Gastbeitrag
Wenig Schwung bei der Privatisierung im Eurogebiet

Bei der Sanierung ihrer öffentlichen Finanzen nutzen die hoch verschuldeten Euroländer ein Instrument bislang weithin eher nur zögerlich: die Veräußerung von Staatsvermögen. Dabei kann Privatisierung wichtige Konsolidierungsbeiträge leisten. Dementsprechend spielt sie auch eine bedeutende Rolle in den Konsolidierungsprogrammen, welche die Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und Europäischer Kommission mit betroffenen Ländern bei Inanspruchnahme von Hilfen der Europäischen Stabilisierungsmechanismen vereinbart hat.

Privatisierung eröffnet verschuldeten Ländern prinzipiell die Chance auf eine mehrfache Dividende:

  • Die Länder können damit dringend benötigte zusätzliche Staatseinnahmen generieren. Im entsprechenden Maß vermindern sich ceteris paribus ihre staatlichen Schulden bzw. deren Anstieg wird gebremst.
  • Soweit zum Staatssektor zählende Unternehmen veräußert werden, die unter staatlicher Regie nicht kostendeckend arbeiten, können sich weitere Entlastungseffekte für öffentliche Budgets ergeben. Das ist etwa der Fall, wenn die Unternehmen staatliche Zuschüsse erhalten, die nach einer Privatisierung entfallen.
  • Privatisierungen bieten die Chance Kapital aus dem Ausland anzuziehen. Das ist umso wichtiger, als ein Einstieg ausländischer Investoren oft die Zufuhr von Know-how und eine stärkere Einbindung der Unternehmen in internationale Wertschöpfungsketten initiiert – mit positiven gesamtwirtschaftlichen Effekten.
  • Mit Privatisierungen können verschuldete Staaten die Glaubwürdigkeit ihrer Programme zur Haushaltssanierung untermauern und so ein wichtiges Signal für internationale Anleiheinvestoren setzen. Damit verbessert sich für die Länder prinzipiell die Aussicht auf niedrigere Anleihezinsen und nachhaltig günstigere Finanzierungsbedingungen für die öffentliche Hand.
  • Angesichts der Interdependenz der Finanzmärkte sollten daraus auch bessere Finanzierungskonditionen für private Unternehmen resultieren. Auf diese Weise kann Privatisierung Impulse für Investitionen und Innovationen setzen.
  • Weitere Wohlfahrtsgewinne entstehen insoweit, wie privatisierte Unternehmen effizienter wirtschaften. Zwar beeinflusst die Eigentümerstruktur die Effizienz von Unternehmen nur bedingt direkt. Vielmehr kommt es dafür wesentlich auf geeignete Leitungs- und Kontrollstrukturen an, die entsprechende Anreize für das Management des Unternehmens setzen. Indes ist gute Corporate Governance unter privater Regie eher zu erwarten.
  • Generell kann der Staat mit dem Ausstieg aus wirtschaftlicher Tätigkeit Freiraum für private Betätigung schaffen. Das setzt Wachstumskräfte frei. Im Fall staatlicher Monopolbetriebe, wie sie bei Schienenverkehr oder Postdiensten noch vorherrschen, bedarf es dazu aber ergänzend konsequenter Marktöffnung. Die Dynamik im einst staatlichen Telekommunikationsbereich zeugt eindrucksvoll vom breiten Nutzen gelungener Privatisierung und Liberalisierung.

Die positiven fiskalischen Effekte konsequenter Privatisierungen belegen die Erfahrungen der 1990er Jahre. Vor dem Start der Währungsunion haben gerade auch die jetzt stark verschuldeten Länder umfangreich staatliches Vermögen veräußert. Damit konnten sie viel zur Entlastung ihrer Staatshaushalte beitragen. Betrugen die staatlichen Budgetdefizite in Frankreich, Italien und Spanien 1995 im Durchschnitt noch 6,7% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), so waren es im Jahr 2000 nur noch knapp 1,1%.

Wirtschaftliches Umfeld hellt sich auf

Freilich zeigt die Erfahrung auch, dass Privatisierungen für eine nachhaltige Sanierung öffentlicher Haushalte nicht hinreichen. Dazu bedarf es einer anhaltenden Ausgabendisziplin der öffentlichen Hand. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass die akuten fiskalpolitischen Probleme im Eurogebiet teilweise aus notwendigen staatlichen Maßnahmen bei der Bekämpfung der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise sowie der langen Rezession in einigen der hoch verschuldeten Länder resultieren.

Die Veräußerung von Staatsbesitz dürfte vielen Politikern schwerfallen, da sie Verzicht auf (wirtschafts-)politische Macht impliziert. Deshalb sind Anstöße von außen hilfreich, wenn sich der Staat von wirtschaftlicher Betätigung und von nennenswerten Vermögenswerten verabschieden soll. Solche Anstöße lieferten in den 1990er Jahren die mit dem Maastricht-Vertrag gesetzten fiskalpolitischen Hürden für die Teilnahme an der Währungsunion und Liberalisierungsoffensiven der Europäischen Kommission etwa im Telekommunikationsbereich. Heute sind es im Fall der Peripherieländer die Vorgaben der Troika.

Wichtig ist aber auch ein förderliches wirtschaftliches Umfeld. Die Privatisierungsaktivitäten der letzten Jahrzehnte zeigen einen Gleichlauf zum Auf und Ab an den Aktienbörsen. Dort bewegten sich die Kurse in den vergangenen Jahren vielerorts aber über längere Phasen eher nach unten bzw. auf relativ niedrigem Niveau. Für die öffentliche Hand bestanden kaum Aussichten auf attraktive Privatisierungserlöse. Gerade in den von der Schuldenkrise betroffenen Ländern brachen die Aktienmärkte nach der Ausbreitung der Krise seit Anfang 2010 stark ein. Eine Trendwende begann erst im Sommer 2012, nachdem die EZB angekündigt hatte, den Zusammenhalt der Währungsunion nötigenfalls auch mittels unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen zu sichern.

Darüber hinaus wuchs in vielen Ländern der politische Widerstand gegen Privatisierungen. So ist etwa in Italien die angedachte Übertragung kommunaler Wasserwerke in private Hände seit dem ablehnenden Votum einer Volksabstimmung im Juni 2011 vom Tisch. Und in Spanien protestieren immer wieder Mitarbeiter öffentlicher Kliniken gegen deren teilweise Übertragung in private Hände.

In jüngerer Zeit haben sich zumindest die ökonomischen Rahmenbedingungen verbessert. Die Notierungen an den Aktienbörsen liegen inzwischen weithin deutlich oberhalb ihrer Tiefstände der letzten Jahre. In den von der Schuldenkrise betroffenen Ländern zeichnet sich eine allmähliche Stabilisierung der Realwirtschaft ab. Das Interesse internationaler Investoren an Europa nimmt wieder zu. Darauf deutet der seit geraumer Zeit wieder steigende Anteil von Staatsanleihen der Krisenländer im Beseitz ausländischer Gläubiger hin. Es wäre für die höher verschuldeten Länder also durchaus sinnvoll, wieder mehr auf Privatisierung zu setzen.

Nennenswertes Privatisierungspotenzial vorhanden

Potenzial für neue Privatisierungsoffensiven wäre vorhanden. Das zeigt ein Blick auf ausgewählte Länder, nämlich Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal und Spanien. Dort verfügt der Staat ungeachtet früher schon erfolgter Veräußerungen noch über umfangreiche Vermögenswerte. Neben den Unternehmen des Schienenverkehrs und der Postdienste gehören dazu weitere wertvolle Unternehmensbeteiligungen insbesondere im Bereich der Energieversorgung sowie Infrastruktureinrichtungen wie Flughäfen und Seehäfen.

In Frankreich etwa beträgt der Wert der Beteiligungen des Zentralstaates an Wirtschaftsunternehmen rd. 33 % des BIP. In den anderen Ländern dürfte dieser Prozentsatz zwar geringer, aber keinesfalls vernachlässigbar sein. Indes befinden sich z.B. in Italien viele staatliche Betriebe in kommunalem Besitz.

Der größte Anteil am relevanten staatlichen Vermögen entfällt allerorten wohl auf Immobilien. So wird das staatliche Immobilienvermögen in Frankreich auf über 80% des BIP und für Italien auf mindestens 35% geschätzt. In beiden Ländern gehören die Liegenschaften allerdings größtenteils den Kommunen. Vor allem in Griechenland besitzt aber auch der Zentralstaat zahlreiche Immobilien.

Unterschiedlicher Umgang mit Staatsbesitz

Die Bereitschaft, das Potenzial zu nutzen, ist von Land zu Land unterschiedlich ausgeprägt. In Frankreich setzt die derzeitige Administration auf aktives Management der staatlichen Unternehmensbeteiligungen. Im Vordergrund stehen dabei industrie- und beschäftigungspolitische Ziele. Privatisierung spielt nur die zweite Geige. Zwar hat der Staat in jüngerer Zeit auch seine Anteile an Unternehmen wie  EADS reduziert, die als strategisch wichtig für Frankreich gelten (und dabei insgesamt 1,9 Milliarden Euro erlöst). Allerdings ist die Regierung bestrebt den staatlichen Einfluss auf diese Unternehmen zu erhalten, etwa durch Regulierung. Und auch Erlöse von Privatisierungen will die Regierung in erheblichem Umfang dem staatlichen Strukturfonds zuführen. Das spricht nicht für Vertrauen in die Marktwirtschaft.

In Italien hat die schwierige politische Lage Privatisierungen erschwert. Zudem scheinen entsprechende Reformappelle internationaler Institutionen wie des IWF bei den Kommunen auf wenig Verständnis zu stoßen, dort aber liegen erhebliche Teile des Staatsbesitzes. In Spanien machten bislang vor allem der Konjunktureinbruch und die Flaute an der Börse wichtige Privatisierungsvorhaben zunichte. Deswegen setzte die Regierung 2012 etwa den eingeleiteten Verkauf des Flughafenbetreibers AENA aus. In jüngster Zeit haben die zuständigen Behörden indes wieder neuen Anlauf zur Veräußerung von AENA genommen. Vorerst nicht mehr zur Debatte steht allerdings der Verkauf der ertragreichen staatlichen Nationallotterie.

Gleichsam Musterschüler in Sachen Privatisierung ist Portugal. Das Land hat sein im Frühjahr 2011 mit der Troika vereinbartes Privatisierungsprogramm, das bis Ende 2013 Erlöse von insgesamt EUR 5 Mrd. erbringen sollte, bereits weitgehend umgesetzt. Dabei gelang es sogar, die Zielmarke deutlich zu übertreffen. 6,7 Milliarden Euro konnte Portugal in den letzten drei Jahren an Veräußerungserlösen erzielen. Das entspricht 4,1% des BIP. Die Aktivitäten der Regierung sind damit aber noch nicht beendet. Vielmehr stehen auf der Privatisierungsliste 2013 der portugiesischen Regierung u.a. noch die Post (Correios de Portugal, CTT), die Eisenbahnfracht-Gesellschaft CP Carga und die Fluggesellschaft TAP Portugal.

Im Gegensatz dazu ist Griechenland deutlich im Verzug. Dabei hatte sich das Land selbst zunächst zunehmend ehrgeizigere Ziele gesetzt. Wollte Griechenland anfänglich Vermögen im Wert von einer Milliarde Euro pro Jahr veräußern, so stellte es dann im Juli 2011 gegenüber dem IWF Privatisierungserlöse von insgesamt 50 Milliarden Euro (24% des damaligen BIP) bis Ende 2015 in Aussicht.

Freilich erwiesen sich die Pläne angesichts des starken Einbruchs der Wirtschaft und zwischenzeitlich verbreiteter Zweifel internationaler Anleger an einer weiteren Mitgliedschaft Griechenlands in der Währungsunion schon bald als Makulatur. So konnte der Staat in den vergangenen beiden Jahren nur rd. ein Zehntel der ursprünglich angestrebten Erlöse von EUR 15 Mrd. erzielen.

Inzwischen sind die griechischen Pläne wiederholt revidiert worden. Nach aktuellen Vorgaben erwartet die Troika bis 2020 Privatisierungen im Volumen von insgesamt 22 Milliarden Euro. In den vier Jahren von 2013 bis 2016 sind insgesamt 9,3 Milliarden Euro (5% des BIP) vorgesehen, davon 1,6 Milliarden im laufenden Jahr.

Inwieweit es Griechenland gelingt, die neuen Ziele zu erreichen, ist offen. So erweist sich die Veräußerung von Immobilien wegen des unzureichenden Katasterwesens als schwierig. Kurios ist ein Fall, der vor geraumer Zeit in der internationalen Presse die Runde machte: Demnach wollten Beamte an der Küste des Ionischen Meers attraktive, vermeintlich unbebaute staatliche Grundstücke wegen eines angedachten Verkaufs inspizierten; vor Ort fanden sie dann unerwartet 7000 Privathäuser vor.

Fazit

Der in den letzten Jahren weithin ins Stocken geratene Privatisierungsprozess kommt – abgesehen vom Musterfall Portugal – nur langsam in Schwung. Das korrespondiert mit der bislang erst allmählichen Besserung der wirtschaftlichen Lage in den betrachteten Ländern. Mancherorts sind aber auch die politischen Prioritäten nicht konsequent gesetzt.

Auch wenn sich das wirtschaftliche Umfeld weiter verbessert, sollten die in absehbarer Zeit realisierbaren Privatisierungserlöse nicht überschätzt werden. So bedürfen öffentliche Unternehmen, Einrichtungen und Liegenschaften in vielen Fällen einer Sanierung, wenn sie für private Investoren interessant sein sollen. Indes ist es für die Politik angesichts hoher Arbeitslosigkeit schwierig, wenig produktive Staatsunternehmen durch Personalanpassungen wettbewerbsfähiger  zu machen.

Ebenso müssen staatliche Liegenschaften in vielen Fällen erst saniert und entwickelt werden, wenn sie werthaltig sein sollen. In Ländern mit stark angespannten öffentlichen Kassen sind die finanziellen Spielräume dafür aber eng begrenzt. Vielerorts erschweren zudem politische Widerstände die Privatisierung insbesondere von Einrichtungen der Daseinsvorsorge.

Hinweis: Der Text basiert auf der Studie: Bräuninger, Dieter. Privatisierung im Eurogebiet. Unterschiedlicher Umgang mit Staatsbesitz. Deutsche Bank Research, 13. Juli 2013.

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