Schwarze Kassen oder Verleumdungen
Kein Nährboden für ein zweites Sommermärchen

Nun hat die Fifa-Krise auch den deutschen Fußballbund erreicht. Angeblich – so deutet es der SPIEGEL in einem Artikel – hat der DFB eine schwarze Kasse geführt, um Funktionäre zu bestechen, also um konkret die Stimmen von vier asiatischen Mitgliedern der FIFA-Exekutive zu kaufen, in der Wahl zum Gastgeberland für die Fußball-WM 2006 pro Deutschland zu stimmen. Belegt ist eine Zahlung des deutschen WM-Organisationskomitees (OK) in Höhe von 6,7 Millionen Euro auf ein Fifa-Konto im Jahr 2005. Dieses wurde von dort weiter zum Franzosen Robert Louis-Dreyfus überwiesen – angeblich für eine Kulturveranstaltung, die nicht stattfand. Laut dem SPIEGEL hatte Louis-Dreyfus den deutschen WM-Werbern kurz vor der Entscheidung über die Vergabe Geld geliehen; dieses Geld soll in der dokumentierten Weise über die Fifa zu ihm zurückgeflossen sein. Der eigentliche Korruptionsvorwurf ist somit nicht belegt, eine ominöse Zahlung an die Fifa (also weder an Louis-Dreyfus noch an die angeblich bestochenen Funktionäre) liegt jedoch vor.

Der Vorwurf der Korruption wird von Niersbach laut Tagesschau klar dementiert: „Das kann ich absolut und kategorisch ausschließen. Ich kann versichern, dass es im Zusammenhang mit der Bewerbung und Vergabe der WM 2006 definitiv keine schwarzen Kassen beim DFB, dem Bewerbungskomitee noch dem späteren Organisationskomitee gegeben hat“. Der SPIEGEL führt in seinem online-Angebot nun weiter aus, ob Niersbach „seinem Amt Ehre mache, habe sich dagegen schon erwiesen, in nur drei Tagen, seit Mittwoch dieser Woche. Denn um seinem Amt Ehre zu machen, darf der Chef von Millionen Fußballern im Land seine Glaubwürdigkeit nicht verspielen. Was aber soll man Wolfgang Niersbach nach diesen drei Tagen eigentlich noch glauben? Einem Mann mit einem nunmehr ausgewiesen taktierenden Verhältnis zur Wahrheit?“

Ob und was nun stimmt und was nicht, dies kann und soll an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Fakt ist aber, dass eine der beteiligten Parteien – entweder die Quellen des SPIEGELs oder die von der Zeitschrift Beschuldigten Niersbach und Beckenbauer – nicht die Wahrheit sagt. Nun kann man dies als eher unwichtigen Nebenkriegsschauplatz in der Berichterstattung über die ohnehin schönste Nebensache der Welt abtun. Was ist schon dabei, wenn die Fifa-Funktionäre die WM-Standorte verkaufen und die Gastgeberländer einen Preis (in Form von Bestechungsgeldern) dafür zahlen? Und was ist schon dabei, wenn die Medien gelegentlich einige dünne Fakten über- und fehlinterpretieren, um die Aufmerksamkeit der Leser zu erlangen? Beides bietet dem Konsumenten Unterhaltung – im einen Fall ein Sommermärchen, im anderen Fall eine kurzweilige Lektüre.

Doch leider hat dieses Verhalten enorme gesellschaftliche Nebenwirkungen. Bereits in der Bibel ist die Ehrlichkeit als ein zentraler Wert des menschlichen Zusammenlebens in den zehn Geboten verankert. „Du sollst nicht stehlen“ und „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinem Nächsten“ sind Ehrlichkeitsgebote. Bis heute stellt Ehrlichkeit ein Fundament unseres sittlichen Verhaltens dar. Glaubwürdigkeit und Vertrauen basieren nämlich beide auf Ehrlichkeit. Vertrauen wiederum ist die Basis der meisten zwischenmenschlichen Transaktionen. Ehrlichkeit hat somit Auswirkungen auf alle Lebensbereiche des Menschen.

Als ehrlich gilt ein Mensch, der nicht lügt, der die Wahrheit sagt – sie also auch nicht verschweigt – und der im Einklang mit den von der Gesellschaft verbindlich aufgestellten Regeln lebt. Letzter Punkt, die Gesetzestreue, folgt direkt aus der Ehrlichkeit: Verstößt er gegen die Regeln, so würde die Ehrlichkeit von ihm fordern, dies den Institutionen der Gesellschaft zu melden und mithin gezwungen zu werden, doch die Regeln zu befolgen. Ehrlichkeit impliziert also Aufrichtigkeit und damit verbunden das Unterlassen gesetzeswidriger Handlungen. Im öffentlichen Raum bedeutet dies insbesondere, dass man sich an die bestehenden rechtlichen Regeln – also an alle von der Gesellschaft aufgestellten verbindlichen Rahmenbedingungen seines Handelns – hält. Der Verzicht auf Korruption zählt dazu, der Verzicht auf Verleumdungen ebenso.

Bevölkerungsbefragungen zeigen, dass uns Ehrlichkeit ein ganz wesentlicher Wert ist (vgl. etwa Kochanek, 2007; Engelhardt/Kamann, 2013). In einer Umfrage des Reader’s Digest wurde Ehrlichkeit von 74 Prozent der Deutschen als sehr wichtig bezeichnet – kein anderer der hier abgefragten Werte erreichte eine solch hohe Zustimmung. Ehrlichkeit liegt damit sogar vor Gerechtigkeit und Freiheit. Dies ergibt sich nicht in allen Umfragen so; Ehrlichkeit taucht aber zumeist auf den vorderen Plätzen der Werterankings auf. Dabei sind allerdings auch erstaunlich viele Menschen der Überzeugung, dass ihre Mitmenschen den Wert Ehrlichkeit nicht so schätzen wie sie selbst. Fast die Hälfte der Befragten gibt in Befragungen an, der Überzeugung zu sein, dass nur um die 50 Prozent ihrer Mitbürger den Wert Ehrlichkeit auch als sehr wichtig erachten (Kochanek, 2007). Wir erachten also für uns selbst Ehrlichkeit als wichtig; unsere Erfahrungen mit Unehrlichkeit führen aber dazu, dass wir unehrlichem Verhalten anderer nicht unvorbereitet gegenüberstehen.

Dies hat weitreichende Folgen, denn vermehrt wahrgenommene Unehrlichkeit führt zu zunehmendem Misstrauen. Ist die Vertrauensbasis zerstört, lässt sie sich nur schwer wieder aufbauen. Wer einmal lügt, dem glaubt man eben nicht mehr. Aber es gilt zudem: Auch anderen – bislang Unbescholtenen – wird in ähnlichen Situationen nicht mehr geglaubt. Die schlechte Reputation des Lügners wird übertragen, so es sich um ähnliche Fälle handelt.
Wird einem Anbieter am Markt eine Unehrlichkeit (man denke an den VW-Skandal) nachgewiesen, so nimmt generell das Vertrauen in die Leistungen aller ähnlicher Anbieter am Markt ab, worunter alle Anbieter leiden. Der Unehrliche verletzt also nicht nur die Rechte seines Vertragspartners, sondern produziert nebenbei auch noch einen negativen externen Effekt auf seine Konkurrenz. Das Fazit für einen funktionsfähigen Markt ist klar: Unehrlichkeit lohnt sich langfristig für einen Anbieter nicht – sobald die Unehrlichkeit aufgedeckt ist, sinkt das Vertrauen aller involvierten Geschäftspartner, welches wiederum für ein langfristig tragfähiges Geschäftsmodell des Unternehmens unabdingbar ist. Und sie schadet zudem dem ganzen Markt, da sie generell das Vertrauensfundament erschüttert. Kurzfristig jedoch erscheint sie vielfach verlockend, da Einkünfte geniert oder Erfolge erzielt werden können, ohne Leistung dafür zu erbringen.

Im vorliegenden Fall wird dies ganz deutlich: Eine zuvor entlarvte Anhäufung von Korruptionsfällen rund um die Fifa, in denen Fifa-Funktionäre bestochen wurden, unterminiert jegliche Glaubwürdigkeit von Aussagen Betroffener, die mit der Fifa geschäftlich zu tun hatten. Die Logik des Denkens ist simpel: Da Fifa-Funktionäre oft bestochen wurden, mussten die DFB-Vertreter die Funktionäre ja wohl bestechen. Der Generalverdacht ist damit da. Nun reicht eine konkrete Ungereimtheit im Zahlungsablauf, um daraus eine Geschichte zu konstruieren – ob sie nun wahr ist oder nicht sei dahin gestellt. Schlimm ist, dass man ihr intuitiv sofort Glauben schenken mag. Für Nichteingeweihte und direkt Involvierte ist es ja quasi unmöglich, die Wahrheit von der Falschaussage wirklich zu unterscheiden.

Die Folge sind erhebliche Erschwernisse in den betroffenen Geschäftsfeldern. Denn entweder müssen Mittel aufgewendet werden, um Ehrlichkeit nachzuweisen – sei es über CSR-Aktivitäten, Ethik-Kommissionen oder Anti-Korruptionsbeauftragte – oder es unterbleiben eigentlich sinnvolle Geschäftsbeziehungen aufgrund des entstandenen Misstrauens.

Mithin würde sich konkret die Frage stellen, ob sich nach der aktuellen Diskussion noch jemand findet, der versuchen wird, ein nächstes großes Fußballturnier nach Deutschland zu holen. Nach den Turnieren von 1974 (WM), 1988 (EM) und 2006 (WM) wäre vom Zeitabstand her zwischen 2020 und 2030 ein nächstes großes Turnier in Deutschland durchaus denkbar. In dem nun entstandenen Misstrauen ist es aber unwahrscheinlich, dass dies in Angriff genommen wird. Denkt man an das zurückliegende Sommermärchen, kann man dies als schade bezeichnen. Und gegebenenfalls wird auch in anderen Nationalverbänden dies von einer Bewerbung für ein solches Großereignis als abschreckendes Signal verstanden. Wer immer korrupt handelt oder verleumdet, der schadet der Gesellschaft weit über seine eigentliche Handlung hinaus, denn das Misstrauen bleibt. Das ist bedauerlich – ein wenig Ehrlichkeit würde guttun.

 

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