Krach in der Hayek-Gesellschaft (2)
Was der Hayek-Gesellschaft nottut?
4 Ergänzungen zu Thomas Apolte

1. Schaut man auf die politische Realität in Deutschland, so kann ein gewisses Kopfschütteln über die in der – dem freiheitlichen Denken zugewandten – Hayek-Gesellschaft urplötzlich schwarmgeführte Diskussion zur Notwendigkeit der politischen Abgrenzung vor allem „nach rechts“ durchaus Verständnis erzeugen. Denn ein Blick auf die Bedeutung des politisch organisierten Liberalismus in Deutschland zeigt die ernüchternde Wirklichkeit: Im Deutschen Bundestag ist das organisierte „Liberale“ nicht mehr anwesend, es wurde herausgewählt. In der Regierungskoalition verschwimmen sich die eigenpolitischen Konturen der großen Volksparteien zur Unkenntlichkeit in Richtung freiheitavers-paternalistisch unterfütterten Staatsinterventionismus, in beiden Parteien ohne ordnungspolitischen Kompass. Sie sind mithin schwerlich im erkennbaren Dunstkreis liberaler Politikgestaltung zu verorten. Und vielleicht auch aus diesem Grund wurde die kleinere sich selbst als liberal bezeichnende Partei eher als Mainstream-Plagiat der Großen denn als wirklich liberale parlamentarische Alternative vom Wähler abgestraft. Die Opposition im Bundestag ist grün-links, sie opponiert gegen die Regierung nicht wegen ihrer zu großen, sondern zu geringen Bereitschaft, die Ergebnisse der – angeblich – kapitalistischen Marktwirtschaft interventionistisch oder gar durch Systemveränderung zu korrigieren. Mithin: Im Deutschen Bundestag als Spiegelbild der in Deutschland vorherrschenden parteipolitischen Präferenzen der Wahlbürger ist das organisierte Liberale ausgestorben, die Parteienlandschaft hat ihre Kompassnadel sichtbar nach „links“ verschoben. In einem solchen Kontext gedeiht der allgemeine Mainstream zur Abgrenzung. Man würde vermuten, dass – wenn freiheitlich Denkende sich überhaupt an diesen politikbegrifflichen Abgrenzungsdiskussionen beteiligen wollen – dies unter diesen Umfeldbedingungen wohl eher nach „links“ denn nach „rechts“ erfolgen müsste, was immer diese wieselwortähnlichen Kategorien konkret beinhalten mögen. Aber weil die meisten Medien vornehmlich die Repräsentanten derjenigen Parteien zu Wort kommen lassen, die im Parlament sitzen, transportieren sie den Abgrenzungsmainstream nach „rechts“ verstärkend in die Öffentlichkeit und sogar bis hin zur Hayek-Gesellschaft. Solange das politisch organisierte „liberale“ Denken sich diesem Mainstream der Illiberalität aus politischer Mutlosigkeit nicht versagt, wird der Sprung in die bundesparlamentarische Wiedermitwirkung wohl schwer. Was folgt daraus für die Abgrenzungsdebatte innerhalb der Hayek-Gesellschaft?

2. In Anbetracht dieser Politikanalyse sowie der empirischen Evidenz, dass in Deutschland die Rechtsparteien schon seit Jahren gottlob keine Chance haben, einen bedrohlichen parlamentarischen Resonanzboden zu bilden, und wenn ja, dann allenfalls als temporäre Landes- oder Regionalparlamentserscheinung, kommt die Hayek-Gesellschaft wohl nicht umhin zu fragen, ob sie sich tatsächlich vornehmlich um Abgrenzungsprobleme „nach rechts“ kümmern müsse, deretwegen zum Beispiel mein sehr geschätzter liberal denkender Blogger-Kollege Thomas Apolte die Gesellschaft mit vielen anderen so überraschend plötzlich verlassen hat. Apolte kritisiert, wie andere auch, dass es „konservative“ Mitglieder der Gesellschaft gibt, die zudem in nicht-liberalen Medien publizieren. Konservativismus steht in der Tat dem Hayekschen Liberalismus grundsätzlich entgegen, aber es kommt doch sehr darauf an, in welchem Kontext und in welcher Semantik beide Begriffe in der heutigen Zeit konkret verwendet werden (können). Ein Beispiel mag dies demonstrieren: Bekanntlich gibt es in der EU seit Jahren den Streit, ob nicht angesichts der sichtbaren EU-Tendenzen der zunehmend ineffizienten Zentralisierung von Politikaktivitäten wieder eine Debatte über die Rückführung einzelner bereits vergemeinschafteter Politikbereiche in nationale Disposition sinnvoll sei. Einige Politikakteure argumentieren, eine solche Rückführung sei Ausdruck eines rückständigen konservativen Nationalismus, den es zu bekämpfen gelte, weil er der europäischen Integration zuwiderlaufe. Die Gegenposition basiert auf dem auch im EU-Vertrag kodifizierten Subsidiaritätsprinzip: Derjenigen EU-Ebene, auf der die komparativen Vorteile für die Durchführung der in Frage stehenden Politikaktivitäten aufgrund der Bürgerpräferenznähe und Kosteneffizienz am stärksten ausgeprägt sind, sollten die Politikaktivitäten zugewiesen werden. Und das hat dann nichts mit Konservativismus oder gar „rechtem“ Nationalismus zu tun, sondern entspricht modernen Prinzipien einer effizienten internationalen Arbeitsteilung und damit der offenen Gesellschaft im Hayekschen Sinne. Das ist, nebenbei bemerkt, auch die britische Position, die dem Denken des freiheitlich-klassischen Liberalismus bekanntlich näher steht als der Mainstream der EU-Akteure francophoner Provenienz.

Weitere Beispiele lassen sich zuhauf anfügen: Ist es konservativ-rückwärtsgewandt, wenn man für Griechenland das Ausscheiden aus dem Euro-Arrangement mit zugleich wieder eingeführter nationaler Landeswährung empfiehlt, oder ist das Verbleiben im Euro mit der Folge einer sich immer stärker entwickelnden Euro-Transferunion die Zukunftslösung Hayekschen Freiheitsdenkens? Hayek, der ja neben der Freiheit des Individuums auch die mit ihr verbundene Selbstverantwortung für eigenes Tun propagierte, hätte das wohl verneint. Und wenn nicht alles täuscht, ist dies auch mehrheitlicher common sense innerhalb der Hayek-Gesellschaftsmitglieder, die sich manchem Vorwurf der Europa-Zentralisten, sie seien rückwärtsgewandte europafeindliche Nationalkonservative, mit Fug und Recht entgegentreten. Jedenfalls bleibt Europa sicher eins der ganz großen Zukunftsthemen der Freiheit auch für die Hayek-Gesellschaft.

Kann man dies zum Beispiel auch für die von der ehemaligen Vorsitzenden Karen Horn eingebrachte Debatte über „konservativ“ versus „liberal“ sagen, die das deutsche Ehegattensplitting betrifft? Offensichtlich ja, denn für Thomas Apolte hat unter anderem dieser Diskurs zu seinen Austrittsgründen beigetragen. Und es ist ja richtig: Diese Diskussion ist doch innerhalb der Gesellschaft für Lernwillige und offene Geister anregend, und wenn hier kontroverse Positionen bestehen, dann bestehen sie eben. Man sollte auch und besonders in der Hayek-Gesellschaft grundsätzlich die Tugend der Duldung von Unterschieden pflegen, der Toleranz gegenüber dem lerneinladenden Kontrapunkt, dies sicher nicht in jeder Beliebigkeit des Nichtmehrdefinierbaren, aber doch unbedingt in einzelnen Teilbereichen, auch wenn sie dem einen oder anderen als zu wenig oder gar nicht liberal vorkommen. Dazu ist die persönliche Definition „des“ Liberalen doch stets zu subjektiv. In einem freiheitlichen lernaffinen Diskursumfeld sollte sich deshalb niemand legitimiert fühlen, abgrenzungsaktiv die einen gegenüber den anderen zu stigmatisieren, als ginge es um Freund oder Feind in einer ideologischen Fundamentalangelegenheit. Ähnlich ist für die unterschiedlichen Positionen in Sachen Zuwanderung zu argumentieren: Ist – unabhängig von Detailfragen – eine Zuwanderungsbegrenzung national-konservativ und deshalb rückwärtsgewandt anti-liberal und also die beliebige Öffnung liberal und damit zukunftsorientiert? Auch dies wird in der Hayek-Gesellschaft nicht einheitlich gesehen. Vielleicht hilft hier anstelle der kompromisslosen Liberalposition die bekannte Moral des Machbaren, die in gar keiner Weise eine mit Rechtskonservativismus begründete Ausgrenzung erlauben kann.

3. Was folgt nun aus alldem für die Hayek-Gesellschaft? Wenn diese Gesellschaft nicht zum Sektiererclub sich abgrenzungsaffin duellierender Intellektueller ohne wesentliche Ausstrahlung nach außen degenerieren will, sollte sie sich thematisch breiter strukturieren. Es waren ja neben Wissenschaftlern auch und gerade Unternehmer und Publizisten, die die Gesellschaft gegründet haben und zunehmend umfänglich die Mitgliederstruktur bestimmen. Deshalb darf die Hayeksche Botschaft der Freiheit sich nicht auf intellektuelle Debattenzirkel beschränken, sondern muss auch und insbesondere auf die Akteure in der Unternehmenswelt ausgerichtet sein. Denn sie sind es, die Unternehmer (und Arbeitnehmer), die die schleichende Staatsbedrängnis zunehmender wirtschaftlicher Freiheitseinschränkungen in einem kompetitiven Umfeld der nationalen und internationalen Marktwirtschaft zuvorderst bewältigen müssen. In diesem Umfeld steht weniger die intellektuelle Debatte um Konservativismus oder Liberalismus im Fokus, sondern es sind vielmehr die realwirtschaftlichen Probleme von Wettbewerb, Innovation, Arbeitsmarkt, F&E, IT, Wissensproduktion und anderer Bereiche der Realwirtschaft bedeutsam. Man kann sich vorstellen, dass innerhalb der Hayek-Gesellschaft Arbeitsgruppen gebildet werden, die diese Themen mit interessierten fachkundigen Mitgliedern (und auch Nichtmitgliedern als externen Experten) aufbereiten und zum Beispiel auf Hayek-Tagen und weit darüber hinaus in Wirtschaft und Öffentlichkeit kundig machen.

4. Die Idee der Freiheit und des Wettbewerbs verlangt danach, das Verhältnis zwischen Staat und Markt immerwährend nicht nur theoretisch, sondern auch im empirischen Kontext zum Beispiel in Deutschland und Europa zu fokussieren. Hayek hat, wie wir wissen, viel darüber räsoniert. Man kommt heute nicht umhin, die moderne Institutionenökonomie zentral ins Spiel zu bringen. Mit ihr lassen sich bekanntlich die dominanten incentives aufzeigen, die zum Beispiel von staatlich gesetzten Regeln, Gesetzen, Erlassen, Anweisungen, Kontrollen usw. auf das Verhalten von Menschen und Organisationen ausgehen und die sowohl freiheitserweiternd als auch freiheitsberaubend sein können. In diesem intitutionenökonomischen Kontext kann sich hoheitliches freiheitsbeschränkendes Handeln nicht mehr auf organstaatliche Begründungen zurückziehen, sondern muss sich im internationalen Wettbewerb selbst bewähren: Der Staat ist (zunehmend) marktlicher Mitbewerber und wird (zunehmend) nicht mehr als politischer Monopolist betrachtet. So steht dann der Staat international im institutionellen Freiheitswettbewerb um die mobilen Ressourcen dieser Welt. Er kann damit gegenüber den Bürgern und Unternehmen in seinem freiheitsbeschränkenden Tun gezähmt werden. In diesem Sinne ist doch die traditionelle Debatte um „Staat versus Markt“, die Karen Horn nicht ganz zu Unrecht als von konservativer Seite zu reflexhaft-statisch geführt wird, zukunftsorientiert neu ausgerichtet und hat mit der gegenwärtigen Art der Auseinandersetzung um Konservativismus versus Liberalismus in der Hayek-Gesellschaft nicht viel zu tun. Es ist schade, dass der so kundige Institutionenökonom Thomas Apolte und all die anderen tollen Geister, die ausgetreten sind, innerhalb der Hayek-Gesellschaft nicht mehr in diesen modernen Linien des freiheitlichen Denkens mitmachen.

Blog-Beiträge zur Hayek-Gesellschaft:

Thomas Apolte: Warum Hayek wirklich kein Konservativer war. Gründe für den Austritt aus der Hayek Gesellschaft

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