Kurz kommentiert
Frankreichs neuer Sprachen-Protektionismus

Die französische Kulturministerin will den Deutschunterricht bei der Reform des Collège beschneiden. Deutschlernen trage etwas zu Elitäres in sich. Die deutsche Politik reagiert mit großem Unverständnis und interveniert bei französischen Offiziellen im deutsch-französischen Ministerrat und will Einfluss nehmen auf Abgeordnete im französischen sowie Europäischen Parlament. Das ist zunächst verständlich, weil in Deutschland die Befürchtung aufkommt, dass die französische Collège-Reform der Beschneidung des Deutschunterrichts negative externe Effekte auf die deutsch-französischen Beziehungen und darüber hinaus auf die Stellung der deutschen Sprache in Europa zeitigen würde. Kurz gesagt: Frankreich sprachschädige Deutschland. Ist dies wirklich so?

Die Sprache hat ähnliche Funktionen wie das Geld und das Recht: Sie normiert die Regeln, unter denen die Kommunikation zwischen Menschen vonstattengeht. Sie senkt die Kosten der Kommunikation, wenn  Vertragspartner dieselbe Sprache sprechen. Das ist beim einheitlichen Geld und beim einheitlichen Recht analog. Die Einheitlichkeit der Sprache, auf die sich Vertragspartner einigen, produziert also Nutzen und mithin Wohlstand für alle Beteiligten. Wenn Vertragspartner nicht dieselbe Sprache sprechen, benötigen sie einen Dolmetscher, der Dienstleistungskosten verursacht und Risiken der eigenmächtigen Fehlinterpretation für alle Vertragspartner beinhaltet. Oder sie einigen sich auf eine Drittsprache, die sie gemeinsam beherrschen und die dann als Vehikel zu gemeinsamem Verstehen fungiert. Eine gemeinsame Sprache kann ebenso wie eine Vehikelsprache bewirken, dass ein Dissens über Inhalt, Bedeutung und Interpretation zum Beispiel von Verträgen vermieden wird.

Daraus folgt: Jeder, der nur seine Muttersprache als einzige Sprache beherrscht, fährt damit gut nur im eigenen Sprachraum. Aber über die Sprachgrenzen hinaus erhöhen sich seine Kommunikationskosten und Transaktionskosten des vertraglichen Tauschs. Internationaler Handel und der Austausch von Kulturen, die als Komplementärgüter von Sprachen gelten können, werden kostenbelastet eingeschränkt. Der nur Einsprachler minimiert seine sprachliche Wettbewerbsfähigkeit und damit seine wohlstandsmehrende Integration in die internationale Arbeitsteilung, weil sein komparativer Vorteil allein in der eigenen Sprache liegt, die im Extremfall nur von Wenigen außerhalb seines Sprachraums verstanden wird. Dagegen expandieren die Chancen der nutzenstiftenden Teilhabe an der internationalen Arbeitsteilung mit einer Verbreiterung der sprachlichen komparativen Vorteile durch das Erlernen mehrerer Sprachen.

Ein Land, das seinen Bürgern die Vermittlung von Kompetenzen für eine breite Palette komparative Sprachvorteile als öffentliches Gut gewährt, verbessert mithin seine Position im internationalen Institutionenwettbewerb einer globalisierten Welt. Dies ist besonders relevant für kleine Länder, deren einheitlicher Sprachraum territorial nur sehr begrenzt ist und deren Population sich mithin um die komparativen Vorteile der Sprachkompetenz für viele andere Sprachen bemühen müssen. Dies geschieht gewöhnlich nicht allein durch staatliche Förderung, sondern überwiegend durch private Auslandserfahrung der Bürger, die öfter als diejenigen großer Länder in ihren Aktivitäten die Grenzen zum Ausland überschreiten und die Notwendigkeit zur Erlangung von Auslandssprachkompetenz persönlich erfahren. In Europa ist auffällig, dass etwa die Bürger der skandinavischen und der BENELUX-Länder vor allem die englische Sprache exzellent, aber durchaus auch die deutsche Sprache gut beherrschen.

Mit dem Abbau des Deutschunterrichts im Collège-System fährt Frankreich dazu einen genauen Gegenkurs und schadet mithin sich selbst am meisten. Dieser Abbau ist Bestandteil einer – übrigens traditionellen – Sprach-Abschottung, die wie eine Importprotektion von Auslandskulturgütern in Form von Sprachenkompetenz wirkt, also wie ein Zoll auf den Import von komparative Vorteile vermittelnden Auslandskulturgütern, die ein Importland bereichern und natürlich nicht schädigen.

Kultur- und Sprachprotektion haben in Frankreich seit jeher Tradition. Sie spielen im Übrigen auch bei den gegenwärtigen TTIP-Verhandlungen eine signifikante Rolle. Das Land hat damit aber keine guten Erfahrungen gemacht, wenn man zum Beispiel das jahrzehntelange Beharren betrachtet, dass auf wissenschaftlichen Tagungen und Kongressen in Frankreich nur französisch gesprochen werde. Die Folge war bekanntlich, dass sich die Internationalität dieser Veranstaltungen signifikant verringerte. Heute wird diesbezüglich wegen dieser negativen Erfahrungen auch in Frankreich nicht nur exklusiv Französisch gesprochen, sondern – wie auch in Deutschland – zunehmend Englisch als Vehikelsprache einer Welt der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Globalisierung. Das gilt gleichermaßen für die Publikationssprache in wissenschaftlichen Journalen.

Interessant ist, dass im Kontrast zu Frankreich die deutsche Sprache zunehmend u. a. in Asien, Südamerika, in Portugal, Spanien und Griechenland, in Polen sowie in manchen anderen osteuropäischen Ländern  gelernt wird. Dazu gibt es viele Interpretationen, die sich vor allem auf die Migrationspläne junger Menschen beziehen, die aufgrund hoher Arbeitslosigkeit in ihrem Land eine neue Beschäftigung in Deutschland suchen, die natürlich eine Sprachkompetenz für Deutsch voraussetzt. Man muss im Blick haben, dass sich auch für das wenig reformfreudige Frankreich ähnliche Tendenzen und Notwendigkeiten abzeichnen, die damit die Collège-Reform diskreditieren.

Dezentrale wirtschaftliche, sprachliche und kulturelle Vernetzung in der Globalisierung verlangen zunehmend breite differenzierte Sprachkompetenzen, die neben Englisch als globaler vehicle language das Beherrschen der Sprachen auch anderer Staaten und regionaler Integrationsräume, in die sich zukünftige Bewegungen von Menschen, Gütern, Dienstleistungen und Kapital kanalisieren, erforderlich machen. Die Parallelen zur internationalen Welt der Währungen  sind hier offensichtlich.

Frankreich sollte deshalb zum eigenen Nutzen in der Collège-Reform umdenken.

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