Glücksspiele sind nach Lesart des Staatsvertrags über das Glücksspielwesen in Deutschland Spiele, bei denen für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Hierzu zählen neben Lotterien, Wetten jedweder Art gegen Entgelt (meist in Form von Sportwetten), Lotterien, Angebote innerhalb staatlicher Spielbanken (Tischspiele und Automaten) sowie Automaten-spiele außerhalb staatlicher Casinos (z. B. in Gaststätten und Spielhallen) und eine Anzahl weniger bekannter Glücksspiele wie das Gewinnsparen, das von öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Kreditinstituten angeboten wird. Nach § 4 dieses Staatsvertrags ist für das Betreiben jeglicher Art eines öffentlichen Glücksspiels eine Genehmigung der zuständigen Behörde des jeweiligen (Bundes-)Landes erforderlich.
Im Bereich der Lotterien führt eine restriktive Praxis der Konzessionsvergabe zu einer Absicherung des de facto-Monopols des Deutschen Lotto-Blocks:Â Während privaten Unternehmen der Zugang zum Lotteriemarkt bislang verwehrt wurde, erhielten die Blockunternehmen in den letzten Jahren vermehrt die Möglichkeit, ihr Angebot etwa durch die Einführung des „Lotto ohne Grenzen“ (1985), der Superzahl (1991), von Oddset (2000) und von KENO (2004) auszuweiten (Adams & Tolkemitt 2001).
Aus ordnungsökonomischer Sicht stellt sich nun die Frage, ob eine derartig intensive Marktregulierung notwendig ist.
In einem marktwirtschaftlichen System ist prinzipiell einem reinen Markt mit funktionierendem Preismechanismus zur Koordination von Angebot und Nachfrage der Vorzug zu geben. Staatliche Intervention bedarf daher einer Legitimation etwa in Form des Vorliegens von Marktversagen. Die Interventionsmaßnahmen müssen dabei ziel- und ordnungskonform ausgestaltet sein.
Im Bereich des Lotteriemarktes spielen die folgenden Aspekte, die als Marktversagen aufgefaßt werden können, als Legitimationsgrundlage staatlicher Intervention eine Rolle:
(1)Â Spielsucht als externer Effekt,
(2)Â die Gefahr eines natürlichen Monopols und
(3)Â Informationsmängel.
ad (1): Spielsucht kann zum finanziellen Ruin der Spieler und zu einer erheblichen Belastung seines Umfeldes führen. Neben den Aufwendungen für die Behandlung der Süchtigen fallen vor allem die Kosten durch Arbeitsausfälle ins Gewicht. Zudem resultieren aus der Störung geordneter Lebensverhältnisse sog. soziale Kosten im Umfeld (Familie, Freunde) des Betroffenen. Schätzungen des Bundesministeriums für Gesundheit gehen davon aus, daß es in Deutschland insgesamt ca. 110.000 bis 180.000 pathologische Spieler gibt. Den größten Anteil pathologischer Spieler findet man dabei unter den Nutzern von Spielautomaten (8 %), gefolgt von den Teilnehmern an Pferdewetten (6 %). Unter den Lottospielern können hingegen nur 0,33 % der Spieler als spielsüchtig klassifiziert werden; Zahlenlotto weist also nur ein geringes Potential zur Entstehung von Sucht auf (Stöver 2006). Klinisch treten Lotteriespieler daher nur in Einzelfällen als Spielsüchtige in Erscheinung, obwohl es sich um das in Deutschland dominierende Glücksspiel handelt (Petry 2003).
ad (2): Als Beleg für die Existenz eines natürliches Monopols auf dem Lotteriemarkt wird das Vorhandensein einer entsprechenden Kostenstruktur, wie sie bei natürlichen Monopolen vorherrscht (sinkende Durchschnittskosten), und die große Bedeutung des „Höchstgewinns“ (Jackpot) für die Kaufentscheidung der Konsumenten angeführt. So übt ein größerer Jackpot tendenziell eine größere Anziehungskraft auf die Spieler aus (Young 2007; Daffern 2004). Tatsächlich sind die beiden Argumente für das vermeintliche Vorliegen eines natürlichen Monopols jedoch kritisch zu beurteilen: Eine zum Nachweis degressiver Kostenstrukturen bemühte empirische Studie weist erhebliche Mängel auf (Viren, 2008). Darüber hinaus konnte bislang kein empirischer Nachweis geführt werden, ob tatsächlich die Höhe des Hauptgewinns oder nicht vielmehr die Anzahl der Gewinner die Attraktivität einer Lotterie ausmacht (Young 2007).
ad (3): Bei einem Lotterielos handelt es um ein Vertrauensgut (Miers 2003). Der Anbieter hat verschiedene Möglichkeiten zum Betrug etwa in Form der Manipulation der Ziehungen. Kommt es auf einem unregulierten Markt zu Betrugsfällen, so ist mit einem Vertrauensverlust der Spieler zu rechnen. Da die Nachfrager befürchten müssen, auf betrügerische Angebote hereinzufallen, zumal man diese nicht durch bloße Inaugenscheinnahme erkennt (Informationsasymmetrie), werden sie sich sukzessive zurückziehen, was zu einem Zusammenbruch des gesamten Marktes führen kann. Dieses Argument erweist sich als begrenzt stichhaltig, weil marktliche Mechanismen (signaling, reputation etc.) durchaus für eine Beseitigung der Informationsasymmetrien sorgen können.
Eine staatliche Intervention kann sich demzufolge allenfalls auf die negativen Externalitäten im Zusammenhang mit der Spielsucht und auf die Informationsasymmetrie (betrügerisches Angebot) stützen. Läßt man diese beiden Argumente als Rechtfertigung gelten, stellt sich die Frage nach geeigneten Instrumenten zur Regulierung dieses Marktes, deren Ziel darin bestehen muß, zum einen die Spielsucht zu vermindern und zum anderen ein betrügerisches Angebot zu unterbinden. Aus der Vielzahl an denkbaren Instrumenten sollen im folgenden
(1)Â die Aufklärung der Konsumenten durch eine Informationspflicht der Anbieter,
(2)Â die Lizenzierung des Angebots (der Marktzugang wäre dabei an eine Lizenz geknüpft, die jeder Anbieter erhält, der für das Geschäft relevante Voraussetzungen wie etwa die persönliche Zuverlässigkeit der Geschäftsführung oder die wirtschaftliche Zuverlässigkeit gemessen mit Hilfe von Bilanzkennzahlen erfüllt),
(3)Â die Fortführung des staatlichen Monopols sowie
(4)Â das vollständige Verbot von Lotterien betrachtet werden.
Bei diesen Maßnahmen ist zunächst eine Zielkonformitätsprüfung durchzuführen, also eine Überprüfung, inwieweit diese Maßnahmen geeignet sind, die beiden Ziele Verminderung der Spielsucht und Schutz vor betrügerischem Angebot zu erreichen. Im Anschluß erfolgt die Überprüfung der Ordnungskonformität.
Eine Aufklärung des Konsumenten über die Folgen der Spielsucht ist sicherlich nicht geeignet, pathologisches Spielen gänzlich zu unterbinden, doch zeigen die gegenwärtig eingesetzten Aufklärungsmaßnahmen durchaus Erfolge. Im Falle der Lizenzierung ist ein höherer Absatz an Lotterielosen (bei gleichzeitig verringertem Preis bzw. höheren Ausschüttungsquoten) gegenüber dem derzeitigen Stand zu erwarten. Damit dürfte sich die Anzahl an Suchtkranken ebenfalls erhöhen. Aber auch die derzeitige Regelung (das staatliche de facto-Monopol) gewährleistet offensichtlich keinen vollständigen Schutz vor Spielsucht. Am wirkungsvollsten scheint man die Suchtproblematik durch ein völliges Verbot von Glücksspielangeboten in den Griff zu bekommen. Doch bei einem Verbot dürften die sog. Cross-Border-Sales, also die über das Internet über Staatsgrenzen hinweg durchgeführten Transaktionen, erheblich zunehmen, die bislang lediglich 1 % des gesamten Umsatzes ausmachen (Viren 2008). Als Zwischenergebnis bleibt somit festzuhalten, daß die in Form von Spielsucht auftretenden negativen Externalitäten mit keinem der hier dargestellten Instrumente vollständig beseitigt werden können.
Zur Eingrenzung von Betrugsfällen – eine Aufklärung des Konsumenten ist hierfür nicht geeignet – versprechen die Maßnahmen (2) bis (4) ein hohes Maß an Zielerreichung, sofern man ausschließlich den inländischen Markt betrachtet. So kann im Falle einer Lizenzierung durchaus mit einer hinreichenden Seriosität der Anbieter gerechnet werden, gleiches gilt für das staatliche Monopol. Im Falle eines Verbots schließlich ist jedwede Grundlage im Rahmen eines legalen Angebots ausgeschlossen. Da jedoch inländische Nachfrager nach wie vor auf ausländische Anbieter zugreifen können und zudem ein entsprechender Schwarzmarkt entstehen dürfte, stiege die Betrugsgefahr bei einem vollständigen Verbot von Lotterien zweifelsfrei an. Insofern dürften die Lizenzierung und das staatliche Monopol besser als das Verbot geeignet sein, die Nachfrager vor betrügerischen Anbietern zu schützen.
Dem Kriterium der Ordnungskonformität kann eine Lizenzierung dann genügen, wenn die Marktzugangskriterien einen weitgehend freien Zugang zum Lotteriemarkt gewähren. Das staatliche Monopol hingegen widerspricht gänzlich dem freien Marktzutritt und ist daher unter dem Aspekt der Ordnungskonformität abzulehnen. Auch ein Verbot des Lotteriespiels schränkt die Freiheit der Individuen zu stark ein und ist daher mit der marktwirtschaftlichen Ordnung nicht vereinbar. Eine Informationspflicht der Lotteriebetreiber über potentielle Suchtgefahren des Lotteriespiels dagegen ließe nicht nur die Preisbildung auf dem Lotteriemarkt unberührt, sondern erhielte darüber hinaus die Handlungsfreiheit der Konsumenten. Die Anforderungen der Ordnungskonformität erfüllen daher die Lizenzierung und die Aufklärung der Konsumenten durch eine Informationspflicht der Anbieter.
Insgesamt kann damit folgendes Ergebnis festgehalten werden: Sofern das Auftreten einer sich aus dem Lottospiel ergebenden Suchterkrankung verringert oder gar beseitigt werden soll, ist eine Informations- und Aufklärungspflicht der Anbieter zweckmäßig. Zur Gewährleistung eines nachhaltigen, seriösen Lotteriemarktes empfiehlt sich die Einführung einer Lizenzierung, deren Kriterien so auszugestalten wären, daß sie jedem seriösen Anbieter den Marktzugang ermöglichen.
Zudem hat sich gezeigt, daß das staatliche Quasi-Monopol auf dem Lotteriemarkt – wie es derzeit besteht – aus ordnungsökonomischer Sicht nicht gerechtfertigt werden kann.
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Literatur
Adams, M., Tolkemitt, T. (2000), Verkauf von Hoffnung und Jagd auf die Armen. Eine ökonomische Analyse des Gewinnsparens, Zeitschrift für Bank- und Börsenrecht, S. 163-168.
Daffern, P. (2004), Assessment of the effects of competition on the National Lottery, dcms Technical Paper No. 6.
Miers, D. (2003), The Gambling Review Report: Redefining the Social and Economic Regulation of Commercial Gambling, The Modern Law Review, Bd. 66 (4), S. 604-622.
Petry, J. (2003), Glücksspielsucht – Entstehung, Diagnostik und Behandlung, Göttingen et al.
Stöver, H. (2006), Glücksspiele in Deutschland – Eine repräsentative Untersuchung zur Teilhabe und Problemlage des Spielens um Geld, Bremen.
Viren, M. (2008), The case for government lotto monopoly, in: ders. (Hrsg.), Gaming in the Changing Market Environment, Basingstoke/Hampshire et al., S. 160-183.
Young, R. (2007), Gambling in the EU internal market: aspects of the micro-economics and socio-economics of gambling, abrufbar unter: http://www.eer.co.uk/download/2007bobspeech.pdf.
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Sehr geehrter Herr Daumann,
Ihrer ökonomischen Argumentation stimme ich absolut zu. In meiner Analyse des Sportwettenmarktes komme ich zu sehr ähnlichen Ergebnissen und Schlußfolgerungen (http://www.fussball-oekonomie.de/Aufsaetze.htm). Allerdings scheinen mir beim Glücksspiel- und Sportwettenmarkt ökonomische Argumente noch weniger zu gelten als bei vielen anderen Märkten. Bleibt die Hoffnung auf die Juristen…
Beste Grüße
Jörn Quitzau