Impfschutz – Ist Zeit für die Impfpflicht?

2004 wurden in Deutschland 121 Fälle von Masern-Erkrankungen gezählt, ein Jahr später hingegen waren es schon 778 Fälle. Dies führte die damalige Familienministerin von der Leyen dazu, die Einführung eines Impfzwangs für Deutschland zu diskutieren. Die Diskussion wurde im Zuge des diesjährigen Wahlkampfes von Gesundheitsminister Bahr – angesichts der diesjährigen hohen Infektionszahlen vor allem in Bayern und Berlin (insg. 905 Masernfälle bis Mitte Juni) – erneut aufgegriffen. Neben Bahr befürworteten schließlich auch andere Politiker eine Impfpflicht. Zwar flachte die Diskussion nach der Bundestagswahl wieder ab, dennoch stellt sich angesichts der in den letzten Jahren weiter ansteigenden Fallzahlen die Frage, ob Deutschland eine Impfpflicht nicht trotzdem braucht.

Bezüglich der Impfsituation in Deutschland spricht die Datenlage der kassenärztlichen Versorgung in Deutschland (ZI) auf den ersten Blick für eine derartige Pflicht: Nur 37 Prozent aller Kleinkinder werden entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) geimpft. Vor allem die Bewohner Bayerns, Baden-Württembergs, Berlins und Bremens werden als impffaul eingestuft. Dabei erhalten noch 85,5 Prozent der untersuchten Kinder bis zu einem Alter von zwei Jahren mindestens eine Masernimpfung. Die zum Schutz notwendige zweite Impfung hingegen haben nur 60 Prozent dieser Kinder (bis zwei Jahre) erhalten. Ein etwas positiveres Bild ergibt die Datenlage für Impfungen gegen Mumps und Röteln (95% erhalten die erste Immunisierung; 92% die zweite).

Sicherlich, von einer Impfung profitiert nicht ausschließlich das geimpfte Individuum, das durch die Impfung gegen eine Krankheit weitgehend immun wird, also im Falle einer Epidemie aller Voraussicht nicht erkrankt, sondern auch die Gemeinschaft (dies gilt nicht für alle möglichen Schutzimpfungen. So nützt eine Impfung gegen Tetanus bspw. nur dem geimpften Individuum, da die Krankheit nicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist): Weist eine Gesellschaft eine hohe Impfquote auf, so verhindert dies die Übertragung der jeweiligen Erreger. Diese Herdenimmunität schützt damit auch solche Individuen, die a) aus gesundheitlichen Gründen nicht immunisiert werden können, und b) diejenigen, die trotz einer vorgenommenen Schutzimpfung nicht über eine vollständige Immunisierung verfügen. Damit stellt die Schutzimpfung eines Individuums also einen positiven externen Effekt dar; es wird ein öffentliches Gut durch die Impfung produziert: Die gesamte Bevölkerung profitiert durch die Impfung eines einzelnen Individuums, da eine höhere Herdenimmunität erreicht wird, und kein Individuum der gesamten Population kann von diesem Effekt ausgeschlossen werden.

Da durch die Impfung also ein öffentliches Gut produziert wird, von dem alle profitieren, aber niemand ausgeschlossen werden kann, kommt es vereinzelt zu Trittbrettfahrerverhalten, d.h. einzelne Individuen impfen sich nicht, konsumieren aber dennoch das öffentliche Gut Herdenimmunität. Insofern liegt im Falle der Impfschutzfrage ein Marktversagen vor, das eine staatliche Intervention angeraten erscheinen lassen könnte. Eine solche Intervention ließe sich unter Umständen auch dadurch rechtfertigen, daß Impfungen evident Schutz gegen verschiedene Krankheiten bieten und dabei ein günstiges Kosten-Nutzen Verhältnis aufweisen. Diese Intervention könnte von weichen Instrumenten wie Aufklärung über eine finanzielle Unterstützung der Impfkosten bis zu harten Instrumenten wie einem Impfzwang reichen.

Sicherlich ließe sich aus der Sicht eines liberalen Paternalismus sogar ein Impfzwang rechtfertigen, zumal offenbar eine rein freiwillige Lösung zu einer vermeintlich unzureichenden Impfquote führt, wie die hohen Erkrankungszahlen nahelegen. Aber ist eine derartige Intervention, die tief in die Freiheitsrechte der Individuen eingreift, tatsächlich notwendig?

Bei der Einführung einer Impfpflicht stellt sich zunächst die Frage der Durchsetzung der Impfpflicht und damit der Sanktion im Falle einer nicht erfolgten Impfung eines Kindes. Dabei lautete ein Vorschlag, der im politischen Diskurs eingebracht wurde, nicht geimpfte Kinder im Falle eines Krankheitsausbruchs in einer Schule vom Unterricht auszuschließen. Eine solche Bestrafung der Kinder für das Verhalten bzw. Versäumnis der Eltern erscheint jedoch fragwürdig, zumal Sanktionen nicht die Ursachen des impfkritischen Verhaltens auflösen können.

Betrachtet man die Ursachen für ein impfkritisches Verhalten der Eltern genauer, erscheint ein staatliches Eingreifen im Sinne einer Impfpflicht nicht erforderlich: Eingangs wurde bereits erwähnt, daß oftmals eine erste Impfung der Kinder stattfindet, nicht aber eine zweite. Gemäß des Bundesministeriums für gesundheitliche Aufklärung (2011), das in einer Studie oftmals genannte Gründe für ein Ausbleiben der Immunisierung zusammengestellt hat, läßt sich dies darauf zurückführen, daß das Kind zum eigentlichen Impfzeitpunkt erkrankt ist und ein Nachholtermin oftmals nicht vereinbart wird. Auffällig ist außerdem der hohe Einfluß impfkritischer Ärzte, Heilpraktiker und Homöopathen auf das Impfverhalten der Eltern. Letztere schätzen nach einem Aufklärungsgespräch beim Arzt oftmals die Nachteile einer Impfung in Form von Nebenwirkungen höher ein als die Nachteile, die durch das Unterlassen der Impfung zu erwarten sind. 98 Prozent der Eltern gaben im Rahmen der Umfrage an, daß das Gespräch mit einem Arzt die bevorzugte Informationsquelle bezüglich der Impfung darstellt.

Aufklärungskampagnen bezüglich der Nebenwirkungen von Impfungen können also als wichtiges Instrument bezüglich einer höheren Impfquote ein durchaus erfolgversprechenderes Instrument darstellen.[1] Neben der Aufklärung können neben der Kostenübernahme durch die Krankenversicherer andere Anreize ebenfalls eingesetzt werden, wie z.B. Bonusregelungen für Ärzte, da, wie gezeigt wurde, gerade die Ärzteschaft eine Schlüsselrolle bezüglich des Impfverhaltens innehat.

In Finnland zeigt sich zudem, wie ausreichende Immunisierung auch ohne eine staatliche vorgeschriebene Pflicht erreicht werden kann. Die erzielten Impfraten liegen dort bei 96 Prozent. Aufklärungsarbeiten mithilfe der Medien wurden dort bereits 1982 intensiviert (Beske und Ralfs, 2003). Auch Bayern, das, wie erwähnt, Schlußlicht bezüglich der Impfquoten ist, hat erhebliche Aufklärungsarbeiten vorgenommen, was bereits zu einer Verbesserung der Quoten geführt hat.

Damit läßt sich schließen, daß Artikel 2 (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) sowie Artikel 6 (Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit bei Pflege und Erziehung der Kinder) des Grundgesetzes durch einen Impfzwangs nicht eingeschränkt werden sollten, zumal weichere Instrumente, die den Freiheitsspielraum der Individuen kaum einschränken, mindestens eine dem Impfzwang vergleichbare Wirkung erzielen. Lediglich im Falle einer Epidemie ließe sich darüber diskutieren, ob eine Einschränkung der Selbstbestimmung gerechtfertigt werden könnte.

Literatur:

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (2011): Elternbefragung zum Thema „Impfen im Kindesalter“. Köln.

Beske, F. und Ralfs, D. (20003): Die aktive Schutzimpfung in Deutschland. Stand, Defizite, Möglichkeiten.

Le Ker, H. (2013): Gesetzesänderung in Australien: Kita-Platz? Nur mit Impfung, in Spiegel Online, 29.05.2013, abgerufen am 05.11.2013 unter: http://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/impfung-kinder-in-australien-muessen-vor-kindergarten-geimpft-sein-a-902311.html

o.A. (2006): Von der Leyen für Masern-Impfpflicht, in Netzeitung, 01.10.2006, abgerufen am 05.11.2013 unter: http://www.netzeitung.de/politik/deutschland/444095.html?Von_der_Leyen_fuer_Masern-Impfpflicht

o.A. (2013): Masernimpfungen bei Kindern bis zu einem Alter von zwei Jahren, online abrufbar, abgerufen am 05.11.2013 unter: http://www.versorgungsatlas.de/themen/versorgungsprozesse/?tab=6&uid=43

 


[1] Das Paul-Ehrlich Institut gibt dabei an, daß Ängste bezüglich Impfschäden unbegründet sind: Impfschäden liegen im Promillebereich. Bricht hingegen eine der typischen Kinderkrankheiten aus, so das European Centre for Disease Prevention and Control, sterben ein bis drei von 1000 erkrankten Kindern.

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