Der Solidaritätszuschlag – „alternativlos“?

Wieder einmal ist in Deutschland eine Debatte über den Solidaritätszuschlag entbrannt. Während die FDP als einzige politische Kraft darauf beharrt, dass dieser in den nächsten Jahren sukzessive abgeschmolzen werden solle und im Jahr 2019 – wenn auch der Solidarpakt II ausläuft – vollständig abgeschafft werden solle, überwiegen in den übrigen Parteien die Stimmen derer, die auf die damit verbundenen Einnahmen nicht verzichten wollen und bereits neue Ausgabenzwecke – Stichwort Deutschlandfonds – erfinden. Auch die Bundeskanzlerin verweist auf den hohen Bedarf an Infrastrukturinvestitionen in ganz Deutschland und lehnt eine Senkung oder gar Abschaffung des Solidaritätszuschlags ab: „„Ich sehe nicht, wie wir einen Betrag in dieser Höhe an anderer Stelle einsparen könnten“.[1]

Man könnte die Forderung der FDP als populistische Forderung in Wahlkampfzeiten abtun; mindestens ebenso ärgerlich ist aber auch der Verweis der Kanzlerin auf die angebliche „Alternativlosigkeit“ des Solidaritätszuschlags – ein Argument, das bereits an anderer Stelle als Begründung für politische Entscheidungen herhalten musste und damit jede Diskussion von vorneherein unterband – was mit den Prinzipien demokratischer Mehrheitsfindung wohl kaum vereinbar ist. Es scheint daher sinnvoll, sich zunächst mit den Fakten zu beschäftigen, bevor leichtfertig die Unverzichtbarkeit des Solidaritätszuschlages postuliert wird.

Der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer wurde zunächst befristet vom 1.7.1991 bis zum 30.6.1992 und dann erneut, dieses Mal jedoch unbefristet, ab dem Jahr 1995 erhoben. Der Steuersatz betrug anfangs 7,5% der Bemessungsgrundlage, ab dem Jahr 1998 dann noch 5,5%. Zur Begründung der (Wieder)Einführung des Solidaritätszuschlags ab dem Jahr 1995 wurde dabei die „Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Belastungen“ angeführt, wobei der Solidaritätszuschlag lediglich Teil eines ganzen Pakets weitergehender Maßnahmen (insbesondere Einsparungen von Ausgaben und der Abbau von Steuervergünstigungen) zur Finanzierung des „Föderalen Konsolidierungsprogramms“ von 1993 darstellte.[2] Eine formelle Zweckbindung war damit zwar nicht verbunden (nicht zuletzt auch weil dies den Grundprinzipien der deutschen Finanzverfassung, insbesondere dem Gesamtdeckungsprinzip nach § 8 BHO, zuwiderlaufen würde); dennoch entstand von da an in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass der Solidaritätszuschlag explizit der Finanzierung der einheitsbedingten Lasten insbesondere aus dem Solidarpakt I und II dienen solle. Dass diese Interpretation bis in die Regierung hinein verbreitet ist, offenbar sich in einem Interview mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Christoph Bergner, wenn er argumentiert, dass in eine „redliche Einnahmen-Ausgaben-Bilanz des Soli-Zuschlages“ auch die „kreditfinanzierten Leistungen für den Osten der Vergangenheit“ einzubeziehen seien.[3] Danach könne auf den Solidaritätszuschlag in der derzeitigen Form erst dann verzichtet werden, wenn die Staatsschulden für den Aufbau Ost abgetragen seien (was in etwa im Jahre 2023 der Fall sei).

Selbst wenn man dieser Argumentation nicht folgen mag (da sie sich aus der Entstehungsgeschichte des Solidarzuschlags nicht ableiten lässt), gibt es formal gesehen keinen Anlass, den Solidaritätszuschlag in dem Maße zu senken, in dem die Leistungen für die neuen Länder aus dem Solidarpakt II zurückgeführt werden. Der Solidarpakt II als Sonderzahlungen des Bundes an die neuen Länder ähnelt zwar vom Namen her dem Solidaritätszuschlag, hat mit diesem aber in strengem juristischen Sinne nichts zu tun. Politisch allerdings scheint es zumindest fragwürdig, dauerhaft an einer Steuer festzuhalten, die ihre Begründung lediglich in temporären Zusatzbelastungen auf der Ausgabenseite findet – und zur Rechtfertigung nunmehr auf neue Ausgabenbedarfe verweist.

Das Aufkommen des Solidaritätszuschlags beläuft sich aktuell auf knapp 14 Mrd. Euro jährlich; dies sind rund 5% des gesamten Steueraufkommens des Bundes und damit ein durchaus beachtlicher Anteil. Dies entbindet jedoch nicht von der Notwendigkeit zu prüfen, ob der Staat auf diese Einnahmen tatsächlich nicht verzichten kann: Immerhin hat sich die gegenwärtige Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag[4] zu einer „umfassenden Aufgabenkritik“ bekannt, bei der „alle staatlich übernommenen Aufgaben (…) auf ihre Notwendigkeit hin überprüft“ werden sollten, was man so interpretieren muss, dass an dieser Notwendigkeit durchaus Zweifel erlaubt sind. Ob dieser im Jahr 2009 ausgesprochenen Selbstverpflichtung tatsächlich in ausreichendem Maße nachgekommen wurde, erscheint zumindest fraglich.

Richtig ist sicherlich, dass sich in den vergangenen Jahren ein erheblicher Bedarf an Infrastrukturinvestitionen aufgestaut hat. So lagen die öffentlichen Investitionen von Bund, Ländern und Gemeinden in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen 10 Jahren mit durchschnittlich 1,5% deutlich niedriger als in anderen Ländern (EU-Durchschnitt: 2,6%).[5] Insbesondere in Westdeutschland gibt es infolge der unbestrittenen Notwendigkeit, in den 1990er Jahren zunächst die infrastrukturelle Defizite in Ostdeutschland zu beseitigen, inzwischen eine kaum mehr zu übersehende Infrastrukturlücke. Aber gleichzeitig gibt es eine Vielzahl von Ausgabepositionen im Bundeshaushalt, deren Sinnhaftigkeit sich mit Fug und Recht in Frage stellen lässt. Auch wenn es letzten Endes eine politische Entscheidung ist, wo der Staat seine Prioritäten setzt, sollten vor einer Festlegung auf die Beibehaltung des Solidaritätszuschlags Ausgaben mit zweifelhaftem Nutzen zunächst einmal überprüft werden.

Naheliegende Kandidaten für Kürzungen sind dabei sicherlich die Subventionen des Bundes(Finanzhilfen und Steuerermäßigungen), die sich aktuell auf immerhin 22,6 Mrd. Euro belaufen [6] und deren ständige Überprüfung vom Bundesfinanzministerium wegen der mit ihnen verbunden schädlichen Allokationsverzerrungen selbst als Daueraufgabe bezeichnet wird.[7] Darüber hinaus scheint es aber auch im Sozialbereich Einsparpotentiale zu geben – verwiesen sei nur auf die Vielzahl familienpolitischer Leistungen (insgesamt 125,5 Mrd. Euro, davon 55,4 Mrd. Euro für familienfördernde Maßnahmen), deren Sinnhaftigkeit nach der jüngsten Evaluation durch eine Reihe von Forschungsinstitute durchaus in Zweifel gezogen werden kann.[8] Selbst wenn nur ein Teil dieser Ausgaben/Steuervergünstigungen abgebaut würde, wären damit Mittel in einer Größenordnung gewonnen, die die Einnahmen des Solidaritätszuschlags deutlich übersteigen.

Über die Gründe, warum, die Bundeskanzlerin dies so kategorisch ausschließt, kann man zwar nur spekulieren. Ein Motiv mag wahlkampftaktisches Kalkül sein (was auf mehr Vernunft nach der nächsten Bundestagswahl hoffen lässt); zu befürchten ist aber, dass hier doch eine Art politischer Rationalität ausschlaggebend ist: Ausgabenkürzungen, auch wenn sie nur einige Wenige treffen, sind immer noch unpopulärer als Steuersenkungen, die für den Einzelnen kaum spürbar sind, denn für den Durchschnittsverdiener (gemessen am Median) macht der Solidaritätszuschlag nur 0,3% des zu versteuernden Einkommens aus.[9] Wählerstimmen lassen sich damit nicht gewinnen, und auch für die private Kaufkraft ist der Solidaritätszuschlag damit völlig irrelevant. Die ökonomischen Kollateralschäden einer hohen Steuerlast – die weit über etwaige negative Anreizeffekte hinausgehen – sollten aber von einer Bundesregierung, die ihren Koalitionsvertrag mit der Verheißung „Wohlstand für Alle“ überschrieben hat, nicht so ohne weiteres ignoriert werden.

Fußnoten


[1] Angela Merkel in der Welt am Sonntag vom 21.7.2013.

[2] Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.:  Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte, BT-Drs. 12/4401 vom 4.3.1993.

[3] Interview mit Christoph Bergner, „Man wird einen neuen Namen für den Soli finden“, Online-Ausgabe der WELT, 26.7.2013.

[4] Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für die 17. Legislaturperiode, Wachstum. Bildung. Zusammenhalt, Berlin 26.10. 2009, S. 19/20.

[5] Vgl. DIW, Investitionen für mehr Wachstum – Eine Zukunftsagenda für Deutschland, in: DIW-Wochenbericht 26/2013, S. 11.

[6] Vgl. BMF, 23. Subventionsbericht, Berlin 2011.

[7] Vgl. ebenda, S. 10.

[8] Vgl. zu einem Überblick BMFSFJ, Politischer Bericht zur Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen, Berlin 2013.

[9] Vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion „Die Linke“, Aufkommenswirkungen und Entlastungsmöglichkeiten durch den Solidaritätszuschlag, BT-Drucksache 17/8054,  S. 23.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert