„Wir haben ein System, das zunehmend Arbeit besteuert und Erwerbslosigkeit bezuschusst.“ (Milton Friedman)
Allen Unkenrufen zum Trotz verläuft die weltwirtschaftliche Krise am Arbeitsmarkt in Deutschland bisher eher glimpflich. Das ist erstaunlich, ist doch der Absatz in einigen Branchen drastisch eingebrochen. Das hat der Beschäftigung nicht gut getan, die Arbeitslosigkeit ist aber seit Ausbruch der Krise dennoch kaum gestiegen. Im vergangenen September sind die Arbeitslosenzahlen sogar noch einmal spürbar zurückgegangen. Das muss allerdings in Zukunft nicht so bleiben. Die hohe Zahl an Kurzarbeitern zeigt, wie groß die Probleme am deutschen Arbeitsmarkt tatsächlich sind. Hellt sich die wirtschaftliche Lage nicht bald nachhaltig auf, kommt das dicke Ende erst noch. Kein Wunder, dass auf der neuen schwarz-gelben Bundesregierung viele Hoffnungen ruhen. Der Koalitionsvertrag gibt erste Hinweise, wohin die arbeitsmarktpolitische Reise gehen wird.
Wettbewerbliche Tarifautonomie
Wie gut ein Land mit den Anpassungslasten einer Krise fertig wird, hängt von der Güte des institutionellen Arrangements ab. Die empirischen Ergebnisse sind dabei eindeutig: Wichtig sind betriebsnahe Lohn- und Tarifpolitiken, produktivitätsorientierte Löhne über alle Qualifikationen hinweg sowie effiziente Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiken. Ein zentrales Element einer erfolgreichen Lohn- und Tarifpolitik ist eine wettbewerbliche Tarifautonomie. Deshalb gehört hierzulande die betriebliche Regelungssperre ins Museum der Industriegeschichte. Betriebliche Bündnisse für Arbeit müssen auch möglich sein, wenn das Tarifkartell nicht zustimmt. Es muss ein Ende haben, dass das Günstigkeitsprinzip vor Gericht ökonomisch unsinnig interpretiert wird. Schließlich muss Schluss damit sein, Tarifverträge durch die Politik für allgemeinverbindlich zu erklären.
Ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt, die Tarifpartner haben leider ganze (Lobby-)Arbeit geleistet. Die neue Bundesregierung bleibt in der sozialdemokratischen Tradition von Schwarz-Rot. Betriebliche Bündnisse für Arbeit werden mit keinem Wort erwähnt. Eine Reform der betrieblichen Regelungssperre steht nicht auf der Agenda. Auch daran, das Günstigkeitsprinzip ökonomisch sinnvoll umzugestalten, ist nicht gedacht. Allein eine kleine Reform der Allgemeinverbindlicherklärung ist ins Auge gefasst. Tarifverträge können auch weiter für allgemeinverbindlich erklärt werden. Allerdings soll nicht mehr der Arbeitsminister, sondern das gesamte Kabinett das letzte Wort haben, immer vorausgesetzt es gibt eine Mehrheit im Tarifausschuss. CDU und FDP waren auf diesem Feld schon mal wesentlich weiter.
Wider gesetzliche Mindestlöhne
Eine betriebsnähere Lohn- und Tarifpolitik beteiligt die Arbeitnehmer zwar direkter am wirtschaftlichen Erfolg und Misserfolg der Unternehmen. Die Löhne werden flexibler, die Gefahr der Arbeitslosigkeit sinkt. Vor allem geringer qualifizierte Arbeitnehmer haben aber selbst dann nur eine Chance auf eine Beschäftigung, wenn über alle Qualifikationen hinweg stärker produktivitätsorientiert entlohnt wird. Das macht es notwendig, beschäftigungsfeindliche gesetzliche Mindestlöhne abzuschaffen. Erforderlich ist daneben aber auch, soziale Mindestlöhne zu entschärfen, die durch die Transferleistungen der Grundsicherung entstehen. Die Lohnersatzrate des Arbeitslosengeldes II muss verringert, die Möglichkeiten des Hinzuverdienstes müssen verbessert und die Leistungen aus Transfers stärker regionalisiert werden.
Der Koalitionsvertrag zeigt, Schwarz-Gelb will wichtige Beschäftigungshemmnisse für einfache Arbeit nicht beseitigen. Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn wird zwar abgelehnt, nicht aber ein branchenbezogener. Es ist nicht daran gedacht, das Gesetz über Mindestlohnarbeitsbedingungen und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz abzuschaffen. Eine vage Hoffnung bleibt: Die gesetzlichen Maßnahmen zum Mindestlohn sollen überprüft und nach 2011 womöglich geändert werden. Etwas besser sieht es beim sozialen Mindestlohn aus. Die Absicht, die Hinzuverdienstmöglichkeiten in der Grundsicherung zu verbessern, ist positiv zu bewerten. Allerdings werden die zusätzlichen finanziellen Belastungen diesem Vorhaben enge Grenzen setzen. Das gilt vor allem dann, wenn die Höhe der Regelsätze tabu ist. Ein Schritt in die richtige Richtung sind auch die beabsichtigten Pauschalierung und stärkere regionale Differenzierung der Kosten der Unterkunft.
Neue Arbeitsmarktpolitik
Es scheint paradox: Die Arbeitslosigkeit steigt auch, weil die Politik verspricht, sie abzubauen. Deshalb müssen die Kanäle verstopft werden, über die es den Tarifpartnern gelingt, beschäftigungspolitische Lasten auf Dritte abzuwälzen. Damit steht auch die Arbeitsmarktpolitik auf dem Prüfstand. Notwendig ist eine neue Arbeitsmarktpolitik für Kurzzeitarbeitslose. Mehr Äquivalenz in der Arbeitslosenversicherung ist ein Gebot der Stunde. Die Versicherung muss vom operativen Geschäft getrennt werden. Notwendig ist mehr Wettbewerb bei Beratung und Vermittlung. Aber auch die Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose bedarf einer Reform an Haupt und Gliedern. Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik müssen in eine Hand. Dabei muss gelten: eine Behörde, ein Betreuer, ein Geldtopf. Das A und O ist ein fairer Wettbewerb zwischen Bundesagentur und Kommunen.
Der Koalitionsvertrag zeigt, Schwarz-Gelb will die Arbeitsmarktpolitik nicht wirklich umkrempeln. Von mehr Äquivalenz in der Arbeitslosenversicherung ist wenig zu lesen. Die kontraproduktive Verlängerung des ALG I soll bleiben. Vermittlungsgutscheine ab Beginn der Arbeitslosigkeit werden nicht den Durchbruch bringen. Das gilt vor allem dann, wenn die Bundesagentur nicht entflochten und mehr Wettbewerb möglich wird. Positiver stimmen die Pläne zur Reform der Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose. Sinnvoll ist, dass Länder, Kommunen und BA ihre Aufgaben getrennt erfüllen sollen. Auf die Aktivseite gehört ebenfalls, dass das Experiment der Optionskommunen unbefristet fortgeführt werden soll. Mutiger wäre es allerdings, das Modell der Optionskommunen für alle zu öffnen. Das wäre realer wettbewerblicher Föderalismus.
Anreizverträglicher Sozialstaat
Ein Beschäftigungshindernis ersten Ranges ist auch eine weit geöffnete Steuer- und Abgabenschere. Wer beschäftigungspolitisch Erfolg haben will, muss zum einen die Lohnnebenkosten senken. Das erfordert eine grundlegende Reform des Sozialstaates. Er muss sich auf sein Kerngeschäft – Arbeitslosenversicherung und Kampf gegen Armut – konzentrieren. In der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung ist mehr Kapitalfundierung und weniger Umlagefinanzierung notwendig. Der Beschäftigung tut es zum anderen aber auch gut, wenn die Steuern auf Arbeit gesenkt werden. Eine Steuerstrukturreform weg von direkten und hin zu indirekten Steuern ist beschäftigungspolitisch sinnvoll. Der Weg über sinkende Steuern macht Sinn, wenn er nicht auf Pump, sondern über weniger Ausgaben finanziert wird. Neue keynesianische Konjunkturprogramme über die Einnahmeseite sind überflüssig.
Schwarz-Gelb ist auf dem richtigen Weg, wenn es gelingt, die Krankenversicherung auf ein solides wettbewerbliches Fundament zu stellen. Die Vorstellungen im Koalitionsvertrag, wie langfristig die Krankenversicherung auszusehen hat, sind richtig. Mehr Autonomie in den Beiträgen, mehr Möglichkeiten regional zu differenzieren und Arbeitnehmerbeiträge, die unabhängig vom Einkommen sind und sozial ausgeglichen werden, gehen in die richtige Richtung. Besser wären allerdings risikoäquivalente Beiträge. Dieser Weg bringt nicht nur mehr Effizienz in das Gesundheitssystem, er erhöht auch die Beschäftigung. Zusammen mit dem Plan, die Pflegeversicherung um kapitalfundierte Elemente zu ergänzen, könnte es gelingen, die Steuer- und Abgabenschere zu schließen. Der Lohn wäre mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit.
Fazit
Das Urteil über die Pläne der schwarz-gelben Regierung, in Deutschland wieder mehr Beschäftigung zu schaffen, fällt durchwachsen aus. Weder bei der Lohnfindung, noch beim Umgang mit Mindestlöhnen und bei der Arbeitsmarktpolitik setzt Schwarz-Gelb nachhaltig auf Wettbewerb. Die Linie von Rot-Schwarz wird nicht verlassen: Im Zweifel gegen den Markt. Es wäre allerdings verfrüht, schon jetzt den Stab über die Koalition zu brechen. Vielleicht belehrt sie uns eines Besseren, vielleicht gelingt es in der Pflegeversicherung und im Gesundheitswesen auf den Pfad der marktwirtschaftlichen Tugenden zurückzukehren. Es käme allerdings einem Wunder gleich, wenn gerade im lobbyverseuchten Gesundheitswesen eine kopernikanische Wende gelänge, die den „Markenkern“ der sozialdemokratischen Parteien in der Regierung und außerhalb angreift. Aber auch hier gilt: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
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Es bedürfte einer Erklärung, warum eine kapitalfundierte Gestaltung der Sozialversicherungen gegenüber der umlagfinanzierten vorteilhaft sein sollte. Gesamtwirtschaftlich läuft es ohnehin auf das gleiche hinaus (realer Leistungstransfer von den jeweils zum Anspruchszeitpunkt wirtschaftlich Aktiven auf die nicht mehr Aktiven Anspruchsberechtigten).
Allerdings sind die bisherigen Erfahrungen mit der Rentenversicherung in puncto Effizienz ernüchternd. Die Riesterrente erzeugt ein Mehrfaches an Verwaltungskosten gegenüber der staatlichen Rentenversicherungen. Weshalb sollte das bei der Pflegeversicherung anders werden?
@ruebe
Das Gutachten „Grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung“ des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium begründet, weshalb eine stärker kapitalfundierte Alterssicherung ohne Alternative ist.
@ruebe:
Bei einem kapitalgedeckten System ist der Kapitalstock und damit tendenziell die Produktivität höher als in einem umlagefinanzierten System.
Auch ein Gesetzesantrag, der nicht gerade produktiv ist und den Arbeitsmarkt noch mehr belasten wird:
http://www.govtrack.us/congress/bill.xpd?bill=h111-3548