Es ist gar nicht leicht, über die finanzpolitischen Vorhaben der neuen Bundesregierung zu schreiben. Eiserne Disziplin und eine lebhafte Phantasie sind unabdingbare Voraussetzungen. Denn dort, wo der Koalitionsvertrag in finanzpolitischen Fragen konkret wird, ist er oft so unvorstellbar langweilig, daß bei der Lektüre auch gesunde Menschen eine Ahnung vom Leiden an der Schlafkrankheit bekommen. Wo es interessant wird, bleibt der Vertrag dagegen oft vage, skizziert die Vorhaben nur und überläßt den Rest dem Vorstellungsvermögen des Lesers. Das müßte nicht schlecht sein, wenn man darauf hoffen könnte, daß die Leerstellen in den nächsten vier Jahren überzeugend ausgefüllt werden. Aber die Erfahrung gibt doch eher Anlaß zur Befürchtung, daß einige potentiell große Würfe in der Tagespolitik zu mutlosen Reförmchen schrumpfen werden.
Ärgerlich an den Kleinigkeiten ist aber nicht nur die von ihnen verströmte Langeweile, sondern auch das ungute Gefühl, daß verschiedene Lobbies bei den Koalitionsverhandlungen recht unmittelbar mit am Tisch saßen. So findet man etwa ab Zeile 195 des Vertrages die Forderung, daß „die Besteuerung von Jahreswagenrabatten fur Mitarbeiter zugig auf ein realitätsgerechtes Maß“ reduziert werden soll. Wer Gewerbesteuer zahlt und sein Unternehmen in gemieteten Immobilien betreibt, der darf sich darüber freuen, daß seine Bemessungsgrundlage etwas kleiner ausfällt, denn die neue Koalition will den „Hinzurechnungssatz bei den Immobilienmieten von 65% auf 50% reduzieren“ (ab Zeile 145). Schön für die Betroffenen, aber unter der Überschrift krisenentschärfende Maßnahmen sollte man sowas nur aufführen, wenn man mit aller Macht unfreiwillig komisch wirken will.
Solche Fälle gibt es im Koalitionsvertrag in großer Zahl. Dazu gehört etwa auch die bei Zeile 290 versteckte Begünstigung des Hotelgewerbes mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Ob es wohl der bayerische, oder doch der rheinland-pfälzische Hotellerieverband war, der hier den entscheidenden Zugang zur Exekutiven hatte? Ein Beispiel für allzu lähmende Unentschlossenheit findet man dagegen ab Zeile 228, wenn in der Erbschaftsteuer auch von den Koalitionären selbst bereits als ineffizient erkannte Mechanismen nicht etwa grundsätzlich überdacht werden, sondern stattdessen einfach ein paar Steuersätze und Lohnsummen gesenkt und Zeiträume gekürzt werden. Es gibt keine richtigen Lohnsummen im falschen System!
Immerhin, hier gibt es auch einen Lichtblick: „Wir werden in Gespräche mit den Ländern eintreten, um zu prufen, ob die Erbschaftsteuer hinsichtlich Steuersätzen und Freibeträgen regionalisiert werden kann.“ Dies wäre ein geradezu epochaler Fortschritt für den deutschen Föderalismus, denn damit würden die Länder endlich über ein wenig echte Steuerautonomie verfügen. In Zeiten der Schuldenbremse wäre dies mehr als wünschenswert, denn wenn man den Ländern die Neuverschuldung verbietet, dann muß man ihnen wenigstens eine eigene Steuer zur Verfügung stellen, mit der sie ihren eigenen finanzpolitischen Bedürfnissen entsprechend Einnahmen generieren können. Es ist allerdings zu befürchten, daß sich genügend Ministerpräsidenten finden werden, die sich keinem Steuerwettbewerb aussetzen wollen, so daß dieses Vorhaben der Koalition im Bundesrat sein Ende finden wird.
Zu den vagen, aber potentiell folgenreichen Willenserklärungen gehört auch, was man ab Zeile 269 im Koalitonsvertrag findet: Hier schlägt die Koalition vor, längerfristig die Gewerbesteuer abzuschaffen und den Kommunen stattdessen entweder einen höheren Anteil am Umsatzsteueraufkommen zuzugestehen, oder ihnen ein Zuschlagsrecht in der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu geben. Die radikalste Lösung – Abschaffung der Gewerbesteuer bei völliger Kompensation durch höhere Umsatzsteueranteile – würde Deutschland zu einer Steueroase in der Unternehmensbesteuerung machen, mit effektiven Durchschnittssteuersätzen irgendwo zwischen Irland und günstigeren Kantonen der Schweiz. Dieser Plan würde andererseits aber auch die kommunale Finanzautonomie drastisch beschneiden und die Gemeinden abhängig von zentral administrierten Umsatzsteuereinnahmen machen. Eine Kompensation durch ein Zuschlagsrecht bei der Körperschaftsteuer wäre da sicherlich eleganter: Das Steuersystem würde durch Abschaffung der Gewerbesteuer vereinfacht, die Gemeinden behielten ihre Autonomie und die Unternehmen würden weiterhin zur Finanzierung lokaler öffentlicher Güter beitragen.
Und in der Einkommensteuer? Da gibt es die konkrete Absicht, den Kinderfreibetrag drastisch zu erhöhen. Warum auch nicht; daß das steuerfreie Existenzminimum von Kindern bisher so deutlich unter dem von Erwachsenen lag, war ohnehin nicht leicht zu erklären. Ab Zeile 102 wird es dann aber gleich wieder diffus: „Wir werden insbesondere die unteren und mittleren Einkommensbezieher vorrangig entlasten und gleichzeitig den Mittelstandsbauch abflachen, indem wir den Einkommensteuertarif zu einem Stufentarif umbauen. Zahl und Verlauf der Stufen wird unter Berucksichtigung dieses Zieles entwickelt.“ Wieviele Stufen es werden, wie hoch die Grenzsteuersätze sein werden, bei welchen Einkommensniveaus der Tarif seine Sprungstellen beim Grenzsteuersatz haben wird – das alles hätte man vielleicht besser hier schon genauer spezifizieren sollen.
Das wirklich große und auch in der Tagespresse schon ausführlich diskutierte Ärgernis dieses Koalitionsvertrages findet sich dann ab Zeile 572 und sei hier in aller Ausführlichkeit zitiert: „CDU, CSU und FDP haben das Anliegen, die krisenbedingten Einnahmeausfälle fur die Arbeitslosen- und Krankenversicherung aus Steuermitteln aufzufangen. Die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und damit die Lohnnebenkosten sollen zur Überwindung der Krise stabil gehalten werden. Damit spannen wir einen Schirm zum Schutz der Arbeitnehmer in der Krise auf. Es geht insbesondere um die Umwandlung des bisher vorgesehenen Darlehens an die Bundesagentur fur Arbeit in einen Zuschuss. Die Auszahlung des Zuschusses muss selbstverständlich an strenge Kriterien gebunden werden. Deshalb wird die Koalition im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bundeshaushaltes 2010 prufen, wie diesem Anliegen Rechnung getragen werden kann. Insbesondere durch ein auf diesen Zweck ausgerichtetes Sondervermögen.“ Der Plan, ein Sondervermögen zur Subventionierung der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme einzurichten und auf diesem Weg die erst später einsetzende Schuldenbremse noch schnell zu umgehen, ist also keinesfalls vom Tisch, wie in der Presse teilweise leichtfertig berichtet. Er wurde nur von 2009 auf 2010 verschoben.
Damit tritt ein, was vor den Koalitionsverhandlungen schon befürchtet wurde: ausgerechnet drei Regierungsparteien, die sich in der Vergangenheit immer wieder fiskalisch konservativ äußerten, nehmen die gerade erst beschlossene, grundgesetzliche Schuldenbremse nicht ernst. Das wäre allerdings ein Desaster, nicht nur für die Finanzpolitik, sondern auch darüber hinaus. Wenn eine neue Regierung sich offen um Regeln von Verfassungsrang herummogelt, dann muß man das wohl schon als bewußtes Untergraben von Fundamenten bezeichnen.
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Eine Antwort auf „Schwarz-Gelb II:
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