1. Ein Urteil und seine Wahrnehmung
Die Entscheidung zu Rauchverboten, die der BVG Ende Juli 2008 fällte, rückte eine bundesrepublikanisch einheitliche Regelung vorerst in weite Ferne. Das kam in den Medien nicht gut an. Sie zogen den Begriff „Flickenteppich“ heran, um einen Tadel an einer unfähigen Politik zum Ausdruck zu bringen. „Die da oben“ schienen einmal mehr unfähig, uns eine einheitliche Regelung zu verordnen.
Bei nüchterner Betrachtung muss man sich allerdings fragen, was daran schlimm sein soll, wenn Deutschland hinsichtlich der rechtlichen Regelungen für das Rauchen in Kneipen und Restaurants ein Flickenteppich ist. Es kann ja wohl kaum behauptet werden, dass ein deutscher oder ausländischer Reisender vor unüberwindliche Schwierigkeiten gestellt würde, wenn er sich von Bundesland zu Bundesland anders orientieren müsste. Das Gemeinschaftsgefühl der Menschen, die in der Bundesrepublik leben, wird gewiss ebenfalls nicht dadurch gefährdet werden, dass in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Rauchverbote herrschen. Auch die erstrebte „Gleichheit der Lebensbedingungen“ ist bestimmt nicht in Gefahr, wenn man in einigen Bundesländern in Restaurants rauchen darf und in anderen nicht. – Gleichgültig, welches Argument man sich auch vornimmt, es bleibt unerfindlich, warum die Unterschiedlichkeit von Regelungen, die das Rauchen in Kneipen und Restaurants betreffen, als solche etwas Negatives sein sollte. Man muss sich vielmehr fragen, ob die Flicken nicht besser noch uneinheitlicher werden sollten.
2. Warum das Streben nach einheitlichen Regeln?
Restaurants ausschließlich für Nichtraucher und Restaurants für Raucher könnten ohne weiteres eingerichtet werden. Schließlich gibt es auch Restaurants, in denen man nur vegetarisch essen kann, ohne dass dagegen protestiert würde. Man wird dem vielleicht entgegenhalten wollen, dass der Verzehr vegetarischer Gerichte als solcher das Umfeld nicht belastet, während der Raucher die Luft für andere verschlechtert. Das trifft zu, dennoch bleibt aber die Tatsache bestehen, dass die Nichtraucher in keiner Weise gezwungen sind, Lokale aufzusuchen, in denen geraucht werden darf. Wieso sollte man Rauchern die Einrichtung von Raucherlokalen verbieten dürfen?
Der Schutz der Angestellten, die in Lokalen bedienen müssen, in denen geraucht werden darf, ist jedenfalls kein zwingendes Argument. Denn auch sonst ist es Arbeitnehmern gestattet, Berufe, die bestimmte Gesundheitsrisiken für sie beinhalten, frei zu wählen. Eigentlich sollte man in allen diesen Fällen davon ausgehen, dass in einer freien Privatrechtsgesellschaft private Verträge und die Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Anbietern von Leistungen, die betreffenden Probleme besser zu lösen vermögen als einheitliche Verordnungen. Flickenteppiche sind besser und bunter als eine verordnete Einheitsware.
Um den Anhängern von allgemeinen Rauchverboten ungeachtet der vorangehenden Argumente entgegenzukommen, könnte man den – freilich ziemlich hinkenden – Vergleich mit Verkehrsregeln heranziehen. Als beispielsweise die Schweden noch auf der linken Straßenseite fuhren, gab es für sie keine Chance, von diesem Status quo durch individuelle Verhaltensänderung zu der allgemeinen Praxis des Rechtsfahrens zu gelangen. Die schwedische Regierung musste für den Übergang zu einer neuen Konvention einen bestimmten Umstellungstermin einheitlich festlegen und die Umstellung durchsetzen. In ähnlicher Weise könnte es nötig sein, den bisherigen Status quo der Rauchgewohnheiten zu brechen, um zu neuen Gewohnheiten überzugehen, die das Nicht-Rauchen zum Status quo machen, von dem nur bei ausdrücklicher Erlaubnis abgewichen werden darf.
Das vorangehende Argument von einem ungünstigen, das nur durch zentrale Koordination durch ein günstiges Gleichgewicht ersetzt werden kann, scheint aber nur dann überzeugend, wenn man es als eine vorübergehende Verbotsregelung einführt und es – etwa nach fünf Jahren – den Bürgern hernach wieder anheim stellt, Raucherlokale etc. einzuführen. Wenn sich vom neuen Status quo aus Raucherlokale nicht durchsetzen könnten, so wäre das in Ordnung. Aber es müsste auch akzeptiert werden, wenn sich Raucherlokale aus freien Vereinbarungen bilden würden. Was immer herauskäme, wir sollten es vom neuen Status quo aus akzeptieren und den Bürgern nicht einen bestimmten Status quo aufzwingen. Im übrigen wäre es vernünftig, das Argument vom ungünstigen Status quo, der durch zentrale Verordnung zu brechen sei, nicht unbedingt bundesweit, sondern zunächst regional zu testen.
3. Wieso die Aversion gegen die Unterschiedlichkeit?
Das Argument dafür, den Status quo bundeseinheitlich abzuwandeln, ist so schwach, weil die Notwendigkeit einer einheitlichen Konvention keineswegs so stark ist, wie etwa im Falle von Verkehrsregeln. Bei Verkehrsregeln gäbe es tatsächlich jeweils an der Grenze zu einem Bundesland mit anderen Regeln Umstellungskosten. Die negativen Effekte der Uneinheitlichkeit zwischen verschiedenen Regionen müssen demgegenüber im Falle von Rauchverboten als außerordentlich gering eingeschätzt werden. Von daher spricht nichts dagegen, in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Regelungen zuzulassen.
Wenn es in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Regelungen für Rauchverbote gibt, so sollte das vielmehr dazu führen, dass man die – unter Einbeziehung der Interessen der Nichtraucher wie auch der Raucher – am besten funktionierenden Regelungen von den weniger gut funktionierenden trennen kann. Zugleich wäre es möglich, die positiven Effekte des Übergangs von dem einen zu einem anderen „Gleichgewicht“ zusammen mit den möglicherweise eintretenden positiven oder negativen Effekten zu demonstrieren.
Die Beurteilungskriterien dafür, was als negativ und was als positiv klassifiziert wird, können unterschiedlich sein. Ein Beurteiler, der es primär darauf anlegt, die Anzahl von Herzinfarkten und anderen mit aktivem beziehungsweise passivem Rauchen verknüpften Erkrankungen zu reduzieren, wird ein anderes Kriterium anlegen als derjenige, der primär daran interessiert ist, das Recht auf individuelle Selbstbestimmung zu schützen. Auch dann, wenn es „die“ eine nach allen verbreiteten Kriterien überlegene Regelung für das Rauchen nicht gibt, sollte man erwarten, dass durch unterschiedliche Regelungen und deren sorgfältige empirische Beobachtung der Informationsstand über die Wirkungsweise der institutionellen Regelungen steigt.
4. Wieso spricht uns Einheitlichkeit positiv an?
Obwohl das vorangehende Argument für regionale Vielfalt und die Erlaubnis mit unterschiedlichen Regelsystemen zu experimentieren, ziemlich einleuchtend scheint, erfreut es sich so geringer Beliebtheit, dass man sich nach weiteren Gründen für die Unbeliebtheit der Vielfalt und die Beliebtheit der Einheitlichkeit fragen muss. Einer dieser Gründe besteht gewiss darin, dass das „Bauchgefühl“ vieler Menschen diesen nahe legt, in Harmonie etwas Gutes und in Vielfalt und Konkurrenz eher etwas Unangenehmes zu erblicken. So wie das Wort „Flickenteppich“ negative Assoziationen transportiert, so transportiert der Begriff der „Harmonie“ positive Einstellungen und Bewertungen. Zwar wettert man gegen „die in Brüssel“ oder „die in Berlin“, doch will man weiterhin über die jeweiligen Zentralen die jeweils bevorzugten Regelungen unter dem Deckmantel der „Harmonisierung“ für alle verbindlich durchsetzen. Man vergisst darüber, dass man für die Möglichkeit, die von einem selbst gewünschten einheitlichen Regelungen für alle durchzusetzen, den Preis zahlt, dass andere mit dem gleichen Instrument die von ihnen bevorzugten Regelungen durchsetzen können.
Wenn es um normative Fragen und politische Regelungen geht, scheinen wir alle fortwährend Opfer des gleichen Fehlers zu werden: Um Antworten auf rechtspolitische Fragen zu finden, fragen wir uns, welche normativen Regelungen wir aus unserer Sicht für richtig halten würden, wenn „wir“ das rechtspolitische Steuer in der Hand hätten. Wir versetzen uns in die Rolle eines wohlwollenden Despoten, um unsere normativen Urteile zu bilden und zu diskutieren. Wir fragen uns – vor allem auch im Dialog mit anderen – keineswegs nur, was für uns persönlich gut und richtig ist, sondern versuchen, aus unserer Sicht das allgemeine Wohl – oder das, was wir dafür halten – zu wahren.
Wenn wir – durchaus ehrlich – den so genannten moralischen Standpunkt eines „unparteiisch Urteilenden“ einzunehmen suchen, dann liegt es für uns nahe, das resultierende Urteil als allgemein verbindlich zu begreifen. Wir haben es ja schließlich im Bemühen um Unparteilichkeit gebildet und fühlen uns insoweit berechtigt, es über die parteiischen Standpunkte hinweg allgemein verbindlich werden zu lassen. Die innere Hemmung, ein unparteiisches Urteil einem anderen aufzuzwingen, ist geringer als die Hemmung, ein für die eigenen Interessen parteiisches Urteil gegen andere durchzusetzen. Das macht es in der Politik so gefährlich, wenn die Beteiligten den „universellen“, moralischen anstelle des „partikularen“ Interessenstandpunktes bemühen. Sie vergessen dann nur zu leicht, dass ihre Gemeinwohlurteile, letztlich nur ihre je eigenen Urteile vom Allgemeininteresse ausdrücken. Keineswegs entsteht aus der Einnahm eines moralischen Standpunktes Einmütigkeit, sondern ein weiterer Flickenteppich unterschiedlicher moralischer Auffassungen.
Nur die rechtliche Gleichheit bildet eine Ausnahme, weil durch rechtliche Gleichbehandlung aller Vielfalt erst ermöglicht wird. Im Rahmen allgemeiner rechtlicher Regeln, die die einzelnen ermächtigen, ihren eigenen Urteilen zu folgen, können Flickenteppiche der Unterschiedlichkeit entstehen, so dass die Menschen sich selbst ihren passenden Flicken aussuchen können. Das macht eine freie Ordnung aus: Sie ermächtigt uns, unsere eigenen Ziele mit unseren eigenen Mitteln zu verfolgen und uns dabei in einem sozialen Teppich, den Flicken auszusuchen, der uns am besten passt.
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Wieso spricht uns Einheitlichkeit positiv an? Ich vermute, dass die Einheitlichkeit von Gesetzen deshalb von vielen Menschen als ansprechend empfunden wird, weil sie den Eindruck haben es gebe tatsächlich Gesetze, die richtig (allgemeingültig) sind. Und zwar unabhängig von jeglichem persönlichem Interesse.
Man konnte sich ja schließlich auch auf Menschenrechte einigen, deren Schutz die Gesetze jedes Landes dienen sollten. Der Glaube an die Menschenrechte wird dadurch bestärkt, dass sie von fast allen Ländern geachtet und von nahezu allen Menschen für richtig befunden werden.
Was ist aber mit Gesetzen über die Uneinigkeit besteht? Man könnte vermuten, dass diese Gesetze noch nicht perfekt sind. Man kann den Eindruck gewinnen, dass ein Gesetz erst dann gut ist, wenn sich eine möglichst große Anzahl von Menschen einig ist, diese Gesetze einhalten zu wollen.
Die Unterschiedlichkeit der gesetzlichen Regelungen in den Bundesländern deuten darauf hin, dass noch keine Einigkeit erzielt worden ist, und daher die Gesetze noch unzulänglich sind.
Mir scheint man muss die Menschen davon überzeugen, dass es die idealen Gesetze, die für alle Menschen zum größtmöglichen Wohl führen nicht gibt, und stattdessen das größtmögliche Wohl aller am besten ermöglicht wird, wenn auf unnötige Gesetze verzichtet wird.