Das Thema Privatisierung hat Hochkonjunktur, so scheint es. Diesen Eindruck erweckt jedenfalls die Debatte um Griechenland. Kann das Land für 50 Mrd. Euro Inseln, Hafenanlagen, Elektrizitätswerke oder andere staatliche Infrastruktureinrichtungen und Immobilien veräußern? So lautet hier die große Frage. Hintergrund sind Vereinbarungen, welche die Staats- und Regierungschefs der Eurozone bei ihrem jüngsten Gipfel mit Griechenland getroffen haben. Demnach soll Griechenland Staatsbesitz im genannten Umfang veräußern.
Andernorts ist es freilich eher still um das Thema, obgleich es weithin Beachtung verdient. Die Problematik hoher Staatsverschuldung im Euroraum ist ja trotz der jüngsten Konjunkturerholung nicht vom Tisch. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) überschreiten die staatlichen Budgetdefizite etwa in Frankreich, Spanien und Portugal auch 2015 die 3%-Schwelle des Maastrichter Vertrages. Und die Schuldenstandsquote nimmt vielerorts zumindest 2015 weiter zu. Die genannten Länder sowie Italien weisen jedoch bereits Verschuldungsquoten von nahe 100% und mehr auf.
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Hier kann die Veräußerung von Staatsbesitz Abhilfe schaffen, auch wenn Privatisierungserlöse bei den Maastricht-Kriterien nicht unmittelbar berücksichtigt werden. Aber es geht um mehr als kurzfristige Entlastung der Staatshaushalte. Es geht um ein Kernelement nachhaltiger Politik für mehr Wirtschaftswachstum. So können Regierungen durch Privatisierungen die Glaubwürdigkeit von Reformplänen dokumentieren. Das schafft Vertrauen, ohne das eine Rückkehr zur Normalität in der Eurozone nicht gelingen kann.
Vor allem für kleinere Länder ist zudem wichtig, dass Privatisierungen die Chance bieten, Investoren aus dem Ausland zu gewinnen. Wenn sich ausländische Investoren an Unternehmen beteiligen, wird neben Kapital oft auch Know-how importiert. Darauf kommt es besonders dort an, wo sich nach langen Krisenjahren bei staatlichen Betrieben großer Modernisierungsbedarf aufgestaut hat.
Generell gilt: Mit dem Verkauf von Unternehmensbeteiligungen oder anderer Vermögenswerte stärken reformbereite Regierungen den privaten Sektor. Die Übertragung von Eigentums- und Kontrollrechten auf private Akteure eröffnet die Perspektive erhöhter Effizienz im Vergleich zur Wirtschaftstätigkeit unter staatlicher Regie. Freilich zeigt die Erfahrung, dass Effizienzgewinne wesentlich davon abhängen, inwieweit die Aktivitäten in einem von Marktkräften geprägten Umfeld erfolgen. Privatisierung und Stärkung von Leistungsanreizen durch Wettbewerb oder andere geeignete Maßnahmen sollten Hand in Hand gehen.
Gleichwohl wird anhaltend heftig insbesondere über die Privatisierung von Diensten der Daseinsfürsorge gestritten. Gegen die Übergabe von Krankenhäusern oder der Wasserversorgung an private Betreiber bestehen vielerorts starke Widerstände. Kritiker monieren insbesondere das Bestreben privater Investoren Gewinne zu erzielen. Dies treibe die Preise privatisierter Dienste in die Höhe und führe zu geringerer Qualität der Leistungen, heißt es. Solche pauschale Kritik übersieht, dass möglichen Fehlentwicklungen bei der Privatisierung, sei es beim Verkauf, sei es bei einer Lizenzvergabe an private Betreiber, durch sachgerechte, wettbewerblich gestaltete Bieterverfahren, geeignete Auflagen bzw. Leitlinien für den Betrieb der Einrichtungen und effiziente Kontrolle entgegengewirkt werden kann. Im Bereich der Daseinsfürsorge bieten v.a. öffentlich-private Partnerschaften vielfältige Chancen. So besteht die Perspektive durch Einbeziehung privater Expertise sowie durch Größen- und Netzwerkeffekte Produktivitätsgewinne zu erzielen. Darüber hinaus entlastet die Mitwirkung privater Akteure bei der Finanzierung nicht nur die Staatskassen; sie ermöglicht zudem eine breitere Streuung von Risiken.
Die politischen Widerstände dürften viel dazu beigetragen haben, dass die Privatisierung von Diensten der Daseinsfürsorge in der EU weithin Priorität verloren hat. Vielmehr nahmen in den letzten Jahren staatliche Behörden in mehreren Ländern privatwirtschaftlich betriebene Einrichtungen der Daseinsvorsorge wieder zurück unter staatliche Obhut. Bekannte Beispiele sind die Wasserwerke in Berlin, Bordeaux und Paris. Das Beharren auf tradierten Lösungen kontrastiert indes zur Vielfalt der Arrangements in Europa in diesem Bereich. Je nach Land unterschiedlich und innerhalb der Länder keineswegs einheitlich sind Energieversorgung, Krankenhäuser, Schienenverkehr, Postdienste oder Wasserversorgung teils in privater und teils in staatlicher Hand.
Es spricht also wenig dagegen und einiges dafür, dass die Länder im Eurogebiet vorhandene Privatisierungspotenziale nutzen. Aber inwieweit geschieht dies tatsächlich? Alleine schon ein Blick auf die beiden größten Länder, Deutschland und Frankreich, sowie auf die beiden kleineren südeuropäischen Länder Portugal und Griechenland zeigt unterschiedliches Engagement und verschiedenartige ordnungspolitische Ansätze.
Kein wesentliches Thema in Deutschland
In Deutschland spielt Privatisierung im Sinne des Verkaufs von Beteiligungsbesitz seit einigen Jahren zumindest auf Bundesebene keine gewichtige Rolle. Für 2013 und 2014 weisen die Finanzberichte des Bundesfinanzministeriums jeweils magere Privatisierungserlöse von 3,3 Mrd. bzw. sogar nur 0,2 Mrd. Euro aus. Dies reflektiert zum einen, dass der Bund seinen Beteiligungsbesitz insbesondere an Industrieunternehmen bereits weitgehend abgebaut hat. Zum anderen ist der fiskalische Druck in Deutschland relativ gering.
Das heißt aber nicht, dass das Privatisierungspotenzial bereits ausgeschöpft ist. Vielmehr verfügt der Bund noch über nennenswerte Anteile an der Deutschen Post (über die KfW) und der Deutschen Telekom. Die Deutsche Bahn befindet sich noch zu 100% in Bundesbesitz. Über den Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin ist der Bund zudem u.a. noch mit 17,15% an der Commerzbank AG beteiligt. Ungeachtet fortgesetzter Verkäufe besitzt der Bund auch umfangreiche Immobilienbestände, darunter 39.000 Wohnungen (Ende 2014).
Wie beim Bund ist Privatisierung auch auf Ebene von Ländern und Gemeinden kein wesentliches Thema, sieht man etwa vom Verkauf von Wohnungen ab. So halten Länder und Kommunen noch gewichtige Anteile an Infrastruktureinrichtungen wie Flughäfen, Binnen- und Seehäfen oder Messegesellschaften. Einzelne Länder sind zudem an Industrieunternehmen beteiligt (z.B. Niedersachsen an der Volkswagen AG (20%) und der Salzgitter AG (26,5%), Baden-Württemberg an der Staatsbrauerei Rothaus AG (100%)). Bei den Kommunen lässt sich sogar ein gewisser Trend zur Rekommunalisierung beobachten. Er betrifft neben der Wasserversorgung v.a. die Energieversorgung.
Neue Akzente in Frankreich
Frankreich hat in den vergangenen Dekaden seinen einst umfangreichen Staatsbesitz nennenswert reduziert. Allerdings galt dort der Umgang mit staatlichem Vermögen selten als Einbahnstraße weg vom Staat und hin zu privaten Akteuren. Vielmehr haben Regierungen immer wieder auch staatliche Beteiligungen an Unternehmen neu auf- bzw. ausgebaut, um das Wirtschaftsgeschehen direkt beeinflussen zu können.
Die derzeitige Regierung Valls hat indes einen weiteren Akzent gesetzt. Sie betont auch die notwenige Verminderung der Staatsschulden. So kündigte Wirtschaftsminister Macron im Oktober 2014 an, dass der Staat bis Ende 2015 Beteiligungen im Umfang von bis zu 10 Mrd. Euro abgeben und damit u.a. seine Schulden um 4. Mrd Euro reduzieren wolle.
Allerdings wendet sich die Regierung damit nicht der Industriepolitik ab. So geht der Verkauf von Anteilen an börsennotierten Unternehmen nicht mit einer entsprechenden Verminderung der Kontrollrechte einher. Das verhindert das doppelte Stimmrecht für Aktien, die sich zwei Jahre oder länger im Besitz ein und desselben Aktionärs befinden. Dieses Gesetz wurde Anfang 2014 modifiziert. Während die Regelung zuvor nur galt, wenn sie in Unternehmenssatzungen ausdrücklich vorgesehen war, gilt sie nun grundsätzlich für alle Unternehmen, es sei denn das Doppelstimmrecht ist satzungsgemäß ausgeschlossen. Ein fiskalpolitisch motivierter Abbau von Unternehmensanteilen läuft damit nicht mehr zwangsläufig industriepolitischen Interessen zuwider.
Mit den neuen Regeln im Rücken hat die Regierung in den letzten eineinhalb Jahren Staatsbeteiligungen im Umfang von 4,02 Mrd. Euro veräußert. Dem standen freilich der Auf- und Ausbau staatlicher Einflussnahme bei anderen Unternehmen gegenüber, etwa bei den Automobilherstellern PSA Peugeot Citroen und Renault. Dabei ging es auch darum, bei Hauptversammlungen der Aktionäre das Doppelstimmrecht zu sichern. Diese Interventionen ließ sich der französische Staat allein seit Anfang 2014 gut 2 Mrd. Euro kosten.
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Zuletzt war der französische Staat über seine Beteiligungsagentur an 77 Unternehmen beteiligt. Darunter befinden sich 13 börsennotierte Unternehmen. Der (Tages-)Wert dieser 13 Beteiligungen betrug Anfang Juli 2015 77,4 Mrd. Euro. Zu den nicht an der Börse gelisteten Unternehmen gehören u.a. Flughäfen und Seehäfen, Unternehmen der Verteidigungsbranche, die Post (La Poste) und die Eisenbahngesellschaft SNCF. Weitere Unternehmensbeteiligungen hält der Staat über die Förderbank Bpifrance sowie über die Förderinstitution CDC.
Portugal als Musterknabe
In puncto Privatisierung ist Portugal gleichsam der Musterknabe in der Eurozone. Die seit fast vier Jahren amtierende konservative portugiesische Regierung sieht in ihrem Privatisierungsprogramm sogar das Flaggschiff ihrer Strukturreformen. Diese sollen den Staatsektor verkleinern, Märkte offener und die Wirtschaft insgesamt flexibler machen.
2011 vereinbarte die portugiesische Regierung mit den Brüsseler Institutionen im Gegenzug für finanzielle Hilfen u.a. Privatisierungen im Wert von 5,5 Mrd. Euro. Tatsächlich konnte das Land in den rd. drei Jahren bis zum Ende des Hilfsprogramms im Mai 2014 sogar 8,9 Mrd. Euro erlösen. Bis Mitte Juni 2015 kamen weitere 843 Mio. Euro hinzu. Seit 2011 summieren sich Portugals Privatisierungserlöse damit – gemessen am Sozialprodukt – auf 5,6%. In anderen Ländern bewegen sie sich hingegen im Promillebereich.
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In der Folge ist das Portefeuille der staatlichen Beteiligungsgesellschaft inzwischen relativ klein geworden. Neben der in weiten Teilen des Landes tätigen Wasserversorgungsgesellschaft ADP und einem Minderheitsanteil an der unlängst größtenteils privatisierten Fluggesellschaft TAP befinden sich darin nur noch sieben Unternehmen, darunter die Automobilrennstrecke Estoril, Immobilienentwicklungsgesellschaften sowie eine Spezialdruckerei.
Griechenland: Luftbuchungen?
Für Griechenlands Privatisierungsvorhaben braucht es Hoffnung. Die neuen Vorgaben der Partnerländer erinnern an Vereinbarungen, die Griechenland 2011 mit den Brüsseler Institutionen traf. Bereits die damalige griechische Regierung kündigte an, mittels Privatisierungen bis Ende 2015 50 Mrd. Euro zu erlösen. Freilich kontrastierte das ehrgeizige Ziel von Beginn an mit den schwierigen wirtschaftlichen, rechtlichen und verwaltungstechnischen Rahmenbedingungen in Hellas. Überregulierung, ungeklärte Eigentumsrechte, Investitionsstaus und Produktivitätsrückstände in weiten Teilen der öffentlichen Infrastruktur sowie mangelnde Effizienz von Behörden heißen Stichworte zu viel beklagten Defiziten, die die Attraktivität des Standorts Griechenland und der dortigen staatlichen Betriebe für Investoren bis heute beeinträchtigen.
So verliefen die Privatisierungen nur sehr schleppend. Statt der angekündigten 50 Mrd. Euro flossen dem griechischen Staat bislang nur 3,1 Mrd. Euro zu. Der größte Teil davon bereits 2011. Das resultiert auch daraus, dass die im Januar gewählt Regierung des linken Ministerpräsidenten Tsipras gleich nach Amtsantritt alle größeren Privatisierungsvorhaben auf Eis legte – darunter das schon weit vorangebrachte Projekt der Privatisierung von 14 Regionalflughäfen. Hier wollte die deutsche Fraport AG zusammen mit griechischen Partnern die Betreiberkonzessionen für 1,2 Mrd. Euro übernehmen. Gestoppt wurde auch der Verkauf eines Anteils von 67% an der Betreibergesellschaft des Hafens von Piräus, dem größten Hafenkomplex des Landes. Die vormalige Regierung erhoffte sich davon Erlöse von rd. 500 Mio. Euro sowie umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur des Hafens.
Ministerpräsident Tsipras muss jetzt eine Kehrtwende vollziehen. Das ist eine große Herausforderung, alleine schon wegen der anhaltenden politischen Widerstände im Land. Zudem dürfte die erneute Rezession in Griechenland das Potenzial für Privatisierungserlöse noch längere Zeit trüben. All das lässt den jetzt erneut angestrebten Zielwert von 50 Mrd. Euro als überaus ambitioniert erscheinen.
Der Beitrag basiert auf der Studie Privatisierung in der Eurozone: Günstige Bedingungen nutzen. Deutsche Bank Research. Research Briefing Europäische Integration. 17. Juli 2015.