Gastbeitrag
Google im Visier der europäischen Wettbewerbspolitik
Zupackender Wettbewerbsschutz oder Neverending Story?

Am 15. April 2015 teilte die Europäische Kommission mit, dass Google ein sogenanntes Statement of Objections zugestellt worden sei. Damit beginnt eine neue Phase dieses bereits seit bald fünf Jahren andauernden Falles, welche in der Presse für großes Aufsehen sorgte und mit dem allgemeinen Tenor kommentiert wird, dass die Generaldirektion Wettbewerb der Kommission unter der Leitung ihrer neuen Kommissarin Margrethe Vestager nun entschieden gegen die Marktmacht von Google vorgehen würde. Je nach politischer Überzeugung wird dies gerne mit einem „endlich“ versehen – schließlich hatten Politiker verschiedener Couleur in verschiedenen EU-Staaten (darunter auch der Bundeswirtschaftsminister) ein Eingreifen teils vehement gefordert – oder mit Sorge betrachtet. Was aber bedeutet dieser Schritt der Kommission nun? Wie im Folgenden ausgeführt wird, ist erst einmal eigentlich gar nicht so viel geschehen; insbesondere ist noch keine Entscheidung darüber gefallen, ob Google seine Marktmacht im Markt für Suchmaschinen missbraucht. Dennoch ist das Statement of Objections insgesamt eine gute Nachricht, denn nach Jahren des Stillstandes kommt endlich Bewegung in den Fall. Das sollte sowohl Google-Gegner wie Google-Befürworter freuen.

Der Google-Fall repräsentiert einen der bedeutendsten und kontroversesten Wettbewerbsfälle der Gegenwart. Bereits im November 2010 eröffnete die Europäische Kommission, Generaldirektion Wettbewerb, ein Verfahren gegen Google, das auf insgesamt vier Vorwürfen wettbewerbswidriges Verhalten beruht:

  1. Verzerrung der Suchergebnisse der Google-Suchmaschine, so dass eigene Dienste und Tochterfirmen gegenüber deren Konkurrenten bevorzugt werden, bspw. in den Märkten für Preisvergleiche sowie in jenen für spezialisierte (,vertikale“˜) Suchmaschinen.
  2. Aneignung der Inhalte anderer Medienunternehmen durch Vorschaufenster, welche die wesentliche Information transportieren, ohne dass der Nutzer die Seite der Google-Suchmaschine verlassen muss und somit auch ohne dass die Seite des Informationsbereitstellers aufgesucht wird.
  3. Ausschließlichkeitsverpflichtungen gegenüber Werbepartnern, welche diese daran hindern, bestimmte Arten konkurrierender Werbung auf ihren Webseiten zu schalten, sowie Ausschließlichkeitsverpflichtungen gegenüber Computer- und Softwarevertreibern, um konkurrierende Suchdienste auszuschließen.
  4. Beschränkungen der Übertragbarkeit von Daten aus Online-Werbekampagnen (mit Google’s AdWords) auf konkurrierende Online-Werbeplattformen.

Zunächst ist festzuhalten, dass das Statement of Objections lediglich den Vorwurf (1), Verzerrung der Suchergebnisse, betrifft und dort auch nur den Markt von Preisvergleichswebseiten (comparison shopping service web-platforms). Hier sieht die Kommission schwerwiegende Hinweise und Indizien, dass Google seinen eigenen Preisvergleichsdienst Google Shopping (früher Google Product Search) systematisch gegenüber dessen Wettbewerber bevorzugt. Dies geschieht gemäß der Kommission dadurch, dass

  • Google in seiner marktdominierenden Suchmaschine seinen eigenen Dienst systematisch höher und prominenter anzeigt, als dies objektiven Suchkriterien entsprechen würde, und
  • Google seinen eigenen Dienst von dem Strafpunktesystem ausnimmt, welches es auf die Wettbewerber anwendet und welches gemäß definierter Parameter zu einer Verschlechterung des Suchrankings jener Wettbewerber führt.

Die Kommission geht davon aus, dass diese Verzerrungen der Suchergebnisse dazu führen, dass Nutzer ,künstlich“˜ von den Vergleichsseiten von Google-Konkurrenten auf den eigenen Preisvergleichsdienst umgeleitet werden und begründet dies damit, dass das die Zuwachsraten des Google-Preisvergleichsservices seit Einführung der systematischen Verzerrung signifikant angewachsen seien. Die Verzerrung der Suchergebnisse stellt damit einen Missbrauch von Google’s Suchmaschinen-Marktmacht da, welche die Konsumentenwohlfahrt senkt, da die Nutzer nicht die besten Ergebnisse angezeigt bekämen. Nicht überraschend sieht Google selbst dies grundlegend anders.

Insgesamt wird damit also ,nur“˜ in Bezug auf einen kleinen Teil der ursprüngliche Vorwürfe ein wettbewerbspolitischer Eingriff (konkrete Auflagen zur Änderung des beanstandeten Verhaltens plus eine Geldstrafe) angekündigt – denn mehr ist ein Statement of Objections nicht. Google hat jetzt maximal 10 Wochen Zeit, der Kommission neue entkräftende Beweise vorzulegen. Erst danach wird die Kommission eine Entscheidung fällen. Wie diese ausfallen wird, bleibt weiterhin offen, auch wenn durch das Statement of Objections ein Eingriff wahrscheinlicher geworden ist.

Im Hinblick auf die anderen, ja auch bereits seit etwa fünf Jahren untersuchten Vorwürfe, teilt die Kommission mit, dass man sie weiter „aktiv untersuchen“ wird, mit offenen Ausgang. Ein neuerer, fünfter Vorwurf wird zudem in einem eigenen Verfahren untersucht: dabei geht es um mögliche antikompetitiver Vertriebs- und Bündelungsstrategien des Google-Betriebssystems Android. Darüber hinaus ist zu betonen, dass die in der Öffentlichkeit und Politik viel diskutierte Problematik des Datenschutz bzw. des möglichen Missbrauches von Nutzerdaten bisher gar kein Bestandteil des Wettbewerbsverfahrens ist. Trotz der bereits sehr langen Laufzeit von bald fünf Jahren ist ein Ende des Google-Falles also noch lange nicht abzusehen.

In der ökonomischen Literatur wird kontrovers diskutiert, ob Google sich tatsächlich wettbewerbswidrig verhält und damit die Wohlfahrt senkt oder ob es sich eher um Ausprägungen effizienter und innovativer Wettbewerbsstrategien handelt, welche die Wohlfahrt erhöhen.[1] Unabhängig davon, auf welche Seite man sich dabei schlagen möchte, ist es meines Erachtens zu begrüßen, dass die Europäische Wettbewerbskommission unter ihrer neuen Kommissarin Margrethe Vestager die jahrelange Agonie ihres Vorgänger Joaquín Almunia beendet und handelt. Almunia hatte gemäß seines Credos des Vorranges konsensualer Vereinbarungen mit den Unternehmen („deals“) eine langen Reihe an Konsultationen und Verhandlungen, Zusagenvorschläge und Feedbackrunden, Stellungnahmen und Markttests zu den Vorwürfen gegen Google veranlasst und im Februar 2014 schließlich bekannt gegeben, die nunmehr vorliegenden Zusagen seitens Google seien geeignet, die Wettbewerbsbedenken auszuräumen. Eine gütliche Beilegung des Verfahrens ist allerdings nicht geschehen. Stattdessen wurde die nur angekündigte Einigung mit Google sowohl politisch – innerhalb wie außerhalb der Kommission – als auch durch Marktteilnehmer scharf kritisiert. Außer eine Ankündigung von Nachverhandlungen mit Google im September 2014 geschah bis zum Ende seiner Amtszeit im November 2014 nichts mehr.

Das Almunia’sche Primat von Verhandlungslösungen (sog. settlements) mit den beteiligten Unternehmen (hier: Google, seine Wettbewerber und andere Interessengruppen), welche auf Zusagen des (vermeintlichen) wettbewerbswidrig-handelnden Unternehmens beruhen, verfolgte wohl das Ziel, eine stärkere Akzeptanz der Verfahrensergebnisse zu erzielen. Darauf zu setzen, dass wettbewerbspolitische Entscheidungen im Konsens mit den betroffenen Unternehmen gefunden werden, hat jedoch generell eine Reihe von Nachteilen. Dazu gehören unter anderem Einigungen zu Lasten Dritter, Mangel an klaren wettbewerbspolitischen Signalen, Intransparenz der Entscheidungsfindung und Art des Kompromisses sowie über die ermittelten Wettbewerbseffekte, Raum für und Einladung zu strategischen Versuchen der Unternehmen, den Verfahrensausgang in ihrem Sinne zu beeinflussen, usw. Im Google-Fall lässt sich das beispielhaft daran erkennen, wie sowohl Google als auch seine Konkurrenten regelrechte Öffentlichkeitsarbeit für ihre Sicht der Dinge betrieben und immer neue Stellungnahmen mit immer neuen Argumenten „in die Runde“ warfen – mit zunehmend durchaus originellem Charakter. Dies fördert auch eine Politisierung des Falles. Den Unternehmen immer neue Plattformen für ihre Versuche zu liefern, die Marktbedingungen mit Hilfe der Wettbewerbsbehörden für sich zu verbessern, wird aber im Endeffekt nicht zu besseren, sondern nur zu späteren Entscheidungen führen, welche die Wettbewerbspolitik zudem wenig handlungsfähig erscheinen lassen. Die Vorgehensweise der Kommission war dabei in jedem Fall problematisch, unabhängig davon, ob Google sich nun wettbewerbswidrig verhält: Wenn Google seine Marktmacht missbraucht, dann schadet das Hinauszögern einer Entscheidung, weil es den Missbrauch seit bald 5 Jahren weiterlaufen lässt. Wenn Google sich hingegen nicht wettbewerbswidrig verhält, dann ist die Anhäufung von Verfahrenskosten bei Wettbewerbsbehörde und beteiligten Unternehmen durch die lange Verfahrensdauer schon gar nicht zu rechtfertigen.

Es ist sehr zu begrüßen, dass Frau Vestager nun offenbar wieder stärker dazu übergeht, Fälle zu entscheiden. Damit wird die europäische Wettbewerbsordnung gestärkt – und zwar unabhängig davon, ob man Auflagen für Google und eine Bestrafung des Unternehmens begrüßt oder nicht. Auch im Falle einer Fehlentscheidung ermöglicht die Entscheidung dem Unternehmen immerhin dagegen vorzugehen, während ein immerwährendes Verfahren ohne Entscheidung durch die damit verbundene Intransparenz auch das betroffene Unternehmen in einem Zustand andauernder Verdächtigung hinterlässt. Zudem lässt sich durch Entscheidungen und ihre (positive wie negative) Ex-Post-Evaluation[2] Wissen darüber schaffen, wie der Wettbewerb in Onlinemärkten effektiv und effizient geschützt werden kann. Insofern ist zu hoffen, dass dem Statement of Objections eine klare Entscheidung der Kommission – in welche Richtung auch immer – folgen wird und dass auch die noch ausstehenden Teile des Verfahrens nun zügig einer Entscheidung zugeführt werden.

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[1] Vgl. stellvertretend für zahlreiche Beiträge Haucap, J. & Kehder, C., Suchmaschinen zwischen Wettbewerb und Monopol: Der Fall Google, in: R. Dewenter, J. Haucap & C. Kehder (Hrsg.), Wettbewerb und Regulierung in Medien, Politik und Märkten, Baden-Baden: Nomos 2013, S. 115-154; Engelhardt, S. von, Freytag, A. & Köllmann, V., Wettbewerbspolitischer Handlungsbedarf bei der Verknüpfung von zweiseitigen Märkten im Internet: Der Fall Google, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Vol. 62 (3), 2013, S. 311-332; Blanckenburg, K. v., Führt Google Shopping zu einer neuen Art von Wettbewerbsproblem?, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Vol. 63 (3), 2014, S. 240-256.

[2] Vgl. O. Budzinski, Empirische Ex-Post Evaluation wettbewerbspolitischer Entscheidungen: Methodische Anmerkungen, in: T. Theurl (Hrsg.), Methodische Grundlagen der empirischen Institutionenökonomik, Berlin: Duncker & Humblot 2012, S. 45-71; O. Budzinski, Impact Evaluation of Merger Control Decisions, in: European Competition Journal, Vol. 9 (1), 2013, pp. 199-224.

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