Das Gewinnstreben des Unternehmenssektors wird heutzutage in den Medien häufig kritisch kommentiert. Besonders am Pranger stehen seit der Finanzmarktkrise die Banken, aber von Zeit zu Zeit geraten auch Lebensmittelhersteller oder die Bekleidungsindustrie ins Visier. Konsumenten wie Bürger erwarten von ihren Unternehmen, dass sie Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen und sich bei ihrem Streben nach Profit an die geschriebenen und ungeschriebenen moralischen Regeln halten. Es wird viel über Corporate Social Responsibility (CSR) und Corporate Citizenship geschrieben und gesprochen.
Von den Bürgern wird heute verlangt, dass ein Unternehmen in der Lage sein sollte, seine Geschäftsinteressen mit den Interessen der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Mitverantwortung im öffentlichen Raum ist in einer Marktwirtschaft eine zentrale gesellschaftliche Forderung, denn aufgrund der Lücken und Grauzonen, die auch in der wohlmeinendsten gesetzlichen Rahmenordnung entstehen, ist der Verzicht auf mitverantwortliches Handeln der Kapitulation vor der Weiterentwicklung der gesetzlichen Regeln gleich zu setzen. Dies gefährdet langfristig das Funktionieren der Wirtschaftsordnung. Denn auch und gerade eine Marktwirtschaft benötigt die solidarische Mitwirkung ihrer Mitglieder – auch jene der Unternehmen.
Wie stehen Mitverantwortung für die Gesellschaft und Gewinnstreben zueinander?
Das Gemeinwohl zu fördern und gleichzeitig Gewinne zu erzielen, dies muss keineswegs zwangsweise zu einem moralischen Konflikt führen. Im Normalfall entsteht gewinnorientiertes Handeln durch die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung, ist unternehmerische Aktivität doch am Wohl der Kunden und der anderen Stakeholder des Unternehmens orientiert. Ein erstes Motiv für mitverantwortliches Agieren im öffentlichen Raum ist damit die Ausnutzung der sogenannten Win-win-Situation: Die Übernahme von Mitverantwortung im öffentlichen Raum fördert gleichzeitig Gewinne und Gemeinwohl. Dieser Fall ist zumeist unproblematisch; jeder Unternehmer wird hier in eigenen Interesse das Gemeinwohl fördern.
Die Herausforderung der Unternehmer, eine Brücke zwischen ihrem Profit einerseits und ihrer sozialen Verantwortung andererseits zu schlagen, kann indes groß sein, wenn die Ziele Gewinnstreben und Gemeinwohl sich als nicht gleichgerichtet erweisen. Der essenzielle Inhalt der Unternehmensethik stellt genau auf dieses Spannungsfeld zwischen Gewinnstreben und Gemeinwohl ab. Hier wird auch dann uneigennütziges Handeln auf Seiten der Unternehmen eingefordert, wenn die ethischen oder gesellschaftlichen Anforderungen nicht mit den Gewinninteressen der Unternehmen übereinstimmen. Unternehmen stehen damit oftmals – wenn keine Win-win Lösung für Gewinn und Gemeinwohl möglich ist – vor der Entscheidung: Gewinn oder Verantwortung?
Warum aber entscheiden sich auch gewinnorientierte Unternehmen in einer solchen Konfliktsituation dazu, Mitverantwortung im öffentlichen Raum zu übernehmen?
Hierfür lassen sich zwei unterschiedliche Gründe nennen: Im ersten Fall könnten die CSR-Maßnahmen Alibi-Maßnahmen sein, um sich für Verantwortungsversagen reinzuwaschen. Fallen Unternehmen Gewinne zu, ist der Grund hierfür normalerweise, dass sie sich im Wettbewerb behaupten können, dass sie sich abheben von der Konkurrenz und dass ihre Marktstrategien erfolgreich sind. Demnach stehen diese Gewinne den Unternehmen zumeist gerechtfertigt zu, belohnen sie doch eine besondere Leistung. Dies trifft jedoch auf manche Unternehmen nicht zu, wenn sie nämlich ihre Gewinne nicht aufgrund besonderer Leistungen, sondern aus ihrer Marktstellung bzw. Marktmacht heraus generieren können. Die Gesellschaft gönnt solchen marktmächtigen Konzernen den Gewinn denn auch oftmals nicht. Gerade von diesen Unternehmen wird daher verlangt, ihre Gewinne wieder auszuschütten und für soziale Zwecke einzusetzen, wohingegen dieses Verhalten von kleinen Unternehmen nicht in ähnlichem Maße erwartet wird. Infolgedessen ist Corporate Social Responsibility ein nützliches Instrument für Großunternehmen, um Vertrauen bei den Konsumenten und in der Gesellschaft zu erzeugen oder zurückzugewinnen. Unternehmen handeln hier sozial, um vom eigentlichen Fehlverhalten bezüglich des Kerngeschäftes (der Ausnutzung von Monopol-Macht auf ihrem Absatzmarkt oder von Monopson-Macht auf ihrem Beschaffungsmarkt) abzulenken. In solch einem Fall kann man den Unternehmern kein mitverantwortliches Handeln bzw. Handeln im Sinne des Allgemeinwohls attestieren, obwohl sie Ressourcen für die Gemeinwohlförderung aufwenden. Diese dunkle Seite des CSR kommt zwar selten vor, weil Marktmacht selten so ausgeprägt entsteht, dass sie von größerer Relevanz ist. Da es sich bei den wenigen Fällen aber stets um große, prominente, marktmächtige Unternehmen handelt, werden entsprechende CSR-Aktivitäten dann auch schnell in der Öffentlichkeit wahrgenommen.
Im zweiten Fall engagieren sich Unternehmen bürgerschaftlich, weil die Führungsperson im Unternehmen dies so möchte. Hier handelt es sich weniger um unternehmerische Mitverantwortung als vielmehr um individuelle Verantwortungsübernahme, die nur über das Unternehmen wahrgenommen wird. Das Unternehmen wird hier lediglich als Instrument oder Kanal für die Ausübung individueller Mitverantwortung genutzt. Die Führungsperson wiederum kann z.B. von sozialem Druck oder sozialer Anerkennung angetrieben sein.
Unternehmen leisten mitverantwortliches Engagement im öffentlichen Raum, indem sie zum Beispiel Spenden tätigen, Mitarbeiter freistellen, die Umwelt schützen, aber auch mit Lobbyaktivitäten die gesetzlichen Regeln zum Wohle des Gemeinwesens zu verbessern helfen (wobei der Grat zwischen Lobbyaktivitäten zur eigenen Gewinnsteigerung und Aktivitäten zur Verbesserung des Gemeinwohls sicherlich schmal ist). Der Erste Engagementbericht der Bundesregierung, der im August 2012 erschien, zeigt, dass unternehmerisches Engagement sehr stark von der Betriebsgröße abhängt. 96,2 Prozent der Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, 63,4 Prozent der Betriebe mit unter 50 Mitarbeitern und insgesamt 63,8 Prozent aller Unternehmen engagieren sich für die Gesellschaft.
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Warum aber zeigen nicht alle Unternehmen die geforderte Mitverantwortung?
Die Übernahme von gesellschaftlicher Mitverantwortung erfordert vom Unternehmen erstens eine gewisse Mindestgröße: Dass sich kleinere Unternehmen im Vergleich zu den großen Unternehmen weniger oft engagieren, zeugt von einer für gesellschaftliches Engagement notwendigen personellen und finanziellen Mindestgröße, was die Ressourcenausstattung betrifft. Häufig verfügen große Unternehmungen über speziell geschulte Arbeitskräfte, die sich um Belange rund um das gesellschaftliche Engagement kümmern. Kleinunternehmer, die oftmals zugleich Eigentümer ihres Unternehmens sind, müssen sich hingegen selbst mit den Erfordernissen und Hemmnissen der Übernahme gesellschaftlicher Mitverantwortung befassen. Nicht außer Acht zu lassen ist auch, dass große Unternehmen von den Medien wahrgenommen und ihrem Beitrag zum Allgemeinwohl daher durchaus Beachtung geschenkt wird. Für sie ist es leichter, die Gesellschaft über ihr Engagement zu unterrichten, als dies bei kleineren Betrieben der Fall ist. Dieser Informationstransfer ist für das Image von großen Unternehmen von enormer Bedeutung, weswegen für diese gesellschaftliches Engagement besonders lohnenswert ist. Es generiert durch den Informationstransfer Win-win-Situationen. Dies ist bei kleineren Unternehmen oft nicht der Fall. Auch sehen sich kleinere Unternehmungen weniger dem Druck zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung ausgesetzt.
Zweitens unterliegen Unternehmen bei der Übernahme von gesellschaftlicher Mitverantwortung oft einem Gefangenendilemma: Dieses liegt dann vor, wenn das Handeln der Unternehmen einen positiven externen Effekt auf die Gesellschaft und damit auch auf ihren Konkurrenten ausübt. Engagiert sich ein Unternehmen, so profitieren viele von den positiven Konsequenzen des gesellschaftlichen Engagements. Die Kosten trägt jedoch im Extremfall nur das eine sich engagierende Unternehmen. Übersteigen nun die Aufwendungen des Unternehmens seinen zusätzlichen Nutzen aus dem Engagement, so kann es abwarten und hoffen, dass ein anderes Unternehmen die Verantwortung für das Engagement übernimmt. Denkt jeder Beteiligte auf diese Weise, so handelt niemand. Das Engagement unterbleibt, obwohl der zusätzliche Nutzen für alle Gesellschaftsmitglieder die Aufwendungen deutlich übersteigen kann.
Auch im Gefangenendilemma bieten sich jedoch Interaktionschancen für die Akteure. Sind die Unternehmen bereit, die Aufwendungen zu teilen, so können die Interessen der Gemeinschaft verwirklicht werden. Dies ist in der Praxis jedoch schwierig, da jedes Unternehmen den Anreiz hat, umsonst von den Vorteilen der gesellschaftlichen Verbesserungen zu partizipieren und eigene Aufwendungen zu scheuen. Man spricht vom Trittbrettfahrerverhalten: Die Unternehmen, die sich nicht engagieren, profitieren trotzdem vom gesellschaftlichen Nutzen, ohne selbst eine Leistung erbracht zu haben.
Das dritte Hemmnis gesellschaftlichen Engagements sind asymmetrische Informationen. Bürger wie Kunden verfügen oft nicht über alle nötigen Informationen bezüglich des Unternehmerhandelns, der Produkte und ihrer Eigenschaften. Ihnen fehlt auch die Fähigkeit, diese Informationsasymmetrie zu überwinden. Dies führt wiederum dazu, dass sich Mitverantwortung insofern nicht auszahlt, als dass mangels Kenntnis die Anerkennung für das mitverantwortliche Handeln unterbleibt. Die Folge ist, dass Unternehmen Kommunikationsaufwand betreiben, um Transparenz hinsichtlich ihres Engagements herzustellen. Dies führt wiederum dazu, dass die Konsumenten die Glaubwürdigkeit der Unternehmensstrategie in Frage stellen. Es besteht der Verdacht, dass die Unternehmen sich nur engagieren, weil sie dies als positive PR-Maßnahmen sehen.
Diese Hemmnisse erklären, warum von Seiten der Unternehmen sicherlich nicht in gesellschaftlich gewünschtem Maße gesellschaftliche Mitverantwortung ausgeübt wird. Dies ist aber kein Ruf nach staatlichen Regeln: Den Bedarf an gesellschaftlicher Mitverantwortung mit gesellschaftlichen Institutionen regulieren zu wollen wäre in der Tat ein fundamentales Missverständnis! Denn erst die Unvollkommenheit der gesellschaftlichen Institutionen macht die Mitverantwortung ja wünschenswert und notwendig. Wenn staatliche Entscheidungsträger also Lücken in der gesellschaftlichen Rahmenordnung erkennen, so haben sie sie direkt zu schließen, statt die Verantwortung anderen zuzuschieben!
Literatur
- Deutscher Bundestag (2012), Erster Engagementbericht 2012- Für eine Kultur der Mitverantwortung, Drucksache 17/10580, Köln und Berlin
- Roman Herzog Institut (2012), Ergebnisse zur CSR-Forschung – Zwischen Gewinn und Verantwortung, RHI Information Nr. 12, Köln
- Homeoffice und Produktivität - 9. Juli 2024
- Die freie Wahl zwischen Home-Office und Präsenzarbeit - 19. Dezember 2022
- Wettbewerb der Hochschulen
Die Perspektive im Bundesbildungsbericht 2022 - 10. Juli 2022
Welch bizarre „Gefangenendilemma“ werden hier konstruiert!
Auch die Naivität mit der die Zahlen aus dem „Engagementbericht der Bundesregierung“ interpretiert werden, ist eines Akademikers eigentlich unwürdig. Man muss doch zumindest mal diskutieren, was es bedeutet, wenn Unternehmen angeben, dass sie sich „für die Gesellschaft engagieren“. Wer schon einmal in einem Unternehmen gearbeitet hat, weiß, dass dahinter nur ein Marketingkalkül steckt. CSR ist in der Realität Teil des Werbebudgets. Die gesellschaftliche Leistung der Unternehmen besteht in der Umwandlung von Produktionsfaktoren in Produkte, die von den Konsumenten nachgefragt werden. Wer das am besten hinbekommt, macht den höchsten Gewinn. Wer so gute Produkte herstellt, dass er einen monopolistischen Preisaufschlag durchsetzen kann, praktizert kein „Fehlverhalten bezüglich des Kerngeschäftes (der Ausnutzung von Monopol-Macht)“, sondern verdient den Extrazuschlag – bis ein Nachfolger kommt und ein noch besseres Produkt anbietet. Das nennt man Wettbewerb.
Im Gegensatz zur Planwirtschaft, funktioniert die Marktwirtschaft auch dann, wenn alle nur ihren Eigennutz anstreben. Deshalb ist die Planwirtschaft verschwunden und die Marktwirtschaft hat überlebt.
Für Sozial- und Umweltpolitik ist der Staat zuständig. Die Behauptung, dass Regulierungslücken von den Unternehmen schneller und effektiver geschlossen werden können, als vom Staat ist – angesichts der Anreizproblematik – empirisch nicht haltbar.
Es lebe die neue Heuchelkratie! Demnächst kommt der Ethik-TÜV mit jährlicher Absolutionsgebühr. Das Geschäftsmodell ist alt, aber bewährt…
Bei allen sinnvollen Anmerkungen versäumt es der Beitrag leider, mit zwei fundamentalen Missverständnissen aufzuräumen:
1. „Unternehmen“ können keine Verantwortung übernehmen, sondern nur menschliche Individuen bzw. in rechtlicher Diktion „natürliche Personen“. Bei eigentümergeführten Unternehmen mag man über diese elementare Verirrung noch hinwegsehen, aber bei den im Zentrum des öffentlichen Interesses stehenden Großkonzernen lässt sich über die „Verantwortung von Unternehmen“ kein sinnvoller Diskurs führen.
2. Eigentümer-Unternehmer wie auch Eigenkapitalgeber schlechthin sind Residualanspruchsberechtigte, d.h. sie können erst dann auf das im Unternehmen nach Maßgabe des im Wettbewerb Möglichen erwirtschaftete Ergebnis zugreifen, nachdem alle Kontraktansprüche von Arbeitnehmern, Lieferanten, Fremdkapitalgebern etc. befriedigt sind – und das auch nur, wenn dabei alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. In der Marktwirtschaft bilden Rechtsordnung und Preissystem den locus classicus für die Systematik ethischer Erwägungen, weil sie uns aus der Abhängigkeit vom ethischen Niveau einzelner Akteure weitgehend befreien. Entsprechend sollten wir uns auf die Funktionsfähigkeit dieser beiden großen Errungenschaften der Kulturgeschichte konzentrieren, anstatt von Menschen im- oder sogar explizit mehr zu verlangen als unsere gesellschaftlichen Kodizes vorgeben.