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen lässt. „Man kann einen fertig gebackenen Kuchen auch nicht mehr so einfach in seine Einzelteile zerlegen“, sagte Sinn.
Abb. 2: Prof. Dr. Hans-Werner Sinn.
Nun, wie lässt sich ein madig schmeckender Stollen noch retten? Eine Möglichkeit wäre die vermaledeiten Rosinen zu entfernen. Bezogen auf die Eurokrise würde das den – freiwilligen oder erzwungenen – Austritt der Problemländer aus dem gemeinsamen Währungsraum bedeuten. Feld sprach sich indirekt gegen diesen Weg aus: „Diese Länder haben zuletzt sehr viel geleistet. Die Disziplinierungswirkung ist vorhanden.“ Nach einem Austritt hätten wir eine neue Situation, in der sich nicht abschätzen ließe, wie explosiv das Gemisch sein würde, warnte Feld.
Sinn sieht den Reformeifer in den europäischen Südstaaten skeptischer, weil die Lohnstückkosten falsch berechnet würden: „Länder, die durch eine Rezession gehen, vernichten zunächst die unproduktiven Arbeitsplätze. Wenn man anschließend die Nullproduktivität der Arbeitslosen mit einrechnet, sind die Lohnstückkosten sogar gestiegen.“ Griechenland helfe nur ein Austritt aus dem Währungsraum. „Jedes Land kann wettbewerbsfähig werden, wenn es hinreichend billig ist. Eine Mindestproduktivität für die Wettbewerbsfähigkeit gibt es nicht“, erklärte Sinn: „Der Austritt wäre für Griechenland wie ein Krankenhausaufenthalt. Es wird durch die Abwertung wieder gesund, auch weil der Reformdruck massiv steigt. Das würde dem Land eine Perspektive bieten, die es derzeit nicht hat.“
Für Berthold wäre ein Erodieren des südlichen Währungsraumes nicht zwangsläufig erfolgreich: „Griechenland schafft es nicht, den Weg einer internen Abwertung zu gehen. Auch nach einem Austritt würde ich eher die Gefahr einer Preis-Lohn-Preisspirale sehen.“ Stattdessen sprach er sich im proppevollen Audimax der Universität Würzburg für den Austritt wirtschaftlich starker Länder als letztes Mittel aus: „In Deutschland ist der Euro Staatsräson. Aber bei den ökonomisch weitgehend gesunden kleinen Ländern wie Finnland, den Niederlanden oder Österreich kann ich mir einen Austritt durchaus vorstellen. Währungssysteme sind in der Vergangenheit nie im Zentrum, sondern immer am Rand implodiert.“
Abb. 4: Prof. Dr. Norbert Berthold.
Mit diesem Gedanken konnte sich der frühere EZB-Chefvolkswirt Issing nicht anfreunden: „Zu einem früheren Zeitpunkt hätte ich mir den Austritt wirtschaftlich starker Länder als Drohkulisse vorstellen können. Aber im Kern ist es doch eine perverse Degeneration, wenn die besten Outperformer in einem auf Stabilität gegründeten Währungssystem ausscheiden.“ Für Issing wäre das Auseinanderbrechen der Eurozone ein „katastrophales politisches Signal“.
Abb. 5: Prof. Dr. Otmar Issing.
Da stellte sich Moderator Hank, aber auch dem einen oder anderen der sich zu Wort meldenden Zuhörer die Frage, wie es denn dann weitergehen soll. „Polit-ökonomisch dürfen wir nicht erwarten, dass die Eurozone auseinanderbricht“, sagte Feld. Für die Skizzierung eines gangbaren Wegs zitierte der Wirtschaftsweise aus den Vorschlägen des einen Tag zuvor vorgestellten Jahresgutachtens des Sachverständigenrat: „Wir brauchen ein Maastricht 2.0 mit einer Finanz- und Wirtschaftspolitik in nationaler Verantwortung, einer moderaten Bankenunion mit möglichst wenig Gemeinschaftshaftung und einem Schuldentilgungspakt mit Sicherungsfunktion.“ Die letzten Gedanken einer tiefgründigen Diskussion gehörten Issing und stimmten nachdenklich: „Ich war immer für eine politische Union. Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre haben mich davon abrücken lassen. Was als politische Union am Ende herauskommen würde, wäre ein Wohlfahrtsstaat mit hohen Steuern, Sozialstandards und Schulden. Dieser würde die Identifikation der Bürger mit Europa nur noch weiter zerstören.“
Hinweis:
Die Podiumsdiskussion fand anlässlich des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Norbert Berthold am 8. November in Würzburg statt. Die Laudatio hielt Prof. Dr. Wolf Schäfer.
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