Der Kapitalismus: Das ungeliebte Kind der Deutschen

Gern einmal lässt sich Gregor Gysi mit dem Satz zitieren, dass der Kapitalismus sich nicht als das bessere System erwiesen habe, sondern dass er einfach nur übrig geblieben sei. Er weiß, warum er das gesagt hat, denn kaum etwas sichert den erheischten Applaus zuverlässiger als eine Spötterei über unser Wirtschaftssystem. Und in der Tat: Der Kapitalismus ist ein ungeliebtes Kind, ob man ihn nun mit diesem Begriff bezeichnet oder mit den Begriffen Marktwirtschaft, Soziale Marktwirtschaft oder was auch immer. Einer vom John-Stuart-Mill-Institut in Heidelberg in Auftrag gegebenen und vor einigen Tagen veröffentlichten Allensbach-Umfrage zufolge sehen 43 Prozent der Deutschen die Marktwirtschaft pauschal als Ursache sozialer Ungerechtigkeit. Nur 38 Prozent waren der Meinung, dass die Marktwirtschaft die Grundlage für soziale Gerechtigkeit lege. Andere Umfragen des Allensbach-Instituts kommen zu immer wieder vergleichbaren Ergebnissen. So hatten im Jahre 2010 38 Prozent der Deutschen keine gute Meinung von der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Schließlich zitierte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie eine weitere Allensbach-Umfrage aus dem Jahre 2010, wonach in Westdeutschland in den Jahren 2007/2008 rund 35 Prozent der Westdeutschen und nur 20 Prozent der Ostdeutschen eine gute Meinung zum Wirtschaftssystem in Deutschland hatten, während knapp 40 Prozent der Westdeutschen und rund die Hälfte aller Ostdeutschen keine gute Meinung davon hatten.

Wie man es auch dreht, immer schneidet der Kapitalismus schlecht ab, und immer schneidet er in Ostdeutschland noch einmal deutlich schlechter ab als im Westen. Anekdotische Evidenz auf allen Kanälen bestätigt das Bild in schöner Regelmäßigkeit. Wer immer sich gesellschaftskritisch geben mag, ist unter den Kapitalismuskritikern gut aufgehoben. Welches Problem uns auch immer sorgt, sei es Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, Armut, Ungleichheit, Umweltprobleme, Gesundheits-, Pflege-, Altersvorsorge oder was auch immer: Alle diese Probleme wären offenbar lösbar, wenn wir nur diesen Kapitalismus nicht hätten. Denn der Kapitalismus mitsamt seinen vermeintlichen Sachzwängen hindert uns fortwährend daran, Lösungswege zu beschreiten, die uns voranbringen könnten auf dem Weg zur Überwindung aller dieser Probleme, welche aber nur diesen einzigen Nachteil haben, dass sie nicht vereinbar sind mit den Regeln des Marktes. Was also liegt da näher, als sich dieser Problemlösungsbremsen einfach zu entledigen und sich zu emanzipieren von der Diktatur der Märkte? Nur: Warum unterwerfen wir uns angesichts eines solchen Befundes eigentlich einer solchen Diktatur mit allen ihren Gesetzmäßigkeiten, wo es uns ohne sie doch so viel besser gehen könnte?

Um einer Antwort zu dieser Frage näher zu kommen, wäre es zunächst hilfreich zu wissen, wie man sich eine Welt ohne diese verflixte Marktwirtschaft vorstellen könnte, worin also die Alternative zu unserem ganzen kapitalistischen Elend besteht. Nehmen wir einmal an, dass es stimmte, was Gysi behauptet, dass nämlich der durch den alten Marx vom Kopf auf die Beine gestellte Weltgeist uns den Kapitalismus nur durch ein dummes Versehen als einziges noch bestehendes Wirtschaftssystem übriggelassen hat. Nehmen wir weiter an, dass wir in der Lage wären, in die dialektischen Bewegungsgesetze der Geschichte einzugreifen und sie wieder auf den richtigen Pfad zu setzen: Welcher Pfad sollte das denn dann sein? Welches System wäre dann die Alternative zum Kapitalismus? Da der Sozialismus in den jeweils von Stalin, Mao, Tito, Pol Pot, Ho Chi Min, Hoxha, Castro und all den anderen geprägten Erscheinungsformen für die Meisten von uns als Alternative zum Kapitalismus ausscheiden dürfte, was wäre denn dann noch die Alternative, die den 40 bis 50 Prozent der Deutschen vorschwebt? Hierzu finden wir leider weit und breit nichts. Während ganze Heerscharen von (vorzugsweise öffentlich-rechtlichen) Journalisten und Talk-Show-Moderatoren, von Lehrern, Professoren, Erwachsenenbildern und Kulturschaffenden den Kapitalismus aufs Korn nehmen, wo er ihnen nur vor die Flinte kommt, während mit einer einzigen Ausnahme praktisch alle Kleinkunst-Akteure und Kabarettisten keine Gelegenheit auslassen, sich mit dem ihnen gebührenden Spott über die vermeintlichen marktwirtschaftlichen Sachzwänge den rauschenden Applaus des kritischen Publikums zu sichern, so werden sie doch alle stumm, wenn es um die schlichte Frage geht, was sie denn an die Stelle des Kapitalismus setzen würden, sollten die kapitalistischen Strippenzieher dann doch einmal den Weg freimachen für eine „wirkliche Demokratie“, in der das Volk selbst die Wahl hätte über das zu etablierende Wirtschaftssystem.

Dass es an dieser Stelle stets still wird, galt schon für den alten Marx selbst, denn der hatte bekanntlich ebenfalls keinen blassen Schimmer davon, was es denn sein könnte, was einmal den bösen Kapitalismus abzulösen in der Lage sei, wenn der dereinst besiegt sein sollte. Das alles ist natürlich kein Zufall, denn auf all den schrecklichen Machenschaften und Problemen steht zwar immer gern Kapitalismus drauf, es war aber doch fast nie Kapitalismus drin, wenn man nur einmal etwas genauer hingeschaut hätte:

  • So ist die Armut in den Entwicklungsländern recht eindeutig darauf zurückzuführen, dass es in diesen Ländern keine industrielle Revolution und auch kein später einsetzendes Aufholwachstum gegeben hat – erst Recht keine eigenes dynamisch-innovatives Wachstum; alles das war aber immer und überall, wo es dann doch auftrat, von kapitalistischen Institutionen getrieben; zunächst in England und Westeuropa, später in Nord-Amerika und schließlich in immer weiteren Regionen. Warum es in den verbleibenden Regionen nicht zur Herausbildung kapitalistischer Institutionen kam, beruht auf verschiedensten Gründen, welche im Prinzip alle etwas mit der historischen Entwicklung von politischen Institutionen zu tun haben. Wo immer diese die Allmacht monistischer Staatsherrschaft über Meinung und Handlung aufgebrochen haben und an deren Stelle die Wirkung von Märkten gesetzt haben, sind die Einkommen gewachsen und ist die Armut geschwunden; und wo sie dies nicht getan haben, ist die Armut geblieben. Das Ergebnis ist die heutige Verteilung von reichen und armen Ländern über den Globus.
  • Die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung hat ähnliche Ursachen. So hat der kapitalistische Kurs in China die Einkommensverteilung zweifellos weit auseinandergetrieben. Allerdings geschah dies durch einen rasanten Anstieg der Einkommen einiger Bevölkerungsschichten und keineswegs durch einen Abstieg anderer. Auch wenn Letztere von der Dynamik der Einkommensentwicklung (noch) nicht in diesem Maße erfasst sind, so profitieren gleichwohl auch sie; so ist der Anteil derer, die von absoluter Armut betroffen sind, seit Beginn des kapitalistischen Kurses von über 30 auf unter fünf Prozent gesunken. Das Gleiche gilt für die weltweite personelle Einkommensverteilung sowie für die Armut, wobei erstere in den letzten Jahren wegen des wirtschaftlichen Aufholens bevölkerungsreicher Länder wie China und Indien nicht etwa ungleichmäßiger, sondern im Gegenteil gleichmäßiger geworden ist. Derweil ist die Armut weltweit ähnlich dramatisch gesunken wie sie es in China ist. Alles das ist ein Produkt kapitalistischer Institutionen, und es wäre ohne sie schlicht undenkbar gewesen.
  • Umweltbelastung ist immer die Konsequenz von zu wenig und niemals von zu viel Marktwirtschaft. Denn Marktwirtschaft entfaltet letztlich alle ihre Wirkungen über die Internalisierung von externen Effekten, was bedeutet, dass Erträge und Kosten stets den jeweiligen Marktakteuren zugewiesen werden. Wo dies nicht geschieht, hilft nicht mehr Gemeineigentum, sondern ganz im Gegenteil genauer spezifiziertes Privateigentum, beispielsweise in der Form von handelbaren Verschmutzungsrechten. Diese und andere Instrumente konkretisieren Eigentumsrechte und führen damit die Marktwirtschaft in den Umweltschutz ein. Geschieht dies, wird die Umwelt geschont, geschieht dies nicht, wird sie zerstört. Zu Zeiten der Teilung Europas war der Westen der Vorreiter in Sachen Umweltschutz – auch wenn man das noch nicht ausreichend finden mag; zugleich aber wurde die Umwelt in den damaligen sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas nahezu bedenkenlos zerstört. Seit und soweit der Kapitalismus dort inzwischen eingeführt ist, verbessert sich der Zustand der Umwelt zusehends.
  • Die meisten dem Kapitalismus angelasteten Sachzwänge finden ihre tiefere Ursache in Wirklichkeit in dem allgemeinen Umstand knapper Ressourcen; anders ausgedrückt ist es nicht dem Kapitalismus geschuldet, dass wir nicht im Schlaraffenland leben. Wir mögen die Ressourcenknappheit den grundlegenden ökonomischen Sachzwang nennen und müssen feststellen, dass dieser jenseits des Schlaraffenlands vom Wirtschaftssystem unabhängig immer präsent ist. So führt überbordende Verschuldung in jedem Wirtschaftssystem zu Problemen, eine geringe Ersparnisbildung begrenzt immer den Spielraum für Investitionen in die Zukunft und demographische Alterung führt immer zu einer höheren Belastung der Jungen oder alternativ zu schlechteren Leistungen für Alte und Bedürftige. Diese und viele andere Probleme sind daher alle keinesfalls spezifisch für den Kapitalismus. Aber immer hat die Einführung von Märkten die dahintersteckenden grundlegenden ökonomischen Sachzwänge am effektivsten gelindert, und umgekehrt hat die Abschaffung von Märkten sie immer verschärft und regelmäßig zu mangelhafter Güterversorgung geführt.
  • Persönliche Freiheit wird von der Marktwirtschaft nicht etwa beschränkt, wie dies gern und häufig zu hören ist, sondern im Gegenteil durch sie überhaupt erst möglich. Denn nur Marktwirtschaft erlaubt privatautonome Entscheidungen jenseits staatlichen Zwangs, ohne dass die zunächst unkoordinierte Vielfalt dieser privatautonomen Entscheidungen ins wirtschaftliche und gesellschaftliche Chaos führt. Es dürfte kaum einen anderen derart zwingenden und zugleich leicht einsichtigen Sachverhalt geben, welcher in einer solch massiven Weise entweder sträflich übersehen oder gar mit großer Vehemenz bestritten wird. Warum dies entgegen der leicht zugänglichen Logik der Sache und entgegen der schlagenden weltweiten empirischen Evidenz geschieht, wird vorläufig ein Rätsel bleiben.
  • Schließlich behindert die Marktwirtschaft die Entfaltung der Demokratie nicht etwa, sondern sie ebnet ihr überhaupt erst einmal den Weg. Ähnlich wie schon bei Marx wird auch heute die „bürgerliche Demokratie“ noch gern einmal als eine Fassade gesehen, hinter der sich die alles steuernden kapitalistischen Interessen verbergen. Tatsächlich kann dies durchaus so sein, dann nämlich, wenn die Institutionen des politischen Systems bestimmten Lobbygruppen mehr Gewicht verleihen als dem Volk als Souverän. Das Ganze im Einzelfall beurteilen zu können, wird noch dadurch erschwert, dass wir nicht trennscharf zwischen legitimer Interessenvertretung und illegitimer Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse unterscheiden können. Daher führt die Marktwirtschaft leider nicht zwangsläufig zur Demokratie, und so finden wir in manchen Regionen auch nach wie vor Marktwirtschaft ohne Demokratie. Das aber ändert nichts daran, dass Marktwirtschaft eine unabdingbare Voraussetzung für Demokratie ist. Denn erst durch Marktwirtschaft werden neben den Spielräumen für die Entfaltung persönlicher Freiheit auch jene für die Entfaltung von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und vieles andere mehr geschaffen, weil alles dies private, also staats-unabhängige Initiative voraussetzt und damit nichts anderes ist als unternehmerische Aktivität in einem weiten Sinne. Diese muss aber nicht nur zulässig sein, sondern sie muss durch etwas anderes als durch den Staat selbst koordiniert werden können, denn wenn der Staat sie koordiniert, ist es schon per Definition vorbei mit staats-unabhängiger Meinungsbildung. Daher bleibt für die Koordination solcher unternehmerischer Aktivität nur die Koordination durch Märkte, und so muss eine Demokratie ohne Marktwirtschaft zwangsläufig zu einer leeren Hülse verkommen. Aber mehr als das: Erst Marktwirtschaft ermöglicht es, den Umfang des notwendigen staatlichen Handelns so weit zu begrenzen, dass die demokratischen Prozesse vor Überforderung und damit vor ihrem Untergang geschützt werden. Wer das bestreitet, ist nicht etwa ein besonderer Freund der Demokratie, sondern zumindest im Ergebnis ihr Totengräber. Der empirische Befund zu diesen Einsichten ist überwältigend: Während es Marktwirtschaften ohne Demokratie gibt, hat die Welt kein einziges nicht-marktwirtschaftlich organisiertes Land mit Demokratie gesehen. Alle bekannten Demokratien, alle Länder, welche Presse- und Meinungsfreiheit garantieren, ja sogar alle Länder, welche überhaupt nur die Menschen- und Bürgerrechte konsequent respektieren, waren und sind ausschließlich Marktwirtschaften. Davon hat es bis heute nicht eine Ausnahme gegeben.

Allen diesen Fakten zum Trotz lieben die Deutschen den Kapitalismus und die Marktwirtschaft nicht. Alle oder doch fast alle von ihnen werden ihre persönliche Freiheit, die Meinungsvielfalt, die politischen Mitspracherechte, den Wohlstand und die soziale Absicherung lieben und die Umwelt geschützt sehen wollen. Aber zumindest rund die Hälfte von Ihnen will das alles ohne Kapitalismus haben. Das mag verständlich sein, wenn man davon überzeugt ist, dass der Kapitalismus nicht die Ursache für alle diese schönen Dinge ist und dass er andererseits aber die Ursache für die verbleibenden Probleme und Unannehmlichkeiten ist. Leider ist es aber genau umgekehrt. Dies nicht zu sehen, kann man vor allem jenen Menschen nicht anlasten, welche ihr Auskommen abseits des Sinnens um die angemessene Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verdienen. Es ist aber schwer verständlich für den Rest der Bevölkerung: für die Lehrer, Professoren, Journalisten, Kulturschaffenden, Kabarettisten und die vielen anderen mehr, welche das Privileg haben, sich fast beliebig in diese Dinge einzuarbeiten und dafür auch noch bezahlt zu werden. Sie müssten es eigentlich besser wissen. Warum aber ausgerechnet sie uns schon als junge Menschen in der Schule und während des Studiums oder der Ausbildung und dann später auf allen Kanälen mit Inbrunst an der Einsichten vorbei zu schleusen versuchen, dass der Kapitalismus nicht weniger ist als die Quelle von Wohlstand, Freiheit und Demokratie, als ginge es darum, uns vor der geistzersetzenden Gehirnwäsche gefährlicher Sekten zu schützen, das wird vorläufig ein Geheimnis bleiben. Immerhin erklärt es die immer wieder aufs Neue bestätigten Umfrageergebnisse darüber, dass die Deutschen den Kapitalismus nicht lieben. Sie lieben ihn nicht, weil er objektiv einfach schlecht ist – im Vergleich zum Schlaraffenland.

 

Thomas Apolte
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5 Antworten auf „Der Kapitalismus: Das ungeliebte Kind der Deutschen“

  1. Die meisten Deutschen halten eben unser System für Marktwirtschaft. Sie wollen nicht erkennen, daß es Markt in einigen Bereichen noch nicht einmal mehr in Spurenelementen gibt. (GKV, AV)

    Was wohl die 43 % auch nicht sehen, sind das Sie die Auswirkungen von Interventionen erfahren und das für „Markt“ halten“ . Das Sie von 43% schreiben haben wir hier vielleicht trotzdem die Majorität der noch Wählenden. Ich kann mir durchaus vorstellen das Andere es einfach wegen der nicht vorhandenen Wahlmöglichkeiten mit dem wählen gehen einfach lassen.

    Und was wohl überhaupt nicht eingesehen ist, daß die Schulden von Heute die Steuern von morgen sind und die Schulden wurden nicht vom „Markt“ „angehäuft“ sondern von den gewählten „Demokraten“. Offenbar ist auch die Ansicht ein Staat oder seine Angestellten könnten für Wohlstand sorgen, unausrottbar. Egal wie oft es widerlegt wurde immer wieder „versucht“ man den Markt auszumerzen und immer wieder gelingt das nicht. Bockig wie kleine Kinder, die Ihren Willen nicht bekommen…

  2. „Dass es an dieser Stelle stets still wird, galt schon für den alten Marx selbst, denn der hatte bekanntlich ebenfalls keinen blassen Schimmer davon, was es denn sein könnte, was einmal den bösen Kapitalismus abzulösen in der Lage sei, wenn der dereinst besiegt sein sollte.“

    Der alte Marx hatte- wie du zur Abwechslung nachlesen könntest- durchaus eine poetische Vorstellung davon, was das historische System des Kapitals dereinst ablösen könnte: Marx assoziierte das als „Verein frei assozierter Menschen“. Sowas wie eine Art „Gebrauchsanleitung“, wie sie jeder unwissende Kunde beim Kauf einer Waschmaschine verlangt, wäre Marx für das höchstkomplexe Nachfolge-„Produkt“ des Kapitalismus niemals in den Sinn gekommen.

    Denn die Analyse des alten Marx war sonnenklar: Das „System des Kapitals“ musste als Voraussetzung seiner historischen Ablösung historisch zuerst seine Große Mission erfüllen: Das Kapital musste mittels der Konkurrenz der Einzelkapitale unter dem Zwang des Profits in Schüben technologischer Revolutionen flächendeckend aus der Produktion verdrängen und so die PRODUKTIVKRÄFTE auf ein historisch einzigartiges hohes Niveau bringen, das potentiell jedem Menschen weltweit die Befriedigung seiner elementaren Grundbedürfnisse mit wenigen Stunden ARBEITSEINSATZ täglich ermöglicht.

    Daß im Jahre 2012 die 3. technologische Revolution weltweit erst so richtig auf Touren kommt und GLEICHZEITIG in Südeuropa, Ostasien und Afrika Hunderte Millionen Menschen immer mehr Stunden täglich arbeiten müssen, hätte der alte Marx folgerichtig analysiert als offenkundige Zeichen für die sich zuspitzenden Widersprüche zwischen PRODUKTIVKRÄFTEN und PRODUKTIONSVERÄLTNISSEN, also als untrügliche Signale der SYSTEMKRISE, die bekanntlich immanent unlösbar ist und zwangsläufig global in verschiedenste Transformationsprozesse einmünden wird.

    Das Ergebnis dieser ganzen Geschichte ist vollkommen offen, womöglich zum ersten Male in der menschlichen Geschichte, würde der alte Marx sagen.

  3. Ich möchte keine Kritik an diesem Artikel üben und stimme Herrn Apolte durchweg zu. Aber die Frage warum der Kapitalismus so unbeliebt ist, bleibt unbeantwortet.

    Ich möchte deshalb eine Vermutung behaupten. Der Kapitalismus, oder besser die Marktordnung, wurde noch nie ernsthaft in Angriff genommen. Jene Politiker, die in Sonntagsreden und in Parteiprogrammen den Markt loben, schrecken entweder vor den Konsequenzen zurück oder betreiben nur Propaganda. Sie sind für das verantwortlich, was Walter Eucken eine vermachtete Marktwirtschaft nannte. Walter Eucken: „Die Politik des Staates sollte darauf gerichtet sein, wirtschaftliche Machtgruppen aufzulösen oder ihre Funktionen zu begrenzen.“

    Tausende von unabhängigen Saatgutunternehmen sind in den letzten Jahrzehnten verschwunden. Millionen von Landwirten wird das Recht genommen, ihr eigenes Saatgut weiter zu vermehren und damit Vielfalt zu sichern. An ein marktwirtschaftlich orientiertes Sortenschutzrecht wagt sich kein Politiker.

    FDP-Chef Rösler fordert den Verkauf von staatlichen Beteiligungen an Unternehmen. Das ist für ihn ein Dogma. Als Grundsatz kann ich dem folgen, aber der kritische Rationalismus verurteilt unumstößliche Dogmen. Und auch hier kann die Abkehr vom Grundsatz durchaus zu begründen sein. Für Walter Eucken war die Herkunft des Kapitals zweitrangig, wichtiger war ihm, dass der Wettbewerb erhalten blieb. Die staatliche Beteiligung an einem Unternehmen ist dann zu fordern, wenn dieses Unternehmen ein Übernahmekandidat ist und wenn es zusammen mit dem übernehmenden Unternehmen zu einem Monopol wird.

    Ich denke, die Marktwirtschaft würde mehr Anziehungskraft entwickeln, wenn jene Politiker, die sich so gern auf die Martwirtschaft berufen, laut ausrufen würden: „Zerschlagt die Monopole!“

    Und ich habe den Verdacht, dass einige Politiker den Mächtigen der Wirtschaft devot zu Diensten sind und ihnen das System des Marktes relativ egal ist.

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