Kosten-Nutzen-Bewertung im Gesundheitswesen: weitere Entwicklungsschritte sind notwendig

Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der GKV (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) wird eine Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimittel zur Rationalisierung des Leistungskatalogs explizit Gesetz. Das Ziel ist es, dass das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) als konsultatives Organ des Gemeinsamen Bundesausschausses (GBA) dezidiert eine Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln vornimmt.

Die gängigen Muster einer Kosten-Nutzen-Bewertung wie sie beispielsweise das englische National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) vornimmt, lassen sich als Kosten-Nutzwert-Analysen einordnen. Die Kosten-Nutzwert-Analyse vergleicht die Kostenwerte mit einem definierten Nutzwert (z. B. Qaly) und hat somit die Maximierung der Gesundheitsversorgung – gemessen in qualitätsadjustierten Lebensjahren nach Qaly – zum Ziel. Komplementäre oder substitutive Konsumentscheidungen des Patienten spielen bei der Bewertung keine Rolle.

Gleichwohl lassen die Entwürfe zum Methodenpapier des IQWiG bislang keine eindeutige Annäherung an die internationalen Standards der Gesundheitsökonomie erkennen. Dem Hinweis im Methodenpapier des IQWiG, dass bisher ungelöste Probleme der Nutzwertgenerierung das IQWiG an der Übertragung individueller Präferenzen hindern würden, kann nicht gefolgt werden, wenn als alternative Methode der Wahl im Methodenpapier in erster Line Kosten-Effektivitäts-Analysen vorgesehen werden. Kosten-Effektivitäts-Analysen ziehen als Outcome-Kriterium natürliche Einheiten zu Rate, was für die Vergleichbarkeit der Ergebnisse und insbesondere für die Referenzierung von künftigen Arzneimittelhöchstpreisen nicht förderlich sein kann.

Damit wird deutlich, dass zumindest der internationale Standard einer Kosten-Nutzwert-Bewertung das unmittelbare methodische Ziel des IQWiG sein muss, auch wenn damit noch viele immanente und strukturelle Probleme verknüpft sind. Auch eine Kosten-Nutzwert-Analyse lässt durch die fehlende Monetarisierung der Outcome-Größe aber zunächst nur eine lexigraphische Reihenfolge zu. Ob die in der immanenten Reihenfolge gewählte Alternative bei einem gegebenen Budget aus Sicht des Kostenträgers noch akzeptabel ist, muss mit einem externen Kostenvergleich (Kostenschwelle) ermittelt werden. Damit stellen sich aber besondere Herausforderungen an die Güte des Outcome-Parameters.

Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in Evaluationsstudien objektivierbare, also zählbare, messbare Größen immer ein stärkeres Gewicht haben werden als nicht messbare und nicht zählbare, d. h. quantitative Kriterien werden qualitativen vorgezogen. Das bedeutet aber auch eine systematische Minderschätzung „weicher“ Alternativen. Darüber hinaus sind positive und negative Wirkungen einer Therapie oft nur im Zeitraum von Jahren feststellbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch eine leitliniengestützte Pharmakotherapie von der Mitwirkung des Patienten abhängig ist. Bei chronischen Erkrankungen gibt es häufig nicht die ursächlich wirkenden Arzneimittel, aber durchaus unterschiedliche Paradigmen der Patientenversorgung, die insbesondere die Phänomene der Compliance oder auch des Placeboeffekts berücksichtigen.

Die Beurteilung der Wirksamkeit und des klinischen Nutzens eines Arzneimittels ist demzufolge nicht ohne weiteres möglich. Es wäre eine entsprechende Versorgungsforschung notwendig, die aber nur sehr rudimentär vorhanden ist. Die ordnungspolitische Frage, die damit einhergeht, ist, wer mit welcher Kompetenz in einer postindustriellen Gesellschaft über die Vergabe von Gesundheitsleistungen entscheidet. Die Frage der Entscheidungspraxis kann theoretisch input-legitimiert sein, d. h., wenn demokratisch legitime Willensbildung und Entscheidungsprozesse vorhanden sind oder output-legitimiert, wenn eine gesellschaftliche Ergebniskategorie akzeptiert wird, die einen allgemeingültigen Gemeinwohlbezug herstellt. Wenn es infolge unterschiedlicher Paradigmen zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln keine eindeutige wissenschaftliche Festlegung eines Nutzenprofils von Arzneimitteln gibt, ohne die Gefahr ausschließen zu können, alternative Heilverfahren zu diskriminieren, bleibt jedoch auch die Wahl, dezentrale Erstattungsentscheidungen als alternative Suchstrategie anzusehen und den Beteiligten vor Ort eine wachsende Gestaltungs- und Verantwortungshoheit zu übertragen. Es bleibt spannend abzuwarten, welche Entwicklung in Deutschland eintreten wird, da es bereits jetzt erste Schritte gibt, auch kassenseitig Kosten-Nutzen-Bewertungen zu entwickeln.

2 Antworten auf „Kosten-Nutzen-Bewertung im Gesundheitswesen: weitere Entwicklungsschritte sind notwendig“

  1. Einerseits sind Kosten-/Nutzen-Bewertungen des IQWiG sehr hilfreich und nützlich für eine kollektive Basisversorgung. Andererseits gibt es darüberhinaus individuelle Vielfalt, deren Qualitäten in keiner Kosten-/Nutzen-Analyse quantifizierbar erfassbar ist.

    Fazit: Kollektivistische evidence-basierte Basisversorgung in einer Staatsmedizin ist möglich und sinnvoll, vergleichbar mit einem Flug in der Economy-Class. Nur diese kollektivistische Basisversorgung ist zukünftig finanzierbar über ein öffentliches Gesundheitswesen.

    Der darüber hinausgehende Anspruch von Nutzern, Kunden und Patienten im Gesundheitssystem, auch etwas komfortabler zu reisen, auch unter dem Schutz o.g. evidence-basierter Kollektivmedizin ist erfüllbar.

    Gerade im Gesundheitssystem sollte die komplementäre Eintracht von zentralem Kollektivismus und dezentralem Individualismus möglich sein. Dies ist aber nur durch Ungleichheit, auch bei der Bezahlung, zu haben.

    Um diese Problematik auch außerhalb der Medizin für jeden verständlich zu machen schlage ich vor, einen Flug nach Australien in der Economy-Class zu buchen und den Rückflug in der ersten Klasse.

  2. Die bessere Alternative zu einer aufgrund der Vielzahl von Einzelfällen nahezu unlösbaren Kosten-Nutzen-Analyse durch das IQWiG wäre eine unabhängige Kosten-Effektivitätsanalyse und eine Verbesserung der Anreizkompatibilität der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Patienten und Ärzten stünde es frei, diese Informationen in ihre Behandlungsentscheidung einfließen zu lassen. Doch solange der Patient nicht gegen hohe Gesundheitskosten versichert, sondern vor diesen weitgehend isoliert ist, wird es für Patienten und Ärzte wenig Anreize geben, die Nutzenentscheidung in Abwägung zusätzlicher Kosten wirklich einzelfallbezogen vorzunehmen. Auch an dieser Aufgabe ist die Gesundheitsreform gescheitert, so dass an einer methodisch unvollkommen rationierten Gesundheitsversorgung allein aus Kostengründen kein Weg vorbei geht.

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