Es ist nun beschlossen, dass ab dem 8. Juli zwischen der EU und den USA Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen, das sich Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) nennt, aufgenommen werden. Dieses Vorhaben ist zukunftsweisend, weil es – komplementär zur WTO-Philosophie – dem freien Handel in der Welt mehr Bahn brechen soll. Freier Handel in einem größeren transatlantischen Integrationsraum generiert Skalenerträge und effizientere internationale Arbeitsteilung gemäß komparativer Wettbewerbsvorteile. Zwar kennen wir die (vor allem) aus der strategischen Handelspolitik formulierten Einwürfe gegen eine als grundsätzlich wohlstandsmehrend klassifizierte Freihandelsdoktrin, aber diese spieltheoretisch angelegten Entgegnungen sind inzwischen mangels spezifischen Realitätsbezugs aufgrund schier uferlos definierbarer Strategieszenarien verblasst. Deshalb gilt weiterhin: Mehr Freihandel ist besser als weniger Freihandel, die TTIP ist mithin wünschenswert als Vehikel zur Reduzierung des internationalen, insbesondere transatlantischen Protektionsniveaus.
Aber natürlich ist auch weiterhin die traditionelle Analyse des Zusammenschlusses von Integrationsräumen in Bezug auf wohlstandsmehrende Handelsschaffung und wohlstandsmindernde Handelsumlenkung relevant: Wird bei TTIP die erstere oder letztere überwiegen? Wir wissen Grundsätzliches: Je größer der durch Freihandelsabkommen entstehende Integrationsraum, desto größer die Effekte der Handelsschaffung in Relation zu denen der Handelsumlenkung. Der Extremfall weltweiten Freihandels ist optimal, weil dann die Handelsumlenkung entfällt. Dieselben Effekte treten auf, je ähnlicher, also substituierbarer, die Produktionsstrukturen der Integrationsländer sind. Sind sie dagegen eher komplementär, z. B. industriell die einen und agrarisch die anderen Länder, dann dominiert die wohlstandsmindernde Handelsumlenkung. Schließlich gilt auch, dass die Handelsschaffung umso mehr gegenüber der Umlenkung dominiert, je größer die Unterschiede in den Produktionskosten der Integrationsländer sind.
In Bezug auf die TTIP kann man auf Basis dieser Grundüberlegungen ziemlich eindeutig sagen, dass das geplante Freihandelsabkommen, wenn es denn wirklich als umfassender Freihandelswurf ohne allzu viele protektionsaffine Ausnahmeregelungen in Kraft treten sollte, per Saldo wohlstandsfördernd sein wird. Verschiedene Versuche der empirischen Abschätzung zeigen dies auch: Wachstumsimpulse in der Größenordnung von 0,5 bis 1,5 % mit entsprechenden positiven Beschäftigungseffekten können erwartet werden. Â Sie verteilen sich allerdings transatlantisch unterschiedlich in den an TTIP beteiligten Ländern.
Aber es steht zu befürchten und zeichnet sich bereits ab, dass – auf beiden Seiten des Atlantiks – doch zu viel trübes Wasser der Protektionisten in den reinen Wein der Freihändler geschüttet wird. Denn die Verlierer des Übergangs zum Freihandel sind stets die von der Protektion bisher Profitierenden. Sie müssen sich bisher ungewohnten Wettbewerbsbedingungen stellen, die Anpassungsdruck zu mehr Wettbewerbsfähigkeit erzeugen, was sie zu verhindern trachten. Von der Politik verlangen sie deshalb die Aufrechterhaltung des protektionierten Status-quo. Dieser Nachfrage nach Protektion steht ein regierungsamtliches Protektionsangebot dann großzügig gegenüber, wenn die Regierungen dies für wiederwahlrelevant halten. TTIP ist mithin eingebettet in den polit-ökonomischen Kontext der nationalen Märkte für das Gut Protektion.
Neben vielen anderen sind hier die Bereiche Landwirtschaft und Kultur hervorzuheben, denen – von Seiten der EU – vor allem Frankreich einen „Schutz“ gegen zu viel Auslandskonkurrenz in traditionsreicher französischer Protektionsphilosophie zugestehen will und diesen zur Bedingung für die Teilnahme der EU an den TTIP-Verhandlungen im Vorhinein gemacht hat.
„Kulturelle Ausnahme“ heißt die edel verpackte Protektionsforderung, hinter der sich im Übrigen auch in Deutschland viele, allzu viele, Kulturprotektionisten formieren: „Kultur“ sei keine Ware, nicht ein Gut wie jedes andere, deshalb dürfe man es, um seine Vielfalt zu bewahren, nicht dem Markt überlassen. Das sagen die „Kulturschaffenden“ vor allem dann, wenn sie „Kultur“ produzieren, die hochsubventioniert wird, weil sie sich in anmaßend-paternalistischem und marktfeindlichem Kulturhöhenflug zu wenig an den Nachfrager-Präferenzen und damit an der – die marktliche Anbieterlebensfähigkeit bestimmenden – Zahlungsbreitschaft der Kulturkonsumenten orientiert und also ohne Subventionen nicht überleben kann. Aber es gibt natürlich auch „Kultur“, die der Subventionen bedarf: Zum Beispiel die Grundlagenforschung, wenn und weil sie mit positiven Externalitäten für die Gesellschaft verbunden ist, die nicht automatisch und vollständig über den Markt, sondern durch Subventionen internalisiert werden müssen. Eine solche Externalitätsthese als Subventionsbegründung und also Protektionsnotwendigkeit für jede Art von „Kultur“-Produktion zu postulieren, überspannt den Bogen, vor allem dann, wenn der Begriff „Kultur“ für alle markt-aversen Aktivitätsfacetten in der Definitionshoheit vornehmlich der Anbieterseite angesiedelt wird.
Aber was ist die TTIP-„Kultur“? In den TTIP-Vorverhandlungen wurden Film, Fernsehen, Musik und andere audiovisuelle Medien als hochsubventionierte kulturelle Ausnahmebereiche identifiziert, deren Existenz bedroht sei, wenn durch TTIP die Subventionen fielen. Europa sei dann dem Kultur- und Zivilisationsimperialismus der USA ausgeliefert. Frankreich, das in öffentlichen Medien eine protektionsschwere local content-Regelung in Form einer Mindest-Quote für die Einspeisung heimischer Musikprodukte praktiziert und den Film traditionell als Kulturgut und nicht, wie in den USA, als Industrieprodukt betrachtet, fürchtet vor allem um die Wettbewerbsfähigkeit seiner hochsubventionierten Filmindustrie, wenn durch TIPP das nicht direkt (aber indirekt über Lohnsteuerrückzahlungen und an Produktionsstandorte gebundene Zuwendungen) subventionierte Hollywood das Film-Europa, zumal speziell das französische, „überrennen“ würde.
Wer so denkt, wie übrigens auch das Europaparlament sowie der Deutsche Kulturrat, der verliert aus lauter Wettbewerbsangst die Zukunft. Man kann es auch anders versuchen: In Deutschland zum Beispiel ist es in den letzten Jahren gelungen, Hollywood-Produktionen in deutsche Filmstudios zu holen, die dort gedreht werden („Inglourious Basterds“, „Operation Walküre“, „Monuments Men“). Kulturproduktion im internationalen Wettbewerb heißt also auch Standortwettbewerb. Natürlich kassieren die Amerikaner dadurch auch standortgebundene deutsche Subventionen. Aber genau hier liegt der Grund dafür, die Subventionsphilosophie grundsätzlich in Richtung auf Reduzierung und Abschaffung zu überdenken, damit heimische Steuerzahler neben inländischen nicht auch noch ausländische Produzenten subventionieren. Jedenfalls zeigt dies alles, dass die filmischen US-EU-Kulturbeziehungen in einer transatlantischen Welt keineswegs eine Einbahnstraße sein müssen. Das gilt ganz grundsätzlich für eine Welt des internationalen Kulturwettbewerbs, in der subventionierter Kulturprotektionismus sich gegenüber wettbewerblicher Kulturoffenheit bewähren muss. Subventionierte Abschottung ist eine zukunftsfeindliche Strategie von gestern – auch und insbesondere für den Bereich Kultur.
Insofern ist es auch vernünftig, wenn die Mehrheit der EU-Staaten sich dafür ausgesprochen hat, dass die EU-Kommission im Verlauf der TIPP-Verhandlungen den audiovisuellen Bereich wieder in die Liberalisierungsdebatte einführen soll, wenn die Regierungen dem zustimmen. Es wäre zu wünschen, dass in diesem Kontext auch das institutionelle Arrangement des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (und Fernsehens) in Deutschland, der sich in seinem über-expansiven zwangsfinanzierten Paternalismus kultur-meritorischer Anmaßung zur „kulturellen Ausnahme“ zählt, auf den Prüfstand der Wettbewerbsfähigkeit gestellt wird.
Dauerhaft wird, so ist zu hoffen, auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Länderverträge den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht beliebig vor den Erfordernissen marktlicher Orientierungen in Finanzierung und Produktportfolio schützen können. Es ist wohl nicht falsch anzunehmen, dass die USA, wenn die Liberalisierungsblockaden der „kulturellen Ausnahmen“ in der EU nicht gelockert werden, ihrerseits härtere Verhandlungen in Bezug auf deren Wunschliste für Ausnahmeregelungen (genmanipulierte Agrarprodukte, hormonbehandelte Tiere, Klagerechte gegen EU-Beihilfen und nationale Subventionen etc.) führen werden.
- Ordnungsruf
Der Bundesfinanzminister ist kein Freund des Steuerwettbewerbs
Er verkennt die Realität - 22. Januar 2020 - Ordnungsruf
Warum gibt es keinen Ökonomen im Deutschen Ethikrat? - 13. Oktober 2019 - Bitte kein Zentralabitur in Deutschland! 10 Thesen - 26. Juli 2019
Albern sind diese „kulturellen Ausnahmen“. Wenn man den Europäern eine Wahlfreiheit zugestehen kann, dann ja wohl darüber, welches Programm sie im Fernsehen sehen oder im Radio hören wollen – kurz: welche „Kulturgüter“ sie in Anspruch nehmen. Ich finde es geradezu grotesk, dass Ausnahmen gerade in diesem Bereich gemacht werden, wo doch die Hidden Information zum Beispiel in der Nahrungsmittelindustrie (Stichwort „Genmais“) offensichtlich von deutlich größerer Tragweite für mögliche Regulierungsanstrengungen sind. Immerhin ereignet sich im Bereich audiovisueller Kulturgüter dank des Internets eh bereits ein intenationaler Austausch- und Selektionsprozess. Aber von globalen Videoportalen und Internetradio halten die Damen und Herren vom Europaparlament offenbar nichts – und klammern sich krampfhaft an die verbleibenden Möglichkeiten, nationale Kultur auch weiterhin national steuern zu können. Vergeblich, wie ich vermute.