Immer wieder erschüttern Anschläge radikaler Gruppen die Weltöffentlichkeit. Nicht selten berufen sich die Attentäter dabei auf ihre religiösen Überzeugungen. Vor diesem Hintergrund stellt sich zum einen die Frage nach den Beweggründen für diese extremistisch-terroristische Abspaltung von der restlichen Gesellschaft sowie zum anderen nach der Unterbindung der Auswüchse dieses unmenschlichen Eifers. Warum begibt sich ein vermeintlich vernunftbegabtes menschliches Wesen in die Fänge religiös-extremistischer Gruppierungen und ist bereit, mit seinem Leben sogar den ultimativen Preis für seine Überzeugungen zu zahlen? In diesem Beitrag soll versucht werden, auf Basis der Religion Economics dieses Phänomen zu erklären und Ansatzpunkte für eine Intervention abzuleiten.
Warum widmet sich ein zumindest bedingt rational handelndes Wesen wie der Mensch überhaupt einer Religion? Wie in vielen anderen Aspekten des Lebens steht das Individuum auch dabei vor der Aufgabe, Entscheidungen derart zu treffen, dass der daraus resultierende Nutzen unter Beachtung etwaiger Nebenbedingungen maximiert (Iannaccone, 1997). Mit Azzi und Ehrenberg (1975) lassen sich drei Motive für die Ausübung religiösen Verhaltens identifizieren:
- Nach Ansicht der Autoren streben Individuen zunächst einmal das Heilsmotiv an, wobei sie sich nach einem wie auch immer gearteten seligen Leben nach dem Tod sehnen. Dabei kann das Heilsmotiv zugleich als eine Art Versicherung für die mögliche Existenz eines Jenseits interpretiert werden. Somit investieren Individuen im Diesseits in religiöse Aktivitäten, um sich für die Existenz eines Jenseits zu versichern und ggf. ewiges Seelenheil nach dem Ableben zu finden (Durkin & Greeley, 1991).
- Das Konsummotiv ist das zweite handlungsleitende Motiv für Religiosität: So haben Gottesdienste und andere Gemeinschaftsaktivitäten einen „Unterhaltungswert“ für die Gläubigen.
- Als drittes Motiv lässt sich der soziale Druck in Religionsgemeinschaften identifizieren, der sich insbesondere durch das Umfeld des Individuums ergibt und sein Prestige oder gar seinen wirtschaftlichen Erfolg determiniert (Schmidtchen, 2000).
Alle drei Motive lassen sich bei radikalen religiösen Gruppen identifizieren: Neben extremen Heilsversprechen für das Jenseits findet sich bei Hasspredigten oder bei anderen Zusammenkünften gleichgesinnter ein hoher Unterhaltungswert für einschlägig interessierte Personenkreise. Die dabei erfolgende Vernetzung ist wiederum die Basis für sozialen Druck, der bei abweichenden Verhalten eingesetzt werden kann, um Anhänger extrem religiöser Gruppen auf Linie zu halten.
All diese angeführten Nutzenkomponenten können das Entscheidungskalkül eines Individuums erheblich beeinflussen. Demgegenüber sind selbstverständlich zu tragende Opportunitätskosten zu berücksichtigen. So muss für die Ausübung entsprechender (radikal-)religiöser Aktivitäten zunächst einmal Zeit aufgewendet werden, die für andere Aktivitäten entfällt. Weiterhin muss das Individuum ggf. mit sozialen oder gar juristischen Sanktionen der restlichen Umwelt rechnen, wenn sich derartig religiös extremistische Ansichten handlungsleitend werden. Die Entscheidung für einen religiös-extremistischen Weg erfordert oftmals das bisherige soziale und weltliche Umfeld weitestgehend zu verlassen. Je integrierter eine Person in der Gesellschaft ist und je stärker ihre weltlichen Bedürfnisse bspw. durch einen lukrativen Beruf befriedigt werden, desso unwahrscheinlicher ist es, dass diese Person eine Entscheidung zugunsten einer extremistisch-religiösen Weltanschauung fällt.
Da radikale Glaubensgemeinschaften i.d.R. eine sehr strenge „gottgewollte“ Lebensführung mit entsprechenden sozialen und letztlich finanziellen Einschränkungen/ Opportunitätskosten einfordern, sind in den meisten Fällen Personen unterer sozialer Schichten und schlechter gesellschaftlicher Integration für die Lehren extremistisch-religiöser Gruppierungen anfälliger (Beck, 2006). Hier mag es sicher Ausnahmen von der Regel geben.
In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, warum radikale Sekten und Partikulargruppen etablierter Religionen überhaupt auf den Markt für Religionen überleben, wenn ihre Ausübung derart kostenintensiv zu Buche schlägt. Autoren wie Iannoccane (1998) sehen in den hohen Kostenanforderungen eine Barriere für potentielle Trittbrettfahrer auf dem Markt für Religionen. Diese werden nicht bereit sein, derart hohe Aufwendungen zu leisten und entsprechend keiner radikalen Glaubensgemeinde beitreten. Dadurch steigt wiederum der Nutzen anderer Mitglieder fundamentalistisch-religiöser Gruppen, die sich dank der hohen Eintrittshürden nur Gleichgesinnten gegenübersehen und sich in ihrem fanatischen Glauben gegenseitig stärken. Es entstehen dadurch ein Gemeinschaftsgefühl und der Glaube an die eine wichtige und vor allem vermeintlich richtige Sache.
Wie bereits oben erläutert, sind insbesondere Individuen unterer Sozial- und/oder Einkommensschichten aufgrund ihrer geringeren Opportunitätskosten für die aktive Mitgliedschaft bei radikal-religiösen Glaubensgemeinschaften prädestiniert. So zeigen empirische Untersuchungen, dass geringere Einkommen mit einer Zunahme an aktiver Religionsausübung einhergehen und diese geldintensivere Zuwendungen für die eigene Religion substituieren. Umso vermögender ein Individuum wiederum ist, desto mehr finanzielle Mittel werden zur Befriedigung des Religionsmotives aufgewendet (Iannaccone, 1998; Schmidtchen, 2002).
Übertragen auf unsere Fragestellung nach den Ursachen für religiösen Extremismus lässt sich aus diesen Erkenntnissen schlussfolgern, dass Personengruppen mit geringem Einkommen und einer religiös-extremistischen Gesinnung sich tendenziell eher aktiv am Kampf gegen die aus ihrer Sicht „Ungläubigen“ engagieren. Gleichzeitig werden vermögende Extremisten sich am religiösen Kampf vorwiegend durch finanzielle Zuwendungen beteiligen.
Politische Implikationen
Folgt man dem Leitgedanken, dass die Ausübung religiöser Aktivitäten ebenfalls eine Erscheinungsform rationaler Entscheidungen ist, so ergeben sich im Vorgehen gegen einen extrem radikale Religiosität zahlreiche politische und zugegebenermaßen nicht wirklich neue Handlungsempfehlungen.
Insbesondere gilt es, die Opportunitätskosten für die Mitgliedschaft in den entsprechenden Glaubensgemeinschaften zu erhöhen. Einerseits muss hierfür eine konsequente Strafverfolgung gewährleisten werden, die sich insbesondere gegen Religionsprediger richtet, die in ihren Gemeinden zu Straftaten aufrufen. Dies würde einerseits den entsprechenden Prediger von derartigen Taten abhalten und andererseits wäre die Befriedigung das oben besprochenen Konsummotiv für seine potentiellen radikalen Klienten erschwert und damit die Zugehörigkeit bei derartigen Glaubensgemeinschaften weniger attraktiv. Zudem sollten die Integrationsbemühungen verstärkt werden: So sollte es das Ziel sein, jedes Mitglied der Gesellschaft – unabhängig ihrer Abstammung oder sozialen Schicht – zu integrieren. Dies gilt sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich – wobei beides eng miteinander verzahnt ist. Ein gesichertes Leben mit ausreichenden Bildungschancen, einem sicheren Arbeitsplatz sowie sozialer Integration dürfte sicher die größte Hürde für eine Mitgliedschaft in radikal-religiösen Gruppen sein.
Neben der Vermittlung einer entsprechenden schulischen Bildung bedarf es dabei insbesondere der Integration in den Arbeitsmarkt. Hierzu ist die Aufhebung der Mindestlohnregelung ebenso erforderlich wie eine teilweise Absenkung beruflicher Qualifikationskriterien – insbesondere im theoretischen Teil. V.a. im Hinblick auf die zahlreichen jungen Flüchtlinge, die Deutschland derzeit erreichen und sich hier eine Zukunft aufbauen wollen, wäre dies ein wichtiger Baustein, um sie in die Gesellschaft zu integrieren und vor einer religiösen Radikalisierung zu bewahren. Oftmals fehlen diesen Asylbewerbern die Fähigkeiten, die z.T. sehr theoretischen Anforderungen der beruflichen Qualifikation zu erfüllen, was trotz praktischen Talents zum Abbruch der Berufsausbildung führt (o. V. 2015). Zudem liegt ihr Wertgrenzprodukt, also die Summe, die sie dem Arbeitgeber verdienen, aufgrund ihres Ausbildungsstandes unterhalb des Mindestlohns. Ihre Beschäftigung zum Mindestlohn oder gar darüber wäre also für einen Unternehmer aus ökonomischer Sicht nicht sinnvoll.
Mit den angesprochenen Maßnahmen würden die Opportunitätskosten für eine Mitgliedschaft in einer radikalen religiösen Gruppierung entsprechend erhöht. Daneben ist es erforderlich, die Opportunitätskosten für die Unterstützung radikaler religiöser Gruppierungen anzuheben. Dies kann dadurch erfolgen, dass die Finanzierung derartiger Gruppierungen unterbunden wird. Gleichwohl kann letzteres eine erhebliche Beeinträchtigung der Freiheitsrechte nach sich ziehen.
Wie ersichtlich wird, ist ein möglicher Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung radikaler religiöser Gruppen vielfältig und auf zahlreichen Ebenen durchzuführen. Ohne Zweifel ist die Reihe der potentiell zu initiierenden Interventionen wesentlich größer als die Eckpunkte, die hier aus der Zuhilfenahme der Religion Economics gezogen wurden.
Literatur
Azzi, G. M., Ehrenberg, R. (1975). Household Allocation of Time and Church Attendance, In: Journal of Political Economy, Vol. 83, S. 27-56.
Durkin, J. T., Greeley, A. M. (1991). A Model of Religious Choice under Uncertainty, In: Rationality and Society 3, S. 178-196.
Graf, F. W. (2006). Der Protestantismus: Geschichte und Gegenwart. München: Beck.
Iannaccone, L. R. (1995). Voodoo Economics? Reviewing the Rational Choice Approach to Religion. In: Journal for Scientific Study of Religion, Vol. 34. No. 1, S. 76-88.
Iannaccone, L. R. (1997). Rational Choice: Framework for the Scientific Study of Religion, In: Young, L. A. (Hrsg.): Rational Choice Theory and Religion, New York u. London, S. 25-45.
Iannaccone, L. R. (1998). Introduction of the Economics of Religion, In: Journal of Exonomic Lierature, Vol. XXXVI, S. 1465-1495.
o. V. (2015), Sieben von zehn Flüchtlingen brechen Ausbildung ab, Zugriff am 7.12.2015 unter: http://www.welt.de/wirtschaft/article147608982/Sieben-von-zehn-Fluechtlingen-brechen-Ausbildung-ab.html.
Schmidtchen, D. (2000). Ökonomik der Religion, Zeitschrift für Religionswissenschaft, Vol. 8, S. 11–43.
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Die Forderung nach besserer Bildung, durch die vermeintlich die Opportunitätskosten des Terrorismus steigen, ist nicht unproblematisch. Die zumeist zugrundeliegende Idee, dass durch Bildung das falsche Heilsversprechen des Terrorismus eher aufgedeckt wird, gilt nur unter restriktiven institutionellen Bedingungen. Viel häufiger muss davon ausgegangen werden, dass Bildung die Erkenntnis über die eigene miserable Lage und die schlechten Institutionen im Umfeld erhöht sowie die eigene Attraktivität für die Anwerber der Terrororganisationen erhöht. Dann schlägt sich bessere Bildung in verstärkter Terroraktivität nieder. Siehe hierzu: http://politicalviolenceataglance.org/2015/12/04/more-education-less-terrorism-studying-the-complex-relationship-between-terrorism-and-education/.
Die Forderung danach, dass der Staat die Bildungsangebote ausweitet und die Anforderungen am Arbeitsmarkt senkt, um die muslimischen Einwanderer zu integrieren erachte ich als sehr problematisch. Ich frage mich, wieso unsere Gesellschaft sich an die Einwanderer anpassen soll? Integration ist aus meiner Sicht in erster Linie eine Holschuld. Muslimische Länder würden niemals ihre Regeln an die zu ihnen kommenden Menschen anpassen.
Es erschließt sich mir nicht, warum die „Absenkung beruflicher Qualifikationskriterien“ als Empfehlung gegeben wird? Wir bereiten also allen Einwanderern den Hof und senken unsere Qualitätsstandards, damit ja kein Einwanderer gezwungen ist, unser Land zu verlassen oder zum Terrorist wird? Wir passen also unsere Spielregeln an diejenigen an, die millionenfach und Jahr für Jahr (ab sofort) zu uns strömen? Ich halte das für falsch. Wenn den Leuten die Spielregeln nicht gefallen, können sie ja wieder gehen und woanders auf dem Planeten ihr Glück versuchen.
Zudem scheinen einige nicht begriffen zu haben, dass der Islam eine Staatsreligion ist. Die Säkularisierung in der westlichen Welt soll abgeschafft werden. Die Türkei ist das aktuellste Paradebeispiel. In sofern erachte ich die Aufweichung bestehender Regelungen zu Gunsten der muslimischen Einwanderer als problematisch. Nach und nach werden unsererseits Zugeständnisse gemacht, die den Islam innerhalb der Gesellschaft stärken (bspw. Kopftuch erlauben, obwohl dies in unserem Land nicht Sitte ist. Die islamischen Staaten würden demgegenüber nie den Frauen, auch nicht Touristinnen, erlauben, auf das Kopftuch zu verzichten). Die millionenfache Zuwanderung wird zudem dazu führen, dass diese Personen eines Tages muslimische Parteien wählen, die Politik in deren Sinne machen. Unsere Kinder und Kindeskinder werden das leider schon deutlich zu spüren bekommen.