Historisch schlechte Werte für die Volksparteien und Rekordgewinne für die Alternative für Deutschland haben die politische Mitte erschüttert. Christ- und Sozialdemokraten beteuern, dass gute Politik nicht ausreichend erklärt wurde. Die Flüchtlingswelle sei schuld an der wachsenden Frustration in der Wählerschaft.
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Gegen diese Erklärungsansätze spricht, dass die fortschreitende politische Polarisierung am linken und am rechten Rand kein spezifisch deutsches Phänomen ist und schon länger andauert. Abb. 1 zeigt die Zustimmungsraten für die etablierten (nicht extremen) Parteien bei den Parlamentswahlen für Deutschland und den Durchschnitt der EU28. Der Abwärtstrend beginnt Anfang der 1990er Jahre. Er setzt sich seither mit wachsendem Tempo fort.
Das Kernproblem ist, dass sich seit den 1990er Jahren die Wachstumsdynamik verändert hat. Lange Zeit war das Produktivitätswachstum hoch. Dies ließ nicht nur die realen Löhne steigen. Die etablierten Parteien spezialisierten sich darauf, Teile dieses Produktivitätswachstums einzusammeln und zu verteilen, z.B. in Form von mehr sozialer Sicherung. Da das Produktivitätswachstum aber heute nahe null liegt (siehe Abb. 2), gibt es auch nichts mehr zu verteilen. Die alten Politikmuster stoßen an ihre Grenzen.
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Die großzügigen Versprechen der etablierten Regierungsparteien hätten sich schon lange als illusionär herausgestellt, wenn die Europäische Zentralbank nicht die Zinsen gegen null gesenkt hätte und nicht in großem Umfang Staatsanleihen kaufen würde. Denn das hat einerseits die Zinszahlungen des Staates deutlich gedrückt. Andererseits treibt das billige Geld derzeit eine Immobilien- und Exportblase, die die Steuereinnahmen des deutschen Staates aufbläht (und die Ausgaben für die soziale Sicherung reduziert). Die kurzfristig positiven Steuer- und Ausgabeneffekte der Geldpolitik sind wohl auch der tieferliegende Grund dafür, dass sich alle etablierten Parteien mit Kritik an der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank vornehm zurückhalten. Sie fürchten, dass ein Ausstieg aus der sehr lockeren Geldpolitik ihre Versprechen als unhaltbar entlarven wird.
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Dass viele Bürger im Gegensatz zu den Politikern unzufrieden sind, liegt an den negativen Wachstums- und Verteilungseffekten der lockeren Geldpolitik. Denn die schrittweisen Zinssenkungen der EZB (siehe Abb. 3) und anderer großer Zentralbanken dämpfen seit Mitte der 1980er Jahre das Produktivitätswachstum. Der Grund ist, dass die sogenannte Allokationsfunktion des Zinses untergraben wird, die gute Investitionen von schlechten trennt. Lag der Zins in der Vergangenheit z.B. bei 10%, wurden nur Investitionsprojekte mit einer erwarteten Rendite von über 10% finanziert. Die Unternehmen mussten große Anstrengungen unternehmen, um hohe Effizienzgewinne zu erreichen. Da aber die Finanzierungskosten stark gesunken sind, wurden immer mehr Investitionsprojekte mit geringer Rendite auf den Weg gebracht, so dass das Produktivitätswachstum abgenommen hat (siehe Abb. 2).
Da das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum die Voraussetzung für reale Lohnerhöhungen ist, können die realen Löhne im Durchschnitt kaum mehr steigen. Handeln einige Berufsgruppen noch Lohnerhöhungen aus (z.B. ältere Piloten), muss das Lohnniveau anderer Berufsgruppen (z.B. junger Piloten) sinken. Insbesondere seit der Mitte der 1990er Jahre wurden in Deutschland vor allem die Löhne junger Berufseinsteiger und von Wiedereinsteigern in den Arbeitsmarkt im Vergleich zu vorangegangenen Generationen gedrückt. Auch die Rentenansprüche wurden zurückgefahren.
Zudem hat die sehr lockere Geldpolitik Verteilungseffekte, da sie die Vermögenspreise nach oben treibt. Die Aktienpreise der deutschen Unternehmen steigen, weil der niedrige Zins der Europäischen Zentralbank viel Kapital ins Ausland treibt. Dort wird es zum Kauf deutscher Güter verwendet, sodass insbesondere die exportorientierten Großunternehmen profitieren. Die Immobilienpreise in den Ballungszentren steigen, weil die Hypothekenkredite günstig sind und die Sorge um die Geldwertstabilität wächst. Die Aktien- und Immobilienvermögen konzentrieren sich bei wenigen älteren Menschen, die immer reicher werden. Menschen mit geringen Einkommen können kein Vermögen mehr bilden und werden abgehängt.
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Dieses Entwicklungsmuster ist in fast allen europäischen Ländern ähnlich, weil ganz Europa der Geldpolitik der EZB folgt. Vor allem junge Menschen mit vergleichsweise geringer Qualifikation steigen aus der Mittelschicht ab. Mit der schrumpfenden Mittelschicht verliert auch die politische Mitte (siehe Abb. 1). Werden in der Öffentlichkeit geringe Löhne der Globalisierung oder den freien Märkten in der EU angelastet, dann begünstigt das den wirtschaftlichen Nationalismus. Dies zeigt sich im schnelleren Wachstum der extremen rechten Parteien im Vergleich zu den extremen linken Parteien. (siehe Abb. 4). Das Wahlergebnis zur Bundestagswahl 2017 entspricht diesem Muster.
Überraschend ist nur, dass sich der Vertrauensverlust in die politische Mitte trotz guter wirtschaftlichen Lage bereits jetzt so deutlich gezeigt hat. Wenn eines Tages die Immobilien- und Exportblase platzt, dürfte sich das wirtschaftliche und politische Klima in Deutschland nochmals deutlich eintrüben. Wer das verhindern will, muss auf einen zügigen Ausstieg aus der sehr lockeren Geldpolitik drängen. In den Stellungnahmen der führenden Politiker aller Couleur war nach der Wahl davon allerdings noch nichts zu hören.
Literatur:
Wu, Jing Cynthia / Xia, Fan Dora (2017): Time Varying Lower Bound of Interest Rates in Europe. Chicago Booth Research Paper 17-06.
Schnabl, Gunther / Müller, Sebastian (2017): Die Zukunft der Europäischen Union aus ordnungspolitischer Perspektive. Mimeo.
- Die EZB treibt die politische Polarisierung - 28. September 2017
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