Griechenland (18)
Europa, Marktwirtschaft und Varoufakis
Ist ein Grexit „anti-europäisch“?

„Wenn wir zur Marktwirtschaft stehen, so deshalb, weil sie eine der unerlässlichen Voraussetzungen für Freiheit, Recht, Menschenachtung, Friede und Gerechtigkeit ist.“ (Wilhelm Röpke)

Die spinnen, die Griechen! Der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis spielt weiter seine Rolle als enfant terrible. Auf dem Treffen der Finanzminister in Riga trieb er es auf die Spitze. Kompromisslos wollte er die Anderen in die Knie zwingen. Ein für alle Mal sollte gelten: „Geld ohne Reformen“. Den anderen 18 wurde das Spiel, das die Regierung in Athen seit ihrer Wahl spielt, schließlich zu bunt. Der slowenische Finanzminister Dusan Mramor brach ein Tabu. Er sprach vom „Plan B“, dem Grexit. Die Reaktion von Giannis Varoufakis ließ nicht lange auf sich warten. Er nannte das Verhalten des Slowaken, der auch anderen europäischen Finanzministern aus der Seele sprach, „anti-europäisch“. Was ist dann „pro-europäisch“? Die weitere Finanzierung des griechischen Schlendrians durch Andere?

Die Idee der europäischen Integration ist schnell erzählt. Das eigentliche Ziel ist die (wolkige) politische Integration. Die wirtschaftliche Integration ist ein Vehikel auf dem Weg zu diesem Ziel. Mit dem „Binnenmarkt 92“ setzte Europa auf eine Integration der Märkte, nicht mehr auf die Integration der Politik. Die vier Grundfreiheiten sind der harte Kern der realen wirtschaftlichen Integration. Auch die monetäre Integration hat eine marktwirtschaftliche Basis. Die Mitglieder müssen sich über flexible Löhne und mobile Arbeit an exogene Schocks anpassen. Nur die Geldpolitik ist zentral. Ansonsten sind die Nationalstaaten weiter die Akteure der Wirtschaftspolitik. Es gilt das marktwirtschaftliche Prinzip: Wer handelt, haftet auch. Monetäre Staatsfinanzierung ist verboten. Eine Haftung für die Schulden der Anderen ist ausgeschlossen.

Die markwirtschaftliche Ordnung ist zumindest bisher die allgemein akzeptierte Basis der wirtschaftlichen Integration in Europa. Das gilt für die reale wie die monetäre Integration. Alles was auf diese Ordnung setzt, bringt Europa gemeinsam voran, es ist „pro-europäisch“. „Anti-europäisch“ ist, was die Prinzipien dieser Ordnung außer Kraft setzt. Es bringt Europa auseinander, ökonomisch und politisch. Die staatlichen Akteure haben sich seit Ausbruch der Euro-Krise im Jahre 2010 „anti-europäisch“ verhalten und sie tun es noch immer. Vom ehernen Prinzip des No-Bail-Out ist nichts übrig geblieben. Riesige fiskalische Rettungsschirme weichen die Budgetrestriktionen der Mitglieder der EWU auf. Die EZB mischt bei diesem Vertragsbruch kräftig mit. OMT-Programme und das Billionen-Aufkauf-Programm sind nichts anderes als monetäre Staatsfinanzierung in großem Stil.

Die Mitglieder der EWU und die EZB verhielten sich „anti-europäisch“, als sie die Verträge von Maastricht ein ums andere Mal brachen. Um die Kredite des IWF locker zu machen, installierten sie dessen alte Regel „Geld gegen Reformen“. Die Nehmerländer sollten nicht zu einem finanziellen Fass ohne Boden werden. In Griechenland hat diese Regel offenkundig nicht funktioniert. Ein wesentlicher Grund ist, dass der Markt dort seit langem auf Ablehnung stößt. Ein durch und durch korrupter Staat dominiert als wirtschaftliches Ordnungselement. Der Plan sticht den Markt. Kein Wunder, dass marktfeindliche linke und rechte Parteien bei den letzten Wahlen eine Mehrheit erhielten. Das rotzige Verhalten von Giannis Varoufakis spiegelt diese „anti-marktliche“ Grundströmung wider.

Die marktfeindliche Regierung Tsipras wird die ordnungspolitischen Prinzipien der E(W)U nie und nimmer akzeptieren. Der Widerstand gegen marktwirtschaftliche Reformen wird anhalten. Und Griechenland wird mit dieser Haltung in der E(W)U wohl kaum allein bleiben. Podemos in Spanien, der Front National in Frankreich und die Lega Nord in Italien warten nur auf die nächsten Wahlen. Diese politische Entwicklung stellt die Idee der (markt)wirtschaftlichen Integration in Europa fundamental in Frage. Die ökonomisch sauberste Antwort wäre ein großer „Plan B“. Alle Mitglieder der E(W)U, die der marktwirtschaftlichen Ordnung den Krieg erklärt haben, sollten austreten. Nicht nur die EWU hätte ein anderes Gesicht, auch die EU würde sich verändern. Das wäre „pro-europäisch“.  

 

Blog-Beiträge zum Griechenland-Poker:

Thomas Apolte: Die griechische Tragödie. Warum sich niemand zu handeln traut

Norbert Berthold: Die EWU verwahrlost ordnungspolitisch. Ein Drama in fünf Akten

Jan Schnellenbach: Kann man verlorene Steuermoral wieder aufbauen? Ein (nicht nur) griechisches Problem

Norbert Berthold: Allein gegen Alle. Griechenland spielt weiter Vabanque.

Norbert Berthold: Die EWU am Scheideweg. Permanente Transfers oder temporärer Grexit?

Juergen B. Donges: Griechische Manöver in der Eurozone. Droht aus Spanien ähnliches Ungemach?

Norbert Berthold: Briefe in die griechische Vergangenheit. Giannis Varoufakis: Abgezockt oder unfähig?

Wolf Schäfer: Mit „Gewissheit“ im Euro. Das strategische Spiel der Griechen

Norbert Berthold: Immer Ärger mit Griechenland. Ein Pyrrhus-Sieg der “Institutionen“?

Dieter Smeets: Nach der Rettung ist vor der Rettung. Griechenland und kein (Rettungs-)Ende!

Roland Vaubel: Schäubles Scherbenhaufen

Norbert Berthold: Trojanisches Pferd. Der Brief des Giannis Varoufakis

Uwe Vollmer: Scheidung auf griechisch. Wie realistisch ist der “Grexit“?

Norbert Berthold: Was erlauben Griechenland? Schwach wie Flasche leer

Dieter Smeets: Poker um Griechenland

Norbert Berthold: Sie kamen, sahen und verloren. Haben sich Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis verzockt?

Thomas Apolte: Hexenmeister und Reformer. Was Varoufakis von Balcerowicz lernen kann.

 

7 Antworten auf „Griechenland (18)
Europa, Marktwirtschaft und Varoufakis
Ist ein Grexit „anti-europäisch“?

  1. Eigentlich schade, dass eine so finstere Polemik neben so vielen fundierten und ausgewogenen Blog-Einträgen hier ihren Platz findet.

    Was dem Autor bei der kleingeistigen Formulierung seines europäischen Dreisatzes wohl entgangen sein muss: Der Binnenmarkt geht dem Ziel der politischen Integration keineswegs voran. Gegründet um künftig Kriege auf europäischem Boden zu verhindern ist die Marktwirtschaft immer nur eines von vielen möglichen Vehikeln auf dem Weg zur sozialen und kulturellen Verflechtung der europäischen Nationen gewesen. Wenn Varoufakis wohl eher berechtigt und wenn dann doch mehrheitlich von der Masse der Wählerinnen und Wähler bestochen bemerkt, dass Griechenland bei gleichbleibendem Reformkurs auf einen sozialen Exodus zusteuert, dann stellt er lediglich diese Form der Marktwirtschaft zur Disposition. Kritik am Privatisierungskurs der Troika à la Weltbank ist keine „Plan“-Politik, sondern rückt die Leitideen der EU und mit ihr eine Solidarität der Mitgliedsstaaten in den Vordergrund.

    Natürlich wird das teuer. Aber wenn man schon in binär-schwülstigen Kategorien buchstabieren möchte, so handelt doch derjenige „anti-europäisch“, der den Frieden zwischen den europäischen Staaten so leichtfüßig aufgibt.

  2. „Oder nehmen Sie Europa und den Euro: Ein Leben ohne sollen wir uns gar nicht mehr vorstellen können. Europa ist eine Idee, die nicht zur Debatte steht. Die Gefahr, als Reaktionär, als europa-feindlicher Idiot, als rechter Depp, als Querulant, zumindest als Kritiker gebrandmarkt zu werden, ist zu groß. Wir sollten dankbar sein für die lange Friedensperiode in Europa. Heißt es. Ich höre da immer auch einen Befehlston heraus. Ohne die europäische Integration hätten wir längst wieder Krieg! So müssen wir das wohl verstehen. Solche und ähnliche Sätze kriegen wir immer wieder zu hören. Mir kommt das Geschwätz schon zu den Ohren raus. Und der Euro ist ein Segen! Jajaja, ist schon recht. Für wen? Ist die Frage überhaupt erlaubt? Für uns alle! Natürlich. Ohne den Euro wären wir heute nicht da, wo wir sind! Ohne den europäischen Einigungsprozess ist das Leben in Europa sinnlos. Das wird mir immer klarer. Dieses ganze Gefasel vom europäischen Haus, das wir angeblich gemeinsam bauen, es nervt nur noch.

    Die europäische Idee ist eine ganz große Idee. Vor allem auch der Euro. Zivilisation vom Feinsten! Der Euro ist ein Segen! Wie lästig war das immer mit dem Geldwechseln. Wenn man nach Italien in Urlaub fuhr, musste man die D-Mark in Lire wechseln. Und man bekam ein Bündel Papier in die Hand gedrückt. Sofort hatte man das Gefühl, dass diese Scheine nichts wert sind. Mit dem Euro kam Stabilität. Und die Zinsen gingen runter. In ganz Europa. Und dann konnten die Südländer billig Geld aufnehmen, und sie haben sich gefreut und gelacht, weil sie an der deutschen Stabilität teilhaben konnten. Und wer hat davon profitiert? Wir! So höre ich das immer wieder.

    Wir wären die größten Profiteure der Euroeinführung. Wie oft haben sie uns das nun erzählt. Es hört sich fast so an, als hätten wir die anderen mit der Einführung des Euros über den Tisch gezogen! Deshalb sollten wir das Maul nicht so weit aufreißen und uns einkriegen und nicht jammern, wenn uns demnächst die Rechnung vorgelegt wird. Wir wissen noch nicht genau wann, aber irgendwann wird abgerechnet. Einer wird die Party zahlen müssen.

    Wir, die deutschen Steuerzahler, sind im griechischen Worst Case mit ungefähr 65 Milliarden dabei. Zahlemann und Söhne! Da wird ein Ouzo zur Beruhigung der deutschen Seele nicht ausreichen. Genau kann das niemand beziffern, wie viele Ouzos wir trinken müssten, bis wir nichts mehr mitkriegen. Und diejenigen, die es könnten, halten sich zurück. Wir haben auch noch Anteile an diversen Rettungsschirmen, da könnten noch mal locker 200 Milliarden auf uns zukommen. Aber das bisschen Kohle muss uns die europäische Integration schon wert sein.

    Wir sollten uns da nicht wie kleinliche Buchhalter benehmen. Sagt ein linker Solidarkasperl! War’s der kleine Augstein, der “Spiegel“-Erbe? Wir sollten großzügig sein! Nicht so kleinlich! Geld? Das passt nicht zur europäischen Idee. Es geht doch nicht ums Geld, es geht um die längste Friedensperiode in Mitteleuropa. Ach so!

    Zur Erinnerung: Es gibt dieses Defizitkriterium, das vorschreibt, dass kein Mitgliedstaat der EU das jährliche Haushaltsdefizit von höchstens drei Prozent überschreiten darf. Das steht im Vertrag. Aber kein Schwein, Entschuldigung, kein Verantwortlicher hält sich dran. Frau Christine Lagarde, eine ehemalige französische Finanzministerin, die heute ihr Unwesen als Chefin des IWF treibt, schlug neulich vor, man müsse die Schuldenregeln in Europa “anpassen“. Ich hab das in der F.A.Z gelesen. Mir wäre lieber gewesen, ich hätte den Artikel übersehen, denn ich habe mich wirklich aufregen müssen. Auf einer Konferenz in Paris hat diese Person vorgeschlagen, die 60-Prozent-Grenze des Maastricht-Vertrags über die maximale Staatsverschuldung “anzupassen“. Und zwar woran? An die tatsächlichen Schuldenstände, weil die deutlich darüber lägen. – Aha. Sauber.

    Sie machen Schulden, dann stellen sie fest, dass sie das nicht dürfen, weil sie den Vertrag brechen. Jetzt möchte man annehmen, dass sie ein schlechtes Gewissen kriegen, weil sie sich nicht an die Verträge halten. Aber woher denn! Nicht wir brechen Verträge, sagt dieser feminine Vollhorst, sondern die Verträge passen nicht zu unserem Verhalten. Also muss es an den Verträgen liegen. Wie nennt man dieses Verhalten? Gaunerei? Nein, das nennt man flexible Vertragstreue. Verträge sind nicht dazu da, sich daran zu halten, wichtig ist, dass sie unterzeichnet werden mit dicken Füllfederhaltern, begleitet von schönen Bildern in den Medien, wo seriöse Damen und Herren uns zulächeln. Sie freuen sich ungemein, dass wir mit unserer Lebensleistung für ihre flexible Vertragsauslegung einstehen dürfen. Stabilitätspakt, Stabilitätskriterien, Blablaba. Nichts als Geschwätz! Unterschreibe Verträge und halte dich nicht dran. Es gibt immer einen, der deine Vertragsbrüche nachträglich legalisiert. Super!“

    Bruno Jonas, Hoppla, bin ich jetzt reaktionär?, in: What’s left v. 13. April 2015

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