Genossenschaften übernehmen gesellschaftliche Verantwortung

Genossenschaften werden bekanntlich häufig missverstanden. So werden sie nicht selten fälschlicherweise als gemeinnützige Einrichtungen, als Non Profit-Organisationen oder gar als Instrumente der Wirtschaftspolitik verkannt. Obwohl diese Kategorisierungen falsch sind, übernehmen Genossenschaften gesellschaftliche Verantwortung, wenn auch auf andere Weise wie hier aufgezeigt werden soll.

Gegen isolierte Investoreninteressen

Das Besondere von genossenschaftlichen Strategien ist, dass die Nachteile einer kurzfristig ausgerichteten ShareholderValue-Orientierung vermieden werden, obwohl alle Aktivitäten an den Interessen der Eigentümer ausgerichtet sind. Doch Kunden und Eigentümer sind eine genossenschaftsspezifische Personalunion, die es ermöglicht, Entscheidungen simultan zu optimieren. Sie erfolgen daher nicht zulasten einzelner Stakeholder-Gruppen. Da Genossenschaftsanteile nicht auf dem Finanzmarkt gehandelt werden unterbleibt die Bewertung unternehmerischer Entscheidungen durch kooperationsexterne Akteure, die ausschließlich an der Rendite interessiert sind. Die Unvollkommenheiten und die Eigendynamik von Finanzmärkten finden daher keinen direkten Weg in die genossenschaftlichen Entscheidungsgremien. Für Genossenschaften sind Investoren aus einem solchen Umfeld als Kapitalgeber nicht verfügbar. Dies ist die Kehrseite, es ist für sie aber auch nicht notwendig, isolierte Investoreninteressen zu bedienen.

Nicht finanzmarktgetrieben

Überwiegend auf die kurze Frist der Finanzmärkte ausgerichtete Entscheidungen und Transaktionen werden daher nicht in Genossenschaften übertragen, wodurch die in diesem Geschäftsmodell angelegte langfristige Wertorientierung auch nicht ausgehöhlt werden kann. Genossenschaften können nicht finanzmarktgetrieben werden. Die Disziplinierung des Managements erfolgt ausschließlich durch Eigentümer, die an realwirtschaftlichen Transaktionen interessiert sind sowie durch den Wettbewerb auf den relevanten Güter- und Faktormärkten. Somit folgen aus der genossenschaftlichen Governance eine strikt realwirtschaftliche Verankerung und ein klares ordnungspolitisches Profil, das einer marktwirtschaftlichen Wirtschafts- und einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung entspricht.

Stabilisierung von Erwartungen

Es gilt als nächstes zu fragen, ob aus dieser Konstellation zusätzlich positive Effekte entstehen, die über Genossenschaften hinauswirken. Dies ist tatsächlich der Fall. So kann das aufgezeigte Profil Informationsasymmetrien abbauen, Erwartungen von Menschen stabilisieren und Unsicherheit reduzieren, womit informations- und transaktionskostensenkende Effekte verbunden sind. Kunden, Geschäftspartner und Mitarbeiter von genossenschaftlichen Kooperationen sowie eine breitere Öffentlichkeit können sich auf das Verhalten von Genossenschaften und ihren Mitgliedern einstellen, das durch die MemberValue-Orientierung geprägt ist und Verhaltensspielräume einschränkt. Dies geschieht durch den Verzicht auf eine isolierte und kurzfristig orientierte Gewinnmaximierung sowie durch die Unterlassung des kurzfristig motivierten Wechsels von Transaktionspartnern. Daneben gelingt es Genossenschaften nicht nur, sich von destabilisierenden finanzmarktbedingten Fehlentwicklung abzuschotten, sondern sie sogar in ihren Auswirkungen auf die Realwirtschaft abzufedern. Daraus folgende Wirkungen zeigen sich besonders ausgeprägt in Finanzmarktkrisen.

Nachhaltige Strategien

Die inhärent langfristige Orientierung ermöglicht nachhaltige Unternehmens- und Kooperationsstrategien und dies in einem umfassenden Sinne: ökonomisch, ökologisch und sozial. Genossenschaften haben einen natürlichen Wettbewerbsvorteil in der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien, die zunehmend eingefordert werden und zwar um Unternehmen zu wertvollen Gesellschaftsmitgliedern zu machen. Sie verfolgen sie nämlich bereits seit dem vorletzten Jahrhundert. Zusammengenommen können daraus positive Wirkungen genossenschaftlicher Aktivitäten abgeleitet werden, die über die Grenzen von Genossenschaften hinausreichen. Sie sind gesellschaftlich wertvoll und wohlfahrtserhöhend. Sie sind jedoch nicht die Gründungsursache von Genossenschaften. Dennoch bedeuten sie gesellschaftliche Verantwortung.

Gelebte Subsidiarität

Eine weitere Quelle gesellschaftlicher Verantwortung von Genossenschaften beruht darauf, dass die interne Zusammenarbeit als kollektive Selbsthilfe entsteht und nicht auf externe Unterstützung und paternalistische Akte rückführbar ist. Dies entspricht dem Subsidiaritätsprinzip und korrespondiert mit dem ordnungspolitischen Profil von Genossenschaften. Die genossenschaftliche Kooperationsrente soll die Performance der Kooperationspartner verbessern, deren einzelwirtschaftliche Zielfunktionen besser erreichen lassen. Genossenschaften werden jedoch auch gegründet, um überhaupt wirtschaftliche Aktivität, einen Markteintritt oder die Verwirklichung konkreter wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Projekte zu ermöglichen.

Wirtschaftliche Teilhabe

Die Referenzsituation bildet dann das vollständige Fehlen solcher wirtschaftlicher oder anderer Aktivitäten mit den entsprechenden einzel-, aber auch gesamtwirtschaftlichen Folgen. Die genossenschaftliche Organisation neuer Märkte und Wertschöpfungsketten sowie die Entwicklung neuer Problemlösungen, das Schließen von Versorgungslücken in Bereichen, aus denen der Staat sich zurückzieht sowie die Kompensation eines fehlenden lokalen Angebots sind Beispiele für solche Konstellationen. Genossenschaften bilden dann einen Nukleus für die Entstehung einer wirtschaftlichen Basis für einen Standort und von Wirtschaftskreisläufen in Regionen. Es ist leicht zu erkennen, dass deren Wirkung weit über die einzelwirtschaftlichen hinaus gehen. Dies gilt dann noch verstärkt, wenn Gesellschaftsgruppen initiativ werden, denen andere Optionen fehlen, also auf diese Weise wirtschaftliche Teilhabe möglich wird.

Aufwertung von Lebens- und Wirtschaftsräumen

Sind Genossenschaften in ihrem MemberValue-Bestreben erfolgreich, entstehen quasi als Nebenprodukte gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Effekte. Mit der zusätzlichen Wertschöpfung entstehen Arbeits- und Ausbildungsplätze mit den entsprechenden Einkommenserzielungsmöglichkeiten. Genossenschaften vergeben Aufträge, sie tragen zum Steueraufkommen bei, sie investieren in Infrastrukturen. Den genossenschaftlichen Aktivitätsfeldern entsprechend erfolgt dies vorwiegend auf der lokalen und regionalen Ebene. Auf diese Weise können Lebens- und Wirtschaftsräume aufgewertet, das Umfeld stabilisiert und die Lebensqualität erhöht sowie die Zukunft eines wirtschaftlichen Standortes sicher gestellt werden. Dies sind sekundäre Effekte der Selbsthilfe von Unternehmen und Menschen.

Korrektur von Funktions- und Ergebnismängeln 

Genossenschaften sind in der Lage zur Lösung kollektiver Herausforderungen in Marktwirtschaften beizutragen und damit die staatliche Wirtschaftspolitik zu ergänzen, zu entlasten  oder gar zu ersetzen, indem sie Funktions- und Ergebnismängel verringern. Die Abwägung zwischen der Nachfrage nach staatlichen oder privaten Transferleistungen und einer kollektiven Selbsthilfe setzt direkt an der Korrektur marktwirtschaftlicher Ergebnismängel an. Ein aktuelles Beispiel ist unter Berücksichtigung der sich abzeichnenden Engpässe bei staatlich organisierten und finanzierten Maßnahmen der Vorsorge für Alter, Pflege und Gesundheit die genossenschaftliche Organisation dieser persönlichen Dienstleistungen.

Kollektive Risikobewältigung

Die genossenschaftlichen Informationsbeschaffungs- und Monitoringkostenvorteile durch die dezentrale Verankerung ermöglichen eine überlegene Bewältigung von Informationsasymmetrien, die zu Marktversagen führen. In frischer Erinnerung ist die überlegene Performance der genossenschaftlichen FinanzGruppe im Zuge der globalen Finanzmarktkrise, mit der diese Effekte überzeugend demonstriert werden konnten. Genossenschaften sind nicht nur Informationspools, sondern auch solche, die eine kollektive Risikobewältigung ermöglichen, was Staat und Wirtschaftspolitik entlasten kann.

Internalisierung externer Effekte   

Genossenschaften sind in der Lage externe Effekte zu internalisieren. Mit Verursachern und Betroffenen als Mitgliedern können private Lösungen dieser Form des Marktversagens gefunden werden und können öffentliche Güter genossenschaftlich organisiert werden. Dezentrale genossenschaftliche Kooperationen werden heute selbst zur Organisation globaler öffentlicher Güter in Erwägung gezogen (vgl. dazu auch  http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=10945). Die Substitution oder Ergänzung staatlicher Lösungen ist dann naheliegend, wenn diese nicht in ausreichendem Masse zustande kommen und wenn die einzelwirtschaftlichen Zielfunktionen entsprechende Präferenzen enthalten.

Infrastrukturclubs

Durch subadditive Kostenstrukturen entstehende natürliche Monopole bilden einen weiteren Marktversagenstatbestand, der genossenschaftlich angegangen werden kann und auch wird. Genossenschaften können auch als Clubs verstanden werden. Als solche beinhalten sie eine Alternative zu staatlicher Organisation und Regulierung. So können genossenschaftliche Infrastrukturclubs z. B. für regionale Autobahnnetze, Schienennetze oder die Energieversorgung gegründet werden, dies sowohl von privaten Nutzern als auch von Anbietern von Vorleistungen. Auch für diese Leistungen können die Informations- und Anreizvorteile genutzt werden, die die genossenschaftliche im Vergleich zur staatlichen Governance aufweist. Entsprechende Organisationsfragen stellen sich im Zuge von Privatisierungs- und Deregulierungsprojekten.

Stark im Wandel

Entwicklungen, die von Menschen und Unternehmen Anpassungen und Weichenstellungen verlangen, haben seit jeher auch genossenschaftliche Antworten gefunden, um Anpassungsmängel zu bewältigen. Fehlen Alternativen oder passen diese nicht zu den Präferenzen der Menschen, etwa weil Abhängigkeit von Staat und Privaten vermieden werden soll, macht es Sinn zu prüfen, ob man sich zusammen selbst helfen kann. Als Konsequenz wird staatliche Wirtschaftspolitik durch private Aktivitäten substituiert. Es hat sich auch gezeigt, dass sich Genossenschaften dafür eignen, wirtschaftspolitische Vorgaben dezentral umzusetzen und zwar nicht als Auftragnehmer des Staates, sondern einzelwirtschaftlich motiviert. Das markanteste Beispiel sind die im Zuge der Energiewende (vgl. dazu auch http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=10370).

Wertvolle Kollateraleffekte

MemberValue-orientierte Kooperationen, die von den Partnern im einzelwirtschaftlichen Interesse eingegangen werden, sind also unter Berücksichtigung der jeweiligen Voraussetzungen in der Lage, marktwirtschaftliche Funktions- und Ergebnismängel zu korrigieren oder abzumildern und somit staatliche Wirtschaftspolitik zu ergänzen oder partiell zu substituieren. Auch dieser Blickwinkel offenbart gesamtwirtschaftliche  und gesellschaftliche Zusatzeffekte einer einzelwirtschaftlichen Orientierung durch genossenschaftliche Zusammenarbeit. Er demonstriert damit die inhärente gesellschaftliche Verantwortung von Genossenschaften und zeigt sehr deutlich, dass diese nicht im Widerspruch zu ihrem effizienz- und präferenzorientiertem Wirtschaften steht. Ausschlaggebend ist, dass die skizzierten gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirkungen nicht den Zweck einer Genossenschaft ausmachen. Es handelt sich vielmehr um Kollateraleffekte, die als solche nicht intendiert sind. Doch auch sie verkörpern gesellschaftliche Verantwortung.

 

Eine Antwort auf „Genossenschaften übernehmen gesellschaftliche Verantwortung“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert