Die Ministerpräsidentin des Saarlandes hat im Zuge der Verhandlungen über die Neuordnungen des Länderfinanzausgleichs eine unerwartete Drohung ausgesprochen: die Abschaffung ihres Bundeslandes. Wenn die gegenwärtige Finanzsituation des Landes auf die Schuldenbremse trifft, und sich ansonsten nichts ändert, dann seien die Existenz einiger Bundesländer gefährdet und Länderfusionender einzige Ausweg, so Frau Kramp-Karrenbauer.
Soweit es die beabsichtigte mediale Wirkung betrifft, ging dieser Schuss nach hinten los. Anstatt unmittelbares Verständnis für die Lage des Saarlandes zu haben und über Möglichkeiten seiner finanziellen Entlastung nachzudenken, rangen sich viele Kommentatoren erst einmal nur zu einem Achselzucken durch, verbunden mit der Frage: Fusion? Ja, warum eigentlich nicht?
Länderfusionen: praktische Fragen…
Tatsächlich ist das Saarland nur eines von mehreren Ländern, die heute besonders stark mit den Folgen einer über Jahrzehnte dauernden Anhäufung von Schulden zu kämpfen haben. Aber um eines gleich vorweg zu nehmen: Länderfusionen stellen hier keinen sinnvollen und auch keinen realistischen Ausweg dar. Auch die letzte versuchte Länderfusion ist nicht zuletzt an den unterschiedlich hohen Schuldenniveaus gescheitert: Die Brandenburger wollten nicht in einem gemeinsamen Bundesland für die erheblichen Berliner Schulden in Haftung genommen werden. Wer sollte also heute bereit sein, das Saarland und seine Leidensgenossen aufzunehmen? Zumal gerade im Fall des Saarlandes das Problem besteht, dass das benachbarte Rheinland-Pfalz ebenfalls nie ein finanzpolitischer Musterschüler war, und eine Fusion zweier überdurchschnittlich verschuldeter Länder niemandem unmittelbar hilft.
Aber auch mittelbar stellt sich die Frage, ob Kleinheit überhaupt das relevante Problem ist, dem man langfristig durch größere Bundesländer bekommen sollte. Schon ein Blick auf den Schuldenstand und die Defizite Nordrhein-Westfalens könnte ausreichen, um hier Zweifel zu wecken: Im Saarland hatten Ende 2013 Land und Gemeinden zusammen etwa 16.800 Euro Schulden pro Einwohner, in NRW waren es 13.700 Euro. Zum Vergleich: Ein solide haushaltendes Land wie Sachsen kommt auf knapp 2.100 Euro, Bayern auf 3.200 Euro. Die Unterschiede bestehen nicht nur historisch, sondern auch am aktuellen Rand. Während im Jahr 2012 immerhin neun Länder es schafften, strukturelle Finanzierungsüberschüsse auszuweisen, finden sich unter den Ländern, die teilweise noch erhebliche strukturelle Defizite auswiesen so heterogene Fälle wie das Saarland, Bremen, Hessen und NRW. Kleinheit scheint hier auf den ersten Blick nicht der wesentliche Einfluss zu sein, der prognostiziert, ob ein Land solide haushalten kann oder nicht.
…und grundsätzliche Einwände
All dies ist nicht wirklich überraschend. Diejenigen öffentlichen Güter, bei denen es tatsächlich erhebliche Größenvorteile in Produktion und Konsum auszunutzen gibt, werden in Deutschland ohnehin auf der Bundesebene bereitgestellt. Bei dem, was die Länder noch selbständig tun, ist es dagegen kaum möglich, nennenswerte Effizienzgewinne durch schiere Größe zu erzielen. Es spielt beispielsweise für die Kosten ihres Studienplatzes kaum eine Rolle, ob saarländische Studierende in einem saarländischen Hochschulsystem studieren, oder in einem rhein-saarland-pfälzischen System. Ebenso werden für die innere Sicherheit sorgende Streifenpolizisten nach einer Länderfusion genauso viel kosten wie vor der Fusion. Und wenn es dann doch einmal möglich sein sollte, bei einem spezifischen öffentliche Gut Größenvorteile zu nutzen, dann könnte man dies auch durch punktuelle Kooperation lösen, wenn man beispielsweise die Gründung eines länderübergreifenden Zweckverbandes zulassen würde.
Auf geringere Verwaltungskosten sollte man ebenfalls nicht hoffen. Zwar gibt es weltweit kaum Erfahrung mit Länderfusionen, aber man kann aus den zahlreichen Gemeindefusionen lernen, die in verschiedenen Staaten in den letzten Jahrzehnten durchgeführt wurden. Die empirische Evidenz ist sehr uneindeutig, und die Bedingungen, unter denen Effizienzgewinne zu erwarten sein könnten, sind alles andere als klar. Es liegen aber inzwischen einige Studien vor, die als Folge von Fusionen eher steigende als sinkende Ausgaben beobachten (siehe etwa hier, hier oder hier)
Solche Entwicklungen haben politische Ursachen. Man darf sich die Fusion von Gebietskörperschaften nicht als Prozess vorstellen, in dem automatisch nach Effizienzreserven gesucht wird und diese aufgedeckt werden. Vielmehr betrachtet man politische Entscheidungen plötzlich stärker durch die verteilungspolitische Brille. Die betroffenen Bürger beobachten argwöhnisch, ob ihr angestammtes Territorium vielleicht weniger profitiert als das andere, und wenn im ehemaligen A ein neues Schwimmbad eröffnet, dann will man im ehemaligen B doch zumindest eine neue Umgehungsstraße. Ein großes Bundesland wie Nordrhein-Westfalen ist nicht zuletzt auch eine Arena für aufwändigen Regionalproporz, denn die gefühlte Legitimität des immer noch etwas künstlichen Vielvölkerlandes muss immer wieder neu erkauft werden. Das gilt vor allem in einer relativ konsensorientierten politischen Kultur wie in Deutschland.
Eine falsche Drohung und echte Haushaltsnöte
Länderfusionen wären schwer durchzusetzen und unter deutschen Bedingungen wohl auch nicht zielführend. Die Drohung der saarländischen Ministerpräsidentin war also kaum glaubhaft. Zumindest aber hat sie ihren Zweck erfüllt und Aufmerksamkeit auf die Haushaltsprobleme einzelner Länder gelenkt. Das Saarland hat Zins-Ausgabenquoten um 13 Prozent, nur in Bremen ist die Lage noch ein wenig dramatischer. Wenn mehr als jeder achte Euro für den Schuldendienst verwendet wird und gleichzeitig ein weiterer, nicht kleiner Teil der Landesausgaben durch bundesstaatliche Verpflichtungen gebunden ist, dann trifft der Konsolidierungsdruck mit Wucht die verbleibenden, noch variablen Ausgabenpositionen.
Das Ausmaß dieses Drucks ist gerade für das Saarland und für Bremen gewaltig. In seinem Jahresgutachten aus dem vergangenen Jahr (S. 323ff.) kommt der Sachverständigenrat in einer Modellrechnung zu dem Schluss, dass das Saarland bis zum Jahr 2020 seine Primärausgaben um rund ein Viertel kürzen muss (Bremen um knapp ein Fünftel), um zu einer grundgesetzkonformen Haushaltspolitik zu kommen. Zwar weist der Rat auch darauf hin, dass es in den nächsten Jahren auch noch erhebliche Einsparpotentiale gibt, etwa aufgrund des demographischen Wandels und des damit verbundenen Rückgangs der Schülerzahlen in den Flächenländern. Insgesamt haben sich die Bundesländer in den letzten Jahren ein Wachstum des öffentlichen Konsums geleistet (und nicht etwa der Investitionen) und sollten dementsprechend auch hier nach weiteren Einsparpotentialen suchen. Da all dies aber politisch alles andere als populär ist, stehen einige Länderregierungen unter erheblichem Druck, für den sie nun ein anderes Ventil als eine noch energischere Konsolidierungspolitik suchen.
Altschuldenfonds und mehr
Mit dem Auslaufen der aktuellen Bund-Länder-Finanzbeziehungen am Ende des Jahres 2019 ist die finanzpolitische Verschiebemasse in den Verhandlungen über das Nachfolgesystem erheblich. Entsprechend groß ist die Hoffnung der Landesregierungen, ihre Altschulden nun loszuwerden. Schon etwas ältere Vorschläge (etwa hier und hier) werden nun als ernsthafte Lösungsvorschläge diskutiert. Sie laufen darauf hinaus, die Altschulden der Länder (und möglichst auch die der Kommunen) in einen gemeinsamen Fonds zu überführen und die Zinszahlungen dem Bund zu überlassen. Der Bund könnte die Zahlungen etwa aus dem Aufkommen des Solidaritätszuschlages und, soweit dieses nicht reicht, den auslaufenden Solidarpaktmitteln für den Aufbau Ost finanzieren. Gleichzeitig sollte ein Tilgungsplan ausgearbeitet werden: Regelmäße Zahlungen der Länder sollen für die Tilgung des Fonds in einem überschaubaren Zeitraum sorgen.
Für die hoch verschuldeten Länder wäre dies natürlich die einfachste Lösung. Sie würden sich der Kontrolle und Disziplinierung des Marktes entziehen, wären die Sorge um früher oder später wieder steigende Zinssätze los und würden sich in ein eher kommodes Abhängigkeitsverhältnis vom Bund begeben, das, wie alle politischen Verhältnisse, nach Bedarf immer wieder neu interpretiert und nachverhandelt werden kann. Eine Wette darauf, dass einmal vereinbarte Tilgungspläne reibungslos abgearbeitet werden, würde wohl kaum jemand mit einem nennenswerten Einsatz eingehen.
Verglichen mit diesem Rundum-Sorglos-Ansatz für die Länder erscheint der Alternativvorschlag, lediglich die auslaufenden Solidarpaktmittel und das Aufkommen des Solidaritätszuschlages zu nutzen, um nicht mehr nur ostdeutsche, sondern bundesweit strukturschwache Bundesländer zu unterstützen, geradezu moderat. Die Frage ist allerdings, ob hier nicht zusätzlich zum horizontalen Länderfinanzausgleich ein letztendlich dauerhaftes vertikales Finanzausgleichssystem etabliert würde, das die Länder noch stärker als heute in finanzielle Abhängigkeit vom Bund bringt. Die Erfahrungen mit Versuchen, Länder, die von vertikalen Transfers profitieren, zur Investition der Mittel in einen effizienten öffentlichen Kapitalstock zu bewegen, sind ebenfalls eher ernüchternd. Wieso sollte dies nun plötzlich funktionieren?
Schließlich gibt es noch den Vorschlag des Bundesfinanzministers, die geringe Verschuldung des Bundes zu nutzen, um den Ländern mehr Luft zum Atmen zu geben: Wenn der Bund sich strukturell nur mit 0,2 Prozent des BIP neu verschuldet, dann bleiben 0,15 Prozent für die Länder, ohne dass das Ziel der Schuldenbremse von gesamtstaatlichen 0,35 Prozent verfehlt wird. Aber wie verteilt man diese 0,15 Prozent auf die Bundesländer? Werden die Schuldensünder der Vergangenheit heute mit mehr Spielraum belohnt?
Nicht zuletzt: In den Verhandlungen um die Schuldenbremse wurden den Ländern mit besonders großen Problemen Konsolidierungshilfen zugesagt, die ihnen den Übergang bis 2020 erleichtern sollen. Seit 2011 erhalten das Saarland, Bremen, Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein diese Hilfen. Damals, 2009, lauteten die Schlagzeilen noch triumphierend: Saarland kann auf Milliardenhilfe hoffen. Damit verbunden war aber von Anfang an die Aufgabe der Vorbereitung auf die Schuldenbremse – nicht die Suche nach bequemeren Auswegen.
Fazit: Wer bestellt, der sollte auch zahlen
Zweifellos brauchen die Bundesländer mehr finanzpolitische Flexibilität und gerade auf der Einnahmenseite ihrer Budgets mehr Luft zum Atmen. Dies wurde an dieser Stelle bereits ausführlich besprochen: Nicht neue, ausgeklügelte Transfersysteme oder eine Sozialisierung der Altschulden sind aber in dieser Lage angezeigt, sondern Steuerautonomie für die Länder und mit ihr verbunden die Verantwortlichkeit für die Finanzierung länderspezifischer öffentlicher Konsumwünsche. Diese Verantwortlichkeit scheuen nicht wenige Länder-Finanzpolitiker allerdings wie der Teufel das Weihwasser. Wenn etwa der saarländische Finanzminister rundheraus behauptet, autonome Länderzuschläge auf die Einkommensteuer seien grundgesetzwidrig, so erscheint dies vor dem Hintergrund der verfügbaren verfassungsrechtlichen Argumente (z.B. hier, S. 32ff.) als reine Schutzbehauptung, die vor allem einen Zweck erfüllen soll: Zu verhindern, dass man dem eigenen Wähler die Rechnung für die eigene Politik präsentieren muss.
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