Der Ausbau der regenerativen Energietechnologien in Deutschland schreitet mit einem weltweit einzigartigen Tempo voran. Der Anteil von grünem Strom am (Brutto-)Stromverbrauch erhöhte sich von unter 7% im Jahr 2000 – dem Jahr, in dem das Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG) zur Subventionierung alternativer Stromerzeugungstechnologien eingeführt wurde – auf heute bald 30%. Das Ziel, den Grünstromanteil bis zum Jahr 2020 auf 35% zu steigern, ist zum Greifen nah. Selbst ein 50%-Anteil bis zum Jahr 2030, der im Energiekonzept der früheren Bundesregierung gefordert wurde, erscheint nicht unrealistisch.
Was weltweit Staunen oder gar Bewunderung auslöst, hat jedoch auch gravierende Nachteile. So hat sich die EEG-Umlage, mit der die Stromverbraucher das grüne Wunder zu finanzieren haben, zwischen 2009 und 2015 mehr als verfünffacht. Sie stieg von 1,31 auf 6,17 Cent je Kilowattstunde (kWh) und macht mittlerweile ein Fünftel des Endkundenpreises aus. Besonders betroffen davon sind die rund 7,5 Mio. armutsgefährdeten Haushalte in Deutschland. Diese müssen im Vergleich zu wohlhabenderen Haushalten größere Anteile ihres Einkommens für Energie aufwenden und würden daher durch weitere Strompreissteigerungen überproportional stark in Mitleidenschaft gezogen.
Darüber hinaus wird immer mehr grüner Strom produziert, für den keine Nachfrage vorhanden ist: Dem stetig wachsenden Angebot an Grünstrom steht ein über die Jahre hinweg betrachtet stagnierender, wenn nicht gar leicht sinkender Stromverbrauch gegenüber. Das zunehmende Überangebot führt zwangsläufig zu sinkenden Großhandelspreisen für Strom, immer häufiger sogar zu negativen Börsenstrompreisen. In diesen Zeiten wird der Strom nicht etwa nur ans Ausland verschenkt. Damit er überhaupt Abnehmer findet und so die Netzstabilität gewährleistet werden kann, muss in Form der negativen Preise sogar eine Entsorgungsgebühr an die Abnehmer des überschüssigen Stroms bezahlt werden. Die Verbraucher müssen daher nicht nur für den von ihnen tatsächlich nachgefragten Strom bezahlen, sondern auch für die produzierten Überschüsse.
Problematisch ist, dass die temporären Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage Auswirkungen auf sowohl die Stabilität der Netzspannung als auch die Frequenz haben – die Folge sind immer häufigere diskretionäre Eingriffe der Übertragungsnetzbetreiber zur Vermeidung von Blackouts. Zu dieser temporären Gefährdung der Versorgungssicherheit mit Strom kommt ein mittel- bis langfristig auftretendes Versorgungsproblem: Das mögliche Fehlen von konventionellen Kraftwerken als Versicherung gegen den weitgehenden Totalausfall der regenerativen Erzeugungskapazitäten.
Der Grund für derartige potentielle Probleme liegt darin, dass mit den stetig steigenden Anteilen an grünem Strom und den entsprechend sinkenden Börsenstrompreisen konventionelle Kraftwerke immer weniger rentabel werden. Es stellt sich somit die Frage, ob mittel- bis langfristig ausreichende Kraftwerkskapazitäten vorhanden sein werden, die dann einspringen können, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Bekanntlich kann dies im Winter immer wieder einmal vorkommen, manchmal über eine Woche hinweg oder länger. Nicht zu unrecht diskutiert daher die Politik seit geraumer Zeit, ob nicht alsbald sogenannte Kapazitätsmärkte geschaffen werden sollten, in denen das Vorhalten von Kraftwerkskapazitäten belohnt wird. Eine solche Prämie für Versorgungssicherheit müssten dann die Verbraucher über einen höheren Strompreis bezahlen.
Vor der übereilten Einführung eines solchen Kapazitätsmarktes kann jedoch nur gewarnt werden, denn ein solcher Schritt könnte die Einführung eines neuen, kostenintensiven Subventionsregimes bedeuten. Dessen Wiederabschaffung dürfte sehr schwer werden, wie man spätestens am Beispiel der Förderung grünen Stroms anhand des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) gelernt haben sollte. Mittlerweile liegt das Volumen dieser Förderung bei weit über 20 Milliarden Euro jährlich. Dies erklärt, warum eine grundlegende Reform dieses Regimes mit der Novellierung des EEGs auch im Jahr 2014 nicht gelungen ist – von dessen Abschaffung zugunsten eines kosteneffizienteren Fördersystems ganz zu schweigen.
Es bleibt daher zu hoffen, dass die Politik in der Frage der Kapazitätsmärkte standhaft bleibt, denn mit dem Verweis auf potentielle langfristige Versorgungslücken und darauf, dass in anderen europäischen Ländern die Einführung von Kapazitätsmechanismen bereits in vollem Gange ist, erhöhen die Betreiber konventioneller Kraftwerke den Druck. Dies ist aus ihrer Sicht verständlich, da sich viele Kraftwerke immer weniger rentieren und die Gewinne wegzubrechen drohen. Das Argument, dass andere Länder beginnen, das Vorhalten konventioneller Kraftwerksleistung zu prämieren, sollte die Politik jedoch gerade nicht unter Druck setzen: Deutschland könnte im Hinblick auf die Versorgungssicherheit von der Etablierung von Kapazitätsmechanismen in den Nachbarländern profitieren, ohne erst einmal selbst solche einführen zu müssen.
Würde dies durch den Ausbau der Netze ergänzt, insbesondere auch der grenzüberschreitenden Leitungen, könnten Angebot und Nachfrage nach Strom wieder besser in Einklang gebracht werden: Zunehmend überschüssiger Windstrom aus dem Norden Deutschlands kann damit in die Verbrauchszentren in den Süden und Westen des Landes sowie ins Ausland transportiert werden, während in Zeiten der Unterversorgung aufgrund von Windstille der Strom von konventionellen Kraftwerken aus dem Ausland bezogen werden könnte.
Darüber hinaus werden Alternativen zur Einführung von Kapazitätsmechanismen in Deutschland gerade erst geschaffen. Dazu gehört u.a. das Lastmanagement zur Flexibilisierung der Nachfrage. So erhalten große Stromnachfrager, wie etwa der Aluminiumhersteller Trimet aus Essen, neuerdings eine Prämie, wenn sie in Zeiten geringen Stromangebots für einige Stunden auf ihre Produktion und somit auf den Verbrauch von Strom verzichten. Dies stellt einen Paradigmenwechsel dar: Früher hatte sich das Angebot nach der Nachfrage gerichtet, nicht umgekehrt. Es wird sicher noch einige Zeit dauern, bis dieser Paradigmenwechsel vollzogen ist und sämtliche kostengünstigen Lastmanagement-Potentiale ausgeschöpft sind.
Durch die unbedachte Einführung von Kapazitätsmärkten sollte nicht vorschnell auf die o.g. Optionen verzichtet werden, ebenso wenig wie auf eine Flexibilisierung des Preissignals zur Stärkung der Marktkräfte. So sollte die Preisobergrenze von 3000 Euro pro Megawattstunde an der Strombörse erhöht oder gar gänzlich fallen gelassen werden, sodass Betreiber konventioneller Reservekraftwerke in den wenigen Stunden im Jahr, in denen solche Preisspitzen zu verzeichnen sind, ihr Geld verdienen können. (In anderen Ländern sind noch höhere Preisspitzen nichts Ungewöhnliches!) Und schließlich stellt sich die Frage, ob durch die zunehmende Abschaltung konventioneller Kapazitäten die Strompreise an der Börse ohnehin so hoch steigen, dass sich der Betrieb der übrigen Kraftwerke wieder dauerhaft lohnt. Es ist jedenfalls noch längst nicht ausgemachte Sache, dass der sog. Energy-Only-Markt, in dem nur die Stromproduktion vergütet wird, nicht aber das bloße Vorhalten von Leistung, es nicht doch richten kann.